Neue Zeiten: Die Nachtwandlerin in Stuttgart

  • La Sonnambula/Die Nachtwandlerin


    Von Vincenzo Bellini


    Musikalische Leitung: Gabriele Ferro


    Regie: Jossi Wieler, Sergio Morabito


    Bühne und Kostüme: Anna Viebrock


    Licht: Reinhard Traub


    Chor: Michael Alber


    Dramaturgie: Sergio Morabito, Angela Beuerle


    ***


    Die Rollen und ihre Darsteller:


    Graf Rodolfo: Liang Li


    Teresa, Müllerin: Helene Schneiderman


    Amina, Waisenmädchen: Ana Durlovski


    Elvino, reicher Gutsbesitzer: Luciano Botelho


    Lisa, Wirtin: Catriona Smith


    Alessio, Bauer: Motti Kastón

    ***

    Die erste Neuproduktion des aktuellen Stuttgarter Opernintendanten Jossi Wieler war mit vielen Vorschußlorbeeren bedacht worden: Vincenzo Bellinis 1831 entstandene Belcanto-Oper «Die Nachtwandlerin/La Sonnambula».


    Neugierig besuchte ich am 13.03.2012 die vorletzte von 11 Aufführungen. Hier meine Eindrücke:


    Sängerisch überzeugte vor allem Sopranistin Ana Durlovski als Amina. Mit ihrem hohen Sinn für Bellinis Verzierungen und Schleifen in den schier endlosen Melodiebögen hat sie sich in die Herzen des Publikums gesungen.


    Die Presse bescheinigt ihr einstimmig, die Idealbesetzung dieser Rolle zu sein. Mit ihrer farbreichen Mittellage, mit ihrer ansatzlosen, präzisen Tonproduktion und mit ihrer selbst in leisesten Passagen strahlend-perliger Höhe. Seit ihrer letztjährigen ebenfalls umjubelten Lucia hat sie an Feinfühligkeit deutlich gewonnen. Ein großer Gewinn für die Stuttgarter Oper, diese Sängerin nunmehr in ihrem Ensemble zu haben.


    Ihr Gesangspartner und Liebhaber Elvino, in der Verkörperung durch den brasilianischen Gast Luciano Botelho, glänzt mit einem schwerelos hohen Tenor, strahlend Leidenschaft mit Leichtgläubigkeit verbindend. Die Duette und Ensembles, stimmlich brillant aufeinander eingestimmt, wirken wie wahre Belcanto-Orgien.


    Die Seconda Donna Catriona Smith singt und gestaltet die Wirtin Lisa aufgekratzt und ekstatisch mit allen Nuancen einer verzweifelt Liebenden und Hoffenden. Sie trippelt vor Freude auf der Stelle, als Elvino sie doch noch zu nehmen scheint. Ihr Abgang nach erfolglosem Versuch ist dennoch aufrecht.


    Helene Schneiderman als Müllerin und Ziehmutter Teresa ist so bühnenfüllend, als habe sie drei Arien zur Verfügung – dabei sind es in Wirklichkeit nur drei Solo-Stellen.


    Der Bassist Liang Li lässt mit seiner wuchtigen Rodolfo-Darstellung bisweilen an Mozarts Komtur erinnern. In der heutzutage unvermeidlichen Bettszene hat er dagegen enorme Beweglichkeit bewiesen, nicht nur stimmlich.


    Besonders hervorzuheben ist der wunderbare Chor. Als Gesamtheit auch eine Hauptrolle. Sängertisch ohnehin eine Klasse für sich, ist die Darstellung so detailgenau und liebevoll, aus tiefstem Wissen um menschliche Abgründe und Unzulänglichkeiten heraus gestaltet. Alle Teilnehmer dieser grandiosen Ensembleleistung würde man gerne als Solisten verpflichten.


    Und was wäre das alles ohne den Maestro?


    Gabriele Ferro sorgt am Pult so umsichtig wie hellhörig dafür, dass das Staatsorchester mit fein abgetönter Palette den ganzen Klangreichtum dieser Nachtwandlerin zutage fördert. Wie er die Tempi zurückhält und sie in Beziehung zueinander bringt, so dass die reich geschichteten Nummern ihre Kontur erhalten, das macht ihm so rasch keiner nach. Ihm ist die Spielfreude anzumerken, wieder an seiner alten Wirkungsstätte agieren zu können. Er fügt Solisten, Chor und Staatsorchester zum Ganzen, was sich rundet wie nur selten: Musiktheater als ein szenisch und musikalischer erfüllter Augenblick.


    Die szenische Herrichtung stammt von Regisseur Jossi Wieler und seinem Dramaturgen und Co-Regisseur Sergio Morabito. Und Anna Viebrock hat den einzigen Raum gestaltet: Keine Ortsmitte, auch Wald und Flur sind Fehlanzeige. Statt des Mühlrads ein Bach außerhalb des Wirtshauses. Von dessen Treppe steigt die Hochzeitsgesellschaft ins Bierkellergewölbe von Lisas in Gasthof herab, welcher sehr in die Jahre gekommen ist. Entlang der Wände reihen sich hohe Schränke, die auch als Lauschversteck dienen, im Raum grobe Holztische und Bänke, die mehrmals mit viel Lärm auf- und abgebaut werden. Und ganz am Rand der vollgestopfte Briefkasten, den niemand leert. Ungepflegt und schmuddelig, so gar nichts Festliches. Auf den Tabletts Schnaps, die Gläser werden permanent nachgeschenkt. Um dem Brautpaar zu huldigen oder um die Seelen zu trösten.- Das für die Schlafwandelszene dienende Schlafgemach des Grafen entsteht durch Herablassen eines bühnenverkleinernden Zwischenvorhangs mit Fensterausschnitt, unter welchen die zu Liegestatt aufgeklappte Couch positioniert wird. Kein Kulissenumbau unterbricht die schlüssige Handlung.


    Fazit: Wird auf diesem Niveau in Stuttgart weitergearbeitet, ist eine Nominierung zur Oper des Jahres in absehbarer Zeit durchaus wieder denkbar.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich habe am Samstag die Nachtwandlerin in Stuttgart erleben dürfen und bin genauso begeistert wie Siegfried. Die Besetzung war bis auf Rudolfo, der von Enzo Capuano staatsmännsich verkörpert wurde, gleich. Die Chorleitung hatte Johannes Knecht.


    Ich kannte La Sonnambula bisher nur von der CD-Gesamtaufnahme mit Cecilia Bartoli, Juan Diego Flores und Ildebrando D'Arcangelo. Umso mehr war ich gespannt diese Oper einmal szenisch erleben zu können. Und ich wurde nicht enttäuscht. Meine gute Meinung vom Opernhaus in Stuttgart wurde wieder bestätigt.

  • Sonntagnacht sendet arte die Aufzeichnung aus dem Stuttgarter Opernhaus.


    "Die Nachtwandlerin" von Vincenzo Bellini
    La Sonnambula
    Montag, 03. März um 0:10 Uhr (155 Min.) arte TV


    Vincenzo Bellinis 'Nachtwandlerin' vom bewährten Regieteam Jossi Wieler und Sergio Morabito hat nach ihrer Premiere in der Oper Stuttgart im Januar 2012 ein überaus positives Echo beim Publikum, in der Presse und in Fachkreisen ausgelöst: Ana Durlovski wurde für ihr Rollenporträt der Amina mit dem Faust-Theaterpreis als beste Sängerdarstellerin Musiktheater ausgezeichnet.


    Besetzung:
    Bühnenbild: Anna Viebrock
    Chor: Staatsopernchor Stuttgart
    Chorleiter: Johannes Knecht
    Dirigent: Gabriele Ferro
    Inszenierung: Jossi Wieler & Sergio Morabito
    Regie: Marcus Richardt, Jörg Mohr
    Kostüme: Anna Viebrock
    Licht: Reinhard Traub
    Orchester: Staatsorchester Stuttgart


    Enzo Capuano (Graf Rodolfo)
    Helene Schneiderman (Teresa)
    Ana Durlovski (Amina)
    Luciano Botelho (Elvino)
    Catriona Smith (Lisa)
    Motti Kastón (Alessio)
    Juan Pablo Marin (Ein Notar)
    Antje Albruschat (Das Gespenst)


    Aufzeichnung aus der Oper Stuttgart, gesungen in italienischer Sprache mit deutschen und französischen Untertiteln.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Es gibt durchaus nicht nur positive Rezensionen (S. mein Beitrag im Thread "Opernaufführungen im Rundfunk und im TV")

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber Siegfried,


    Deine Besprechung der "Nachtwandlerin" hat Appetit gemacht. Wir werden uns diese Aufführung an der Staatsoper Stuttgart ansehen. Danke für dedn Hinweis.


    Hezrlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Das freut mich, lieber Hans. Bedenke beim Kartenkauf, daß es an einigen Terminen Umbesetzungen bei den Hauptrollen gibt. Ich wünsche Euch heute schon viel Vergnügen.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried