Klassikhäppchen - Einstiegsdroge oder falsche Prägung ?

  • Ich würde das nicht grundsätzlich verdammen wollen, vielleicht gibt es ja doch den einen oder anderen, dem das geholfen haben mag. Aus meiner persönlichen Sicht halte ich davon aber nichts, weil ich finde, es bringt nichts. Man mag das Häppchen hören und gut finden, aber ich erlebe nur selten, dass darauf wirklich jemand Lust bekommt sich jetzt die ganzen 2 Stunden (oder was auch immer) zu Gemüte zu führen. Dazu kommt ja auch, dass diese Häppchen sowieso immer die Gleichen sind, die sind schon so abgegriffen, dass mich das manchmal regelrecht anekelt, wenn ich zB solche CDs in die Hand bekomme ("da ekelte mich der holde Sang!")....ganz schlimm sowas wie diese Sampler "Mozart zum Fliesenlegen" oder "Wagner für Unausgeschlafene" :thumbdown:
    Ich sehe die Motivation dahinter einfach nicht, mich hat sowas auch nie verleitet, sonst wäre ich schon länger "dabei", bei mir hat es erst ein ganzes Werk gemacht. Oft haben solche CDs auch so eine Alibi-Funktion, jedenfalls habe ich das gefühl, sowas stellt man sich hin und kann sagen, man würde Klassik hören, aber eigentlich ist da gar nichts.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Ich kam ja sehr spät und relativ plötzlich zur klassischen Musik und konnte auf keinerlei gewachsene CD-Sammlung oder so zurückgreifen. Natürlich griff ich dann zu den HÖhepunkten der Klassik bei Media-markt für 5,99 . Und da findet man doch so manchel, wo ich mich fragte, was gibt es von dem denn sonst noch so.
    Auch später passierten ähnliche Dinge, so z.B. als ich von dem Verkäufer meine Jackett-Collection-Box ans Herz gelegt bekam (die Teleton immer wieder verteufelt ;) , da taten sich mir Welten auf.


    Und was ich ganz toll finde, ist, wenn auf den CDs was erklärt wird, möglichst mit Tonbeispielen. Wie viel habe ich kennengelernt dadurch. Besonders toll natürlich Bernstein, keiner kann so begeisternd erzählen wie er. ABer auch meine DVD-Box über moderne Musik von Simon Rattle, mit ganz vielen Schnippseln, hat mir gut gefallen und ich habe dann daraufhin einige CDs gekauft, die ich sonst ganz bestimmt nicht hätte. Steve Reich wäre mir evtl. gar nicht über den Weg gelaufen. Mathis der Maler habe ich nur wegen den Beispielen auf der Box.


    Auch die Klassik-Rock-Stücke kann man ja als solche HÄppchen sehen, und da habe ich früher schon ein wenig geschnuppert: Ekseption, Nice und noch so einiges.


    Insofern: Bei mir hat´s gut funktioniert mit den Häppchen und das ist doch schon mal was (Unter meinem Namen steht "Meister"!!! :jubel: )


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • ABer auch meine DVD-Box über moderne Musik von Simon Rattle, mit ganz vielen Schnippseln, hat mir gut gefallen und ich habe dann daraufhin einige CDs gekauft, die ich sonst ganz bestimmt nicht hätte. Steve Reich wäre mir evtl. gar nicht über den Weg gelaufen. Mathis der Maler habe ich nur wegen den Beispielen auf der Box.


    Was ist denn das für eine Box??? (neugierig)

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Also, liebe Freunde, es ist ungefähr so wie auf unserem Wochenmarkt: Hat da doch tatsächlich ein Händler Käsehäppchen (alt, mittelalter, neu) und man probiert und kauft nach seinem Geschmack. Oder der Wustmaxe mit einer neuen Creation, die natürlich auch kostenlos probiert wird. Das ist im Endeffekt schon kaufanreizend - und natürlich bewußt eingesetzt.


