Regietheater - Konzepttheater - altbackene versus moderne Inszenierung

  • Zitat

    Jetzt ist es aber so, dass die beiden gemäß Shakespeares Angaben etwa 15 Jahre alt sind, was viele, die das Stück ansehen, wissen, aber eben nicht jeder.


    Ich meine schon, dass allgemein bekannt ist, dass es sich bei Romeo und Julia um Teenager handelt.


    Zitat

    Hier können die Schuluniformen schon nützlich sein, um klar zu machen, um welche Menschen es sich hier handelt - nämlich de facto um unreife Halbwüchsige

    .


    Mit 15 oder 16 wurde man in Zeiten, in denen die durchschnittliche Lebenserwartung 35-40 Jahre betrug, durchaus schon als "erwachsen" - betrachtet. Schuluniformen in Romeo und Julia machen das Ganze zu einer kindischen, unreifen Farce, die mit der Dramatik des Stückes und der Reife, die die beiden zwar Minderjährigen in ihrer bedinungslosen und grenzenlosen Liebe erfahren, nichts zu tun hat.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Zitat Felix Meritis:

    Aber es geht auch nicht, daß du die schrecklichen Inszenierungen von Kusej und Calixte Bieito verharmlost. Das ist nicht mehr mit "ein paar Nackerten" abgetan!

    Wie in meinem ersten Beitrag hier schon erwähnt, sehe ich vieles, was auf den Bühnen heute geschieht auch eher kritisch. Allerdings scheint mir das beim Sprechtheater viel schlimmer zu sein als beim Musiktheater. Ich bin nur dagegen, das Kind mit dem Badewasser auszuschütten. Manche Eingriffe in die Szenerie einer Oper können gerechtfertigt sein, um den ernsthaften Willen des Komponisten/Dichters zu unterstreichen. Ich habe überhaupt nichts gegen reine Unterhaltung - aber das ist eben ein anderes Genre als die Oper im Sinne Wagners, Verdis oder vieler anderer Komponisten.

  • Ich meine schon, dass allgemein bekannt ist, dass es sich bei Romeo und Julia um Teenager handelt.


    .


    Mit 15 oder 16 wurde man in Zeiten, in denen die durchschnittliche Lebenserwartung 35-40 Jahre betrug, durchaus schon als "erwachsen" - betrachtet. Schuluniformen in Romeo und Julia machen das Ganze zu einer kindischen, unreifen Farce, die mit der Dramatik des Stückes und der Reife, die die beiden zwar Minderjährigen in ihrer bedinungslosen und grenzenlosen Liebe erfahren, nichts zu tun hat.


    Das kann ich nur so unterschreiben - abgesehen davon, dass in der Renaissance gar keine Schulunfiformen im heutigen Sinne existierten. Und eine Oper gehört in die Zeit des Librettos und damit Basta.

  • Romeo und Julia in Schuluniformen? Wer einmal Zeffirellis mustergültigen Film gesehen hat, kann nur den Kopf schütteln.


    Wieso ist es heute fast nicht mehr möglich, Heinrich V. oder Richard III. gefälligst in ihrer vorgegebenen Handlungszeit zu sehen?


    Ich habe meiner Lebtage noch keine historisch korrekte Inszenierung von Shakespeare gesehen. Überall diese Zwangsmodernisierungen.


    P.S.: Es gibt gelungene zeitliche Verlegungen, so Branaghs Hamlet oder Richard III. mit McKellen, aber das ist die Ausnahme. Zudem wurde es auch dort nicht in die Jetztzeit verlegt, sondern ins 19. bzw. frühe 20. Jahrhundert.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mit 15 oder 16 war man in Zeiten, in denen die durchschnittliche Lebenserwartung 35-40 Jahre betrug, durchaus schon als "erwachsen" - betrachtet. Schuluniformen in Romeo und Julia machen das Ganze zu einer kindischen, unreifen Farce, die mit der Dramatik des Stückes und der Reife, die die beiden zwar Minderjährigen in ihrer bedinungslosen und grenzenlosen Liebe erfahren, nichts zu tun hat.

    Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, zu glauben, dass es bei der damaligen geringen Lebenserwartung keine alten und reifen Menschen gegeben hätte - oder gar, dass Teenager damals reifer gewesen wären (es trifft sogar im Sinne der Geschlechtsreife aufgrund der damaligen schlechteren Ernährungssituation das Gegenteil zu). Wenn jemand die Kindheit überlebte, hatte sie oder er gute Chancen ein vernünftiges Alter zu erreichen. Die niedrige Lebenserwartung damals ergab sich vor allem aus der gewaltigen Kindersterblichkeit und die Lebenserwartung stieg auch erst mit der Entdeckung der Antibiotika im 20.ten Jahrhundert (!!!) deutlich an. Ich halte es daher für äußerst wahrscheinlich, dass Shakespeare etwas sagen wollte, indem er seine Protagonisten zu Jugendlichen machte. Ist denn diese bedinungslose und grenzenlose Liebe nicht typisch für sehr junge Menschen? Ist es damit später nicht oft zu Ende?

  • st denn diese bedinungslose und grenzenlose Liebe nicht typisch für sehr junge Menschen? Ist es damit später nicht oft zu Ende?


    Das würde ich nicht sagen. Romeo und Julia sind jedenfalls keine "normalen" Teenager, sondern dramatisch überhöhte Charaktere. Genau das muss in einer Inszenierung auch bedacht werden.


    Zitat

    Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, zu glauben, dass es bei der damaligen geringen Lebenserwartung keine alten und reifen Menschen gegeben hätte - oder gar, dass Teenager damals reifer gewesen wären (es trifft sogar im Sinne der Geschlechtsreife aufgrund der damaligen schlechteren Ernährungssituation das Gegenteil zu). Wenn jemand die Kindheit überlebte, hatte sie oder er gute Chancen ein vernünftiges Alter zu erreichen.


    Ob Teenager damals biologisch gesehen reifer gewesen wären, ist fraglich; klar ist, dass sie in diesem Alter ( in dem so mancher Herrscher schon verheiratet war) durchaus schon als junge Erwachsene gegolten haben dürften.



    Ich halte es daher für äußerst wahrscheinlich, dass Shakespeare etwas sagen wollte, indem er seine Protagonisten zu Jugendlichen machte.


    Natürlich wollte er das - er zeigt damit die Ausweglosigkeit der jungen Menschen, die als Kinder ihrer Familien keine Entscheidungsgewalt und keine Macht besitzen.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Klar kannst Du das so halten, aber Du hast sicherlich kein Recht, Dich dabei auf die Komponisten zu berufen.


    Lieber Felix,


    bitte nicht verallgemeinern. Der tierische Ernst und das Sendungsbewusstsein eines Beethoven oder Wagner sind ja auch keine Norm. Weder Mozart noch Rossini gingen mit Fanatismus auf ihre Hörer los.


    Warum eigentlich wird der Begriff "Unterhaltung" mit Unverständnis und Banausentum gleichgesetzt und warum wird meistens das Sujet dabei vergessen?
    Dieser Wahn vieler Regisseure, zu insinuieren, das Publikum ginge nur in die Oper um neue Einsichten zu gewinnen und das Haus als besserer Mensch zu verlassen, grenzt ans Lächerliche.


    Lortzing ist Lortzing und Alban Berg ist Alban Berg und kein Regisseur kann mir einreden, Lortzing sei eigentlich ein verkappter Alban Berg und der Hörer, der Zar und Zimmermann nicht aufgewühlt und bis ins Mark getroffen verlässt, hätte eben nichts verstanden und sollte sich mit der Schlagerparade begnügen.
    Mit welchem Recht wird angenommen, dass nur Drama und Tiefsinn in seriöser Musik etwas zu suchen haben?


    Meine Meinung ist es jedenfalls nicht, und wenn ich im Wirtshaus Apfelstrudel bestelle, erwarte ich nicht, dass mich der Kellner belehrt und mir mit Hinblick auf meine Gesundheit einen Becher Magerquark serviert.


    Ich habe es früher schon einmal angesprochen: warum toben sich die kreativen Neugestalter hauptsächlich in der Oper aus? In den Museen der Welt hängt so viel Unmodernes und Weltfremdes, dass einem die Tränen kommen. Wie wär´s denn mit Spitzweg als Kubist?


    "Bild´ mir nicht ein, ich könnte was lehren,
    Die Menschen zu bessern und zu bekehren..."


    Wenn nur mancher Regisseur seine Einsichten in diese etwas weniger überhebliche Richtung lenken könnte.

  • Ob Teenager damals biologisch gesehen reifer gewesen wären, ist fraglich; klar ist, dass sie in diesem Alter ( in dem so mancher Herrscher schon verheiratet war) durchaus schon als junge Erwachsene gegolten haben dürften.


    Nicht in der Gesellschaftsschicht, aus der die beiden stammen! Das ist eben eines der Probleme bei "zeitgetreuen" Inszenierungen: man müsste ein auf die jeweilige Zeit spezialisierter Historiker sein, um alle Aspekte einer solchen Inszenierung ins rechte Licht setzen zu können. Aufgrund der doch recht großen zeitlichen Distanz zu Shakespeare, sind hier die Informationsverluste auch für Experten beträchtlich. Deshalb können vermeintlich "zeitgetreue" Inszenierungen einen verfälschenden Charakter bekommen.

  • das Publikum anzusprechen. Jawohl, und das kann auch durch "Unterhaltung" passieren. Jemanden zu unterhalten ist durchaus keine billige "Beschäftigungstherapie", sondern eine hohe Kunst, die erst einmal verstanden werden will.


    Genauso ist es. "Unterhaltung" muß man doch nicht zwangsläufig mit Klamauk, Spektakel, Schenkelklopfen und Horrido assoziieren. Vergangenen Sonnabend war ich in meinem heimatlichen Musiktheater zur Traviata (ich habe davon berichtet) und bin bestens und hervorragend unterhalten worden. Vor allem stimmlich und darstellerisch von den Solisten und auch vom Orchester. Die Inszenierung war nicht das, was ich mir zum Werk darunter passend vorstelle, aber es war zumindest keine Verunstaltung und das heißt schon was in der heutigen Zeit!

    Ich bin nur der Meinung, dass ernsthafte Meisterwerke prinzipiell auf anspruchsvollem Niveau gehalten werden müssen, weil das der Intention der Komponisten am nächsten kommt.

    Da sprichst Du doch ein wahres Wort gelassen und völlig richtig aus. Da sind wir doch einer Meinung. Etwas anderes sagen und wollen wir doch auch nicht. Und ein, wie Du es nennst "anspruchsvolles Niveau", kann doch aber niemals eine Entstellung, Verunstaltung und Verunglimpfung sein! Verdi hat ganz sicher keine Oper geschrieben und dabei die Vorstellung gehabt, daß da mal nackte Menschen auf der Bühne Tennis spielen, wie hier mal ein Mitglied berichtete.
    Auch Wagner konnte nicht ahnen, daß fünfzig Jahre nach ihm (!!!) mal eine furchtbare braune Zeit anbricht und es da einen Verbrecher namens Göring geben würde. Und dieser Lump ist nun die Assoziationsfigur des Rienzi in der Inszenierung der Deutschen Oper Berlin.
    Mir fehlt da jegliches Verständnis und Interesse und damit bringt mir auch keiner Wagner näher!
    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Lieber Felix,


    bitte nicht verallgemeinern. Der tierische Ernst und das Sendungsbewusstsein eines Beethoven oder Wagner sind ja auch keine Norm. Weder Mozart noch Rossini gingen mit Fanatismus auf ihre Hörer los.

    Klar, das hängt ganz vom Werk ab. Zar und Zimmermann hat einen ganz anderen Anspruch als der Ring Wagners. Werke, die vornehmlich als Unterhaltung gedacht waren, sollten auch als solche widergegeben werden, keine Frage. In diesem Punkt stimmen wir überein. Andererseits, ob da Ponte oder Beaumarchais so harmlose Unterhalter waren, lasse ich mal dahingestellt.....

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  • Natürlich wollte er das - er zeigt damit die Ausweglosigkeit der jungen Menschen, die als Kinder ihrer Familien keine Entscheidungsgewalt und keine Macht besitzen.

    Naja, auch als Erwachsener hatte man weitgehende keine Entscheidungsgewalt über sein Leben. Gerade die Frauen hatten es eigentlich in ihrer Jugendzeit noch besser als später. Um das aufzuzeigen, hätte Shakespeare keine jungen Hüpfer wählen müssen. Wenn schon, dann geht es um die Psychologie der "jugendlichen" Liebe und wie sie an der inhumanen Realität zerbricht.

  • Genauso ist es. "Unterhaltung" muß man doch nicht zwangsläufig mit Klamauk, Spektakel, Schenkelklopfen und Horrido assoziieren. Vergangenen Sonnabend war ich in meinem heimatlichen Musiktheater zur Traviata (ich habe davon berichtet) und bin bestens und hervorragend unterhalten worden. Vor allem stimmlich und darstellerisch von den Solisten und auch vom Orchester. Die Inszenierung war nicht das, was ich mir zum Werk darunter passend vorstelle, aber es war zumindest keine Verunstaltung und das heißt schon was in der heutigen Zeit!

