Gänsehautstellen

  • Du fragst, lieber seicento: . "Ist es nachvollziehbar, dass man eine gewisse Nähe zu den Menschen und ihrer Musik empfindet, die vor 300 Jahren einen ähnlichen "Ballast" zu tragen hatten? "


    Ja, das ist nachvollziehbar. Nur muss ich Dir da als Historiker sagen: Du irrst Dich, wenn Du glaubst, das Lebensgefühl eines Menschen, der den Dreißigjährigen Krieg erlebt hat, aus Deiner heutigen Lebenwselt heraus "nachvollziehen" zu können. Das geht nicht. Der Historiker arbeitet, wenn er zum Beispiel eine Gestalt wie Wallenstein in ihrem politischen und menschlichen Handeln und Verhalten "verstehen" will, mit Analogien aus dem Bereich allgemeiner menschlicher Verhaltens- und Denkmuster auf der Grundlage der damaligen historischen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen. Das bietet aber allenfalls die Möglichkeit einer "Annäherung" an die historische Realität. Sie wird damit in ihrem historischen Sein aber nicht wirklich voll fassbar.


    Die Nähe, die Du zu der von Dir zitierten Musik empfindest, ist eine der Annäherug an das musikalisch Fremde auf dem Weg eines intensiven Rezeptionsprozesses. Was dabei herauskommt, empfindest Du als Dir nah. Es ist aber nicht das, was die Komponisten damals fühlten und dachten, als sie die Musik schrieben, sondern ein Neues: Eine Art Synthese aus Historischem und realzeitlich Gegenwärtigem.


    Bitte versteh aber das, was ich da so von mir gebe, nicht als Versuch, Dir die von Dir gefühlte Nähe zu der Musik, die Du liebst, zu vermiesen. Ich habe ganz einfach nur mal ganz allgemeine Überlegungen angestellt.


    Freilich denke ich jetzt mit einem Mal: Das gehört doch alles gar nicht hierher. Hier geht´s doch um "Gänsehautstellen",- Sinnliches also, das unter die Haut geht. Und gar nicht um abstraktes Zeug.

  • Lieber Helmut Hofmann, vielen Dank für die interessante Antwort


    Zitat

    Das gehört doch alles gar nicht hierher. Hier geht´s doch um "Gänsehautstellen",- Sinnliches also, das unter die Haut geht. Und gar nicht um abstraktes Zeug.


    ich kann zwei Entschuldigungen anführen: ;)
    1. Wie man sich denken kann, bekomme ich Gänsehautgefühle hauptsächlich bei Musik aus jenem 17ten Jahrhundert (diese Courant dolorosa von Scheidt lässt mich fast erschauern, Musik von Pachelbel geht mir unter die Haut sowie die von Carlo Farina und Andreas Hammerschmidt).
    2. Es hat hier einmal ein user hier gefragt, warum Musik Gänsehaut verursacht. Ich hatte damals u.a. mit einem Verweis auf dieses Video geantwortet. Zum Glück funktioniert der Link noch. Du siehst, man kann an die Gänsehaut auch hochintellektuell rangehen. (Übrigens, die Präsentation ist gleichzeitig auch noch sehr humorvoll).


    Trotzdem will ich Dich fragen: Ist es nicht gerade die Besonderheit von Musik, das Lebensgefühl einer Epoche wenigstens teilweise vermitteln zu können - gerade auch dann, wenn bestimmte Parallelen in den Lebensumständen vorhanden sind (- selbst wenn es nur die Erinnerung an eine historische Katastrophe ist).


    Leider ruht der Threat 30 Jahre Krieg seit langem. Vielleicht sollte man den aufleben lassen.

  • Nein, nein, lieber seicento! Wenn Du schreibst:


    "...ich kann zwei Entschuldigungen anführen..."


    ...dann hast Du etwas missverstanden. Diese Bemerkung, die Du da von mir zitierst, bezog sich ganz und gar und ausschließlich auf das, was ich(!) schrieb. Ich habe den fatalen Hang, die Kommunikation hier im Forum immer wieder einmal auf die Ebene der Abstraktion zu heben und dort schließlich vertrocknen zu lassen.


    Was Du zu diesem Thread beigetragen hast, habe ich mit großem Interesse gelesen. Das ist voller lebendigem Interesse an großer Musik!

