Da liebe Strano Sognator, gibt es allerdings einen entscheidenden Dissens:
ICH hielte es für einen fatalen Irrtum zu glauben, eine einzelne Interpretation könnte je den ganzen Reichtum und die ganze Tiefe eines bedeutenden Kunstwerks ausschöpfen.
Das kann sie auch nicht, egal ob librettogetreu oder nicht. Für mich sind aber nun einmal die szenischen Anweisungen - in diesem Falle von Wagner höchstpersönlich - Grundlage jeder Interpretation, denn ich halte sie als Ideen des Schöpfers der Oper für wichtiger und bedeutender als alles, was ein Regisseur(egal welcher Art) jemals machen wird. Nicht mehr und nicht weniger.
(Ich bekenne aber, vorhin nicht richtig gelesen zu haben - ich hatte dich so verstanden, dass du es als "fatalen Irrtum" ansiehst, eine Oper weitgehend librettogetreu wiederzugeben und daher widersprochen, aber das hattest du nicht gesagt.)
ZitatHast Du nicht auch in jeder gelungenen und oft sogar in manch weniger gelungenen Aufführung des Tristan - oder von Bruckners XIII oder von Janceks Totenhaus oder in Schuberts Streichquintett - neue Einsichten über das Werke gewonnen und bisher ganz unerwartete Erfahrungen gemacht?
Das kann man nicht so generalisieren, wie ich meine. Erstens ist es von der "Tagesform" abhängig, in der ich ein Werk höre/sehe. Es kann Tage geben, an denen sagt mir ein Werk nichts, an anderen wiederum dasselbe Werk sehr viel. Zweitens habe ich nicht den Anspruch - und ich halte dies sowieso für unmöglich - dass mir jedes Werk jederzeit neue Einsichten vermittelt bzw. vermitteln muss.
Am Beispiel des Tristan kann ich nur folgendes dazu sagen. Diese Oper habe ich live erstmalig in konzertanter Form in der Lübecker Musik-und Kongresshalle gesehen, es muss so um 1995 gewesen sein. Es sangen Maria Russo und Wolfgang Fassler ( eine sehr viel versprechende Stimme, die m.E. eine große Karriere vor sich hatte, leider kam er schon 1997 bei einem Autounfall ums Leben). Zu dieser Zeit hatte ich mich - auch schulisch bedingt - sehr intensiv mit Thomas Mann, seinen Buddenbrooks und Schopenhauer'schen Ideen beschäftigt, die in den Budenbrooks ja auch thematisiert werden. Beim Lesen habe ich dies alles recht trocken gefunden, obgleich ich Thomas Manns Stil schon damals fantastisch fand, aber als Maria Russo den Liebestod sang, wurde mir sehr vieles von dem, was ich gelesen hatte, klar. Es war ein unvergessliches Erlebnis - und das in konzertanter Form. Zugegebenermaßen gehört Tristan und Isolde trotzdem nicht zu meinen Lieblingswerken von Wagner, da ich andere Opern schon aufgrund ihrer Personenkonstellationen interessanter finde, aber ich denke schon, dass ich damals einen sehr intensiven und bewegenden Einstieg hatte, was natürlich nicht zuletzt an den beiden großartigen Sängern lag. Eine solche Erfahrung erwarte ich aber nicht grundsätzlich.