    Leider habe ich aber noch keinen Händler gefunden, der kostenlos Musikhäppchen verteilt. Bleibt nur das Häppchenangebot bei Taminos Werbeträgern: Und das ist dann ebenso ein Anreiz zum Kauf - ebenso bewußt eingesetzt (und ebenso hilfreich).


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • SchallundWahn!
    Ich habe die Box leider momentan verliehen, kann also schlecht nachsehen. Aber es gab (gibt?) sie bei 2001 und sie heißt "Musik im 20. Jahrhundert".
    Ich denke, darunter würde man sie bei 2001 finden. Sie war auch nicht wirklich teuer.


    Solltest du sie kaufen, bin ich gespannt, was du dazu sagen wirst.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Ich bin leidenschaftlicher Sammler von "Häppchen". Früher gab es die immer umsonst oder für eine geringe Schutzgebühr.
    Fast alle Plattenfirmen hatten "Sampler" oder ähnliches im Programm.
    Der Händler hatte die unter der Ladentheke und verteilte die nur an bevorzugte Kunden.


    - Bei Universal gibt es die heute noch ca 2 x im Jahr für ein paar Euro - mit Ausschnitten der Neuerscheinungen der kommenden Saison.
    - Das "Rondo"-Magazin verschickt ebenso alle 2 Monate eine CD mit Häppchen - firmenübergreifend.
    - Englische Klassik-Magazine fügen ebenfalls ihren Heften jeden Monat eine ähnliche CD bei.
    - "Scala" und ähnliche Zeitschriften hatten früher ebenfalls solche Beilagen (ich habe sie alle gesammelt)
    - das Label "Chandos" gab auch jeden Monat eine CD mit Hörproben aus ihrem Neuerscheinungs-Katalog heraus (findet man in England auf Flohmärkten)
    - auch das Werbemagazin "Crescendo" gibt regelmäßig CDs mit Hörproben heraus (für Premium-Kunden)
    - auch "Naxos" verschickte früher regelmäßig Muster-CDs
    - als Werbung für größere Editionen wie "Mozart" oder "Wagner" gab es ebenfalls Sampler-CDs mit Ausschnitten


    Dies ist alles nicht neu - gab es schon zu Vinyl-Zeiten. Damals gabe es auch liebevoll gemachte "Werbeschallplatten". Ich habe z.B. eine Vorschau auf neue Schlager auf Vinyl - die Platten werden darauf von DJ Chris Howland vorgestellt. Auf der Rückseite der Platte findet sich das Angebot der Plattenfirma im Klassik-Bereich - vorgestellt von Joseph Pelz von Felinau.


    (Beispiel)


    gibt man bei amazon als Suchwort "Sampler" ein, bekommt man über 2000 Ergebnisse - ab 0,01 € pro Stück.....


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Für angehende Opernfreunde sind m. E. die ideale Einstiegsdroge leichte Werke und vor allem die Spieloper. Man hört und genießt die Gassenhauer wie: "Lied an den Mond", "Auch ich war ein Jüngling", "Lebe wohl mein flandrisch Mädchen" ist verzaubert und angefixt und will dann mehr, immer mehr. Selbst der große Bernd Weikl soll zum Singen gekommen sein, weil er Gottlob Frick in der Arie "O sancta justitia" hörte und gefesselt war.Wenn man vor allem junge Menschen an die Oper heranführen will, dann einen Opernbesuch mit einer der märchenhaften Spielopern arrangieren oder die populärsten Arien hören lassen. Wenn de Boden dafür da ist, wird der Samen aufgehen.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Es könnte aber auch genau das Gegenteil mit solchen "Appetitthäppchen" eintreten, das die junge Generation meinentwegen von Paul Potts "Nessun dorma" hort, dann in die Oper geht und enttäuscht ist , weil nicht alle Melodien so schmissig sind. Ich habe mal versucht die12 jährige Tochter eines bekannten Ehepaares von uns für die Oper zu begeistern. Und habe ihr dann den Schluss vom Rosenkavalier und das Finale des zweiten Aktes vorgespielt. Sie war dann auch ganz begeistert und einverstanden mit uns in die Oper zu gehen und hielt dann bis zur Pause des ersten Aktes vom Rosenkavalier aus um dann mit dem Kommentar zu gehen: Das ist doch nur was für Grufties und wurde dann von ihren Eltern abgeholt . Somit war mein Missionierungsversuch kläglich gescheiert :( .

  • Also ich halte tatsächlich überhaupt nichts von dieser "Schnippsel-Politik"! - Als ich angefangen habe, mich mit klassischer Musik zu beschäftigen, war mein Medium - LPs und etwas später CDs waren teuer - das Radio. In meinem Fall, wie es damals noch hieß NDR3. Dazu die Fernsehzeitschrift meiner Eltern, die tatsächlich noch das vollständig abgedruckte Radioprogramm enthielt (sic!). Gespielt wurden die Stücke auch im Tagesprogramm (außer Opern) vollständig. Dazu intelligente Wortbeiträge, Features, Interviews etc.
    Dann kam irgendwann eine Zeit, wo doch die LP und später die CD in den Vordergrund rückte und ich eine ganze Weile auch nur sehr wenig klassische Musik gehört habe. In den letzten Jahren habe ich dann wieder öfter das Radio eingeschaltet und war im ersten Moment außerordentlich negativ überrascht: Das mein alter "Leib und Magen"-Sender nun NDRkultur hieß, war zu verschmerzen; dass jedoch auch hier im öffentlich-rechtlichen und von mir via GEZ mitfinanzierten Rundfunk nur noch Schnippsel und sog. "Highlights" zu hören waren, die dafür aber auch gleich mehrfach pro Tag an mehreren Tagen der Woche ... !? - Meine Gefühle schwankten zwischen grenzenloser Wut, Trauer und Wehmut :( Inzwischen habe ich mich mit dieser Entwicklung abgefunden, aber dass man mit so einem Programm Menschen ernsthaft an klassische Musik heranführen kann, mag vielleicht ein ignoranter Programmdirektor glauben. Ich glaube es nicht!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Rudolfos Eiwand ist - wie die aller anderen - nicht ohne Grund richtig. Seine Erfahrungen habe ich persönlich auch gemacht. Wobei es mir unverständlich war und ist, daß die Leute ("Der Mensch an sich ist ja gut --- aber die Leute...") sich nicht vorstellen wollen, daß eine Arie oder ein Satz nicht das gesamte Werk bedeuten. Die Gleichsetzung "Song" ist ganzes Stück, also muß es in der Klassik auch so sein, geht denen offenbar nicht aus dem Sinn.


    Das bedeutet aber nicht, daß ich persönlich an Schnipseln kein Interesse hätte. Was sind denn beispielsweise die Stimmen-Recitals? Sind sie doch auch nur Schnipsel, die Lust machen sollen auf das ganze Werk - oder?


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Für angehende Opernfreunde sind m. E. die ideale Einstiegsdroge leichte Werke und vor allem die Spieloper. Man hört und genießt die Gassenhauer wie: "Lied an den Mond", "Auch ich war ein Jüngling", "Lebe wohl mein flandrisch Mädchen" ist verzaubert und angefixt und will dann mehr, immer mehr. Wenn man vor allem junge Menschen an die Oper heranführen will, dann einen Opernbesuch mit einer der märchenhaften Spielopern arrangieren oder die populärsten Arien hören lassen.


