Konservative Opernaufführung - was bedeutet das? (2. Versuch)

  • Im gestrigen Kölner "Express" wurde über eine neu ausgegrabene Oper von E.T.A. Hoffmann berichtet. "Der Trank der Unsterblichkeit" wird im Erfurter Theater heute Abend uraufgeführt. Als "besonderer Leckerbissen" wird hier auf nackte oder halbnackte Sänger- und Sängerinnen auf einem Foto hingewiesen: "Spärlich bekleidet steht eine Sängerin vor einem opulent beladenen Speisetisch. Diese Aufnahme macht Appetit auf die Oper. Sie verspricht ein Hörgenuss (und ein Augenschmaus) zu werden." Wenn ich es recht verstehe, scheint die Musik hier nur zweitrangig zu sein. Der Trend hin zur Fleischbeschau scheint sich immer weiter fortzusetzen.


    Ich komme gerade aus besagter Uraufführung und zumindest hinsichtlich der nackten Frauen ist zu sagen, dass deren zur Schau gestellte Nacktheit sich auf den Oberkörper beschränkt und keinesfalls als provozierend bzw. obszön verstanden werden kann und zudem durchaus zur Handlung passt. Das jedoch läßt sich leider keineswegs von den übrigen Regieeinfällen sagen, was während des Schlußapplauses mit einen Buh-Sturm quittiert wurde. Es gab viele Symbole und Assoziationsimpulse auf der Bühne zu sehen und das Ganze war ingesamt akzeptabel. Doch warum bringt man nicht einmal bei solch einer Uraufführung den Stoff librettogetreu auf die Bretter? Das Argument, dass das Publikum die ewig gleichen Inszenierungen satt habe, kann da ja wohl kaum zutreffen.


    Die Musik, derentwegen ich primär die Aufführung besuchte, wußte zu gefallen und bei vielen Arien und Orchesterstücken bedauere ich, sie (noch?) nicht zu Hause von Konserve wieder hören zu können. Ich bin gespannt, wie das Resümee der Presse ausfällt.

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Zitat

    Doch warum bringt man nicht einmal bei solch einer Uraufführung den Stoff librettogetreu auf die Bretter? Das Argument, dass das Publikum die ewig gleichen Inszenierungen satt habe, kann da ja wohl kaum zutreffen.

    Die vielen Gegenbewegungen und Reaktionen des Publikums beweisen doch gerade, dass die Zuschauer dieser ewig gleichen, langweiligen, nichtssagenden, undefinierbaren und in keiner Beziehung zu Ort, Zeit und Handlung des Librettos stehenden Regietheateraufführungen schon lange überdrüssig sind.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ergänzend zu meinem letzten Beitrag muss ich noch sagen, dass ich in den Reigietheaterinszenierungen historischer Stoffe immer wieder die Leute im gleichen Alltagsdress oder Uniformen unserer Zeit auftreten sehe, man dadurch oft noch nicht einmal definieren kann, wer welche Person der Handlung darstellen soll, immer wieder irgendwelche alltäglichen Gegenstände aus unserer Zeit irgendwo auf der Bühne herumstehen, wenn überhaupt noch ein paar Requisiten benutzt werden, das Bühnenbild - soweit überhaupt eines vorhanden ist - über sämtliche Akte, die laut Libretto an unterschiedlichen Orten spielen, beibehalten wird, schon die Ouvertüre häufig durch irgendwelche dämlichen und unverständlichen Vorgänge auf der Bühne zerstört wird, man also schon bei jedem neuen Machwerk dieser Sorte des Einheitsmischmaschs überdrüssig wird. Dabei bieten doch die Opern, die in verschiedenen Jahrhunderten spielen, die unterschiedlichen Schauplätze, die unterschiedlichen Moden der damaligen Zeiten und die unterschiedliche Handlung jeder Oper Stoff genug, sodass jede konventionelle Inszenierung weit abwechslungsreicher ist als das immer gleiche Erscheinungsbild des Regietheaters.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Liebe Forianer,


    viele werden sich noch erinnern an eine Fernseh-Ratesendung "Erkennen Sie die Melodie?"


    an Hand der Musik und der Bühnenbilder mußte man erraten, um welche Oper es sich handelt. Dabei wurden Bühnenbilder und Arien vertauscht und in der Auflösung dann richtig gezeigt. Das geht jetzt nicht mehr. Bei keiner der heutigen Aufführungen kann man an Hand des Bühnenbildes oder der Kostüme die Oper erkennen.


    Auch wenn es wie überall Kritiker dieser Sendung geben mag, mir hat sie vor ca. 35 Jahren gefallen. Und damit wurde auch mein Bühnenbild-Geschmack geprägt. Und dümmer bin ich auch nicht geworden. Wie gesagt, vor ca. 35 Jahren. Da war ich noch "ein Jüngling mit lockigem Haar." Heute gibt es solche Sendungen nicht mehr.


    Das waren "konservative" Opernaufführungen. Musik, Bühnenbild und Kostüme standen für eine Oper. Rigoletto hatte immer einen Buckel, Don Jose hat Carmen vor der Arena erstochen und Violetta starb verarmt zu Hause. Heute muß man mit ansehen, daß Rigoletto eine Armprothese trägt (in Weimar vor etwa 12 Jahren), Don Jose erwügt Carmen im Bett bei laufendem Fernseher mit einer Stierkampfübertagung (in Gera vor etwa 20 Jahren) und Violetta stibt im Krankenhaus, mit einem Nachttopf unterm Bett (in Chemnitz vor etwa 15 Jahren). 1000 weitere Beispiele können gefunden werden.


    Grauenvoll.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Auch wenn es wie überall Kritiker dieser Sendung geben mag, mir hat sie vor ca. 35 Jahren gefallen. Und damit wurde auch mein Bühnenbild-Geschmack geprägt. Und dümmer bin ich auch nicht geworden. Wie gesagt, vor ca. 35 Jahren. Da war ich noch "ein Jüngling mit lockigem Haar." Heute gibt es solche Sendungen nicht mehr.

    Der Ausspruch könnte von mir sein. Danke.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • In den heutigen Zeiten würde es diese Sendung gar nicht mehr geben. Stellt euch mal vor wenn es zu der Rubrik Kostüme kommt oder Bühnenbild kommt. Denn diese heutigen EInheitschwachsinns Bühnenbilder kann man ja zu allen Opern zuordnen. Und Kostüme gibt es schon lange nicht mehr. Ich hab mir Erkennen sie die Melodie gerne auf ZDF Kultur angeschaut.

  • Kotzübel wurde mir, als ich vor wenigen Tagen das Finale des "Parsifal" in der Inszenierung von Bieito bei YouTube entdeckte. Ein vollkommener Blödsinn, der nicht mehr zu toppen ist. Da ersticht Parsifal (der wie Jesus aussieht, mit lächerlichen Flügeln) den schwarzen Amfortas, da stopft ein Messie-ähnliches Wesen bei der göttlichen Apotheosen-Musik am Ende irgendwas in sich. :cursing:



    Der wahre Skandal war aber, dass es am Ende dieses Machwerks nur Applaus, kein einziges Buh gab.


    Diese Inszenierung ist jedenfalls das beste Beispiel dafür, was das absolute Gegenteil zu einer "konservativen" Opernaufführung ist: Blanker Wahnsinn, der nicht mehr das Geringste mit dem Libretto zu tun hat. Ekelhaft bis zum Geht-nicht-mehr, alles der Provokation wegen. Nach der Premiere könnte man diese "Inszenierung" verschrotten, sie hätte ihren fragwürdigen Zweck ja erfüllt, der Vernichter Bieito wäre längst über alle Berge, wo er andere Opernhäuser mit seinem imbezilen Mist "beglückt".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph,

    Zitat

    Der wahre Skandal war aber, dass es am Ende dieses Machwerks nur Applaus, kein einziges Buh gab.


    das ist doch klar: Wer geht denn noch zu solchen Vorstellungen? Die bestellten oder durch Freikarten bestochenen Claqueure und das Publikum, das geil nach Verrücktheiten ist. Normal denkende Zuschauer werden doch einfach solchen Schwachsinn meiden!!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Blanker Wahnsinn, der nicht mehr das Geringste mit dem Libretto zu tun hat.


    Na ja, die Gralsritter eine Gruppe von Menschen am Rande der Gesellschaft. Amfortas, der mit seiner Aufgabe von Beginn an heillos überfordert nichts anderes, als den Tod herbeisehnt. Parsifal, der als Erlöser eben diesen Amfortas erlöst und nach vollbrachter Tat (Enthüllung des Grales) eigentlich auch nicht mehr gebraucht wird und also seine Flügel ablegen kann ... Sicher, die Bilder sind nicht schön, aber für mich auf eine schmerzende Art anrührend. Im Vergleich zu den Aufführungen, die ich bis jetzt live gesehen habe (Everding und Wilson beide in Hamburg), sicherlich kontrovers, aber mit Abstand am interessantesten. Ein wenig drängt mir auch der Vergleich mit de Sicas Miracolo a Milano auf.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich komme gerade aus besagter Uraufführung und zumindest hinsichtlich der nackten Frauen ist zu sagen, dass deren zur Schau gestellte Nacktheit sich auf den Oberkörper beschränkt und keinesfalls als provozierend bzw. obszön verstanden werken kann und zudem durchaus zur Handlung passt. Das jedoch läßt sich leider keineswegs von den übrigen Regieeinfällen sagen, was während des Schlußapplauses mit einen Buh-Sturm quittiert wurde. Es gab viele Symbole und Assoziationsimpulse auf der Bühne zu sehen und das Ganze war ingesamt akzeptabel. Doch warum bringt man nicht einmal bei solch einer Uraufführung den Stoff librettogetreu auf die Bretter? Das Argument, dass das Publikum die ewig gleichen Inszenierungen satt habe, kann da ja wohl kaum zutreffen.


    Lieber Lynkeus,


    anscheinend ist Erfurt etwas ganz besonderes. In der Thüringer Landeszeitung vom 1./2. Mai konnte ich lesen, daß der Intendant der Oper Erfurt aufgrund der heftigen Publikumsreaktion zur 2. Aufführung gravierende Änderungen vornehmen ließ. Das Stück wäre um die heftig beanstandeten Passagen gekürzt worden, wodurch die Oper 20 Minuten kürzer geworden wäre.


    Ist das nun gut, wenn der Intendant sich dem Druck des Publikums beugt oder wäre es nicht besser gewesen, diese 20 Minuten grundlegend zu überarbeiten? Jetzt fehlt immerhin ein Teil der Musik und evtl. auch der Handlung!! Immerhin aber wenigstens ein Intendant, der zugibt, Mist gemacht zu haben.


    Herzlichst aus Gera La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ein Musterbeispiel einer konservativen Operninszenierung:



    Wagner: Götterdämmerung, 2. Aufzug, 3. Szene
    München, Bayerische Staatsoper, Prinzregententheater, 1955
    Regie: Prof. Heinz Arnold (1906—1994)



    Wagner: Götterdämmerung, 3. Aufzug, 2. Szene
    München, Bayerische Staatsoper, Prinzregententheater, 1955
    Regie: Prof. Heinz Arnold (1906—1994)


    (Zum Vergrößern auf die Bilder klicken.)


    Dagegen wirkt auch der Schenk-"Ring" aus der MET fast banal.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Der wahre Skandal war aber, dass es am Ende dieses Machwerks nur Applaus, kein einziges Buh gab.


    Laut Beschreibung bei Youtube handelt es sich um einen Probenmitschnitt (Generalprobe?). Damit ist der Beifall kein Skandal sondern eine verständliche Reaktion.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • ...daß der Intendant der Oper Erfurt aufgrund der heftigen Publikumsreaktion zur 2. Aufführung gravierende Änderungen vornehmen ließ. Das Stück wäre um die heftig beanstandeten Passagen gekürzt worden, wodurch die Oper 20 Minuten kürzer geworden wäre.


    Ist das nun gut, wenn der Intendant sich dem Druck des Publikums beugt oder wäre es nicht besser gewesen, diese 20 Minuten grundlegend zu überarbeiten? Jetzt fehlt immerhin ein Teil der Musik und evtl. auch der handlung!! Immerhin aber wenigstens ein Intendant, der zugibt, Mist gemacht zu haben.


    Lieber La Roche,


    leider habe ich deinen Beitrag erst jetzt gelesen. Er muss wohl irgendwie "durchgerutscht" sein. ?(
    Von den Änderungen habe ich gar nichts gehört, aber wie heißt es so schön: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Ob eine Kürzung nun aber die beste Reaktion ist, will ich mal dahin gestellt sein lassen, v.a. weil dadurch auch Musik wegfällt. Leider weiß ich nicht, wie die Kürzungen im Einzelnen vorgenommen wurden.


    Was das Nachgeben des Intendanten betrifft: Idealerweise ist man entweder von einer Sache überzeugt und setzt sich dann für sie ein, unabhängig von der Meinung anderer; denn es allen Menschen recht getan, ist eine Kunst die niemand kann oder aber man erkennt einen Fehler und bringt die Courage auf, entsprechend zu reagieren. Ich werde mal suchen, ob ich im Netzt Genaueres finde.

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Eine erste Schnellsuche brachte überhaupt keine Ergebnisse. Dafür aber einen Leserbrief zu einer Negativkritik, mit Aussagen, die ich mal unkommentiert lasse.


    Zitat

    Es gab lang anhaltenden Beifall, den auch einige Buh-Rufe nichts anhaben konnten. Nicht jeder Zuschauer hat nun mal Theater- bzw. Musikwissenschaft studiert. [...] Mit dem "beinahe Splitternacktem" wird in vielen Theateraufführungen experimentiert, immerhin die anwesende Prominenz hats nicht gestört ("Buh" kam von hinteren Plätzen).


    Quelle: "http://www.tlz.de/web/zgt/kultur/detail/-/specific/E-T-A-Hoffmann-in-Erfurt-Greiser-Harem-als-Vision-1295549953

    "Geduld und Gelassenheit des Gemüts tragen mehr zur Heilung unserer Krankheiten bei, als alle Kunst der Medizin." (W.A. Mozart)

  • Lieber Lynkeus,


    es stand in der Geraer Ausgabe der Ostthüringer Zeitung, ist aber schon etliche Wochen her. Und eine solche Reaktion in der Zeitung ist schon merkenswert.


    Übrigens hat auch mal ein Geraer Intendant eine Mariza neu inszenieren lassen, da die Aufführung in Gera ausgebuht wurde. Der 2. und 3. Akt spielte im Schwimmbadmilieu. In Altenburg wurde dann eine überarbeitete Version gegeben.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.