Es geschah einmal vor inzwischen ziemlich vielen Jahren hinter sieben Bergen und sieben Wäldern im schönen Thüringen, daß der Sozialismus und die gleichnamige Planwirtschaft am Ende waren, genauso wie der dazugehörige Staat.
Nun schauten die Brüder und Schwestern aus der „Zone“ sehr begierig und sehr, sehr naiv auf die Segnungen der freien Marktwirtschaft.
Da begab es sich, daß in ihren Wäldern ein Pilz auftauchte: Reiner Pilz, und eigentlich war er sogar einer der ihren. Einer, der ihnen versprach, ein Märchen wahr zu machen. Und sie glaubten ihm und öffneten ihre Herzen und ihre Geldbörsen und die Politik räumte alle Hindernisse aus dem Weg und in Albrechts in Thüringen begann ein kleines Wirtschaftswunder sein Leben….
Ein Leben, daß leider ein ziemlich kurzes war. Als die mittlerweilen Neu-Bundesbürger begannen, ihre Naivität abzuschütteln und die Gesetze der freien Marktwirtschaft kapiert hatten, mußten sie feststellen, daß aus dem versprochenen Märchen eine Posse geworden war. Eigentlich eine Tragödie, die aber gewisser komischer Elemente durchaus nicht entbehrte.
Aber lest selbst, ich habe einige Presseveröffentlichungen zusammengefaßt und stark gekürzt. Alle dürften sich auch relativ leicht ergoogeln lassen, falls tieferes Interesse besteht.
Und so fing alles an:
Zitat12.01.1990 – Computerwoche
Robotron und Pilz vereinbaren Joint-venture
BERLIN (vwd) - Am Rande der politischen Gespräche wurde in Dresden das erste deutsch-deutsche Joint-venture zwischen dem Kombinat Robotron und der Firma Pilz, Kranzberg bei München, vereinbart. Das Projekt sieht den Bau eines Produktionswerkes für Compact Discs vor, meldete ADN am Mittwoch. Pilz hält 33 Prozent an dem Gemeinschaftsunternehmen. Die Finanzierung wurde mit Vertretern der Dresdner Bank beraten. Die Anlage wird voraussichtlich Ende 1991 die Produktion aufnehmen und dann rund 250 Mitarbeiter beschäftigen.
Die Investition werde über weltweite Exporte refinanziert. Neben der CD-Produktion entstehe auch die größte Boxen- und Trays-Fertigung zur Verpackung von CD in Europa. Der Bedarf der DDR an CD für Unterhaltungselektronik und optische Datenträger werde damit zugleich gedeckt.
Da war die Welt noch in Ordnung:
Zitat26.04.1993 – Focus
Neuer Sound aus Thüringen
Wenn Bürgermeister Bruno Endter aus dem Fenster schaut, kann er den Aufschwung sehen.
Der neue Stolz steht am Hang oberhalb von Albrechts: Ein futuristischer Flachbau aus Glas, Stahl und Granit, die modernste CD-Fabrik Europas. Seit der Münchner Compact-Disc-Hersteller Reiner E. Pilz an einem neuen Werk für jährlich 50 Millionen Silberscheiben baut, boomt das 1000-Seelen-Dorf.
Mit der Einweihung der Fabrik am Mittwoch nächster Woche geht ein Kapitel deutsch-deutscher Geschichte zu Ende. Die CD-Fabrik war das erste nationale Joint-venture. Gleich nach der Wende zwischen Pilz und dem damaligen Kombinat Robotron vereinbart, hatte es alle Probleme des Aufschwungs Ost: Grundstücksstreit und Bürokratie, Pleite des ostdeutschen Partners und Menschliches zwischen Ost und West. Aber es beweist: Der Aufschwung ist machbar. Pilz und Albrechts – ein Mikrokosmos der deutschen Einheit.
Durch die Produktion in Thüringen wird Pilz zum fünftgrößten CD-Hersteller der Welt und damit Konkurrent von Sony und Philips.
Vor der Pleite kam das Pech:
Zitat16.08.1993 - FOCUS
Peinliche Panne für Pilz
Der großartigen Einweihung des Pilz-CD-Werks in Albrechts, Thüringen, folgt die Ernüchterung. Erst mußte Firmengründer Reiner Pilz seine Mannschaft unerwartet für drei Wochen in Werksurlaub schicken. Und wenn dann die Pflichturlauber zurückkehren, erwartet sie Kurzarbeit. Die Gründe für die drastische Schlankheitskur sind neben schwächerer Nachfrage hauptsächlich in dem neuen Wunderpatent von Pilz zu suchen: Die CD-Doppelbox – so schmal wie eine normale CD-Hülle, jedoch für zwei CDs konzipiert – sollte den Markt erobern. Leider gibt es für diese Innovation aber keine Verpackungsmaschinen und somit keine Nachfrage. Folge: Lagerhallen voller schlanker Plastikhüllen.
Und der Ärger beginnt, und zwar massiv:
Zitat15.04.1994 - FOCUS
Glücks-Pilz im Zwielicht
Brüssel prüft, ob sich der schillernde CD-Fabrikant Reiner Pilz mit überhöhten Kosten Millionensubventionen gesichert hat. Bei Banken und Politikern mehren sich die Zweifel über das merkwürdige Geschäftsgebaren des Multiunternehmers. Sein marodes CD-Werk im thüringischen Albrechts retteten Banken und Landesregierung zwar im März 1994 gerade noch vor dem Konkurs.
…der Europäischen Kommission erscheint der schnelle Deal suspekt. In Brüssel, so verlautet aus EU-Kreisen, wird geprüft, ob europäische Gelder an Pilz „unberechtigt geflossen“ seien.
So präsentierte Pilz für sein Thüringer CD-Werk Gesamtkosten über 286 Millionen Mark bei einer Produktionskapazität von 50 Millionen CDs im Jahr. Branchenexperten rätseln, weshalb der Politiker-Freund, …derart teuer bauen durfte. Otto Zich, Generaldirektor von Sony Österreich: „Ein Werk mit gleicher Kapazität hätte uns nur um die 80 Millionen gekostet.“ Fazit: Je höher Pilz die Kosten kalkulierte, desto dickere Subventionen flossen in die Firmenkasse.
Diesen sehr ausführlichen Artikel, der die Vorgänge gut zusammenfaßt, empfehle ich allen tiefer Interessierten:
ZitatAlles anzeigen07. Juli 1995 - DIE ZEIT
Pionier in Nöten
Ein Pionier steht vor dem Scherbenhaufen. Schon vor einem Jahr mußte Reiner E. Pilz, einst Symbolfigur für den Aufschwung Ost, sein mit viel Vorschußlorbeeren bedachtes CD-Werk in Thüringen verkaufen. In den deutsch-deutschen Flitterwochen des Jahres 1990, als der Bundeskanzler blühende Landschaften versprach, war Reiner Pilz der Vorzeigeunternehmer der Politik. Er brachte das erste deutsch-deutsche Joint-venture mit dem Elektronikkombinat Robotron auf den Weg. Das modernste CD-Werk Europas entstand in Albrechts, einem kleinen Örtchen in der Nähe von Suhl. Pilz schien der lebende Beweis dafür zu sein, daß all die hochfliegenden Erwartungen in die Einführung der Marktwirtschaft Realität werden würden. Sogar die New York Times widmete dem bayerischen Mittelständler ganze Seiten.
Noch unter DDR-Recht, mit Sondergenehmigungen der Regierung Hans Modrow, wurde die Gründung des rund 300 Millionen Mark teuren Gemeinschaftsprojektes unterzeichnet.
Pilz strebte einen Anteil von zehn Prozent an der weltweiten CD-Produktion an. Schon 1988 war er als Außenseiter mit seinem Kranzberger Werk in den von Sony und Bertelsmann dominierten Markt eingedrungen. Dank seiner bis dahin einzigartigen vollautomatischen Produktion lehrte er die Konkurrenz das Fürchten.
Kein Fortschritt am Bau des Werkes in Albrechts war der Politprominenz zu gering, um durch ihre Anwesenheit Unterstützung für den Aufschwung Ost zu demonstrieren. Reiner Pilz wunderte sich zu jener Zeit noch, "daß nicht Abertausende von Unternehmen aus der westlichen Welt die Riesenmarktchance in den neuen Ländern erkannt und ergriffen haben".
Eigentlich hätte er es schon damals besser wissen müssen. Sein Partner Robotron hatte im scharfen Wind der freien Marktwirtschaft keine Chance mehr. Die osteuropäischen Absatzmärkte waren zusammengebrochen, und die aus der DDR Zeit übernommenen Schulden ließen dem Unternehmen nicht den Spielraum, sich den kapitalistischen Verhältnissen anzupassen.
Die Banken sahen sich durch das Scheitern der Pilz-Gruppe bestätigt und weigerten sich, frisches Geld in das Unternehmen zu stecken. Wäre es nach ihnen gegangen, so hätte Pilz bereits im vergangenen Jahr Konkurs anmelden müssen. Seit Februar dieses Jahres ermittelt nun auch die Staatsanwaltschaft auf Antrag des Thüringer Wirtschaftsministeriums gegen Reiner Pilz, weil sie hinreichende Gründe für den Anfangsverdacht sieht, daß der Pionier sich im Osten des Subventionsbetrugs schuldig gemacht haben könnte. Rund 62 Millionen Mark kassierte das Gemeinschaftsunternehmen Pilz-Robotron an Subventionen für den Bau des CD-Werkes, wobei die Pilz-Gruppe selbst mit ihren Konstruktions- und Maschinenbaufirmen das CD-Werk schlüsselfertig erstellte. Der Verdacht lautet nun, daß dies zu weit überhöhten Preisen geschehen sei. Reiner Pilz hält den Vorgang für eine "Rufmordkampagne".
Gar nicht nett, Herr Pilz:
Zitat20.09.1995 - Die Welt
Der tiefe Fall des einst gefeierten Investors Reiner Pilz
Gestern wurde Vollzug gemeldet: Der CD-Fabrikant Reiner Pilz ist verhaftet worden. Nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft Landshut steht der Vorgang im Zusammenhang mit möglichen Konkursdelikten.
Dabei galt der gebürtige Zwickauer, der sich 1961 mit einem einzigen Koffer in den Westen absetzte, noch bis vor zwei Jahren als erfolgreicher Gründer. "Ein typisch robuster deutscher Mittelständler", lobte ihn die "Financial Times" einmal.
In den zurückliegenden Monaten lauteten die Schlagzeilen anders: "Polizei überwacht Pilz-Werk", "Besuch vom Staatsanwalt" und "BKA beschlagnahmt Akten".
Im Niedergang offenbarte der Sachse einen bislang unbekannten Charakterzug: Er schlug um sich. Für die Ost-Pleite fand Pilz eine simple Erklärung: "Da drüben herrscht doch noch tiefster Sozialismus."
Und dies ist ja dann wohl das Sahnehäubchen:
Zitat13.11.1995 - Focus
Illegaler Sound
Der Chef sitzt schon längst in Untersuchungshaft. Trotzdem stattete eine Delegation von Gläubigern, Konkursverwaltern und Vertretern der Musikbranche dem Pilz-Werk im bayrischen Kranzberg einen Besuch ab. Bei ihrer Inspektion des Lagers Anfang November stießen die Geschäftsleute auf 47 Paletten mit illegal gepreßten Polygram-Compact-Discs (CD). Verkaufswert rund 2,7 Millionen Mark.
Die heißen Pilz-Platten sind technisch absolut identisch mit legalen Scheiben. Der Unternehmer hat schlicht „überpreßt“, d. h. ohne Lizenz mehr CDs hergestellt.
Den üblen Trick wendete Pilz nicht zum erstenmal an. Vor zwei Jahren teilte der Plattenproduzent dem deutschen Vertriebs-Geschäftsführer der Klassik-CD-Firma Naxos aus Hongkong, Wolfgang Ruso, mit, er besitze nach erledigten Preßaufträgen keinerlei Naxos-Material mehr. Zwei Tage später erfuhr Ruso, der selbst einmal bei der Firma Pilz beschäftigt gewesen war, über Informanten, daß der Unternehmer in seinem thüringischen Werk in Albrechts 800 000 Naxos-CDs auf Lastwagen laden ließ, um sie in sein Lager in den USA zu verschiffen.
Das Pilz-Gericht wird immer unverdaulicher:
Zitat19.06.2000 - Infosat
Ex Pilz CD Werk Thüringen muß zurückzahlen
Das Suhler CD Presswerk aus der ehemaligen Firmengruppe von dem in Haft sitzenden Rainer E. Pilz muß voraussichtlich staatliche Beihilfen von etwa 400 Millionen Mark zurückzahlen. …weil die Subventionen der Länder Thüringen und Bayern sowie der Treuhandanstalt nicht mit EU Richtlinien in Einklang standen.
Zitat27.02.2001
Manager-Magazin
Wegen Betruges und Beihilfe zum Betrug hat die Staatsanwaltschaft Mühlhausen erneut Anklage gegen den bayerischen CD-Fabrikanten Reiner Pilz, 58, und 14 weitere Angeschuldigte beim Landgericht Mühlhausen erhoben.
Zitat19.04.2004
Wirtschaftswoche
Sieben Jahre Haft für CD-Fabrikant Pilz
Im größten Thüringer Wirtschaftsprozess ist der ehemalige CD-Fabrikant Reiner Pilz wegen Betrugs zu einer Gesamtstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. In das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom Montag ging eine Verurteilung zu sechs Jahren aus einem früheren Verfahren ein. Die Anklage hatte Pilz zum Schluss noch einen Schaden von sieben Millionen Euro beim Bau der CD-Fabrik in Suhl-Albrechts vorgeworfen.
Pilz sagte in einer Verhandlungspause, mit dem Urteil solle wahrscheinlich ein Exempel statuiert werden. Er habe beim CD-Werk nur „draufgezahlt“.
Sämtliche mit dem Projekt befasste Stellen seien über die überhöhte Investitionssumme informiert gewesen. Der Vorsitzende Richter Michael Krämer sagte, dass Thüringer Wirtschaftsministerium habe Fördermittel in Höhe von 20 Millionen D-Mark (10,2 Mio Euro) ohne Prüfung ausgezahlt, nachdem die Mittelverwendungs-Kontrolle durch ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen im Januar 1993 eingestellt wurde.
Zitat27.04.2004
Manager-Magazin
Reiner Pilz: Prozess auf "Repeat"
Vier Jahre dauerte das Verfahren gegen Reiner Pilz, der mit seiner CD-Fabrik in Thüringen das erste deutsche-deutsche Joint Venture zustande gebracht hatte. Doch weder er noch die Staatsanwälte geben sich geschlagen. Die gegen den früheren CD-Fabrikanten Reiner Pilz verhängte Gesamtstrafe von sieben Jahren wegen Betrugs kommt auf den Prüfstand des Bundesgerichtshofs.
Zitat27.06.2006
Handelsblatt
BGH stellt Betrugsverfahren gegen ehemaligen CD-Fabrikanten ein
Das Revisionsverfahren im Betrugsprozess gegen den ehemaligen CD-Fabrikanten Reiner Pilz wird auf Antrag der Bundesanwaltschaft eingestellt. Das teilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe mit. Damit entfällt allerdings nur ein Teil der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, die das Landgericht Mühlhausen gegen den bayerischen Unternehmer im April 2004 im größten Thüringer Wirtschaftsprozess verhängt hatte.
Wer von Euch bis hier durchgehalten hat, wird sich nun mit Recht fragen, was das alles mit Tamino und Klassik zu tun hat....
Gut, ich gebe zu, diese ganze Geschichte ist eigentlich nur Beiwerk, aber sie ist meiner Meinung nach hochinteressant. Und sie beleuchtet ein wenig das, was ich Euch im nächsten mykologischen Beitrag erzählen möchte....
Reinhard