    Lieber Operus,


    ich denke, die Zeiten sind vorbei. Mit Spieloper bekommt man junge Menschen heute sicher kaum noch hinterm Ofen hervorgelockt ( es muss aber auch gefragt werden, warum will das jemand???)...das würde wohl eher zur Belustigung, aber der falschen Art führen. Diese alte Gassenhauer wirken auf viele junge Leute eben genau das...alt und wer wird heute eigentlich noch ehrlich verzaubert?
    Nenn mich Pessimistin, aber von einem Teil der jungen Menschen (und auch noch meiner Generation) erwarte ich nicht mehr viel. Und das gerade "Lebe wohl mein flandrisch Mädchen" dem Abhilfe schafft, möchte ich stark bezweifeln.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Zit. SchallundWahn:
    "...aber von einem Teil der jungen Menschen (und auch noch meiner Generation) erwarte ich nicht mehr viel. "


    Liest sich für einen alten Menschen wie mich ziemlich deprimierend. Irgendwie sperrt es sich in mir, eine solche Haltung zu akzeptieren und innerlich zu übernehmen. In mir ist der Glaube und die Überzeugung nicht erloschen, dass klassische Musik ein künstlerisches Potential aufweist, das über die von medialem Budenzauber in Bann geschlagene Gegenwart hinweg seine Wirkung auf junge Menschen auch in Zukunft entfalten kann.


    Vielleicht wird im Falle klassischer Musik - mehr als in der von der bildungsbürgerlichen Kultur geprägten Vergangenheit - die Form der Präsentation und medialen Vermittlung eine maßgebliche und entscheidende Rolle spielen. "Häppchen" sind diesbezüglich garantiert der falsche Weg. Und hinsichtlich der Wirkung von solchen Stücken wie "Lebe wohl mein flandrisch Mädchen" teile ich die Skepsis von SchallundWahn.


    Aber es gibt moderne, zeit- und mediengerechte Wege, klassische Musik an junge Menschen heranzubringen, auf dass sie das ihr eigene emotiional-evokative Potential zu entfalten vermag. Leonard Bernstein hat in der Vergangenheit vorgemacht, wie das gehen kann.

    Der Erfolg, den er damit hatte, sollte eigentlich Hoffnung machen, dass dieser Weg, den er beschritten hat, zeitgerecht weiterentwickelt werden könnte. Man braucht nur die entsprechend genialen Leute dafür.

  • Wenn man Rosenkavalier auf 12jährige loslässt, darf man sich allerdings nicht wundern, wenn das nach hinten losgeht. Was für einen Bezug sollte man mit zwölf zu den Themen gerade dieser Oper haben? Und sie ist verdammt langweilig, von ein paar highlights abgesehen. Auch wenn ich nichts davon halte, Stücke wie Entführung, Zauberflöte oder Freischütz als "Kinderopern" zu sehen, da auch sie sehr erwachsene Themen haben, wären die vielleicht doch besser geeignet gewesen. Dass man mit Lortzing oder Flotow jemanden unter 60 hinterm Ofen vorlockt, halte ich auch für unwahrscheinlich.
    Oder echte Kinderopern wie Krasas "Brundibar" oder Menottis "Hilfe, Hilfe, die Globolinks" oder was immer es da noch gibt. Für richtige Opern ist man mit 12-14 m.E. meistens noch etwas zu jung. Oder eben typische Instrumentalstücke für Einsteiger wie die Moldau, Dvoraks Sinfonie aus der neuen Welt, Beethovens Pastorale u.a. nicht allzulange, eingängige u. evtl. mit einem Programm versehene Stücke.


    Die von Harald erwähnten "Katalog/Neuerscheinungs"-CDs von Labels oder Zeitschriften fand ich, zumal zu Zeiten, als man noch nicht im Internet einfach so in Ausschnitte reinhören konnte (und die auf den CDs sind normalerweise länger, oft ganze Sätze) auch ziemlich praktisch, selbst wenn ich nicht viele davon habe (die Originals hatte ich auch mal). Die richten sich aber weniger an typische Einsteiger in die Klassik, sondern eher für Erfahrene, die sich einen Überblick über neue Künstler, Neuerscheinungen usw. verschaffen wollen (und natürlich auch über bislang nicht bekannte Musik)


    Bei Einsteigern sehe ich die Sache etwas zwiespältig. Einerseits ist erst einmal nichts gegen ""Wunschkonzerte" usw. zu sagen und Anthologien von Arien, Liedern und Klavierstücken gibt es schon lange auch als Konzertabende. Andererseits ist es ein Unterschied, ob man selbständige kurze Stücke wie zB Schubert-Lieder oder Chopinsche Klavierstücke zusammenstellt oder ob man Einzelsätze aus dem Zusammenhang, in dem sie vorkommen, reißt. Gewiss, der Einsteiger hat mitunter nicht die Geduld, sich 20 oder 40 min oder noch länger einigermaßen auf Musik zu konzentrieren. Aber letztlich gehört es eben zur Klassik dazu, dass eine Sinfonie eben normalerweise länger als fünf Minuten dauert und ein Opernakt etwa eine Stunde oder noch länger. Und dass nicht alles auf Anhieb gleichermaßen ins Ohr geht. Insofern könnte es schon so etwas wie "falsche Prägung" geben, weil ein wesentlicher Aspekt klassischer Musik "Anti-Häppchen" gerichtet ist. Da finde ich es noch besser, wenn ein Anfänger einen Lieblingssatz nach eigener Wahl (wie den dritten aus Tschaikowskys 6. oder so was) dann einzeln oder häufiger anhört, allerdings nachdem er die Sinfonie mehrmals komplett gehört hat.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zit. SchallundWahn:
    "...aber von einem Teil der jungen Menschen (und auch noch meiner Generation) erwarte ich nicht mehr viel. "


    Liest sich für einen alten Menschen wie mich ziemlich deprimierend. Irgendwie sperrt es sich in mir, eine solche Haltung zu akzeptieren und innerlich zu übernehmen. In mir ist der Glaube und die Überzeugung nicht erloschen, dass klassische Musik ein künstlerisches Potential aufweist, das über die von medialem Budenzauber in Bann geschlagene Gegenwart hinweg seine Wirkung auf junge Menschen auch in Zukunft entfalten kann.


    Aber es gibt moderne, zeit- und mediengerechte Wege, klassische Musik an junge Menschen heranzubringen, auf dass sie das ihr eigene emotiional-evokative Potential zu entfalten vermag. Leonard Bernstein hat in der Vergangenheit vorgemacht, wie das gehen kann.

    Der Erfolg, den er damit hatte, sollte eigentlich Hoffnung machen, dass dieser Weg, den er beschritten hat, zeitgerecht weiterentwickelt werden könnte. Man braucht nur die entsprechend genialen Leute dafür.


    Lieber Helmut,


    dass du meinen Pessimismus übernehmen sollst, das will ich auch gar nicht, ganz im Gegenteil, es braucht Optimisten und Hoffnungsvolle, wo wären wir bloß, wenn alle so schwarzmalerisch denken würden wie ich? (unter der Erde wahrscheinlich). Oft möchte ich ja auch optimistisch sein, nur sehe ich dazu momentan keinen Anlass und das betrifft ja auch nicht nur junge Menschen, es gibt ja auch genug ältere Menschen, die keine Klassik mögen (das merke ich alle Tage in meiner Familie). Ich habe das Gefühl, dass es eine "Schwellenangst" gegenüber Klassischer Musik gibt, und ich gebe zu, dass ich davon lange Zeit auch nicht frei war. Wenn man erstmal "dabei" ist erscheint einem alles ganz natürlich, aber von außen betrachtet, ist es für die meisten Menschen nicht so. Sie empfinden es als etwas Abschreckendes, Schreckliches (wie oft habe ich schon die Frage hören müssen : "Tun dir nicht mal die Ohren weh bei diesem Geschrei?") Die meisten sind irritiert und unverständig, das scheint eine "andere Welt" zu sein.
    Manchmal glaube ich, dass es in jedem Menschen selbst liegt, sich etwas anzueignen, sich etwas zu öffnen, es sollte nicht die Aufgabe sein jemandem etwas vorzusetzen in der Hoffnung er erbarme sich einer positiven Reaktion. Musik kommt zu den Menschen oder eben nicht, sie muss niemandem ins Haus geliefert werden, der nicht daran denkt, sie zu bestellen.


    Und was Bernstein angeht...da kommt wieder der Skeptiker, der mir sagt, wenn es denn so toll funktioniert hätte, warum hören in den USA dann noch weniger Menschen Klassik als hier bei uns?

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Ich lese mit Schrecken, daß man den Adepten der klassischen Musik erlaubt, sich die Rosinen aus dem Brei zu picken, statt wie die braven Bayreuth-Aspiranten per aspera ad astra, d.h. vom Tannhäuser an geduldig alles widerzukäuen, was die Musikgeschichte hervorgebracht hat.


    Ja, sprach er, Freund, wir leben jetzt


    In der Depeschenzeit,


    Und Schiller, käm er heut zurück,


    Wär auch nicht mehr so breit.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

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  • Musik kommt zu den Menschen oder eben nicht, sie muss niemandem ins Haus geliefert werden, der nicht daran denkt, sie zu bestellen.


    Dieser Betrachtung schließe ich mich gern an. Allerdings sehe ich es insgesamt weniger pessimistisch. Klassische Musik und Oper ganz besonders werden nie zur Massenbewegung werden. Waren sie auch nie. Es werden sich - prozentual zur Gesamtbevölkerung - immer nur einige "Wenige" dafür interessieren, so wie eh und je. Ich bin aber überzeugt, dass es dieses kleine, aber gar nicht so ohnmächtige Häuflein immer geben wird und dass es Konzertsäle füllen, ganzen Industrien ihre Existenzen sichern und Instrumental-und Gesangslehrern ihr Auskommen bescheren wird. Von dieser Vorstellung nehme ich nur die Oper aus, die beim Übermaß der gegenwärtigen Inszenierungs"kunst" früher oder später am Subventionsstop verenden wird, um dann irgendwann eine wahrscheinlich konzertante Renaissance zu erleben - so wie es vielerorts schon passiert. Ganz von der Bildfläche wird sie aber schon durch die vielen Ton-und Bildträger nicht verschwinden.
    Was die Schnippsel betrifft, so werde ich im Klavierunterricht schon häufig damit konfrontiert. Bestes Beispiel ist "alla turca". Alle wollen das spielen, vergessen aber a) die Zugehörigkeit zur eigentlichen Sonate in A-Dur und b) unterschätzen es haushoch. Auf vereinfachte Fassungen lasse ich mich grundsätzlich nicht ein, habe aber bisher auch noch nie Probleme gehabt, da ich Alternativen anbieten kann. Wenn es Mozart sein soll, dann gibt es ja gottseidank zig andere interessante Sachen, die man spielen kann.


    Die "Schnipselpolitik" der Radiosender halte ich nicht für so prekär, wenn sie nicht übertrieben wird. Nur noch Schnipsel, nur noch einzelne Sätze sind allerdings keine gute Lösung, da so in der Tat ein falscher Eindruck vermittelt wird.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • In der Oper halte ich Klassikhäppchen auf alle Fälle für ein sehr, sehr wichtiges Mittel, meine musikalischen Interessen mithilfe z.B. von CD selbst als Hörer zu gestalten. Ich glaube es einfach nicht, daß es so viele Opernfreunde (auch hier im Tamino) gibt, die sich jeden Abend hinsetzen um eine ganze Oper von vorn bis hinten anzuhören.


    Deshalb sind Opernquerschnitte, Sängerportäts u.a. für mich die wichtigsten Tonträger. Komplette Opern auf CD oder auch auf Schallplatte habe ich höchstens 10 (auf DVD dagegen das ca. 5-fache), und die reinen Tonträger höre ich relativ selten. Mir fehlt das Optische. Diverse Opern auf DVD habe ich mitunter - sogar die gleiche DVD - schon mehr als ein Dutzend mal gesehen (z.B. die Boheme, Traviata, sogar die Frau ohne Schatten uva.....) . Aber komplett eine Oper nur gehört habe ich wohl nur den Bajazzo (mit Schock, Muszely, Metternich, Cordes) oder den Rigoletto (mit Rosvaenge, Berger, Schlusnus) mehrfach.