    Ich glaube, wir sollten zwischen "Unterhaltung" und "harmloser Unterhaltung" unterscheiden. Unterhalten, das heißt "nicht langweilen", tue ich mich auch beim Requiem von Mozart. Aber es wäre doch idiotisch, wenn das Requiem von livirierten und perücketragenden Musikern gespielt würde, um die Zeitverbundenheit mit Mozart zu demonstrieren. Das wäre zwar "werkgetreuer" würde aber das Requiem fast ins Lächerliche ziehen. Und genauso kann es auch bei gewissen Opern - wie gesagt natürlich nicht allen - sein. Die zeitgetreue Darstellung kann vom Ernst des Werks ablenken.

    Und ein, wie Du es nennst "anspruchsvolles Niveau", kann doch aber niemals eine Entstellung, Verunstaltung und Verunglimpfung sein! Verdi hat ganz sicher keine Oper geschrieben und dabei die Vorstellung gehabt, daß da mal nackte Menschen auf der Bühne Tennis spielen, wie hier mal ein Mitglied berichtete.


    Auch Wagner konnte nicht ahnen, daß fünfzig Jahre nach ihm (!!!) mal eine furchtbare braune Zeit anbricht und es da einen Verbrecher namens Göring geben würde. Und dieser Lump ist nun die Assoziationsfigur des Rienzi in der Inszenierung der Deutschen Oper Berlin.


    Mir fehlt da jegliches Verständnis und Interesse und damit bringt mir auch keiner Wagner näher!

    Meine Ausführungen waren vor allem allgemeine Denkanstöße. Nazipomp in Wagneropern ist dumm und banal, keine Frage. Aber das ist ja auch keine Aktualisierung sondern eine Popularisierung. Hitler und Co. scheinen ja heutzutage fast als Popstars zu gelten.

  • Was ist bitte "Nazipomp"? Die Inszenierungen in der Ära Cosima Wagner waren auch pompös, aber bereits viel früher. Wagner darf pompös sein, warum auch nicht? Erklärte Anti-Nazis wie Hans Knappertsbusch vertraten diese Ansicht, derer man sich auch heute nicht zu schämen braucht. Genauso wie eine Aida ruhig monumental sein soll, ohne dass man damit automatisch an Mussolini denkt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was ist bitte "Nazipomp"? Die Inszenierungen in der Ära Cosima Wagner waren auch pompös, aber bereits viel früher. Wagner darf pompös sein, warum auch nicht? Erklärte Anti-Nazis wie Hans Knappertsbusch vertraten diese Ansicht, derer man sich auch heute nicht zu schämen braucht. Genauso wie eine Aida ruhig monumental sein soll, ohne dass man damit automatisch an Mussolini denkt.

    Nazi-Pomp ist ein von in Naziuniformen gekleidete Personen veranstaltetes, pompöses Geschehen.

  • Es ist eben gerade das moderne Regietheater, das solche Bezüge überhaupt erst herstellt. Rienzi mit Hitler und Aida mit der Waffen-SS, unglaublicher Schwachsinn. Ich erinnere mich auch dunkel an einen verdrängten Giulio Cesare, wo einer in KZ-Manier sinnlos Leute abknallte. An der Stelle hielt sogar die Musik inne.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ja das soll sie und muss sie. Oder glaubst Du etwa ernsthaft, Wagner und Verdi hätten sich in mehrjähriger Schwerstarbeit ihre Opern geradezu aus dem Leib gerissen, um Dich bei Lachsbrötchen und Schampus zu unterhalten und den öden Büroalltag vergessen zu lassen?

    So viel wir wissen, hatte Oper damals aber genau diese Funktion. Die Leute sind damals nicht in die Oper gegangen, um Gesellschaftskritik vorgesetzt zu bekommen, sondern um Geschichten erzählt zu bekommen und Schicksale miterleben zu können.



    Auf welcher Seite Wagner stünde, d.h. auf der des gegen die Welt ergrimmten Regisseurs, der ein paar Nackerpatzeln auf die Bühne schickt, oder auf Deiner, dem "stressgeplagten Büromenschen", der ein wenig ausspannen möchte, da brauch ich nicht lange zu überlegen.

    Offenbar solltest du da doch mehr überlegen, denn wir wissen sehr gut, wie genau Wagner seine Regieanweisungen umgesetzt haben wollte. Wir können davon ausgehen, dass er für vieles, was heute auf das Publikum losgelassen wird, kein Verständnis gehabt hätte.



