Wodurch ist Schuberts Ausnahmerang als Liedkomponist begründet?

  • Lieber farinelli,



    meinem Beitrag liegt die Interpretation von Fischer-Dieskau/Eschenbach/1974-76 zugrunde (mit der ich voll einverstanden bin). Im Folgenden handelt es sich stets um mein Verständnis!


    1. Strophe: Mit der besonderen Phrasierung auf "Wolken" - und finde den musikalischen Ausdruck entsprechend - will Schumann die aufkommenden Erinnerungen ausdrücken, die sich von der Beschreibung der Ausgangssituation "In der Fremde" sehr unterscheidet (siehe Textinterpretation). Die Stimmung -Wehmut - ist musikalisch treffend umgesetzt und aus "laaange" kann ich kein "schaurig verzerrt" heraushören - es liegt eben "laaange" zurück (könnte es sein, dass ein Rezitator des Gedichtes auch "laange" liest und nicht "lange"?) Die unterschiedliche Harmonik bei Vater und Mutter könnte die unterschiedliche Erinnerung an Vater + Mutter ausdrücken - oder gab es ein besonderes Wesensmerkmale von Schumanns Mutter (?). Die identischen Phrasierungen auf "…keiner…" und "…Wolken…" sind durch die örtliche Herkunft bestimmt.


    2. Strophe: "Wie bald … ruhe ich auch" - das ist in Dur(!) und wechselt erst bei der Wiederholung "…ruhe ich auch" in moll (!) (…auch… höchster Ton der Komposition - Vergleich mit Schubert …balde … auch höchster Ton des Liedes - mein Beitrag, Lebensende, höchster Punkt der Lebenszeit). "Und über mir…Waldeinsamkeit", Wehmut wie in der 1. Strophe, individuelle Lebensvergänglichkeit (siehe Textinterpretation). Identische Phrasierung wie Strophe 1 bei "…keiner…"und nun bei "…kennt…": Auch dann kennt ihn keiner mehr (1.Strophe - hier liegt die Betonung auf dort, in der Heimat, kennt ihn keiner mehr; 2. Strophe - hier liegt die Betonung auf (dann) keiner kennt ihn mehr hier.)


    Im Gegensatz zu Schumanns "Über allen Gipfeln…", zu dessen Vertonung ich keinen Zugang gefunden habe, kann ich diese Vertonung voll nachvollziehen und akzeptieren - und kann keine "panische Grundstimmung" erkennen.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Walter.T,
    ich bin mir ziemlich sicher, dass sich das Lied Schuberts durch zwei Eigenarten von dem anderer Komponisten deutlich abhebt (ohne dass damit ein Qualitätsurteil verbunden ist):


    - durch den direkten Ansatz am lyrischen Text, der so in musikalische Struktur umgewandelt wird, dass er zwar als solcher erhalten bleibt, aber durch die neue Form im Ausdruck verstärkt und in den Dimensionen erweitert wird, ohne dabei, wie etwa bei Schumann, interpretiert zu werden;


    - durch die ganz spezifische Eigenart seiner Melodie, die sich, so weit dies immer jeweils möglich ist, an der Schlichtheit des Volksliedes orientiert.


    Und das heißt: Die Melodie ist
    - möglichst in sich geschlossen;
    - in ihrer Gestalt unverschörkelt und frei von Melismen;
    - zeigt eine ausgeprägte Weite des Periodisierens
    - und sie weist eíne ausgeprägte Kantabilität auf.


    Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese beiden Eigentümlichkeiten des Schubertliedes eng miteinander zusammenhängen.
    Man muss das einmal an Beispielen zeigen.


    Wenn es Dir möglich ist:
    Höre Dir einmal die beiden Vertonungen von Uhlands "Frühlingsglaube" durch Conradin Kreutzer und Franz Schubert hintereinander an. Hier ist überdeutlich zu hören, was ich meinte mit dem Abschütteln aller Melismen und Fioraturen bei Schubert, und zwar um der Einfachheit der melodischen Linie willen.
    (Die Kreutzer-Vertonung ist das Lied Nr.2 auf der CD mit Peter Schreier.)


    Ich werde auf diesen Punkt noch einmal eingehen. Er berührt tatsächlich, wie Du sagst, den Kern des Schubertliedes.

  • Lieber Secondo,


    ich habe mich gestern auf der Arbeit selbst an unseren guten alten Bechstein-Flügel gesetzt und mir den Schumann aus dem Gedächtnis zusammengesucht.


    Zum ersten schicke ich voraus, daß ich das Lied nur vertont und gesungen aus op. 39 kenne. Es fällt mir schwer, die Lektüre "unschumannsch", also "eichendorffsch" vorzunehmen.


    Ich bin im Ganzen d´accord mit Deinen Anmerkungen. Allerdings ist die atmosphärische Eröffnung der ersten Strophe nicht so eindeutig - in meinem Leben habe ich noch keine roten Blitze zu sehen bekommen (außer in der Disco ...). Bei Schumann, aber auch bloß bei Eichendorff wirkt das auf mich immer unheilvoll (gerade in seiner Unauflöslichkeit).


    "Aber Vater und Mutter sind lange todt" -


    dieser Vers ist für mich schockierend - so unvorbereitet nach den heimatlichen Wolken. Der Gedichtduktus ist tatsächlich gelassener als die Vertonung - das "da ruhe ich auch" bezieht sich auf das "lange tot" der Eltern - allerdings hat Schumann diesen Bezug nicht herausgestellt.


    Ich widerspreche Dir auch beim betonten "lange [todt]" - Eichendorff dichtet daktylisch, also weiblich (quasi im drei-achtel-takt); Schumann vertont geradtaktig (quasi im zwei-viertel-takt); alle Betonungen werden gedehnt. "Vater und Mutter" sind lyrisch eine einheitliche Phrase; Schumanns chromatische verminderte Septimenakkord-Rückungen leuchten den Vers ganz anders aus, sie entziehen dem Subjekt, dem Ich, plötzlich den (harmonisch festen) Boden.


    Fischer-Dieskau 1955 und 1961 (?) färbt seine Stimme an dieser Stelle entsprechend ab - moderne Sänger tun das eher nicht; sie "lesen" quasi das Gedicht in einer einheitlichen Stimmfarbe (ich finde das grausig steril).


    Spiel Dir mal selbst die scheinbare Dur-Aufhellung bei "Wie bald, ach wie bald ..." vor - der Baßdurchgang dis-e-fis-dis trägt einen Quintsextakkord (auf dis), der über den quasi subdominantischen Quartsextakkord auf e (A-dur) - da ru- - und den Sekundakkord auf d (Dominatsept der Durparallele) -he ich auf dem Terzquart auf cis kulminiert - auch: alles andere als eine befreiende Wendung; bloß eine brüchige Episode, die sich sofort wieder nach moll eintrübt.


    Ich, das mag eine Idiosynkrasie von mir sein - höre aus dem Gedicht in der Vertonung durch Schumann eine angstgeladene Todesreflexion heraus, die in der außerordentlich gedehnten, langgezogenen "schöne(n) Waldeinsamkeit" kulminiert - Schumann bezieht sie harmonisch auf die subjektive Entwurzelung angesichts des Todes der Eltern, zumal der Mutter (er hyperbetont also das Moment der existentiellen "Einsamkeit" in der Waldeindsamkeit).


    Eichendorff schreibt sein Gedicht zuletzt aus einer religiös gefaßten Haltung, "fremd bin ich dort; bald bin ich´s hier". Fremde als irdische Zwischenstation, ganz im Sinne der Winterreise - "Fremd bin ich eingezogen; fremd zieh ich wieder aus". - Schumann gestaltet demgegenüber das Grauen angesichts dieser totalen "Fremde" der sterblichen Existenz, die dem Subjekt plötzlich in all ihrer Intensität bewußt wird. Eine nachtschwarze Variante zu : "Oh Gottes Welt, oh Mutter, ist so schön ..."

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber farinelli,


    in aller Kürze:


    1. Es ist unvermeidlich, dass sich unterschiedliche/s Textauffassungen/Textverständnis im individuellen Musikerlebnis niederschlagen.


    2. Ich kenne rote Blitze (als Folge eines "laange" zurückliegenden schweren Schocks), interpretiere hier aber eine Zeitaussage: Aus der Heimat (zeitlich) hinter den Blitzen - Erinnerungen an die unbelastete Jugendzeit aus der jetzt belasteten Zeit.


    3. Es ist "brüchiges" Dur, ein kurzes, verschattetes Aufleuchten, kein "Strahle-C-Dur".


    4. Vater und Mutter sind la ange tot - diese Betonung höre ich.


    5. Helmuts Aussage von der - auch durch iindividuelle Erfahrungen geprägten - Vieldeutigkeit kommt (wie stets) zum Tragen. Ich erlebe Gedicht und Musik etwas "heller", weniger befrachtet".


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Nur eine kleine Anmerkung zu eurer Debatte (die ich fasziniert verfolge), lieber farinelli und lieber zweiterbass:


    Die "roten Blitze" bei Eichendorff muss man gar nicht irgendwann einmal gesehen haben, weil Eichdorffs Bilder keine Abbildung von Realität sind, sondern von ihm als gleichsam "metaphorische Sprachfiguren" verwendet werden.
    Ich erinnere an den eingeschlafenen alten Ritter und seinen eingewachsenen Bart. Den kann man auch noch nie gesehen haben. Nicht nur der schläft bei Eichendorff, sondern auch Burgen und Schlösser tun das zuweilen.


    Die Funktion dieser Bilder innerhalb der Eichendorf-Lyrik ist die eines "evokativen Äquivalents".
    Das ist im Fall von den "roten Blitzen" besonders deutlich zu erkennen.
    Dieses Bild ist für Eichendorffs Lyrik ungewöhnlich modern. Es gehört von seiner sprachlichen Konstruktion her eigentlich in den Expressionismus, könnte bei Trakl vorkommen.


    Das Bild soll nichts abbilden, es soll Assoziationen auslösen (evozieren). Diese Assoziationen stehen in ihrer Gesamtheit für das, was Eichendorff in diesem Fall als Lyriker sagen will. Sie haben in bezug darauf die Qualität eines "Äquivalents".
    Daher dieser germanistische Terminus technicus.

  • Ich muss schon wieder einen Nachtrag machen.
    Der ist mir aber sehr wichtig, weil es hier letzten Endes um das Kunstlied geht.


    Ich sprach von den "roten Blitzen". Und das war ein böser Fehler.
    In der Lyrik ist jede Stelle wichtig, an der ein Wort steht.
    Und bei Eichendorff heißt es" "Blitzen rot".


    Das "rot" bekommt dadurch, dass es nicht in der üblichen Weise als Adjektiv vor das Substantiv gesetzt wird, ein viel größeres Gewicht.


    Und was macht Schumann?
    Er setzt die drei Silben "Blitz", "en" und "rot" auf denselben Ton. Da steht in den Noten dreimal ein Gis.


    Derselbe Ton drei Mal.
    Das heißt: Die winzige Sprachpartikel "rot" bekommt in der Komposition das Gewicht, das ihr vom Dichter zugemessen wird.


    Thema dieses Threads ist eigentlich Schubert.
    Aber gerade um seinetwillen sollte so etwas unbedingt hier angemerkt werden.
    Denn, ich sagte es ja, es geht hier letzten Endes um wesentliche Eigenschaften des Kunstlieds.

  • Lieber farinelli,
    lieber Helmut,


    ohne mich vordrängen und Euch das Schlußwort nehmen zu wollen: Dieses Thema ist, glaube ich, zur gegenseitigen Zufriedenheit (und Erkenntnissteigerung bei mir) zu einem "Wohlfühlabschluß" gebracht worden - bei aller unvermeidlichen und unüberbrückbaren Unterschiede im Textverständnis und Musikempfinden, gleichzeitig jedoch in der Akzeptanz des Individuums. [Es wäre ja nicht auszuhalten, würden wir unterschiedslos empfinden - die Einzigartigkeit ginge verloren - (wir müßten "Das klagende Lied" - ohne Hintergedanken - anstimmen - Oh, weh?)]


    Schubertlied "im Volkston": Ich mache nicht den Anfang - ich maße mir ja nicht einmal an, bei der Liedauswahl das "non plus ultra" getroffen zu haben - abgesehen von ganz anderen gravierenden Unterschieden. (Noch ist es für mich unbegreiflich, dass die Schubertlieder und die "große C-Dur-Sinfonie" vom selben Menschen geschaffen wurden - vielleicht ändert sich dies nach Abschluß von "Im Volkston".)


    Allerdings: Wenn keiner von Euch Beiden den Einstieg macht, bleibt mir wohl keine andere Wahl (na, das hätte ich nun wohl nicht schreiben dürfen, ich falle mir ja damit selbst in den Rücken).


    Wer kennt sich da nun noch aus?


    Herzliche Grüße


    "v e r w i r r t e r ?"


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Helmut Hofmann schreibt am 3. 9. 2010, dass er gerne Stellen in Goethes Werk benannt haben möchte, die preussischen Protestantismus atmen.


    Mit der preussischen Facette kann ich nicht dienen, aber mit dem Protestantismus möglicherweise doch.


    Goethe wuchs als strenger Lutheraner auf und hat die Bibel mehrfach ganz gelesen. Wie weit seine Vertrautheit mit dem Luthertum ging, kann man aus seinem ältesten gedruckten Werk entnehmen, das er als 15jähriger verfasst hat: "Poetische Gedanken über die Höllenfahrt Jesu Christi".


    Er hat zeitlebens Luther bewundert, sowohl als Theologe wie als Sprachschöpfer. Verschiedentlich hat er Zeugnis dafür abgelegt, dass er Luthers Theologie sehr gut verstanden und verinnerlicht hat.


    Er hat sich zu Zelters Plan, eine Kantate zum 300jährigen Jubiläum der Reformation zu schaffen, begeistert geäußert und eine Denkschrift verfasst, den Reformationstag als ein "Fest der reinsten Humanität" zu begehen.


    In seinem Gedicht "Dem 31. Oktober 1817" gedenkt er der Tradition der "Protestanten", über deren Aufrechterhaltung gegenüber den "Pfaffen" der "Prediger" wacht:


    Dem 31. Oktober 1817


    Dreihundert Jahre hat sich schon
    Der Protestant erwiesen,
    Daß ihn von Pabst- und Türkenthron
    Befehle baß verdrießen.


    Was auch der Pfaffe sinnt und schleicht,
    Der Prediger steht zur Wache,
    Und daß der Erbfeind nichts erreicht,
    Ist aller Deutschen Sache.


    Auch ich soll gottgegebene Kraft
    Nicht ungenützt verlieren,
    Und will in Kunst und Wissenschaft
    Wie immer protestieren.


    Um hier nicht den unberechtigten Eindruck zu erwecken, ich hätte selbst entsprechende Studien zu der Thematik Goethe - Luther - Protestantismus betrieben, möchte ich feststellen, dass ich meine Kenntnisse einem Festvortrag zu Goethes 261. Geburtstag am 28. 8. 2010 verdanke, den der Kölner Literaturwissenschaftler und Goetheforschwer Prof. Volker Neuhaus zu dem Thema "Ein Monument für Luthern" in Köln gehalten hat.


    __________________
    Portator

  • So, kurz vor meinem Urlaub* fange ich mal an.


    Helmut hat die Kriterien ja benannt:


    Und das heißt: Die Melodie ist


    - möglichst in sich geschlossen;
    - in ihrer Gestalt unverschörkelt und frei von Melismen;
    - zeigt eine ausgeprägte Weite des Periodisierens
    - und sie weist eine ausgeprägte Kantabilität auf.


    Der letzte Punkt scheint mir am wichtigsten (man hat z.B. Beethovens Partien, etwa im Fidelio, zu Recht als "am Rande des Singbaren" beschrieben).


    Der zweite Punkt ist zu diskutieren. Wenn man Händel, Bellini, Chopin oder Donizetti heranzieht, wirkt Schubert im Vergleich schlichter. Aber natürlich werden bereits im Volkslied und erst recht bei Schubert einzelne Silben über mehrere Töne gelegt; kleine Läufe und Schleifer verbinden die Kerntöne der Melodien; Seufzerketten ("Auf dem Wasser zu singen"), Vorschläge ("Tränenregen"), Doppelschlag ("Am Meer" "Harfner II"), figurative Melodik ("Ellens dritter Gesang") bis hin zu kantatenhafter Virtuosität ("Der Hirt auf dem Felsen") prägen das Spektrum.


    Vor allem enthält die Schlichtheit der Gesangslinie bei Schubert eine heimliche Hypothek auf die Komplexität der Begleitung - die volksliedhaft eingängige Melodie der "Forelle" ist untrennbar von der raffiniert schillernden und perlenden Sextolenfigur (nicht anders als im "Erlkönig", im "Gretchen am Spinnrad", im "Lindenbaum"). - Man darf sicher behaupten, daß die reich und ausdrucksvoll variierten Wiegenlied-Figuren z.B. im "Lindenbaum" sozusagen die ariosen Koloraturmöglichkeiten der Gesangslinie in den Klavierpart zurücknehmen.