    Die Spiegelarie dagegen (z.B mit Metternich, Berry u.a.) und viele, viele andere Arien oder auch Sänger habe ich sicher schon 50 x gehört. Für mich sind "Schnipsel" eminent wichtig, wenn ich mal nur eine Stunde Oper hören will. Wenn ich z.B. 10 verschiedene Sänger vergleichen will, wie sie che gelida manina singen - und das mache ich doch ziemlich oft, nicht nur die Boheme - dann bleiben nur die Häppchen. Und die "Nummern" der meisten Nummernopern laden ja auch dazu ein.


    Anders im Konzert. Da ist immer eine komplette Sinfonie oder ein komplettes Klavierkonzert dran. Da zerstören die Häppchen meine musikalische Ästhetik doch gewaltig.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Es geht hier ja auch weniger darum, ob man als Klassikhörer nicht auch mal "nur" Nummern oder Häppchen hört (das ist ja wohl im Rosinen-Thread schon bewiesen worden), sondern, ob typische Häppchen-Kultur dieser viel verkauften Einsteiger-CDs eben den Einsteigern nicht ein falsches "Bild" vermitteln und sie wirklich dazu bringen Klassische Musik längerfristig und abseits der Häppchen zu hören.
    Jemand der ein Werk ganz kennt, geht mit Häppchen ja ganz anders um, er geht bewusster an die Häppchen heran, aber jemand der bis dahin kaum solche Musik gehört hat, tut das weniger...es ist eben ein Zerrbild.
    Und bei Recital geht es ja auch mehr um die spezifische Stimme/den bestimmten Sängern als nur um einzelne Nummern.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Es geht hier ja auch weniger darum, ob man als Klassikhörer nicht auch mal "nur" Nummern oder Häppchen hört (das ist ja wohl im Rosinen-Thread schon bewiesen worden), sondern, ob typische Häppchen-Kultur dieser viel verkauften Einsteiger-CDs eben den Einsteigern nicht ein falsches "Bild" vermitteln und sie wirklich dazu bringen Klassische Musik längerfristig und abseits der Häppchen zu hören.
    Jemand der ein Werk ganz kennt, geht mit Häppchen ja ganz anders um, er geht bewusster an die Häppchen heran, aber jemand der bis dahin kaum solche Musik gehört hat, tut das weniger...es ist eben ein Zerrbild.
    Und bei Recital geht es ja auch mehr um die spezifische Stimme/den bestimmten Sängern als nur um einzelne Nummern.

    Über das Ziel sind wir uns all einig: An die klassische Musik heranführen. Die Gretchenfrage ist jetzt: Vom Häppchen bei dem der "Fisch" angebissen hat zum Gesamtwerk oder gleich mit dem hehren Anspruch des ganzheitlichen Verständnisses konfrontieren. Ich habe mit der Schritt für Schritt-Methode und auf die jeweilige Persönlichkeit abgestimmten Häppchen den größeren Erfolg erzielt.



    Ich lese mit Schrecken, daß man den Adepten der klassischen Musik erlaubt, sich die Rosinen aus dem Brei zu picken, statt wie die braven Bayreuth-Aspiranten per aspera ad astra, d.h. vom Tannhäuser an geduldig alles widerzukäuen, was die Musikgeschichte hervorgebracht hat.


    Ja, sprach er, Freund, wir leben jetzt
    In der Depeschenzeit,
    Und Schiller, käm er heut zurück,
    Wär auch nicht mehr so breit.


    Lieber Farinelli, herrlich sarkastisch formuliert. Kompliment!


    Herzlichst


    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!