Die englische Chortradition

  • Weiter oben wurden die "Kings Singers" erwähnt. Einer der früheren Sänger dieser Gruppe ist Nigel Short, der inzwischen seinen eigenen Chor leitet: Tenebrae


    Im Deutschlandfunk wurde die neueste CD dieses Chors heute morgen vorgestellt:



    Tomas Louis de Victoria (1548-1611)
    Requiem "Officium defunctorum" (1605)

    +Lobo: Versa est in luctum;Lamentations Ieremiae Prophetae
    Künstler: Tenebrae, Nigel Short
    Label: Signum , DDD, 2010


    http://www.tenebrae-choir.com/about/nigel/


    Zitat

    Der Countertenor Nigel Short hat versucht, sich mit diesem Ensemble einen Traum zu erfüllen und die Kunst, die er bei den Tallis Scholars und den King's Singers erlernt und erlebt hat, mit einer Darstellung zu verbinden, die mehr Ausdruck und Aktion erlaubt und auch das Publikum mit einbezieht. Diese Mischung ist ihm gänzlich gelungen, wobei die theatralische Dramatik hier in den Grenzen der historischen Aufführungspraxis bleiben kann, die Spannung und Artikulation ist einfach subtiler.


    Die Sendung gibt es hier zum Nachlesen und -hören: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/neueplatte/1487859/


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo Chorknabe,


    habe inzwischen alle vier CDs erhalten und höre gerade Lux aeterna mit Polyphony. Gute Musik, hervorragender Chor, ich würde ihn allerdings doch tendentiell eher ganz knapp hinter die von mir weiter oben genannten Chöre setzen, was allerdings auch an der CD liegen mag - sie scheint mir nicht ganz so glasklar transparent aufgenommen wie einige CDs der Cambridge Singers oder der 16.


    Die Mikrophone standen anscheinend mehr so auf Zuhörer-Entfernung, s-Laute sind das Gegenteil von scharf (was ja an sich hifi-technisch richtig ist, aber ein bißchen mehr Brillanz könnte vielleicht dem Ohr schmeicheln? - na ja, eine Gratwanderung, deren Beurteilung wohl auch sehr von subjektiven Kriterien abhängt), zudem hört sich - zumindest beim jetzt zweiten Hören - Morton Lauridsen immer so ein wenig nach "O magnum Mysterium" an.


    Der Chor ist tatsächlich "stimmschön" und hochpräzise.


    Insgesamt jedenfalls eine tolle Scheibe, deren Kauf sich auf alle Fälle gelohnt hat.


    Demnächst geht es dann weiter mit Kommentaren zu den anderen CDs von polyphony.

  • Tenebrae ist wohl auch so einer dieser großartigen Chöre, die auf Insel anscheinend auf beinahe jedem Baum wachsen.


    Ich habe zwar noch keine CD (und eigentlich auch keinen Platz mehr), aber die bei youtube gesehenen Stücke (z.B. Tavener: Lamb) legen doch einen Kauf mehr als nahe...

  • Hi Chorknabe,


    Cloudburst gefällt mir besonders gut.


    Als ich zunächst las: Eric Whitacre, 1970 geboren, da hatte ich schon einiges an Schrägem und Unanhörenswertem befürchtet - ist aber nicht der Fall. Schräg ist es schon, unanhörenswert aber keinesfalls, Whitacre baut jede Menge Spannung auf und fängt das Schräge auch geschickt wieder ein. Auf dem CD-Cover ist zu lesen: "I guess if you like Tavener (or Pärt...), you´ll enjoy Whitacre." And I do like Pärt!


    Und polyphony beweist sich mal wieder als Superchor. Tolle CD !!

  • [..]
    Und Polyphony beweist sich mal wieder als Superchor. Tolle CD !!


    Die CD "Cloudburst" halte ich für eine der besten die Polyphony augfgenommen hat. Es ist eine ausgesprochene Kopfhörer-CD, sie wirkt dann noch geschlossener, noch präziser, noch ausgefeilter.


    Eric Whitacre als Komponist hat sich übrigens mittlerweile zu einem wenn nicht dem Superstar der Chorszene entwickelt. Der Begriff ist durchaus nicht übertrieben. Seine Stücke werden weltweit von unzähligen Chören mit heißer Inbrunst gesungen, die Werke sind extrem beliebt - bei Zuhörern aber auch beim Publikum. Die Tonsprache ist schon irgendwie (post)modern, aber irgendwie extrem weich und dadurch sehr gefällig. Dazu kommt dass er ein sehr charsimatischer Mensch mit smartem Aussehen ist und in Seminaren wie Konzerten die Leute für sich (und seine Musik) einzunehmen versteht.


    Ich selbst hatte vor kurzem die Gelegenheit das stück "Cloudburst" im Konzert zu singen - es war ein tolles Erlebnis! Die Komposition baut eine ungeheure Spannung auf welche für das Publikum unmittelbar greifbar war. Es war das Stück welches die meisten Zuhörer sichtlich bewegte - wir hatten auffällig viele positive wenn nicht beeisterte Rückmeldungen zu dem Stück.. Das ist wohl gute Musik - wenn der Durchschnitts-Konzertbesucher ohne Vorwissen ein stück sofort versteht und sich unmittelbar darauf einlassen kann..


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • extrem beliebt - bei Zuhörern aber auch beim Publikum

    Schön, dass außer dem Publikum zu den Konzerten auch noch einige kommen, die zuhören. :D


    Das ist wohl gute Musik - wenn der Durchschnitts-Konzertbesucher ohne Vorwissen ein Stück sofort versteht und sich unmittelbar darauf einlassen kann.

    Genau, man könnte geradezu sagen, Whitacre ist der Popstar des Chorbusiness und verkauft sich mit seinem Charisma extrem gut. Also Auftrag erfüllt: Publikum und Zuhörer zufrieden und die Kasse kann vor lauter Fülle schon nicht mehr klingeln.


    Bitte nicht falsch verstehen: ich gönne jedem die Begeisterung darüber, dass es heute wieder Komponisten gibt, die für jedermann verständlich komponieren. Und für die Chöre ist die Singbarkeit super: "Auch wir haben "moderne" Komponisten im Repertoire!" Mich persönlich lässt Whitacre nach dem x-ten Stück dann doch schnell eher kalt. Ich finde ihn aber auch nicht besonders repräsentativ für die großbritische Chortradition, zum Glück.

  • Bitte nicht falsch verstehen: ich gönne jedem die Begeisterung darüber, dass es heute wieder Komponisten gibt, die für jedermann verständlich komponieren. Und für die Chöre ist die Singbarkeit super: "Auch wir haben "moderne" Komponisten im Repertoire!" Mich persönlich lässt Whitacre nach dem x-ten Stück dann doch schnell eher kalt. Ich finde ihn aber auch nicht besonders repräsentativ für die großbritische Chortradition, zum Glück.


    Ich verstehe was Du meinst. Richtig modern sind seine Werke nicht, sie gehören auf jeden Fall in den Bereich "Postmoderne" (so man diesen begriff denn zu benutzen geneigt ist). Fakt ist aber, dass die Stücke bei den Chorsängern extrem beliebt sind - und das halte ich für bemerkenswert.


    Whitacre ist übrigens Amerikaner, kann also nicht zur englischen Chortradition gezählt werden. Hier mischen andere Komponisten mit wie Rutter, Tavener, MacMillan, Bryars etc..


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Mich persönlich lässt Whitacre nach dem x-ten Stück dann doch schnell eher kalt. Ich finde ihn aber auch nicht besonders repräsentativ für die großbritische Chortradition, zum Glück.

    ja, da gebe ich dir recht. nach den ersten werken dachte ich: sehr schön, sehr interessant. aber wenn man nun immer neue entdeckt, kommt ein strickmuster heraus, das doch alles recht 'einförmig' macht.
    interessanter sind die werke von thierry machuel.

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Es geht hier ja hier eher um die Tradition der Chöre, diese sollten englisch sein, weniger die Komponisten.


    Aber mal so allgemein zu Komponisten, die sich so anhören wie sie selbst: ich finde das eher gut, wenn es nicht zu allzu simpel wird.


    Und wenn doch, wenn man also meint, den 10. Aufguß von Mysterium oder den 5. von Cloudburst zu hören, gibt es hoffentlich weitere Komponisten, die was "geschaffen" haben, das einem nicht gleich die Ohren absägt.


    Jedenfalls besser, sie haben (nur) 10 gute Stücke geschrieben, als gar keins.


    Ich werde auf youtube mal nach Thierry Machuel suchen.

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  • Im Klassik-Segment befrinden sich Aufnahmen mit Chorwerken im hinteren Bereich und selbst unter Klassik-Interessierten ist es so, daß 80 Prozent derer die Oper, konzertante und Kammermusik hören um Chorwerke, wenn diese auch noch a cappella daherkommen, einen großen Bogen machen.


    "...wenn diese auch noch A Cappella daherkommen..." Was für welches ...Musikverständnis Zeugnis ablegt?


    Es grüßt ein überwiegend A cappella singender Chorsänger
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler