Nachwuchskünstler vs Legenden


  • Hi,
    bei Opernsängern tue ich mich schwer, Nachfolgen zu benennen. Aber was Dirigenten angeht, sehe ich da schon einige Möglichkeiten.
    Einer ist leider auch schon tot, der mir in dieser Diskussion durchaus als Gegenpol zu Karajan einfällt. Lenny Bernstein.
    Bevor ich jetzt einen Lebenden nenne, möchte ich darauf hinweisen, dass Karajan nicht nur als Dirigent und Musiker Aufsehen erregt hat sondern auch mit seinem Lebensstil und seinem Kommitment für technische Leistungen. Ich denke, dass das Außergewöhnliche an Karajan wie auch an einigen anderen der Aspekt Gesamtpersönlichkeit ist, bei dem auch nicht-musikalische Aspekte eine Rolle spielen.
    Insoferne würde ich heute Daniel Barenboim nennen, der neben seiner Musik durch seine politischen Handlungen über das rein technisch Musische hinausgetreten ist.
    Fabio Luisi ist noch zu jung, um ihn dahingehend zu beurteilen. Doch hat er in meinen Augen eine Fähigkeit, die mich ein bisschen an Karajan erinnert. Absolute Transparenz schaffen, wenn alles Tutti und Fortissimo dahinschallt. Es liegt mir jetzt fern, Luisi mit Karajan zu vergleichen. Wie gesagt, da muss einer schon mehr Lebensjahre und die damit verbundene Außenwirkung aufweisen. Aber was nicht ist kann noch werden.
    Einer der ganz großen ist für mich auch Claudio Abbado. Ich habe erlebt, als in Leningrad (so hieß es damals noch) sich zwei Geiger auf die Rekrutierung ins Jugendorchester gefreut haben. Das bringt mich auf das eigentliche Kriterien, dass ich persönlich an Dirigenten anlege:
    Wie weit kann sich ein Orchester unter ihrer Leitung vervollkommnen? Wie steigert sich ein schon sehr gutes Orchester zu noch weiteren Höchstleistungen?
    Also zusammenfassend:
    um eine Dirigentenlegende zu werden, ist es in meinen Augen notwendig
    1. musikalisch eine Höchstleistung zu bringen (der rein technische Aspekt, obwohl hier das musikalische Element auch eine große Rolle spielt)
    2. ein oder mehrere Orchester zu formen, die den Standard der Berliner oder Wiener Philharmoniker aufweisen
    3. eine Außenwirkung in der Gesellschaft zu zeigen, die über die Musik hinausgeht. Und da meine ich nicht die Seitenblicke, obwohl die vielleicht bei Karajan am liebsten mitgefilmt hätten.
    -
    Da fällt mir als Nachgedanke ein, dass die Wr. Symphoniker sehr von Fabio Luisi profitiert haben.


    liebe Grüße, Hans

    Eine Signatur, die ich 1990 verwendet habe:
    "Better to create than to consume"

  • Zitat

    Die Klassik ist weiter als je zuvor an den gesellschaftlichen Rand gedrängt worden, es gibt immer weniger, die sich aktiv dafür interessieren


    Das halte ich für ein Gerücht.


    Was sich gewandelt hat ist der Begriff "Gesellschaft"


    Es werden heute Leute dazugezählt, welch man früher allenfalls als "Pöbel " bezeichnet hätte - Leute bar jeder Bildung und fern von allem was man "Guten Geschmack" nennen kann.


    Damals spielten dies Leute in der Gesellschaft keine Rolle - heute scheinen sie dieselbe zu dominieren.


    Sogar bei WIKIPEDIA darf man nur mitarbeiten - und das GRATIS - wenn man so formuliert, daß es auch Randschichten der Bevölkerung verstehen....


    Klassik war immer für eine Minderheit -für eine elitäre Mindertheit (und mag der Rest der Welt dieser Formulierung wegen zerspringen)


    Was sich in der Tat geändert hat ist - dass die Wirtschaft heute in weiten Teilen von eher geistig nicht allzu komplexen Typen gelenkt wird, die sich mit der Masse identifizieren - teils weil sie sich mit ihr identifizieren (intellektuelle und Schöngeister sind ihnen ob ihrer Überlegenheit suspekt - und sie verstehen zudem nicht was diese Leute überhaupt wollen), teils weil das "schnelle Geld" einfacher dort zu holen ist. Kritiklos wird das gekauft, was die "Opinionleader" - oft selbst bezahlte Marionetten der Industrie - für gut befinden.


    Zitat

    und somit auch immer weniger Talente. Das lässt sich im Mittelmaß noch gut auffangen, zeigt sich aber bitter in einer Ausdünnung an der Spitze. Und dann halt der Markt, der letztlich das Ergebnis bestimmt


    Talente gäbe es genügend - Pech nur, daß man keine sucht, sondern möglichst pflegeleichte Modepuppen (beiderlei Geschlechts) die nicht aufmucken - weil eben durchschnittlicher Machart.


    Welch ein Triumph eines Teenagers, wenn er erkennen kann, dass der "Star" sobald er nur den Mund aufmacht - eigentlich als "Massenware" entlarvt ist.


    Ich wage sogar zu behaupten, dass Extravaganz und Überdurchschnittlichkeit heutzutage jeder Karriere im Wege stehen !!!


    Ich bin überzeugt, dass - irgendwann - eine Trendwende kommen wird - wo man wieder nach Stars mit "übermenschlichen Eigenschaften" suchen - und sie finden wird.......


    Die Klassikgemeinde BRAUCHT "Legenden"


    Um aber auch die Frage - selbst von mir gestellt - ein wenig zu beantworten:


    Ich halte beispielsweise Michael Korstick und bei den Sängern Juan Diego Flores für unverwechselbare Stars.


    Es gäbe - speziell unter den Pianisten - einige weitere - aber die haben noch nicht genügend Aufnahmen gemacht, als dass sich deren Ruf weiterverbreiten könnte.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist jetzt der einzige Thread den ich über Nachwuchskünstler gefunden habe.


    :jubel: Jedenfalls habe ich mich am über die TV-Sendung A Surprise in Texas am Montag 07.Mai 2012 von 23:15 bis 0:45Uhr auf dem WDR3 gefreut, der den renommierte Van-Cliburn-Klavierwettbewerb, der alle vier Jahre im texanischen Fort Worth stattfindet, zum Inhalt hatte.
    :thumbsup: Ich finde es grossartig, dass es auch heute weiterhin so ausgezeichnete Nachwuchskünstler gibt.


    Hauptfigur der preisgekrönten Dokumentation "A Surprise in Texas" von Peter Rosen ist der blinde, heute 23-jährige Japaner Nobuyuki Tsujii, der sich beim letzten Van-Cliburn-Wettbewerb mit traumwandlerischer Sicherheit den ersten Preis erspielte. Es wurden wegen der unglaublichen Leistung zwei 1.Preise vergeben; Hoachen Zhang aus China war der weitere Preisträger. Der Zweiter (silberner) an eine Koreanerin Yeol eum Son.
    Der bulgarische Pianist Evgeni Bozhanov hatte IMO noch mehr Durchsetzungsvermögen (den hätte ich auf Platz 1 gesetzt). Er setzte seine Interpretationsvorstellungen auch gegenüber dem sehr einfühlsamen Dirigenten James Conlon bei den Proben und Konzerten durch.


    :angel: Eine ganz ausgezeichnete Doku über diesen Wettbewerb !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Und hier können wir - nach über 2 Jahren Pause - den Faden bereits weiterspinnen - mit der Frage: Welcher der im vorigen Beitrag so preisgekrönten, hochgelobten hat eine nennenswerte Karriere gemacht, oder noch weniger anspruchsvoll formuliert.: Wer von denen ist Mitgliederen unseres Forums heute überhaupt noch namentlich bekannt?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Na ja, Evgeni Bozhanov ist dem Liebhaber von Klaviermusik schon ein Begriff, er gastiert ja bei verschiedenen Klavierfestivals (u. a. Vermont Festival, Klavier-Festival Ruhr etc.). Einspielungen kenne ich nur von Hörschnipseln (er hat vor allem Chopin eingespielt), die ein Recital aber meine Wunschliste, aber noch nicht zu mir nach Hause befördert haben.


    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Interessant, daß solch ein an sich essentielles Thema immer wieder ins Stocken kommt Aber es verliert auch nach über 10 Jahren Laufzeit nicht an Brisanz. Zahlreiche Künstler sind von der Bildfäche verschwunden und wurden durch andere ersetzt. Bewertungen von "Legenden" wurden neu definiert - was ja an Hand von bestehenden Tonaufnahmen relativ leicht möglich ist. Wir sind nichr von "verklärten Erinnerungen" abhängig, sondern dürfen uns an Hand existierender CDs von Aufnahme der vergangenen Größen stets informiert halten und Stil, Technik, Zeitgeist hinterfragen.


    mfg aus Wie
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !