Charismatische Persönlichkeiten in der klassischen Musik

  • Oh, aber darum kann er noch immer unsicher gewesen sein. Sogar sehr. :D
    Das einzige, daß noch fehlt, ist daß er keinen Widerspruch akzeptierte oder immer seine Meinung änderte :D


    LG, Paul

  • Ich kann mich Alfred anschließen: Für mich ist und bleibt Herbert von Karajan mit die charismatischste Persönlichkeit der klassischen Musik.
    Woran das liegt, kann ich nicht genau sagen. Den frühen und mittleren Karajan (bis etwa Ende der 60er-Jahre) finde ich sehr viel weniger charismatisch als den späten der 70er und v.a. 80er. Er strahlte m.E. selbst am Ende noch etwas Undefinierbares aus, wozu andere selbst auf ihrem Zenit nicht fähig waren. Er war in meinen Augen auch immer der Aristokrat - mancher würden sagen: der Diktator, was ich für zu weitgehend hielte. Die späten Video-Aufnahmen zeigen uns einen gesundheitlich unübersehbar angeschlagenen, greisen "König des Orchestergrabens", der sich selbst jetzt keine Schwächen erlauben will und sein Regiment eisern zusammenhält.
    Weitere Persönlichkeiten der klassischen Musik mit Charisma sind für mich Leonard Bernstein - wenngleich völlig konträr zu Karajan - und Arturo Toscanini.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,


    wenngleich ich nicht genau analysieren kann, warum es so ist, empfinde ich jedoch, dass es so ist.


    Mein spontaner und immer noch gültiger Gedanke bei der Fragestellung nach charismatischen Persönlichkeiten ist der Geiger David Oistrach.


    Ich finde, dass dieser eine fantastische Ausstrahlung hat. Trotz sparsamer Gestik und Gehabe ein unglaublicher Ausdruck von Tiefe und Stimmigkeit - sowohl hinsichtlich seiner Erscheinung wie auch seines Geigenspiels.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Vergessen wurde hier auf Sergiu Celibidache, dessen Charisma mit Sicherheit nicht darauf zurückzuführen ist, daß er sich (vordergründig) der Tonträgerindustrie verweigerte., sondern auch auf einige Sonderlichkeiten seines Wesens


    Sergiu Celibidache - Abglanz eines Maestro auf Tonträger


    Beurteilt man ihn nach seinen Erfolgen, dann ist das Ergebnis durchaus ein Positives, die Münchner Philharmoniker brachte er wieder ganz nach vorne in die Liste der besten Orchester, Levines Interregnunm wirkte dagegen eher farb- und glanzlos.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Um mal ein bisschen aus der Reihe zu tanzen:


    eine charismatische Persönlichkeit war für mich Chick Corea, der das anfangs feierlich gestimmte und ahndachtvoll zuhörende Publikum eines festlichen Konzertsaals soweit bringen konnte, dass die Anwesenden die von ihm angegebenen Töne gesungen und gesummt haben. So entstand eine Art Harmonie (und Dissharmonie), begleitet von ihm auf dem Klavier und alle waren glücklich.


    :hello: KP

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  • Eine charismatische Persönlichkeit in der klassischen Musik war für mich auf jeden Fall auch Hans Knappertsbusch. Seine Popularität in München soll so groß gewesen sein, daß er angeblich einige Jahrzehnte die Monarchie ersetzte. :D


    Unter den Lebenden fiele mir Christoph von Dohnányi ein.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich erinnere mich an eines der letzten Konzerte von (verlassen wir einmal die Klassikpfade) Frank Sinatra. Ein fast 80jähriger Greis stand dort in der Ferne vor uns, wir saßen gut 100m von der Bühne entfernt und eigentlich konnte man den Abend nur so beschreiben: keine Stimme mehr, falsche Töne, falsche Zähne, falsche Haare, falscher Text (wenn er ihn einmal nicht ablas), betrunken und überhaupt. Objektiv eine Zumutung :boese2: , subjektiv eines der Konzerterlebnisse, das mich am meisten begeistert und elektrifizert hat. :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:
    Charisma denke ich, setzt sich aus vielen Komponenten, eben auch im Fall von Sinatra, zusammen. Charme, und dies im Sinne der englischen Übersetzung: jemanden bezaubern oder auch verzaubern, jahrelange intensive Hingabe an die eigene Aufgabe, trotz aller Kritik unbeirrtes Weitermachen, Höhen und Tiefen erleben und nicht aufgeben, auch ein gerüttelt Maß an Rücksichtslosigkeit sich und anderen gegenüber, dem (Medien)Ruf gerecht werden (damit meine ich, dass im Moment der persönlichen Begegnung keine Enttäuschung eintreten darf) und wohl auch ein unerklärbarer Rest.
    Ich glaube, dass man das Charisma eines Menschen nur durch die persönliche Begegnung erleben kann. Alles andere sind Interpretationen Dritter (Foto/Film) und geben im besten Falle nur einen Bruchtteil wieder. Auch bei der CD bin ich skeptisch, denn Charisma IMO erschließt sich nur als Gesamtpaket.
    Wer ist nun für mich charismatisch im Klassikbereich:
    Callas, Furtwängler und da geht es schon los. Ich habe beide nicht mehr live erlebt, aber doch charismatisch, weil ich durch die verbliebenen Zeugnisse daruf schließe und es sicherlich auch spüre und weil alle, die sie erlebt haben, es sagen.
    Von meinen Live-Künstlern: Horowitz. Ein Phänomen. :jubel: :jubel: Damals erlebte ich, objektiv, ein greisenhaftes Kind, einen alten Mann, der beim Betreten der Bühne fast ein wenig albern mit dem Publikum schäkerte :baeh01: und sich sehr kindlich über den Empfang freute. Dann setzte er sich ans Piano und verstaute sein obligatorisches Taschentuch und fast erwartete man, er würde allen noch einmal damit zuwinken. Und dann spielte er Scarlatti und alles verwandelte sich. Und man spürte, beide Seiten waren authentischer Horowitz und beide Seiten schlugen einen in ihren Bann. (Authentizität und Facettenreichtum gehören sicherlich auch noch in obige Liste.) Charismatische Menschen können dem Publikum offenichtlich viel zumuten und man ist trotzdem bereit, sich zu ergeben bzw. seinen kritischen Verstand auszuschalten. (Hitler war ja wohl auch eine ziemlich charismatische Figur.)
    Ich könnte noch viele nennen (Schwarzkopf (leider nur eine Moderation), Ludwig, di Stefano (ähnlich wie mein Erlebnis mit Sinatra), Mödl, FiDi und ...und...und... ), aber letztlich wiederholen sich die Mechanismen.
    :hello: Gustav

  • Ich ändere noch einmal die Liste. Ludwig, FiDi, Mödl waren und sind große Persönlichkeiten, aber ob sie für mich wirklich charismatisch waren, ich glaube doch eher nicht. Da fällt mir eher Elisabeth Bergner ein. :jubel::jubel: :jubel:
    Karajan hatte natürlich auch ein großes Charisma, wobei an seiner Person der Zusammenhang zwischen Charisma und Selbstinszenierung und Verstärkung durch die Medien diskutiert werden könnte.
    :hello: Gustav

  • Charisma ist ja irgendwie etwas Unerklärliches. Von einer Person geht etwas Faszinierendes aus, aber warum das so ist, kann nicht vollständig erklärt werden, auch wenn man es immer wieder versucht.
    Ich bin übrigens froh darüber, dass es im Zusammenhang mit der Musik noch diese Dinge gibt, die sich nicht durch irgendwelche Kombinationen aus 0 und 1, also aus Ja und Nein technisch beschreiben lassen.


    Natürlich muss ich in diesem Zusammenhang auch und gerade Nikolaus Harnoncourt nennen.
    Ich habe ihn mehrfach im Konzert aus nächster Nähe erlebt.
    Für mich besonders beeindruckend waren die "Energiewellen", die von ihm ins Orchester "geworfen" wurden.
    Das waren wie Durchströmungen mit elektrischem Strom. Auf eine Art und Weise habe ich das selbst auch verspürt.
    Auch seine ernste Ausstrahlung fasziniert unwillkürlich, wenn er sich dem Publikum zuwendet. So einen Künstler habe ich noch kein zweites Mal erlebt - ein echtes Original. Zu den Zeiten, in denen er den Concentus noch vom Cello aus leitete, habe ich mich dabei ertappt, dass ich hauptsächlich ihn beobachten musste. Wenn ich mir nun DVDs anschaue auf denen er noch spielt, ist diese Wirkung allerdings nicht so stark wie damals live. Vernünftig erklären kann und will ich das auch gar nicht.


    Dann würde ich auch unbedingt Furtwängler erwähnen.
    Einer der ganz Grossen und aus meiner Sicht in seiner Zeit der Grösste, wenn es um die zauberhaften, spannungsreichen und unerklärlichen Momente geht.
    Sein Charisma entfaltete sich vor allem im Moment des Musizierens.
    Ich bin mir sicher, dass Aufnahmen nur ein schwacher Abglanz dessen sind, was manchmal wirklich geschah - und das nicht nur wegen der damals nicht so guten Aufnahmetechnik.


    Unbedingt fällt mir auch der Name Jacqueline du Pré ein.
    Sie ging nicht nur beim Musizieren in der Musik auf....sie wurde geradezu zur Musik. Dieses Leben in der Musik, die Intensität des musikalischen Erlebens ist nicht nur äusserst faszinierend, sondern in ihrem Fall auch sehr bewegend ( ich meine das jetzt nicht mit Hinweis auf ihr tragisches Schicksal).


    Glenn Gould muss ich auch nennen.
    Zu dem könnte man so viel schreiben, dass es mir hier zu viel wäre. Man muss ihn nur etwas länger beim Bachspielen beobachten, auch bei seinen Konservationen über dieses Thema. Er könnte mir - wenn er denn noch leben würde- von morgens bis abends irgendetwas vorspielen und erklären, und es würde mir niemals langweilig werden.
    Der hatte eben etwas sehr Besonderes mit sich - Charisma eben.


    Ansonsten fällt mir bei den Pianisten natürlich noch Alfred Brendel ein.
    Ich habe ihn ca. ein Jahr vor seiner Abschiedtournee noch einmal live erleben können - für mich sehr unvergessliche und präsente Momente.


    Bei den Sängern hat aus meiner Sicht Dietrich Fischer-Dieskau viel von dieser faszinierenden Ausstrahlung bei sich gehabt.


    Charismatische Persönlichkeiten sind für mich auch Leute, die in einer Gruppe von Menschen irgendwie von Natur aus, ohne etwas tun zu müssen, ihm Mittelpunkt stehen.
    Dies trifft auch auf Ton Koopman zu, den ich von seiner Persönlichkeit her ebenfalls sehr faszinierend finde.
    Sein Charisma kann natürlich nicht mit dem von Furtwängler verglichen werden, weil er nun wirklich ein ganz anderer Musikertyp ist.