    Wichtig ist dabei auch noch der Hinweis von Thomas Pape, dass Oper nicht nur unterhaltend sein soll, sondern auch Herausforderung und aktuelle Gesellschaftskritik beinhalten muss.

    Auch diese Aussage ist nur bedingt haltbar. Es gibt natürlich Werke, die dies erfordern, viele haben damit aber gar nichts am Hut. Così fan tutte oder Tristan und Isolde haben keinerlei Gesellschaftskritikpotential sondern sind reine Beziehungskisten. Heute geht der Trend bei Inszenierungen dahin, die Stoffe mit neuen Inhalten zu assoziieren, an die vorher noch nie jemand gedacht hat. Inwieweit dies gelingt, muss von Fall zu Fall beurteilt werden, ich finde es nur selten überzeugend...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Dieser Wahn vieler Regisseure, zu insinuieren, das Publikum ginge nur in die Oper um neue Einsichten zu gewinnen und das Haus als besserer Mensch zu verlassen, grenzt ans Lächerliche.


    Trefflich gesagt, lieber hami.
    Bei meinen vielen Besuchen in der Berliner Staatsoper habe ich garantiert niemals das Haus als "besserer Mensch" verlassen. Dafür aber stets glücklich bis überglücklich euphorisch. Ich habe das Opernhaus auch nie als Lehranstalt gesehen oder empfunden oder dort erwartet und gewollt. Schulstunden, Unterricht und Vorlesungen hatte ich an anderen Orten und zwar dort, wo sie hingehören!


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • So viel wir wissen, hatte Oper damals aber genau diese Funktion. Die Leute sind damals nicht in die Oper gegangen, um Gesellschaftskritik vorgesetzt zu bekommen, sondern um Geschichten erzählt zu bekommen und Schicksale miterleben zu können.

    Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass Wagner mit seinem Ring harmlos unterhalten wollte? Oder Verdi? Selbstverständlich gab es viele Opern, die ausschließlich unterhalten sollten, aber das gilt selbstverständlich nicht für alle. Von Wagner wissen wir, dass er vollkommen zerstört war, als er feststellen musste, dass sein Ring tatsächlich als reine Unterhaltung gewertet wurde. Wagner wollte nichts anderes als den gesellschasftlichen Umbruch mit Kunst erreichen. Auch Parsifal geht in diese Richtung.



    Offenbar solltest du da doch mehr überlegen, denn wir wissen sehr gut, wie genau Wagner seine Regieanweisungen umgesetzt haben wollte. Wir können davon ausgehen, dass er für vieles, was heute auf das Publikum losgelassen wird, kein Verständnis gehabt hätte.

    Wie ich schon bereits mehrfach schrieb sind die Wagneropern kein gutes Repertoire für Aktualisierungen, da sie bereits allegorisch konzipiert sind. Ich meinte eher, dass Wagner ein Regisseur, der seine Opern als essentiell ansieht, lieber wäre, selbst wenn dieser einigen Unfug treiben sollte, als ein saturierter Opernbesucher.


  • Ja das soll sie und muss sie. Oder glaubst Du etwa ernsthaft, Wagner und Verdi hätten sich in mehrjähriger Schwerstarbeit ihre Opern geradezu aus dem Leib gerissen, um Dich bei Lachsbrötchen und Schampus zu unterhalten und den öden Büroalltag vergessen zu lassen?


    Du musst schon genauer lesen. Ich schrieb "bei vielen Stücken". Und MEIN Büroalltag ist bestimmt nicht öde, da muss ich Dich enttäuschen. Lachs und Schampus mag ich auch nicht - und überhaupt: Wagnerianer finde ich albern in ihrer gottähnlichen Verehrung des hohen Meisters und in ihrer Humorlosigkeit. Und natürlich habe ich das Recht, mich auf Komponisten zu berufen, genauso, wie es die Regietheaterfraktion hat, die gerade jügst in der Spielplanvorschau der Züricher Oper wieder so einen Quark verzapft, dasss Gounod seinen "Faust" schrieb, um die Gesellschaft zu kritisieren. Da kann ich Dir aber gleich drei Textstellen nennen, wo er was ganz anders sagt.



    Erfreulich - wie ich gerade sehe, hast Du Dich in einem anderen eitrag bereits selbst korrigiert und eingeräumt, dass es durchaus Opern gibt, die "nur" unterhalten möchten. Wie schwer das zu erreichen ist und wie viele daran gescheitert sind, das muss ich Dir bestimmt nicht sagen- Denk mal nur an "Das Liebesverbot"...