  • Hallo Helmut Hofmann,
    keine Sorge - das war ja auch ironisch gemeint ..... da war ja auch ein Smiley ;)
    Ich hab mich auch gewundert, dass der Gänsehaut-Threat plötzlich intelektuell so "abhob".
    Ich war sehr froh, hier einem echten Historiker zu begegnen und hab' das "schamlos ausgenutzt".
    Meine naive Annahme war, dass das, was die alten Komponisten aufgeschrieben haben, mir die Chance einer Art Zeitreise ins 17te Jahrhundert gibt. (Die Bücher, die ich meistens lese, beschäftigen sich mit den Weltkriegen und nicht mit den Dreizigjährigen Krieg).
    Ich war einfach auf der Suche nach etwas, was mir erklärt, warum mir diese Musik so unter die Gänsehaut geht. Da musste eine Gemeinsamkeit sein .... dachte ich.


    Hier ist ein Link zu Musikbeispielen, die mich besonders berühren. Es sind nur Beispiele und ich hoffe, dass sie irgendwann von Les Plaisirs du Parnasse veröffenlticht werden und als CD zu kaufen sind.


    Die folgende CD ist auch ein Beispiel für Musik, die ich als sehr melancholisch empfinde, und aus dieser Zeit stammt.


  • Halo seicento, hallo Helmut,


    was ist daran interlektuell abgehoben, wenn wir Gefühle hintrerfragen, uns selbst mal auf den Prüfstand stellen?


    Zitat

    Du irrst Dich, wenn Du glaubst, das Lebensgefühl eines Menschen, der den Dreißigjährigen Krieg erlebt hat, aus Deiner heutigen Lebenwselt heraus "nachvollziehen" zu können.


    Meine Meinung. Es freut mich, das meine aus dem Bauch heraus formulierten "Betrachtungen" wiseenschaftlich "untermauert" werden.





    Zitat

    Ein Mensch aus einem nichteuropäischen Kulturkreis, der zum Beispiel nicht vertraut ist mit elementaren Kenntnissen über das Christentum, dürfte große Probleme damit haben, die Metaphorik der Texte zu verstehen, die der Musik Bachs in der Matthäus-Passion zugundeliegen. Das kann man sich aber durchaus aneignen,


    Wenn diesem Menschen diese Musik Gänsehaut verursacht, ohne den "Hintergrund" zu kennen, sollte er es dann nicht einfach dabei belassen und die Musik genießen? Warum sollte er sich belasten? Gerade in der Musik geht es nicht nur ums verstehen...
    Nehmen hier mal wieder Japan. Hier ist die europäsche Klassik äußerst beliebt. In einem Kulturkreis, der in seiner Historie, Prägung und Entwicklung noch weiter entfernt ist als die reale Entfernung von Europa. Ich meine einmal eine Fernsehsendung gesehen zu haben, in der neugierige Europäer versucht haben, diesem "unerklärlichen Phänomen" auf die Spur zu kommen. Sie haben Japanern ein Mikro unter die Nase gehalten und... Hohn und Spott geerntet.




    Zitat

    Die größte Änderung betrifft weniger den Glauben oder Glaubensinhalte selbst, sondern den selbstverständlichen Stellenwert der Religion in Leben und Gesellschaft.


    Werter Johannes, das ist genau der Punkt, den ich meine :thumbup:


    Viele Grüße Thomas

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  • Vielen Dank für diesen Hinweis auf die CD mit Mussik von Andreas Hammerschmidt, lieber seicento. Ich habe, da mich sehr interessiert, was meine Mit-Taminoaner so hören und schön finden, einmal in diese CD hineingehört. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich Andreas Hammerschmidt gar nicht kannte. Insofern war das eine echte Bereicherung für mich.


    Unter dem Aspekt "Gänsehautstellen" betrachtet, wäre nun die Beobachtung interessant, die ich beim Hören an mir selbst machte: Diese Musik ist mir nicht fremd, da ich das zugrundeliegende, aus der spezifischen Melodik, Harmonik und der instrumentellen Besetzung sich ergebende Klangbild kenne. Gleichwohl käme sie für mich nicht in Frage, unter den Oberbegriff "Gänsehautstellen-Musik" subsumiert zu werden. Was nicht heißen soll, dass sie mich nicht anspricht. Das tut sie sehr wohl, aber eben nicht so stark, dass man von einem tiefer reichenden emotionalen Angesprochen-Sein reden könnte.