    Und wo ich gerade bei Furtwängler bin:
    Vom Charisma und der Fähigkeit, unvergessliche, elektrisierende Momente zu erzeugen, sehe ich ausgerechnet Harnoncourt noch am ehesten in diese Richtung gehen, auch wenn mir klar ist, dass die Musik völlig anders klingt.
    Ich sage nicht, dass das immer so ist, aber ich habe in einigen Konzerten Momente erlebt, die ich nur mit Beschreibungen von Zeitzeugen vergleichen kann, die Furtwänglers Konzerte selbst erlebt haben.



    Zitat


    Original von Johannes Roehl
    Nicht dass ich die Diskussion für besonders fruchtbar halten würde.


    Sie ist so sinnlos oder sinnvoll wie alle anderen hier stattfindenden Diskussionen über Musik. Ich sehe das jedenfalls nicht so, dass unsere Threads letztendlich nur in Buchungsvorgängen münden sollen, d.h. im Soll auf dem Kundenkonto des Tamino/lesers und im Haben auf den Konten der Musikbranche. Wenn das nur der Sinn von Tamino wäre, dann wäre das doch eine langweilige Veranstaltung.
    Ist denn nur das greifbare, wirtschaftlich etwas in Bewegung setzende Ergebnis solcher Diskussionen in Klassikforen sinnvoll und interessant?


    Der gesamte Vorgang des Musikmachens und Hörens ist für sich genommen eigentlich sinnlos, jedenfalls von einem gewissen Standpunkt aus gesehen.
    Warum denn sollte man Schallwellen produzieren, wo man doch in der Zeit irgendetwas "Vernünftiges" machen könnte, womit materielle Werte geschaffen werden, z.B. Rasierapparate, Mobiltelefone, PCs, Häuser, Autos......? Man könnte auch stattdessen die Wohnung aufräumen...


    Warum denn so etwas archaisch-Altmodisches wie eine Oper veranstalten, wo es doch viel realistischer aussehende Filme gibt? Und vor allem, warum soll man zur Handlung singen? Das verlangsamt doch nur den Fortgang der Geschichte und ist völlig ineffizient. Die gesamten Libretti sind für den Menschen von heute eigentlich irrelevant.


    Wenn man sich also Gedanken zum Thema Charisma bei klassischen Musikern macht, dann streift man einen Bereich, der nicht fassbar ist.
    Genau das macht es aber für mich erst interessant, genau so wie die grosse Kunst das Unfassbare vermittelt und das Unsagbare doch sagen kann. Eigentlich geht es bei grosser Kunst doch vornehmlich um genau das. Das Thema "Charisma, Ausstrahlung, Faszination, etc...." ist also sehr fundamental mit der grossen Kunstmusik an sich verknüpft.
    Eine Beethoven-Symphonie muss eine unglaubliche charsismatische Ausstrahlung auf Viele haben, sonst würde das Thema der "Beethoven- Zyklen" hier doch schon längst ad acta gelegt sein - ist es aber offensichtlich nicht.


    Das nur einmal als philosophische Unterfütterung zum Thema....


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Im Duden wird Charisma als besondere Ausstrahlung definiert. Diese besondere Ausstrahlung kann aus ganz verschiedenen Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Persönlichkeit heraus gespeist werden. Ich habe zum Beispiel in der Rhetorik schon große, kleine, dicke, dünne, alte, junge, geistreiche, humorvolle, intro- und etrovertierte Redner erlebt, die jeder auf seine Art sofort über die Rampe kamen und ihre Zuhörer fesselten und faszinierten. Auf diesem Gebiet gibt es ein überzeugendes Beispiel: Rainer Barzel war ein perfekter Redner, der ganze Seiten druckreif sprechen konnte, aber wirkte irgendwie glatt, ohne besondere Ausstrahlung. Sein damaliger Kontrahent, Willy Brandt, hatte erhebliche rednerische Mängel, wie z. B. eine ständig krächzende, heisere Stimme - aber er beeindruckte und war rasch am Herzen des Hörers dran, hatte also Charisma. Das Phänomen unserer Zeit ist hier sicherlich Barack Obama. Ich glaube es stimmt also, eine Persönlichkeit muss eine Besonderheit ausstrahlen, ein Alleinstellungsmerkmal (USP) haben, um charismatisch zu wirken.
    Genau so ist es auch bei Sängern, Dirigenten und Musikern. Bis jetzt wurden z. B. bei den Sängerinnen und Sängern als Beispiele eher dominante Persönlichkeiten genannt, für diese Art der Ausstrahlung war sicherlich Fjodor Schaljapin ein Prototyp. Aber es gitbt auch die anderen, die Bescheidenen. Hier fallen mir z. B. Nicolai Gedda, Alfredo Kraus, Leopold Simoneau und bei den Damen Mirella Freni, Edith Mathis, Evelyn Lear und Pilar Lorengar spontan ein. Alle hatten trotz zurückhaltender Art höchste Ausstrahlung und sofortige Bühnenpräsens.
    Über dieses gewissermaßen natürliche Charisma scheinen aus meiner Sicht häufig Bassisten zu verfügen. Bei den mir eng verbundenen Sängern Gottlob Frick und Kurt Moll kann ich dies am besten beurteilen.
    Zwei überaus bescheidene, menschlich warme, eher zurückhaltende Persönlichkeiten, die jeden Rummel um ihre Person ablehnten - und trotzdem auf der Bühne höchstes Charisma hatten. Martti Talvela gehört sicherlich auch in die Reihe der Sänger mit nahezu selbstverständlicher persönlicher Ausstrahlung.
    Wenn wir dem Phänomen Charisma also näher kommen wollen, geht das wahrscheinlich über allgemeine Kriterien nicht. Wir müssen die einzelne Persönlichkeit beobachten und analysieren, dann können wir vielleicht im Einzelfall die Besonderheit der persönlichen Ausstrahlung erkennen und benennen.
    Herzlichst
    Operus


    Ach und noch eine Bitte: Gerade in diesem Thread wird besonders häufig die Abkürzung IMO verwandt. Was ist darunter zu verstehen?

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Ein wunderbarer Beitrag, lieber Operus, der es auf den Punkt bringt.


    Zitat

    Original von operus
    Ach und noch eine Bitte: Gerade in diesem Thread wird besonders häufig die Abkürzung IMO verwandt. Was ist darunter zu verstehen?


    IMO: in my opinion, also die engl. Version von "m. E." (meines Erachtens) oder "m. M. n." (meiner Meinung nach).


    Liebe Grüße
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Vielleicht sollte man doch noch einmal auf den Unterschied von Persönlichkeit und Charisma eingehen. Ich erinnere mich an viele Sänger/innen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit mich und sicher auch einen großen Teil des Publikums in ihren Bann schlugen (Rysanek, die drei Tenöre, FiDi, Ludwig, Moll, Schreier, Kasarova, Kraus, ich höre hier lieber auf, wird sonst endlos), Charisam ist aber dagegen für mich mehr.


    Charisma kann mich dazu zwingen, objektive Beurteilungen der jeweiligen Leistung wegfallen zu lassen und ich bin bereit, diesem Künstler (gilt allgemein auch für Religionsstifter oder Politiker) relativ willenlos zu folgen.


    Ich tue mich mit den Formulierungen im Moment ein wenig schwer, weil ich es ziemlich verallgemeinernd halten möchte. Natürlich folgt man einem charismatischen Künstler anders als einem entsprechenden Politiker und es weist auch nicht so viele Gefahren auf. Aber auch ein Künstler kann mich dazu "zwingen" ("kann" ist in diesem Sinne zu aktiv), ihm Dinge abzunehmen, die ich bei klarem Verstand nicht goutieren würde.


    Es bleibt alles recht schwammig, weil man wirklich Person für Person einzeln durchgehen müsste (und sich natürlich vorher auf einen Kanon charismatischer Personen einigen müsste).


    Eine weitere, nichtmusikalische, Begegnung mit einer solchen Person (nach Sinatra und Horowitz) war eine Lesung im Hamburger Michel mit der wirklich schon alten Elisabeth Bergner . Alt und gebrechlich wurde sie auf das Podium geführt und las mit brüchiger, lispelnder Stimmer "Die Legende vom 4. König" von E. Schaper. Ich liebe solche (kitschigen) Weihnachtsgeschichten überhaupt nicht. Objektiv war der Vortrag fast eine Zumutung (Diktion, Stimmklang, Textauswahl), aber es war sofort alles egal. Sie beherrschte den riesigen Kirchenraum und schlug einen (welch abgedroschene Phrase) in ihren Bann. Ich dachte damals nur, sie könnte auch aus dem Kaffeesatz lesen, ich würde ihr trotzdem zu Füßen liegen.


    Charisma eben. Und da kommt das nächste Problem. Charisma für mich! Für andere? Es liegt eben auch im Auge des Betrachters, wer darüber verfügt (siehe Kanon).


    :hello: Gustav

  • Es ist schön, dass dieses Thema nach Pausen immer wieder neu aufgegriffen wird. Natürlich kann man viele Namen nennen von großartigen Dirigenten und Solisten, die einen beeindrucken. Charisma, das bedeutet immer auch Ausstrahlung eines Menschen auf andere.


    Wenn wir bei der Musik sind, dann fällt mir spontan Friedrich Gulda ein. Ich habe Gulda im März 1991 in Berlin erlebt sowohl bei Mozarts KV 488, aber besonders beeindruckt hat mich die Vorstellung seines "Concerto for myself".



    Das Stück ist ein Angriff auf die schablonenhafte Einteilung der Musik in E und U. Und so beginnt es ganz klassisch, um dann überzugehen in modernes Klavierspiel im Stile Keith Jarretts einschließlich dem Griff in die Klaviersaiten und zu wildem Jazzrock mit freier Improvisation.
    Es war ein Spektakel, aber nicht nur das, auch Guldas Seitenhiebe auf die große Kritikerschaft, die ihn im Gegensatz zu seinem begeisterten Publikum nicht verstehen will, lösten Beifallsstürme aus. Wie erwartet auch das Kritikerecho. Der Tagesspiegel: "Als Pianist ist Gulda seinem Kumpel Amadeus vielleicht ebenbürtig, als Komponist niemals". Berliner Morgenpost: "Kuddeldaddeldu vom Musikdampfer Mozart".


    Man kann ja Gulda mögen oder nicht, mich jedenfalls hat sein Charisma fasziniert.