    Und jetzt schwinge ich mich auf den Besen und düse ins Wochenende.

  • Im Vorfeld eines Opernbesuches mache ich mir darüber Gedanken was der Komponist mir mit dieser Oper sagen will, bereite mich darauf vor usw. . Aber wenn ich in die Oper gehe, mache ich das in erster Linie um mich unterhalten zu lassen, mit dem Wissen das ich mir vorher angeeignet habe. Auch bei einem Stück wie Elektra genieße ich einfach nur die wunderbare Musik.

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  • Bei all den Versuchen, in die Oper mit Gewalt eine aufdringliche Gesellschaftskritik hineinzupressen, wird vergessen, dass die Oper in erster Linie aus ihrer Musik lebt. Musik und Text werden also zugunsten verworrener Hirngespinste des Regisseurs gänzlich vernachlässigt und kommt dem Besucher daher oft auch in Kombination mit dem völlig inkompatiblen Bild wie ein Missklang vor.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • So viel wir wissen, hatte Oper damals aber genau diese Funktion. Die Leute sind damals nicht in die Oper gegangen, um Gesellschaftskritik vorgesetzt zu bekommen, sondern um Geschichten erzählt zu bekommen und Schicksale miterleben zu können.

    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat Gerhard Wischniewski:

    Zitat

    Bei all den Versuchen, in die Oper mit Gewalt eine aufdringliche Gesellschaftskritik hineinzupressen, wird vergessen, dass die Oper in erster Linie aus ihrer Musik lebt. Musik und Text werden also zugunsten verworrener Hirngespinste des Regisseurs gänzlich vernachlässigt und kommt dem Besucher daher oft auch in Kombination mit dem völlig inkompatiblen Bild wie ein Missklang vor.

    Genau, Gerhard! Diejenigen, die man durch diese verkorksten Inszenierungen in die Bühnen lockt, gehen nicht wegen der Musik dorthin, sondern nur aus Sensationsgier, wegen der Skandale und Fleischbeschau! Leidtragende sind die Opernliebhaber, die gerne eine dem Libretto und den Wünschen des Komponisten entsprechende Aufführung erleben wollen.

    W.S.

  • Lieber Thomas,


    Hier nun die Antwort zu deiner Frage unter "Mordandrohungen", Beitrag Nr. 110.
    Mit der "Zauberflöte" hast du natürlich eine der vermeintlich härtesten Nüsse gewählt, weil gerade hier das Textbuch so verworren und widersprüchlich ist. Wer ist hier eigentlich der Böse, Sarastro oder die Königin der Nacht. Ich habe nicht das Handwerk eines Regisseurs erlernt und kann daher für die Inszenierung sicherlich keine Patentlösung bieten.
    Natürlich ist Sarastro eine zwielichtige Gestalt und kann als despotisch und frauenfeindlich angesehen werden. Aber auch die Königin der Nacht ist kriminell, denn sie versucht, ihre Tochter zum Mord anzustiften (Der Hölle Rache....). Aber ich denke, dass es gerade bei der Zauberflöte nicht viel zu deuten gibt, denn hier liegen die Charaktere für den Zuschauer schon offen auf der Hand und jeder Mitdenkende, so er sich nicht nur unterhalten lassen will, ist in der Lage, diese Figuren zu durchschauen. Warum sollte Sarastro aber nicht eine Priestergestalt sein, denn wir wissen doch von vielen Religionen (einschließlich der christlichen), wie despotisch sie sein können? Und wenn wir Paulus nehmen, der hier ein paarmal zitiert wurde, dann müssten nach seinem 1. Römerbrief die Frauen immer noch mit Kopftüchern herumlaufen. Dem Text nach muss er sogar Priester aus dem altägyptischen Raum sein (O Isis und Osiris...). Jedenfalls kann ich ihn mir überhaupt nicht als Chef eines modernen Konzerns vorstellen, der ohnehin solche frauenfeindlichen Äußerungen bei uns nicht mehr äußern dürfte.
    Und die Königin der Nacht - sie sollte ebenfalls Königin der Nacht bleiben und nicht vielleicht die Chefin irgendeines Bordells.
    Die übrigen Figuren können nach meiner Ansicht in der Zauberflöte das bleiben, was sie von jeher waren. Sie sind eher Marionetten, Begeitpersonen im Kampf um die Vorherrschaft.
    Und aller übriger Firlefanz, der manchmal von den Regisseuren hineingebracht wird, wie unnötige Aktionen (um - wie mancher Regisseur vermeint - etwas hineinzubringen, das man mit dem neudummdeutschen Wort "action" bezeichnet) und hinzuerfundene Personen, ist in der Oper gänzlich überflüssig.
    Das gilt für alle Opern: Ich kann bei "Lohengrin" - aus Musik und Text - nur erkennen, dass Wagner diesen als Held, aber nicht als Rattengrin, Klassengrin, Baustellengrin, Epilepsiegrin oder ähnlich angelegt hat.
    Und was hat man nicht schon alles mit Opern wie Rigoletto, Aida, Freischütz usw. angestellt. Den Freischütz hat man in Berlin sogar ganz ins Gegenteil verkehrt, und das kann wohl nicht der Wille des Komponisten gewesen sein. Aber solche Verirrungen gibt es ja im Thema "Sammelplatz für absurde und lächerliche Inszenierungen" genug zu betrachten und ich kann mir weitere Beispiele sparen.
    Was Bühnenbild und Kostüme betrifft, so habe ich auch schon mal erklärt, dass diese sicherlich nicht so üppig und überladen sein müssen, wie es im 19. Jahrhundert vielleicht noch der Fall war. Aber sie müssen mich erkennen lassen, dass ich in der Zeit und am Ort der Originalhandlung bin. Wenn ich den Titel "Julius Caesar" für eine Oper lese, dann verbinde ich damit das Jahrhundert vor Christus (der Moderator in Salzburg im vorigen Jahr kündigte sogar an, dass wir uns im Jahre 44 v. Chr. befinden). Aber das gab es ja wohl noch keine Panzer und Raketen und es sprangen keine Soldaten in Naziuniformen mit Stahlhelm und Maschinengewehren herum. Und Königin Elisabeth I war sicherlich auch keine Bürochefin in moderner Kleidung mit Stöckelschuhen wie in "Roberto Devereux" in München. So könnte ich wiederum - aber dafür gibt es ja den genannten Sammelplatz - mengenweise Beispiele anführen.
    Ein guter Regisseur müsste also in der Lage sein, das Geschehen entsprechend dem Originalwerk auch mit der modernen Bühnentechnik - und gerade mit dieser - in historischen Gewand auf die Bühne zu bringen und trotzdem die Charaktere - ohne zu übertreiben und dem Publikum einseitige Anschauungen aufzuzwingen - klar und deutlich zu zeichnen. Und davon gab es in der Vergangenheit ja excellente Könner während heute einfach vieles dilettantisch ist.
    Und ein guter Zuschauer ist - so er das denn überhaupt will - in der Lage, ohne aufgesetzte Deutungversuche, die man meist ohne Kommentar überhaupt nicht versteht, die Handlung und deren Hintergründe und Absichten zu durchschauen und allein zu deuten.
    Wie gesagt, ich habe das Handwerk nicht erlernt, aber ich habe ich der Vergangenheit viele gut inszenierte werkgerechte Vorstellungen gesehen, bei denen man mich nicht mit der Nase auf gewisse Hintergründe und Absichten stoßen musste. Und ich war nie - wie Felix Meritis anschnitt - jemals eingelullt. Zwar nicht eingeschlafen, aber mit geschlossenen Augen habe ich - nur weil es mir vorher nicht bekannt war und die musikalische Qualität gut war - einige wenige Inszenierungen der "modischen" Art über mich ergehen lassen, bei den ich, aber auch viele andere das Bühnengeschehen in keinen Zusammenhang mit dem Werk bringen konnten. Dann habe ich es aufgegeben und gehe nur noch, wenn ich ganz sicher bin, dass es keine dieser modischen Entstellungen des Werkes ist. Im Fernsehen, kann ich wenigstens abschalten und bei guter musikalischer Darbietung ohne Bild hören, bzw. - um mich zu informieren, aufnehmen und im Querschnitt schauen - und habe mein gutes Geld nicht für Schund ausgegeben.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Così fan tutte oder Tristan und Isolde haben keinerlei Gesellschaftskritikpotential sondern sind reine Beziehungskisten.


    Deshalb werden auch in beiden Stücken Beziehungsmodelle entwickelt, die sich (auch gesellschaftlich) als nicht tragbar erweisen ... Man mag dies in einer Inszenierung thematisieren (finde ich persönlich gut) oder ausblenden (finde ich persönlich langweilig), aber diese Aspekte schlicht zu negieren und den Inhalt dieser Werke quasi auf die Stufe beliebiger Konversationsstücke zu verweisen, erscheint mir kaum adäquat :no:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo Gerhard,


    Ich kann bei "Lohengrin" - aus Musik und Text - nur erkennen, dass Wagner diesen als Held, aber nicht als Rattengrin, Klassengrin, Baustellengrin, Epilepsiegrin oder ähnlich angelegt hat.


    nun, bekanntlich meinte Wagner selber dazu in seiner "Mitteilung an meine Freunde“ (1851): „Lohengrin sucht das Weib, das an ihn glaubte ..., dem er sich nicht zu rechtfertigen habe, sondern das ihn unbedingt liebe ... Mit seinen höchsten Sinnen ... wollte er nichts anderes werden und sein als voller, ganzer, warmempfindender und warmempfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott, d. h. absoluter Künstler.“ - Natürlich schreibt er nichts von Ratten, Klassenzimmern, Baustellen etc., aber er schreibt auch nichts von einem strahlenden, von jeglichem Selbstzweifeln unbefangenen Helden.
    Es gibt also neben Musik und Libretto mindestens noch eine weitere Ebene des Werkes; und die Frage, wie mit dieser (Deutungs-)Ebene angemessen umgegangen werden kann, umschiffen wir allesamt in unseren oftmals verhärteten Diskussionen was so elegant, wie ein weißer Schwan auf einem Parksee ... :pfeif:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Gut, dass die Diskussionen wieder dort geführt werden, wo sie hingehören. Schon erstaunlich, dass der von einer Kriminalstory ausgehende Thread so explodierte und in kurzer Zeit mehr Beiträge brachte als der eigentlich zuständige Bereich. Neben einer gewissen "Sensationslust" beweist dies wie brennend und drängend das Thema Regietheater für uns alle ist, und zwar so stark,dass diese Problematik egal an welcher Stelle "seuchenartig" immer wieder hervorbricht. Wo sind die Heilungschancen? Ist es wie bei Amfortas die ewige, sich nie schließende Wunde. Hoffnung, auch er wurde am Ende erlöst. Wo ist unser Gralskönig, der die Erlösung vollbringt?
    Positiv, dass dieser Thread dann wohl geschlossen sein dürfte?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich finde es bemerkenswert, dass so viele Gegner auch des ernsthaften, modernen Regietheaters - dass es da manche (viele?) nicht zu tolerierende Auswüchse gibt, betreitet doch Niemand - sich in die Empfindungen von Menschen versetzen können (möchten?), die vor 100, 200, 300 Jahren gelebt haben und deswegen moderne Inszenierungen ablehnen.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Geschätzter operus,


    eine Bemerkung sei mir noch gestattet:


    Neben einer gewissen "Sensationslust" beweist dies wie brennend und drängend das Thema Regietheater für uns alle ist, und zwar so stark,dass diese Problematik egal an welcher Stelle "seuchenartig" immer wieder hervorbricht.

    Allerdings sollten wir bedenken, dass dies eben nur "für uns" gilt! - Letztlich geht die Frage, Regietheater - Ja oder Nein? dem wesentlich größeren Teil der Bevölkerung (zu recht?) am Allerwertesten vorbei; einzig, wie ich immer wieder gerne betone, stellt sich dort höchstens die Frage, warum überhaupt Steuergelder für eine so sinnlose, realitätsferne und zweckfreie Kunstform, wie die Oper verschwendet werden sollten!? Und ganz unberechtigt ist diese Frage natürlich nicht ... eine zwingende Antwort für die Beibehaltung dieser eben hochsubventionierten Kunstform scheint es mir nicht wirklich zu geben. Trotzdem will ich persönlich natürlich, dass auch meine Kinder und vielleicht Enkelkinder diese Kunstform erleben können, wenn sie denn wollen werden.



    Wo sind die Heilungschancen?

    Als Zweckpessimist behaupte ich, dass es keine gibt. - Dies gilt allerdings für alle stark emotional besetzten Themen: Sei es der favorisierte Fußballverein, die Frage, ob Auto oder Fahrrad, Windenergie oder Atomstrom usw. usf. In all diesen Fällen und in noch vielen mehr bleiben wir halt stets menschlich, gar zu menschlich :angel:


    In diesem Sinne einen guten Start ins vorösterliche Wochenende :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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