    Gerade in diesem stetigen Umspielen, Verschleiern und farbigen Unterstreichen des Gesangs liegt ein Hauptcharakteristikum des Schubertschen Liedschaffens, das über den bloßen "Volkston" immer schon hinaus ist. - Wäre "Das zerbrochene Ringelein" von Schubert, würde das weniger die Melodie als die pianistische Einkleidung betreffen. Im Volkslied muß die Melodie alles sein (und man höre Elisabeth Schwarzkopf bei der Zeile "Sie hat die Treu´gebrochen"). Schubert, ein Meister des Strophenlieds, bricht doch gerade im Lindenbaum und in der Forelle mit dem vorgegebenen Schema und nutzt den Minore-Teil zu dramatischer Ausgestaltung. Sein strophisches "Heidenröslein" hingegen wurde zwar populär, traf aber nicht den Volksliedton so wie das (eigentlich larmoyante) von Werner vertonte.


    P.S.: Schubert komponiert aus der Haltung des Knaben (oder zumindest der des couplethaft frechen Gedichts); Werner aus der Haltung des leidenden Blümleins bzw. der dahingehenden "Mitleid heischenden" Textsignale (entsprechend getragen der Refrain).


    M.E. wird keine der Fassungen dem Gehalt der Verse


    Röslein sprach: Ich steche Dich,
    Daß Du ewig denkst an mich


    wirklich gerecht





    * Der ursprüngliche Beitrag stammt 14.09.2010 16:01 - wurde aber durch
    Das Fehlverhalten des Hosters Sprintweb und der unflexiben, unfreundlichen Geschäftsgebarung eines Nürnberger Rechenzentrums zerstört
    Da die Threadwiederherstellung jedoch ein Prokekt über Monate war - stimmt die einleitende Aussage
    in Bezug auf den Urlaub natürlich nicht mehr....

    Alfred, MOD 001

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich möchte in die Frage nach dem typischen "Schubertton" die historische Dimension einbringen. Sie scheint mir sehr wichtig.


    Ich hatte die These vertreten, dass man das Schubertlied in seiner spezifischen Eigenart als Ergebnis eines Emanzipationsprozesses verstehen könne.
    Schubert löste sich radikal von einer Tradition, die das Kunstlied als eine Art "kleine Schwester" der Arie verstand. Sie ist im wesentlichen von Heinrich Schütz und Johann Hermann Schein begründet worden.
    Das Grundmodell sah dabei so aus, dass auf der Grundlage des lyrischen Textes eine möglichst kunstvoll gestaltete Melodie erfunden wurde, wobei die Wirkung der Musik im Vordergrund stand und der Text lediglich die Funktion eines lautlich strukturierenden Gerüsts hatte.
    Wechselwirkungen zwischen Text und Musik beschränkten sich darauf, dass Wörter, die semantisch gefühlsgeladen waren (Herz, Tränen, Schmerz, Liebe usw.) als eine Art Auslöser für den Einbau von Melismen und Koloraturen in die melodische Linie dienten.
    Eine andere Möglichkeit, die Musik mit Effekten anzureichern und sie auf diese Weise "kunstvoll" zu gestalten, war die Wiederholung einzelner Wörter oder der Versteile, in die sie eingelagert sind.


    Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich das Kunstlied schon vor Schubert langsam von dieser Tradition zu lösen begann (Galantes Lied, Empfindsames Lied). Allerdings übte das alte Modell des Kunstliedes noch lange seinen Einfluss aus, so dass sich z.B. bei Zelter oder bei Conradin Kreutzer sowohl Lieder finden, die sich daran orientieren, als auch solche, die Kunstlieder des neuen Typus sind, also echte Vertonungen eines lyrischen Textes.


    Schuberts Bruch mit dieser Tradition ist hingegen so radikal wie bei keinem seiner Zeitgenossen.
    Er verfolgt mit seinem Lied eine völlig andere Absicht. Er will keine Musik komponieren, der man einen Text unterlegen kann, sondern er will diesen Text selbst in Musik verwandeln.


    Am Beispiel der Vertonungen von Uhlands "FRÜHLINGSGLAUBE" durch Conradin Kreutzer und Schubert soll das gezeigt werden.
    Conradin Kreutzer:
    Das Lied quillt von Wiederholungen geradezu über. Schon die beiden ersten Verse werden wiederholt, und danach klingt das dann so:
    "Sie schaffen an allen Enden, an allen Enden, sie säuseln und weben, sie schaffen an allen Enden".
    "O frischer Duft, o neuer Klang" wird ebenfalls wiederholt, dann erklingt ein Klavierzwischenspiel, um eine Art Einschnitt für das "Nun, armes Herze" zu schaffen, bei dem sich der Sington im Sinne eines Ansprechens ändert.
    Das Klavier agiert dabei mit Einzelakkorden wie bei einem Accompagnato-Rezitativ.
    Auch dieser Vers wird in musikalisch variierter Form wiederholt. Dass sich "alles wenden" muss, das ist natürlich eine so wichtige Aussage, dass sie mit einem pathetischen Aufschwung in der melodischen Linie versehen und ebenfalls wiederholt wird.
    Die musikalische Struktur der zweiten Strophe ist im wesentlichen mit der der ersten identisch.


    Im Grunde ist das mehr eine Arie als ein Lied.
    Vor allem aber: Kreutzer komponiert nicht vom Text her. Der schlichte Ton der Uhland-Verse mit ihren im Grunde einfachen Bildern wird völlig verfehlt.
    Es geht Kreutzer mehr um kunstvoll gestaltete Musik als um eine Vertonung von lyrischer Sprache.


    Schubert:
    Bei Schuberts Lied soll nur die Phrasierung betrachtet werden, denn hier wird die Eigenart seiner Melodie erkennbar, der typische "Schubertton" eben.
    Wiederholungen weist dieses Lied auch auf. Sie sind jedoch, und das ist der wesentliche Unterschied zu Kreutzer, von der Struktur der melodischen Linie und vom Text her begründet.


    Der erste und der zweite Vers sind in der melodischen Linie identisch. Diese orientiert sich unverkennbar an der Einfachheit der Volkslied-Melodie.
    Diese Orientierung bleibt über die ganz Strophe hin erhalten.
    Damit die Kontinuität der melodischen Linie, deren ungebrochene Phrasierung also, erhalten bleibt, setzt das "sie" am Anfang des dritten Verses mit demselben Ton an, mit dem der zweite Vers endet ("Nacht").
    Und aus dem gleichen Grund wird "an allen Enden" wiederholt.
    Nur auf diese Weise kann die melodische Linie ohne inneren Bruch auf der Tonika zur Ruhe kommen.


    Dieses ganz bewusste kompositorische Bemühen um die Ungebrochenheit der melodischen Linie ist für Schubert ganz bezeichnend. Das ist ein für den typischen Schubertton konstitutiver Faktor!


    Alle folgenden Wiederholungen, die die musikalische Struktur des Liedes noch aufweist, sind aus dieser kompositorischen Intention her erklärbar. Sie sind vom Text her begründet.
    Ein Beispiel:
    Die sprachlichen Elemente "neu" und "wenden" sind gleichsam Schlüsselwörter der Botschaft des Gedichts. Schubert wiederholt sie, um ihnen das angemessene musikalischee Gewicht zu geben.
    Aber: Er tut dies innerhalb des Flusses der melodischen Linie.
    Die Wiederholung stört diese Linie nicht, sie wird durch sie nicht gebrochen.
    Auf diese Weise bewahrt Schubert dieser melodischen Linie ihre Anmutung volksliedhafter Schlichtheit.


    ERGEBNIS:
    Im Unterschied zu Kreutzer (der übrigens auch großartige echte Lieder geschrieben hat!) denkt Schubert kompositorisch vom Text her.
    Er sucht nach einer Musik, in der dieser voll aufgehen kann, und die, wenn diese Verschmelzung gelungen ist, das musikalisch zum Ausdruck bringt, was der lyrische Text sagen will.
    Das geht hier nur über eine Melodie, die in ihrer volksliedhaft einfachen Struktur dem Geist dieses lyrischen Textes voll enstpricht.

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  • Lieber Helmut,


    ungebrochene Phrasierung


    Ungebrochenheit der melodischen Linie


    sind zwar vortreffliche Kategorien; nur glaube ich nicht recht an die historische Errungenschaft Schuberts, da ja von Mozarts "Veilchen", von Beethovens "Ich liebe Dich" kaum anderes ausgesagt werden könnte - falls ich Dich richtig verstehe.


    "Frühlingsglaube" ausgerechnet mündet im Refrain in einer ausgesprochen unvolksliedhaften ariosen, für Schuberts Verhältnisse reich ausgezierten Phrase.


    Der überschlichte Naturton der ersten Verse läßt die beiden auffälligen Modulationen (c7 nach des T. 10-11; dp.verm. as-d-f-ces nach es T. 18 und b7 T.19) desto emphatischer aufleuchten:


    "Sie schaffen an allen Enden"


    "Nun armes Herze, sei nicht bang


    Mit minimalem Aufwand wird die Gesangslinie hier in der harmonischen Abschattung überhöht - das crescendo auf dem c7-Klang verstärkt die Erwartungspannung auf "an allen[Enden]", die zwar ins milde Des-Dur zurückschnellt, aber schon das "alles, alles" mitmeint, das sich nun wenden muß.


    Die raunende Sextolenfigur des Frühlingswebens ebenso wie die Tempowahl bilden weitere Elemente, die den "Volkston" des Liedes subtil verfremden.


    Du siehst, lieber Helmut, ich sehe es genauso wie Du!

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Vielen Dank, lieber Portator! Da habe ich wieder mal was gelernt.


    Dass Goethe in seinem Elternhaus eine lutherisch geprägte Erziehung erhielt, das war mir zwar bekannt, dass er jedoch in späteren Jahren ein regelrechter Luther-Bewunderer war, das wusste ich nicht.


    Ich gebe aber folgendes zu bedenken.
    Ich hatte ganz bewusst die Formulierung "den Geist des preußischen Protestantismus atmen" benutzt. Selbst wenn man das "preußisch" mal weglässt, möchte ich bei meiner Behauptung bleiben.


    Der Sturm-und Drang-Goethe, der klassische und der alte, - in all seinen Lebens- und Schaffensphasen war Goethe Pantheist.
    Die luthersche "Theologia Crucis" war ihm wesensfremd. Ich kenne wirklich keine Stelle in seinem Werk, die im Kern von protestantischem Glauben geprägt ist.
    Hinter der berühmten Reaktion Fausts auf Gretchens ebenso berühmte Frage steckt Goethe selbst.


    Dieses Gedicht kannte ich nicht.
    Aber schau es Dir bitte noch einmal an.
    Die Luthergestalt, die da dichterisch besungen wird, ist der Luther, auf den der deutsche Humanismus seinen für ihn typischen Anti-Rom-Affekt projiziert hat.
    Goethe übernimmt diese Projektion und damit auch den dahinterstehenden Anti-Rom-Affekt.
    Der Luther des protestantischen Glaubens mit seinem "Sola fide" ist das nicht.


    Aber noch einmal:
    Ich danke Dir sehr für diese Information!

  • Hallo,


    Text Friedrich Rückert - Lied Franz Schubert D.777/59/4


    Mit den Kleinbuchstaben a), b)… spreche ich unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten an; bei der für mich plausiblen Deutung - das gilt auch für die Schubert'sche Vertonung - habe ich den Kleinbuchstaben fett gedruckt.


    Generalüberschrift: Die Gemütslage eines einfach denkenden, mit einer reichen Gefühlswelt ausgestatteten Menschen wird lyrisch erfaßt - ich möchte einen Vergleich (alle Vergleiche hinken) zu Papageno ziehen.


    Im Einzelnen:
    1. Strophe


    Lachen und Weinen zu jeglicher Stunde
    [a) akzeptierter Gefühlsüberschwang b) latente Stimmungslage
    siehe auch Bemerkung zur 1. Zeile, 2. Strophe]


    Ruht bei der Lieb auf so mancherlei Grunde.
    [Eingrenzung auf verliebt sein - aber dennoch keine verstandesmäßige Erklärung, "mancherlei" ist sehr unbestimmt]


    Morgens lacht ich vor Lust,
    [ a) "All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren große Gnad und Treu…" (Text Johannes Zwick - Melodie Johann Walter, um 1540) - b) der Schlaf hat die trüben Gedanken des Vorabends eliminiert, "lacht" ist aber schon Imperfekt - c) keine Morgendepression]


    Und warum ich nun weine
    Bei des Abend(e)s Scheine,
    [ a) traurig, mutlos, erschöpft - b) "…der Tag hat mich so müd' gemacht…" (Eichendorff, Komm Trost der Welt, Chorsatz von Chr. Lahusen)]


    Ist mir selb(st) nicht bewusst.
    [ a) fühlt sich als Geschöpf, akzeptiert sein Ich - b) es ist halt so - c) Klage über seine mangelnde Einsichtsfähigkeit]


    2. Strophe


    Weinen und Lachen zu jeglicher Stunde
    Ruht bei der Lieb auf so mancherlei Grunde.
    [dem Gefühlsüberschwang ist es gleich, ob lachen oder weinen - siehe auch 1. Strophe]


    Abends weint ich vor Schmerz,
    [Ihm ist bewusst, warum er weint]


    Und warum du erwachen
    Kannst am Morgen mit Lachen,
    [siehe 1. Strophe "Morgens lacht ich vor Lust" - a) hier wird erstmals das "du" angesprochen - b) mit dem "du" wird das "Herz" nicht der Verstand) gemeint]


    Muß ich dich fragen, o Herz?
    [ a) Rebellion (muß) - b) keine verstandesmäßige Klärung - c) es wird nicht "mein" Herz gefragt, sondern o Herz, Allgemeingültigkeit]


    Die Liedinterpretation folgt in einem weiteren Beitrag.


    Viele Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Es ist gut, lieber farinelli, dass Du im Zusammenhang mit meinen Feststellungen zur Eigenart von Schuberts Melodie (Stichwort "Ungebrochenheit") auf Mozart und Beethoven hingewiesen hast.


    Es ist gar nicht verwunderlich, dass es dort dieselbe "Ungebrochenheit" gibt, denn Schuberts Melodie ist - musikwissenschaftlich gesehen - die Melodie der Wiener Klassik. Ohne diese gäbe es keinen Schubert!


    Aber ( tut mir leid, dieses ewige "Aber"! ) Schuberts Melodie ist nur formal gesehen die der Wiener Klassik. Substantiell ist sie das nicht.


    Nicht um recht zu behalten, sondern um der Sache willen, um die es hier geht, möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, dass ich zwei Merkmale als für das Schubertlied typisch angeführt und betont habe, dass diese innerlich zusanmmenhängen:


    - die spezifische Eigenart der Schubertschen Melodie mit ihrer Orientierung an ( nicht Übernahme! ) der melodischen Grundstruktur des Volksliedes;
    - die Verwandlung von lyrischem Text in musikalische Struktur.


    Letztere findet, wie der Musikwissenschaftler Georgiades ( von dem ich hier ganz wesentlich zehre ) nachgewiesen hat, weder in den Liedern Mozarts und Beethovens, noch in denen Reichardts und Zelters und all der anderen Zeitgenossen Schuberts statt.

  • Liedinterpretation "Lachen und Weinen zu jeglicher Stunde"


    Hallo, Franz Schubert D.777/59/4 (bei Google gibt es die Noten) - Text Friedrich Rückert


    Es wird versucht, die Wirkung der Vertonung auf den Hörer darzustellen und wie dies Schubert erreicht; dabei gehe ich von der mir als plausibel erscheinenden Textinterpretation aus. Generalaussage: Es handelt um ein sich meist in Dur (welche Tonart ist unbedeutend, da viele Sänger transponieren) bewegendes, durch die Tempobezeichnung "etwas geschwind" fröhlich wirkendes Lied - mit Ausnahme der moll-Einschübe, die auch nicht strophenartig komponiert sind.


    1. Strophe Lachen und Weinen zu jeglicher Stunde [Alles in Dur, bis auf moll-Einschub bei "jeglich(er)", den ich im Text nicht nachvollziehen kann - in den Melodielinien geht es in sehr ähnlichen Tonschritten auf + ab, bei gleich bleibenden 1/8-Noten bis auf Stun(de) = ¼-Note und abgesehen von einem Sprung von der Terz in die Sext nach oben = Auftakt-"La(chen)" = freudig/überschwänglicher Beginn - und nachdem im Klaviervorspiel ähnliches geschieht, entsteht so beim Hörer das wechselhafte Auf- und Ab- Gefühl, auch im zeitlichen Bezug.] - Ruht bei der Lieb auf so mancherlei Grunde. [wie vor, moll-Einschub(?) bei "mancher(lei)" ¼-Note auf Grun(de)] Bis hierher hat das Lied eine sehr eingängige, leicht nachzusingende Melodie - "Ohrwurmcharakter"