    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Nun hat dieser Thread schon einge Jahre am Buckel. Etliche Namen wurden genannt, einige mehrfach.
    Karajan, Netrebko, Celibidache, Gulda, Bernstein, Toscaninini - und noch ein paar andere


    Was ich vermisst habe, das waren HEUTIGE Charismatiker (sorry, Netrebko IST ja von heute )
    Wo sind sie alle die Charismatischen Taktstockstrategen, Stimmwunder, Tastentiger, bei deren Erscheine aud dem Podium oder der Opernbühne das Publikum gebannt den Atem anhält - oder in spontanem Applaus ausbricht ?


    Ist Harnoncourt "charismatisch" ? Wie stehts mit Thielemann ? Von Rattle wird das wohl keine behaupten wollen (?) :stumm:


    mal sehen


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da irrst du dich, lieber Alfred. Ich behaupte, dass Rattle charismatisch ist. Jedenfalls übt er auf mich eine starke Ausstrahlung aus, und wenn ich das richtig mitbekommen habe, geht das auch den jeweils rund 2000 Berlinern und anderen Musikfreunden von nah und fern so, die regelmäßig mit mir in den Mahlerkonzerten sitzen, seinem Dirigat gebannt folgen und am Ende des Konzertes spontan in Jubel ausbrechen. Zwei Dinge habe ich bei Rattle gesehen, die ich noch bei keinem Dirigenten erlebt habe.
    Zum einen kam er beim letzten Konzert Alfred Brendels in Berlin bei dessen Zugabe wieder auf die Bühne und setzte sich mitten unter die Musiker, um Brendel zu lauschen.
    Zum anderen kommt er regelmäßig, wenn die Orchestermitglieder das Podium schon verlassen haben, noch einmal auf die leere Bühne, um sich vor dem immer noch applaudierenden Publikum nochmals zu verneigen. (Das letztere habe ich letztens auch bei Thielemann gesehen). Im September werde ich Rattle mit Mahlers Siebter in Köln erleben, und ich bin sicher, dass das Publikum dort ähnlich reagieren wird wie das in Berlin, jedenfalls, was den Applaus betrifft.


    Denn im Januar sah ich in Köln einen anderen, noch sehr jungen Dirigenten mit Mahlers Neunter, der m.E. auch schon charismatisch ist: Gustavo Dudamel. Bei ihm brach das Kölner Publikum nach Ende des Konzertes spontan in Jubel und Standing Ovations aus, was m.E. auch ein Zeichen von Charisma dieses Dirigenten ist. Hinzu kommt auch eine sehr angenehme Eigenschaft Dudamels, der sich grundsätzlich nach dem Konzert nicht mehr aufs Posium stellt, um sich zu verneigen, sondern immer mitten unter seine Musiker, in diesem Fall das Los Angeles Philharmonic.


    Soeben bin ich von einem weiteren Konzert in Köln heimgekehrt, das der nunmehr seit acht Jahren in Köln amtierende Gürzenichkapellmeister und Generalmusikdirektor der Stadt Köln, Markus Stenz geleitet hat: vor der Pause Beethovens 5. KK mit Martin Helmchen und nach der Pause Mahlers Erste. Ähnliche Reaktion des Publikums, auch er wird m.E. zunehmend charismatisch. Ich weiß nicht, ob es das auch woanders gibt, aber vor fünf Jahren hat Stenz in Köln das "Go live" eingeführt. 10 Minuten nach dem Konzert kann man, wenn man will, das Konzert schon frisch gebrannt auf CD mit nach Hause nehmen. Und so konnte ich auf der Rückfahrt im Auto schon das prächtig musizierte 5. KK noch einmal im Auto hören.
    Bei intensiverem Überlegen fallen mir sicher noch einige Musiker ein, die ich für charismatisch halte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Beim Thema "Charisma" haben wir das übliche Sender-Empfänger-Problem. Ein und derselbe Mensch kann von verschiedenen anderen Menschen als hochgradig charismatisch oder völlig belanglos empfunden werden.


    Im Orchester durfte ich erleben, dass ein Dirigent von den einen Musikern so erlebt wurde, dass sich ihnen alles über die Bewegungen, Mimik usw. wie von selbst mitteilte, wohingegen die anderen sagten, dass sie Schwierigkeiten hätten, überhaupt die "Eins" eindeutig zu identifizieren.

  • Putzig, heute Morgen hatte ich nur gerade den "Gestern im Konzert"-Thread gelesen und Willi geantwortet, u. a. mit der Glücksbekundung darüber, dass wir in Köln/Bonn zwei derart charismatische Dirigenten wie "Markus Stenz und Stefan Blunier (haben), die beide seit ihrer Ankunft an ihren musikalischen Wirkungsstätten ein Feuerwerk an Ausstrahlung, Aufbruch und musikalischer Erneuerung entfacht haben", und jetzt lese ich hier:

    Markus Stenz ... wird m.E. zunehmend charismatisch.

    Ja, unbedingt. Und da lasse ich die KollegInnen in Wien, Salzburg, Zürich, Berlin, München und Dresden gerne über mich Trampel in der Provinz lächeln, wo ich mich mit angeblich nachrangigen Orchestern aus der zweiten Reihe abgeben müsse. Dass wir hier Musiker dieses Zuschnitts - in den Orchestern wie an den Dirigentenpulten - haben, straft die Vorurteile Lügen. Es braucht wohl dringend das Charisma des Chefs, um aus der Raupe des Provinzorchesters den Schmetterling werden zu lassen. Es gelingt und verbindet Musiker, Publikum und Dirigenten zu einer Glücksgemeinschaft, wenn dann der "Richtige" gekommen ist und zu wirken beginnt.


    Rattle ist ein schönes Beispiel für die von Wolfram problematisierte Sender-Empfänger-Diskrepanz: kennt man nur seine CD-Einspielungen, ist mancher möglicherweise wenig angetan - so ging es mir jedenfalls. Hat man aber einmal seine Bühnenpräsenz, seine charismatische Ausstrahlung erlebt - oder ihn auch nur "persönlich" auf Video oder in einem Interview erlebt -, kann diese Enttäuschung in das komplette Gegenteil umschlagen. Lassen wir uns möglicherweise durch persönliches Charisma hinwegtäuschen über mangelnden musikalischen Gehalt der Darbietung? Ich weiß es nicht, denn ich lasse mich auch täuschen. Wenn ich in Berlin bin, "treffe" ich mit meinem Neffen und meiner Nichte Rattle ab und an auf dem Samstagsmarkt an der Trinitatiskirche, die Kinder spielen gemeinsam auf dem Spielplatz, er kauft ein wie Du und ich, von Charisma unmittelbar wenig zu spüren - aber zu wissen, es ist Rattle, lässt in Ehrfurcht die Haare sich sträuben. Fanfaktor? Verehrung eines Stars? Oder natürliche Ausstrahlung eines besonderen Menschen? Ich kann's nicht trennen.


    Ganz sicher ist Charisma heute Bestandteil von Marketing und Kundenbindung: als Publikum musst Du einen Dirigenten wie Stenz einfach lieben, und fünf Minuten nach dem Konzert setzt sich der Mensch Stenz lächelnd, scherzend und wohlgelaunt in die Vorhalle und gibt nicht enden wollenden Schlangen von Besuchern sein Autogramm mit persönlichem Text auf die GO live!-CD, wenn gewünscht, und hält mit jedem auch noch einen Schwatz über die Kinder oder die letzte Geburtstagfeier ... Kundenbindung eben.


    Hat Charisma womöglich wenig zu tun mit der Qualität von Musik???


    Rattle ... kommt ... regelmäßig, wenn die Orchestermitglieder das Podium schon verlassen haben, noch einmal auf die leere Bühne, um sich vor dem immer noch applaudierenden Publikum nochmals zu verneigen.

    Yannick Nézet-Séguin auch, jedenfalls bei seinem Konzert in Berlin mit den Philharmonikern; vielleicht ist es aber auch eine Eigenart der Berlin Phil, viel zu früh das Podium zu verlassen, zu einem Zeitpunkt, zu dem das Publikum sie noch gar nicht gehen lassen will - auch eine Art von Understatement. Nézet-Séguin übrigens, lieber Willi, ist Ende September, Anfang Oktober in Köln, Bonn und Dortmund zu erleben, u. a. mit Bruckner 7 und 8 - zwecks Anschauung charismatischer Bühnenpräsenz m. E. trotz seiner Jugend in hohem Maße zu empfehlen (was das angeht, im Anschluss an Alfreds Anfrage zu Thielemann: dieser ist mit Bruckner 8 Anfang September in Essen).

    Ist Harnoncourt "charismatisch" ?

    Was lässt mich hier so zögern? Gerade bei Harnoncourt, den ich so verehre? Ihm fehlt als wesentlicher Bestandteil des Charismas vielleicht der "Glamour"-Faktor. Er hat in seinem hohen Alter eine bezwingende Bühnenpräsenz. Willi hat ihn völlig zu Recht als charmanten Plauderer bewundert. Er wirkt wie eine große Persönlichkeit der "alten Schule". Vielleicht strahlt er zu viel Ernsthaftigkeit aus, vielleicht bringe ich ihm zu viel Ehrfurcht entgegen, und so würde ich sagen: Charisma im reinsten und ausschließlich positivsten Sinne strahlt auch Harnoncourt aus, ja.

  • Ihm fehlt als wesentlicher Bestandteil des Charismas vielleicht der "Glamour"-Faktor.


    Das berühmte gewisse Etwas ist bei Harnoncourt sehr wohl vorhanden, der Glamour-Faktor fehlt. Den hatte nun mal Karajan, Flugzeug, schicke Sportwagen, Jacht, hübsche Frauen, all das gehört natürlich auch dazu.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat

    Zitat von Ullrich: (Zitat von William B.A.: Markus Stenz wird m.E. zunehmend charismatisch) Ja, unbedingt. Und da lasse ich die KollegInnen in Wien, Salzburg, Zürich, Berlin, München und Dresden gerne über mich Trampel in der Provinz lächeln, wo ich mich mit angeblich nachrangigen Orchestern aus der zweiten Reihe abgeben müsse.

    Dem stimme ich voll zu, lieber Ullrich. Zumindest das Gürzenich-Orchester und das WDR-Sinfonie-Orchester gehören in die erste Reihe der deutschen Orchester, über das Orchester der Bonner Beethovenhalle kann ich nicht urteilen, weil ich es noch nie gehört habe. Aber da vertraue ich deinem Urteil, lieber Ullrich.
    Und Markus Stenz kenne ich nun mittlerweile seit seiner ersten Saison als Chef in Köln, weil ich damals ein Gürzenich-Abo hatte und ihn in dieser Zeit mehrfach erlebt habe, aber auch in Dortmund habe ich ihn konzertieren sehen. In Erinnerung ist mir eine Matthäus-Passion vor etlichen Jahren am Karfreitag, wo er eine Tradition eines anderen charismatischen Dirigenten aufgegriffen hatte, der diese Karfreitags-Matthäuspassion vor Jahrzehnten begründet hatte und der schon vor Jahrzehnten das Gürzenich-Orchester aus der zweiten Reihe geholt und ihm internationale Anerkennung verschafft hatte: Günter Wand.
    Und letztlich hat vor 107 Jahren ein anderer charismatischer Dirigent mit diesem Orchester seine eigene 5. Sinfonie uraufgeführt: Gustav Mahler, dessen 1. Sinfonie gestern Abend in Köln durch den charismatischen Markus Stenz eine mitreißende Aufführung erfuhr.
    Was nun Nikolaus Harnoncourt betrifft, so ist doch seine Ernsthaftigkeit m.E. ein unverzichtbarer Teil seiner "gewinnenden Ausstrahlung", mit der "Charisma" allgemein bezeichnet wird.


    Die von dir erwähnte "Go-Live"-CD, lieber Ullrich, habe ich natürlich gestern Abend auch mitgenommen, für die Autogramme durch Stenz und Helmchen und einen kurzen Wortwechsel fehlte mir leider die Zeit, weil mein letzter Zug um 22.49 Uhr ging. Dafür konnte ich mir aber auf dem 2. Teil meiner Heimreise im Auto schon die ganz ausgezeichnete Aufnahme von Beethovens 5. KK anhören und kann deine Eindrücke von Martin Helmchen eindrücklich bestätigen, über den ich mich in dem anderen Thread ja schon ähnlich ausgedrückt hatte.


    Thielemann am Anfang September in Essen ist Auftaktkonzert meines neuen Essener Abos. Ich hatte ja vom Sonntagsabo auf das Abo "Große Orchester" gewechselt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ein Dirigent, dem ich persönlich Charisma zugestehen will (wenngleich ich ihn nie persönlich in einem Konzert oder in einer Oper kennengelernt habe) ist Rafael Kubelik.


    Was ich über diesen Musiker weiß, habe ich gelesen, habe von anderen gehört, wie sie über ihn gedacht und emotional geurteilt haben. Und da erscheint vor meinem geistigen Auge ein im besten Sinne wirkender Kapellmeister der alten Schule, der über Kompetenz seine Auffassung dem Orchester "übergestülpt" hat. Der brauchte keine Keule, auch keine theatralischen Toscanini-Ausbrüche oder Bernsteinschen Trampolin-Sprünge.


    Und aus diesem Grund nenne ich ihn noch heute meinen Lieblingsdirigenten - all die Platten, die ich hatte, sind verkauft und verschenkt worden, weil ich mir dann die CD's kaufen wollte. Und beim Wollen ist es geblieben, leider! Aber angeblich stirbt ja die Hoffnung zuletzt und ich finde mal aus meiner unendlichen und unübersichtlichen Wunsch-Warte-Liste die erlösenden Kaufanreize...

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Charismatische Persönlichkeiten in der Musik müssen für mich drei Dinge haben:


    1. Sie müssen wahlweise ein Instrument, die Leitung eines Orchesters oder das Komponieren so beherrschen, dass das Werk an sich (Komponisten) oder die Interpretation (Instrumentalisten, Dirigenten) mir einzigartig erscheint, und ich vor Bewunderung dieser Kunst nahezu in Erfurcht erstarre (Gesang berührt mich nie besonders - daher hier nicht aufgeführt)


    2. Weiterhin muss ich das Gesicht und die körperliche Präsenz attraktiv finden (es geht dabei in keiner Weise um landläufige Schönheitsmerkmale)


    3. Die bekannten Details über die Persönlichkeit des jeweiligen Menschen müssen ihn sympahtisch bzw. nicht allzu egoman und rücksichtslos erscheinen lassen.




    Beispiele: Dimitri Schostakowitsch, Bruno Walter, Leonard Bernstein, die Schwestern Labèque, Evgeny Kissin, David Oistrach, Yehudi Menuhin, Martha Argerich


    Vor Jahren hätte ich auch Glenn Gould aufgeführt. Doch mittlerweile habe ich wohl zu viel von ihm/über ihn gelesen und gesehen: Seine ungeheuer neurotische Art bzw. die Symptome seines High-function-Autismus (Verdachtsdiagnose) mindern den Hörgenuß und die Anziehung für mich doch erheblich. Diese seltsamen Verhaltensweisen habe ich beim Hören immer vor Augen bzw. im Kopf...

  • Da komme ich nicht umhin, eine Persönlichkeit zu nennen, die mich (außer der wörtlichen) in jeder Beziehung hingerissen hat:


    Birgit Nilsson


    Wer diese Elementarerscheinung je erleben durfte, mußte einfach von ihr begeistert gewesen sein. Ihre Bühnenpräsenz in Verbindung mit dieser singulären Stimmpracht waren wohl einzigartig und konnten in der Nach-Nilsson-Ära nie wieder erreicht werden.


    Neben ihren unvergessenen Wagner-Partien beeindruckte mich Birgit Nilsson vor allem als Elektra, wo sie bereits im Auftrittsmonolog eine dramatische Steigerung erreichte, die nicht mehr von dieser Welt war. Für mich war sie DAS sängerische Elementarereignis meiner Opern-Stehplatz-Ära.


    Natürlich wären noch so manche Künstler zu nennen, die charismatisch waren - zum Teil wurden sie ja schon genannt (vor allem Carlos Kleiber, Bernstein oder du Pré), deshalb muss ich an dieser Stelle eine Persönlichkeit würdigen, die nicht nur durch ihr Charisma, sondern auch durch ihre musikalische Faszination das Publikum frenesierte:


    Stéphane Grappelli


    Jedesmal, wenn ich ihn erleben durfte, war ich der Überzeugung, besser und überzeugender kann man diese Stücke nicht präsentieren. Grappellis seltene Auftritte in Wien gerieten stets zu beglückenden Sternstunden.


    Grüße aus Wien
    von Fritz

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Ich weiß nicht ob "charismatisch" (in unserem Falle) mit "musikalisch überzeugend" gleichzusetzen ist, ich glaube auchnicht daran, daß man sich Charisma "erarbeiten" oder "erwerben" kann (die PR-Industrie glaubt dies indes schon)
    Sondern Charisma ist eine gewisse Ausstrahlung, eine Präsenz.
    Einem charismatischen Künstler können sich nur wenige entziehen - auch wenn sie ihn persönlich nicht mögen.
    Charisma lässt sich nicht gut in Worte fassen. Solch ein Mensch kann als strahlender Scharlatan auftreten, als begabter Redner - oder aber scheinbar farblos in einer Ecke sitzen - dennoch wird sich das allgemeine Interesse immer auf ihn richten.


    Charismatische Personen können durchaus egoman und herrschsüchtig wirken - es wird niemanden stören. Und wenn ein Charismatischer Pianist mal danebenhaut - wen stört das schon ?


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Einem charismatischen Künstler können sich nur wenige entziehen - auch wenn sie ihn persönlich nicht mögen.

    Genau wie bei Politikern in Österreich und Deutschland, obwohl das keine Künstler (im engeren Sinne) sind.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • ich glaube auchnicht daran, daß man sich Charisma "erarbeiten" oder "erwerben" kann


    Hier möchte ich Dir etwas widersprechen, lieber Alfred. Neben einer gewissen (angeborenen) Begabung, sind wesentliche Merkmale von Charisma Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl. (Letzteres oftmals negativ übersteigert). Diese beiden Merkmale müssen eigentlich, neben einigen anderen Komponenten, "erworben und erarbeitet" werden. Daraus entsteht dann auch eine gewisse Dominanz, ein weiterer wichtiger Faktor für Charisma.

    Charisma ist eine gewisse Ausstrahlung,eine Präsenz

    Das ist ohne Zweifel richtig. Ein schüchterner, introvertierter Mensch wird aber in der Regel kaum charismatisch sein.

    Doch, die meisten sind es. Nämlich " Schauspieler ".


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Diese beiden Merkmale müssen eigentlich, neben einigen anderen Komponenten, "erworben und erarbeitet" werden.


    und das ended dann meist in "aufgesetzter" Autorität, was mit Charisma wenig zu tun hat.
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • "aufgesetzter" Autorität, was mit Charisma wenig zu tun hat.


    Natürlich hat auch das mit Charisma zu tun, wenn auch in negativer Form. Ein charismatischer Mensch muß doch keinesfalls nur positiv sein. Das habe ich in meinem Beitrag aber auch beschrieben. Du mußt eben auch richtig lesen. Ich zitiere mich noch mal auszugsweise:

    Selbstwertgefühl. (Letzteres oftmals negativ übersteigert).

    Ich wäre sehr gespannt auf eine Meinungsäußerung zu dem Thema von unserem geschätzten Operus, der aufgrund seiner Lebenserfahrung bestimmt etwas dazu sagen könnte. Außerdem war er ja beruflich auch in den Bereichen Psychologie / Soziologie tätig.
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Charisma kann man nicht lernen und nicht erwerben.
    Charisma wird sehr wohl gelehrt - bzw "Wie wirke ich charismatisch?" - und es wird für derlei eine Menge Geld genommen. Politiker und Manager machen solche sündteuren Kurse. Aber will jemand allen Ernstes behaupten, daß die Politier der Gegenwart Charisma hätten ? :D
    Einstudiertes Charisma, bzw Bewegung, Tonfall und Mimik, die Charisma vortäuschen sollen - können heute allenfalls sehr dumme Leute beeindrucken - der Rest durchschaut - bewusst oder unbewusst - die Maske.


    Kommen wir nun zu jenem Spezialbereich, der uns interessiert.
    Zur klassischen Musik.
    Wer hat HEUTE noch Charisma in der klassikszene ?
    Kaum jemand
    Nach Karajan wäre noch Celibidache in Frage gekommen.
    Doch - einer fällt mir ein: Christian Thielemann.
    Dieser Mann hat Charisma - egal ob man ihn nun als Musiker oder Mensch mag oder ablehnt.
    Wo er in Erscheinung tritt polarisiert er.
    Und egal ob ihm das angenehm ist oder lästig - es ist ein Faktum.
    Charisma ist nicht nur eine Gabe - es kann auch ein Fluch sein.


    Die Tonträgerindustrie ist stets auf der Suche nach charismatischen aber dummen, pflegelichten Künstlern, die sich manipulieren lassen, und mit deren Hilfe das Publikum manipuliert werden kann.
    Glücklicherweise gibt es sowas nicht....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Von den lebenden Dirigenten würde ich folgenden das Attribut "charismatisch" zugestehen:


    - Claudio Abbado
    - Daniel Barenboim
    - Christoph von Dohnányi
    - Sir Neville Marriner
    - Seiji Ozawa
    - Georges Prêtre


    Mehr fallen mir spontan nicht ein.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph,


    ich würde auf jeden Fall noch Riccardo Muti nennen wollen.


    Gruss
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

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