    Womit man natürlich bei einer zentralen Frage wäre. Ich formuliere sie mal, im Hinterkopf den Satz von Thomas:


    "...was ist daran interlektuell abgehoben, wenn wir Gefühle hinterfragen, uns selbst mal auf den Prüfstand stellen?"


    Hoffentlich bereut er diese Bemerkung nicht, wenn ich jetzt mal meine Frage formuliere, die eigentlich ein ganzer Fragenkomplex ist:


    Hier, bei dem Stichwort "Gänsehautstellen", geht es um emotional besonders intensiv anrührende Musik.
    Handelt es sich dabei eigentlich um ein rein subjektives Phänomen? Wenn ja, warum stellt man dann seine ganz persönlichen subjektiven musikalischen Präferenzen hier ins Internet, wenn das, eben weil eine rein subjektive Sache, doch kein anderer nachvollziehen kann? Oder geht man im Grunde doch davon aus, dass es eben doch so etwas wie ein übersubjektives Phänomen ist?


    Ist es aber keine rein subjektive Sache, dann müsste man objektive Gründe dafür suchen und finden können, die ursächlich dafür verantwortlich sind, dass es Musik dieser Art gibt. Emotional besonders anrührende Musik müsste also anhand ihrer musikalischen Faktur identifizierbar sein. Welche ganz spezifischen strukturellen Merkmale dieser Musik sind das aber, die Menschen eines bestimmten Kulturkreises - diese Einschränkung muss gemacht werden - ganz besonders anrührt?


    Gibt es vielleicht - so erwäge ich einmal in Anlehnung an das berühmte Theorem von C.G. Jung - so etwas wie musikalisch-klangliche Archetypen?

  • Helmut Hofmann:

    Zitat

    "Gänsehautstellen" ......... ein rein subjektives Phänomen


    Wie subjektiv Musikempfinden sein kann, hab ich erst letzte Woche angefangen zu begreifen. Da las ich das erste Mal einen Artikel über Synästhesie. Synästhesie ist die automatische Kopplung von Sinneswahrnehmungen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Bei bis zu 2 bis 4% der Leute soll es vorkommen, dass sie einen Klang riechen, eine Farbe hören oder ein Wort schmecken können. Das kann zu ganz unterschiedlichen Assoziationen führen. Zum Beispiel waren sich Liszt und Rimsky-Korsakov uneins, welche Farbe zu welcher Tonart gehört. Wenn das aber nur die Spitze eines Eisberges darstellt, wie stark unterscheiden sich dann erst die nicht ganz so dramatischen Assoziationen der Nicht-Synästhetiker ?


    Das Fazit eines Synästhesie-Forscher: "Das Studium der Synästhesie im Allgemeinen macht mir immer mehr die Tatsache bewusst, dass unsere eigenen Erfahrungen möglicherweise nicht universal sind. Wir können nur in unserem eigenen Kopf sehen". Lieber Helmut, lieber Thomas ... das ist ein Punkt für Euch. :(


    Trotzdem ... Gänsehautstellen sind etwas, was zwischen (den Gehirnen von) Komponist und Zuhörer abläuft. Wie Herr Altenmüller in dem oben erwähnten Video darlegt, baut ein Komponist (bewusst oder unbewusst) in seiner Musik eine bestimmte Erwartung auf, die er dann "intelligent enttäuscht". Das erzeugt die Gänsehaut. Wahrscheinlich bauen sich bei einem Barockliebhaber andere Erwartungen auf als bei einem echten Klassikfan. Und Hammerschmidt sah bei seinen Hörern andere Erwartungshaltungen voraus als Brahms.

  • Hallo,


    wenn man den von Helmut Hofmann gebrachten Gedanken von C.G. Jung vom "musikalisch-klanglichen Archetypen" so versteht, dass es Menschen gibt, die Dramatik und exzessiv ausgelebte Emotion lieben, andere mehr an melancholischen "Gefühlsausbrüchen" gefallen finden, wieder andere einer ausgelassenen Fröhlichkeit huldigen usw. (mit den unterschiedlichsten Mischformen), dann ist damit gewiss auch viel über deren Musikvorlieben gesagt - anders ausgedrückt: Eine wesensmäßige Grundstimmung, die ursprünglich keine Verbindung zur Musik hat, wirkt auf alle Lebensbereiche eines Menschen ein und nat. auch auf seine Liebe zur und Verständnis für Musik. (Davon getrennt sehe ich z. B. die Wirkung der Obertonreihen mit ihrer Dur-Ausrichtung und ähnlich physikalisch bedingte und dadurch erklärbare Vorgänge in der Verarbeitung von Musik in unserem Gehirn - nicht Herz!)


    Im Übrigen meine ich, dass die Empfindungen für "Gänsehautstellen" höchst individuell sind und auch durch von den einzelnen Menschen betreffenden Erlebnissen, Erfahrungen, auch und insbesondere außermusikalische, geprägt sind; ein und dasselbe außermusikalische Erlebnis wird sehr unterschiedliche Gefühle und damit Musikerlebisse auslösen, in Abhängigkeit von der wesensmäßigen Grundstimmung und der persönlichen Prägung der Menschen.
    Das trifft selbstverständlich auch für Komponisten zu, was ich beispielhaft nur an Berlioz' Symphonie fantastique belegen will. Ich bin überzeugt, dass (wie?)viele Kompositionen, auch ohne Kenntnis und Bezug zu den biographischen Umständen, einen lebensgeschichtlich bedeutenden Hintergrund haben und davon wesentlich beeinflusst sind.


    Eine persönliche Gänsehautstelle einem anderen Menschen vollumfänglich mitzuteilen und verständlich zu machen, dürfte kaum - und wenn dann ist es größter Zufall - möglich sein. Das scheitert schon grundsätzlich an dem ganz simplen Vorgang, die musikalischen Gefühle simultan in Worte zu fassen. Was da am Ende des Musikstückes oder der Phrase mit Worten beschrieben werden kann, ist nur eine grobe, lückenhafte (durch Worte auch kaum auszudrückende) Zusammenfassung dessen, was gehört wurde und emotional erregt hat.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zu dem Zitat von zweiterbass, meinen Gedanken von den "musikalisch-klanglichen Archetypen" betreffend:


    ," ...dass es Menschen gibt, die Dramatik und exzessiv ausgelebte Emotion lieben, andere mehr an melancholischen "Gefühlsausbrüchen" gefallen finden, wieder andere einer ausgelassenen Fröhlichkeit huldigen usw."


    Nein, so war das in gar keiner Weise gemeint. Es ging mir dabei um im Menschen durch kulturelle Prägung angelegte musikalisch-klangliche Grundmuster dessen, was als schön und emotional in tiefer Weise anrührend empfunden wird.


    Will sagen: Meine hier eingebrachte These setzt kategorial tiefer an.

  • was als schön und emotional in tiefer Weise anrührend empfunden wird.


    ... und manchmal führt das tatsächlich zu Schauern und Gänsehaut. Heute abend wieder mal erlebt live beim Weihnachtsoratorium. Ich kann es nicht erklären, aber es war so. Die ersten Takte, die Paukenschläge... und da war für einen kurzen Moment beides, Schauer über den Rücken und Gänsehaut.
    Herzlichst
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Antwort auf Beitrag Nr. 459 von Helmut Hofmann:

    anders ausgedrückt: Eine wesensmäßige Grundstimmung, die ursprünglich keine Verbindung zur Musik hat, wirkt auf alle Lebensbereiche eines Menschen ein und nat. auch auf seine Liebe zur und Verständnis für Musik.


    Halb zitiert = halbe Wahrheit, m. E.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich hatte diesen Thread bisher immer so verstanden, dass die Taminos Stellen in musikalischen Werken nennen, die ihnen Gänsehaut bereiten, und nicht, dass sie diskutieren, worin Gänsehaut besteht, und so will ich mal wieder eine Gänsehautstelle benennen, die mich gestern Abend begeisterte:

    die Coda des Finales aus der Sinfonie Nr. 2 von Gustav Mahler, und zwar sowohl durch den Höreindruck der überragenden Protagonisten sowie auch über den visuellen Eindruck des wieder einmal mit allen Fasern seines Körpers in der Musik aufgehenden Leonard Bernstein, dessen Begeisterung sich unmittelbar auf mich übertrug.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Werter Willi,


    wie ein einzelner einen Thread sieht und wie er sich entwickelt sind oft zwei Paar Schuhe. Es soll Tamino`s geben, die gerne hier in diese Richtung schreiben und willst du ihnen das Schreiben verbieten?


    Hallo Helmut,



    Zitat

    Hier, bei dem Stichwort "Gänsehautstellen", geht es um emotional besonders intensiv anrührende Musik.
    Handelt es sich dabei eigentlich um ein rein subjektives Phänomen? Wenn ja, warum stellt man dann seine ganz persönlichen subjektiven musikalischen Präferenzen hier ins Internet, wenn das, eben weil eine rein subjektive Sache, doch kein anderer nachvollziehen kann? Oder geht man im Grunde doch davon aus, dass es eben doch so etwas wie ein übersubjektives Phänomen ist?


    Besonders intensiv anrühren ist wahrlich sehr subjektiv. Ich verstehe auch nicht ganz, warum ich diese Stellen hier im Forum bennen sollte. Welches "Allgemeininteresse" soll darin bestehen? Soll ein gewisser Voyeurismus bedient werden?


    Fragen über Fragen, aber ich glaube, da können wir , lieber Helmut und auch all die anderen, die das Thema in dieser Weise interessiert, gut umgehen.
    Viele Grüße Thomas

  • Soll ein gewisser Voyeurismus bedient werden?


    Hallo Thomas Sternberg,


    mit 1. Voyeurismus stellst Du auf die Leser solcher Beiträge ab. Wenn man nun die andere Seite der Medaille betrachten möchte, könnte man Manches unter den großen Oberbegriff 2. distanzlos stellen; denn ohne 2. könnte 1. nicht bedient werden.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich kann William B.A. verstehen, wenn er - mit einem leichten Unterton von Sich-Beklagen - sagt:


    "Ich hatte diesen Thread bisher immer so verstanden, dass die Taminos Stellen in musikalischen Werken nennen, die ihnen Gänsehaut bereiten, und nicht, dass sie diskutieren, worin Gänsehaut besteht, "


    Aber ist es denn so abwegig, einmal darüber nachzudenken, wieso Musik in der Lage ist, so etwas wie "Gänsehaut" beim Hören auszulösen? In welchem Thread sonst, als in diesem, wäre der Ort, dieser - wie ich meine doch durchaus interessanten - Frage naczugehen?


    Du kannst ja, lieber William B.A., weiterhin hier so posten, wie Du das bisher getan hast. Oder fühlst Du Dich dabei von mir gestört? Das täte mir leid!


    Übrigens: Ich habe Leonard Bernstein im Konzert erlebt. Dieser Dirigent konnte einen tatsächlich mitreißen!


    Ach ja, - und wenn ich schon dabei bin: Dieser Leonard Bernstein hat auch über die Fragen nachgedacht, um die es im Augenblick hier geht. In einem "Offenen Brief" schreibt er u.a. im Jahre 1967:


    "Es kann nicht purer Zufall sein, daß nach einem halben Jahrhundert gründlichen Experimentierens die besten und beliebtesten Werke in atonaler oder serieller Ausdrucksweise oder in der Zwölftonmusik jene Werke sind, die sich entgegen aller Übermacht einen gewissen Hintergrund der Tonalität bewahrt zu haben scheinen, jene Werke, die am reichsten an tonalen Einflechtungen sind. (...) In all diesen Werken trifft man fortwährend deutliche Gespenster von Tonalität, die einen beim Zuhören verfolgen. Je mehr man zuhört, desto mehr wird man verfolgt. In dieser Verfolgung spürt man die quälende Sehnsucht nach Tonalität, den heftigen Trennungsschmerz und das geheime Bedürfnis, sie wiederzuerlangen."


    Das heißt also: Leonard Bernstein geht davon aus, dass es in uns eine Art "Sehnsucht nach Tonalität" gibt. Das würde doch dem in etwa entsprechen, was meinte, als ich von "musikalisch-klanglichen Archetypen" sprach, einer Prägung also, die uns empfänglich macht für bestimmte tonale Grundmuster.


    Was, lieber William B.A., ist denn so schlimm daran, wenn man über solche Fragen hier im Forum nachdenken möchte? Bringt das nicht mehr, als wenn uns allen der Mit-Taminoaner XYZ mitteilt, der erste Satz von Schönbergs Drittem Quartett verusache ihm jedesmal Gänsehaut, wenn er ihn hört?


    Was habe ich davon, wenn ich das weiß? Ich hätte davon doch nur etwas , wenn er mir ganz genau mitteilt, was an dieser Musik von Schönberg ihm Gänsehaut verursacht. Womit wir dann beim augenblicklichen Thema wären!

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  • Gänsehautstellen für mich...


    Anders oder Wunderlich mit ...mag der Himmel uns vergeben...
    Kurt Böhme mit ...Die Beichte ...
    Gigli mit ... Hör ich die Stimme im Traum
    Bergonzi WeihnachtsCD und aus Madame Butterfley ..Mädchen, in deinen Augen...
    Berry, A, B, C, D ... weißt du noch Gretchen...
    Diese Aufzählung könnte ich noch fortsetzen. Aber immerhin.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Einen Nachtrag habe ich noch zu machen, an meinen vorigen Beitrag anschließend. Er wird mein letzter in diesem Thread sein. Es ist ja, wie man beim Rückblick über die vielen Seiten dieses Threads leicht feststellen kann, in der Tat so, dass solche Gedankengänge, wie ich sie hier anstelle, nicht hineinpassen. Da hat William B.A. völlig recht.


    Bevor ich hier verschwinde, möchte ich aber auch wenigstens noch einen, wirklich hierhergehörenden Beitrag einstellen. Eines der Musikstücke, das mich immer wieder aufs Neue tief anrührt, ist Schuberts Streichquintett in C-Dur. Ich höre es mit Vorliebe in einer Aufnahme mit Pablo Casals, die als Live-Mitschnitt von seinem Festival in Prades gemacht wurde. Ich liebe sie, weil so viel Leben in diesem gemeinsamen Musizieren steckt.


    Besonders in Bann schlägt mich darin der zweite Satz. Am Anfang wunderbar fließende himmlische Längen, getragen von der zweiten Violine, der Bratsche und dem ersten Cello, während das zweite im Pianissimo den fortschreitenden Takt markiert und die erste Geige dazu singt, als höre man einen leisen Vogel über all dem, was sich da in ruhigem Strömen klanglich entfaltet.


    Wenn man dann noch weiß, in welcher seelischen Verfassung Schubert dieses Werk schrieb, fühlt man sich ganz besonders tief von ihm angesprochen. Aber das muss man ja gar nicht wissen, zumal derlei hier ja gar nicht interessiert. Musik kann auch rühren ohne alles Wissen um ihre Hintergründe und die spezifische Eigenart ihrer kompositorischen Faktur.


    Ist aber Rührung das einzige, was klassische Musik zu leisten und zu erbringen in der Lage ist?


    Mit dieser Frage Tschüs denn allerseits!

  • Meine Gänsehautstelle ist eine erst vor Kurzem wiedergehörte:


    Aus der Oper "Orpheus" von Monteverdi die Szene im Reich der Toten, wo Orpheus auf den Totenwächter Charon trifft: "Halt du, der du ins Land des Todes niedersteigst". Da streicht mir ein kalter Schauder über den Rücken. Hervorragend interpretiert von Karl Ridderbusch und Hermann Prey.

    W.S.

  • Wäre es möglich, die CD hier einzustellen oder zumindest Dirigent und Orchester? Danke.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Schon aufgrund der von Dir genannten Gesangssolisten bestätigt sich meine Vermutung, dass es sich nicht um Monteverdis "L'Orfeo" handelt, sondern um "Orpheus und Euridice", das Werk von Gluck.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Schon aufgrund der von Dir genannten Gesangssolisten bestätigt sich meine Vermutung, dass es sich nicht um Monteverdis "L'Orfeo" handelt, sondern um "Orpheus und Euridice", das Werk von Gluck.


    Wolfgangs Ausschnitt stammt aus dieser Aufnahme:



    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Helmut Hofmann:

    Zitat

    Musik kann auch rühren ohne alles Wissen um ihre Hintergründe und die spezifische Eigenart ihrer kompositorischen Faktur.


    stimmt. Ich will nur noch mal "klarstellen". Bei mir war das "Erschauern" bzw. "Rührung" zuerst da. Dann hab ich mich erst gefragt, woran das liegt.


    Zitat

    Ist aber Rührung das einzige, was klassische Musik zu leisten und zu erbringen in der Lage ist?


    Nö. Nach einem guten Musikstück ist meine Birne irgendwie wie neu-gebootet - aufgeräumt. Musik erreicht soweit ich weiss ziemlich viele Gehirnregionen sogar Bereiche, die für die Motorik verantwortlich sind. Ich glaub nicht, dass bildende Kunst das auch kann.

  • Hallo Harald Kral,


    danke für Deinen Hinweis; na, dann war ja 9079Wolfgang noch weiter weg von Monteverdi.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich müßte mir mal den originalen L'Orfeo raussuchen und die Szenen gegenüberstellen, aber soweit ich mich erinnere, hat Orff beim Monteverdi-Orpheus an diesen Stellen außer der Sprache nicht viel verändert....


    LG


    ;)

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Ich möchte hier nur darauf hinweisen, daß die angesprochene Aufnahme, wie von mir angeführt, aus "LÓrfeo" von MONTEVERDI stammt und keinesfalls von Gluck. In der Gesamtaufnahme, die ich von den Bad Hersfelder Festspielkonzerten 1980 habe, höre ich die gleiche Szene mit UWE BLIESCH als Charon und JOACHIM SEIPP als Orfeo. Nur sind die Stimmen von KARL RIDDERBUSCH, der hier den Charon abgrundtief singt und HERMANN PREY als Orfeo doch um Einiges besser. Ich fühle mich durch die Musik, allein durch den Effekt der Posaune, und die Stimmen in den Hades versetzt. Daher auch hier meine Gänsehautstelle.

    W.S.

  • Heute fiel mir wieder eine alte Gänsehautstelle ein, eigentlich sind es zwei.Als ich im Auto Beethovens Choralfantasie aus der nebenstehenden Box auflegte, dieses Mal in der Interpretation von Seji Ozawa mit dem fabelhaften Rudolf Serkin, der Boston Symphony und dem Tanglewood Festival Chorus, wartete ich schon auf die beiden Stellen, die erste, wenn das Orchester das Hauptthema im Fortissimo anstimmt und ausführt und desgleichen, wenn am Schluss der Chor diese Stelle anstimmt. Aber da geht die Gänsehautstelle noch weiter, wenn der Chor noch mitten im Fortissimo crescendiert.



    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • und

    Das Adagio aus Bruchs Violinkonzert No.1 - hier einmal von David O. und dann vom Sohn Igor interpretiert.
    Habe es schon als kleiner Junge von der alten DG-Aufnahme (uralte Midi-Format-LP, die sich irgendwo in meiner Sammlung versteckt hat :( ) oft gehört ... und mit anderen InterpretInnen nie als so tief berührend empfunden, wie in diesen Interpretationen von den Oistrakhs!
    Beide CD´s sind aus meiner Sicht empfehlenswert.


    :yes: Niko

    "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." - Nietzsche

  • Hallo Klaus,


    das werden wir demnächst mal antesten, ob meine beiden Lieblingsaufnahmen des Bruch-VC Nr.1 dieses Gänsehautfeeling auch in dieser von Dir geschätzten Weise rüberbringen:
    Francescatti / New Yorker PH / Schippers (SONY, 1962)
    und
    Perlmann / CGBO Amsterdam / Haitink (EMI, 1984, DDD)


    :yes: Den beiden Oistrachs traue ich das ohne diese Aufnahmen zu kennen zu !


    :hello: Alles Gute für das neue Jahr 2012 und guten Rutsch in ca. 8Stunden
    wünscht Dir und allen Taminos,
    Wolfgang

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Eine Gänsehautstelle, die mich immer wieder bewegt, ist das große Autodafé aus "Don Carlos". Diese enthusiastische Musik mit dem Auftritt der flämischen Gesandten, das ist für mich Gänsehaut pur! Diese Stelle wiederhole ich zumeist.


    W.S.

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