    Gleiches gilt für die 2. Strophe Morgens lacht ich vor Lust, [zuvor 1 Takt Pause = Achtung! - der Gefühlswechsel wird angekündigt, "lacht" (Imperfekt!) noch mal Melodielinie wie vor, aber Lust wird 1 ½ Takte ausgehalten und auf dem letzten Viertel Wechsel von Dur nach moll]Und warum ich nun weine bei des Abend(e)s Scheine, [moll aus dem letzten Ton der vorherigen Zeile wird fortgeführt, "Liedmelodie" auf einem Ton bleibend, nur "wei(ne)" 1 Sekund höher - weiter ähnlich Zeile 1 + 2, aber in moll - ¼-Takt Pause, Fermate auf dem zweiten ¼ - Generalpause] Die moll-Passage hat nicht den "Ohrwurmcharakter" - gleiches gilt für die 2. Strophe //:Ist mir selb(st) nicht bewußt.:// [Die Fermate auf dem letzten General-Pausenviertel der vorherigen Zeile - Überraschungseffekt/Spannung wird aufgebaut - Wechsel nach Dur ohne Vorankündigung - weiter ähnlich Zeile 1 + 2 - fröhliches Ende] 2. Strophe Weinen und Lachen zu jeglicher Stunde Ruht bei der Lieb auf so mancherlei Grunde [wie Zeilen 1 + 2, 1. Strophe) Abend(e)s weint ich vor Schmerz [zuvor 1 Takt Pause, in welcher die Klavierbegleitung auf moll wechselt - "Schmerz" wird 1 ½ Takte ausgehalten und im letzten ¼ Wechsel von moll auf Dur (analog 1. Strophe "Lust" von Dur auf moll)] Und warum du erwachen Kannst am Morgen mit Lachen [Dur aus dem letzten Ton der vorherigen Zeile wird fortgeführt, moll-Einschübe jeweils auf ¼ bei "warum" und "Morgen", dafür Vorschlag auf "Lachen", 1 Takt Generalpause mit Fermate (analog 1. Strophe "Scheine" ] //: Muß ich dich fragen o Herz:// [Die Generalpause mit Fermate aus dem letzten Takt der vorhergehenden Zeile - Spannung wird aufgebaut - weiter ähnlich Zeile 1+2, die textlich bedingte 1/16 auf "muß" gibt dem Schluß-Dur noch richtig Schwung]


    Auch mit diesem Beitrag ist die Frage von "Siegfried" vom 1.4.2010, der ich mich anschließe, nur z. T. geklärt: Warum habe ich/hat man bei vielen Schubertliedern das Gefühl, so und nur so ist dies eine gültige Vertonung, die auch emotional ankommt.


    Viele Grüße zweiterbass
    Bitte nächsten Beitrag lesen - danke!

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Liedinterpretation "Lachen und Weinen zu jeglicher Stunde"

    Hallo,


    Franz Schubert D.777/59/4 (bei Google gibt es die Noten) - Text Friedrich Rückert


    Es wird versucht, die Wirkung der Vertonung auf den Hörer darzustellen und wie dies Schubert erreicht; dabei gehe ich von der mir als plausibel erscheinenden Textinterpretation aus.


    Generalaussage: Es handelt um ein sich meist in Dur (welche Tonart ist unbedeutend, da viele Sänger transponieren) bewegendes, durch die Tempobezeichnung "etwas geschwind" fröhlich wirkendes Lied - mit Ausnahme der moll-Einschübe, die auch nicht strophenartig komponiert sind.


    1. Strophe


    Lachen und Weinen zu jeglicher Stunde
    [Alles in Dur, bis auf moll-Einschub bei "jeglich(er)", den ich im Text nicht nachvollziehen kann - in den Melodielinien geht es in sehr ähnlichen Tonschritten auf + ab, bei gleich bleibenden 1/8-Noten bis auf Stun(de) = ¼-Note und abgesehen von einem Sprung von der Terz in die Sext nach oben = Auftakt-"La(chen)" = freudig/überschwänglicher Beginn - und nachdem im Klaviervorspiel ähnliches geschieht, entsteht so beim Hörer das wechselhafte Auf- und Ab- Gefühl, auch im zeitlichen Bezug.]


    Ruht bei der Lieb auf so mancherlei Grunde.
    [wie vor, moll-Einschub(?) bei "mancher(lei)" ¼-Note auf Grun(de)]


    Bis hierher hat das Lied eine sehr eingängige, leicht nachzusingende Melodie - "Ohrwurmcharakter" - gleiches gilt für die 2. Strophe


    Morgens lacht ich vor Lust,
    [zuvor 1 Takt Pause = Achtung! - der Gefühlswechsel wird angekündigt, "lacht" (Imperfekt!) noch mal Melodielinie wie vor, aber Lust wird 1 ½ Takte ausgehalten und auf dem letzten Viertel Wechsel von Dur nach moll]


    Und warum ich nun weine
    bei des Abend(e)s Scheine,
    [moll aus dem letzten Ton der vorherigen Zeile wird fortgeführt, "Liedmelodie" auf einem Ton bleibend, nur "wei(ne)" 1 Sekund höher - weiter ähnlich Zeile 1 + 2, aber in moll - ¼-Takt Pause, Fermate auf dem zweiten ¼ - Generalpause]


    Die moll-Passage hat nicht den "Ohrwurmcharakter" - gleiches gilt für die 2. Strophe


    //:Ist mir selb(st) nicht bewußt.://
    [Die Fermate auf dem letzten General-Pausenviertel der vorherigen Zeile - Überraschungseffekt/Spannung wird aufgebaut - Wechsel nach Dur ohne Vorankündigung - weiter ähnlich Zeile 1 + 2 - fröhliches Ende]


    2. Strophe


    Weinen und Lachen zu jeglicher Stunde
    Ruht bei der Lieb auf so mancherlei Grunde
    [wie Zeilen 1 + 2, 1. Strophe)


    Abend(e)s weint ich vor Schmerz
    [zuvor 1 Takt Pause, in welcher die Klavierbegleitung auf moll wechselt - "Schmerz" wird 1 ½ Takte ausgehalten und im letzten ¼ Wechsel von moll auf Dur (analog 1. Strophe "Lust" von Dur auf moll)]


    Und warum du erwachen
    Kannst am Morgen mit Lachen
    [Dur aus dem letzten Ton der vorherigen Zeile wird fortgeführt, moll-Einschübe jeweils auf ¼ bei "warum" und "Morgen", dafür Vorschlag auf "Lachen", 1 Takt Generalpause mit Fermate (analog 1. Strophe "Scheine") ]


    //: Muß ich dich fragen o Herz://
    [Die Generalpause mit Fermate aus dem letzten Takt der vorhergehenden Zeile - Spannung wird aufgebaut - weiter ähnlich Zeile 1+2, die textlich bedingte 1/16 auf "muß" gibt dem Schluß-Dur noch richtig Schwung]



    Auch mit diesem Beitrag ist die Frage von "siegfried" vom 1.4.2010, der ich mich anschließe, nur z. T. geklärt: Warum habe ich/hat man bei vielen Schubertliedern das Gefühl, so und nur so ist dies eine gültige Vertonung, die auch emotional ankommt.


    Viele Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Schuberts Ausnahmerang in Sachen Lied ist auch durch die große Anzahl von Tonträger-Einspielungen dokumentiert.


    Allein von seinen Liederzyklen sind beim Schubert-Institut gelistet:


    181 x Die schöne Müllerin, D795


    467 x Winterreise, D911


    85 x Schwanengesang, D957


    Auch interessant:


    Der Sänger mit den meisten Einspielungen ist Dietrich Fischer-Dieskau mit 6 Müllerinnen, 24 Winterreisen (!) und 6 Schwanengesängen.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Liebe Schubert-Freunde,


    oder wie sonst soll ich diese Runde hier ansprechen? Was hier geschrieben wird ist eine wahre Freude. Wenn ich jetzt auf einen anderen Aspekt eingehen will, ist das nicht als Kritik gemeint. Ich könnte auch gar nicht so wie Ihr alles im Einzelnen beschreiben, was in Schuberts Liedern vorgeht, und lerne sehr viel von Euren Beiträgen.


    Beim Hören der beiden Vertonungen des "Frühlingsglauben" fiel mir vor allem die unterschiedliche Art der Klavierbegleitung auf. Schubert gelingt die Schlichtheit der Melodie, die hier übereinstimmend als wichtiges Merkmal des Volkstons verstanden wird, weil er auf einzigartige Art und Weise die Stimme einführt.


    Das Klavier hebt geradezu vorsichtig, tastend an, 'farinelli' schreibt vom "entwaffnenden Auftakt". Schubert komponiert, wie er sich in die jeweilige Stimmung hineinbegibt und nimmt den Hörer mit. Ich kann nur versuchen, es metaphorisch zu beschreiben: Es ist wie ein liebevoller Blick, während andere Komponisten ein möglichst genaues, wahres, detailgetreues Bild zeichnen wollen.


    Die Stimme antwortet nicht auf das Klavier, sondern das Klavierspiel hat ihr eine Stimmung des Zutrauens, der Ermunterung und der Gewissheit verschafft, vollkommen unbekümmert auszusprechen, was ihr auf dem Herzen liegt. Daher gelingen gerade auch Texte besonders gut, die sonst kitschig, albern oder seicht klingen könnten. Ich denke etwa an "die liebe Farbe" im Müllerin-Zyklus.


    Alles, was Helmut geschrieben hat, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich möchte ergänzen, dass Schubert der Stimme die Fähigkeit verleiht, einen großen, offenen Bogen über das ganze Lied hinweg zu singen.


    Die Klavierbegleitung ist kein Dialog, sondern, wie 'farinelli' geschrieben hat: "Vor allem enthält die Schlichtheit der Gesangslinie bei Schubert eine heimliche Hypothek auf die Komplexität der Begleitung". Schlichtheit der Stimme und Komplexität des Klaviers ergänzen einander, regen sich gegenseitig an, und erzeugen bisweilen Verfremdungen und Brüche, wie sie in dieser Weise nur Schubert - und als einziger nach ihm Bruckner - komponieren konnte. Das ist nicht im geringsten Rückzug in Innerlichkeit oder nach innen gewandter Subjektivität. Hat eingangs das Klavier der Stimme ermöglicht, völlig frei und gelöst zu singen, so geben nun umgekehrt der innere Zusammenhang der Melodie und die Festigkeit und Klarheit der Stimme dem Klavier die Freiheit, einen Ausdruck zu wagen, der über alles hinausgeht, was vor Schubert komponiert worden war.


    Zurecht ist einigemal das Schubert-Buch von Georgiades angesprochen worden. Er schreibt, dass Schubert vor allem Gedichte liebt, die in "glatter Fügung" geschrieben sind. Was damit gemeint ist zeigen Gedichte in "harter Fügung", wie sie wenige Jahre zuvor Hölderlin gedichtet hatte. Hier einige Beispiele, die Georgiades in "Nennen und Erklingen" gegeben hat:


    Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
    der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd (Abendphantasie)


    Alter Vater, Du blickst immer, wie ehemals, noch,
    Da du gerne gelebt unter den Sterblichen (Das Ahnenbild)


    Trennen wollten wir uns? Wähnten es gut und klug?
    Da wirs taten, warum schröckte, wie Mord, die Tat? (Der Abschied)


    Wenn er in heiliger Nacht, plötzlich die Sänger ergreift.
    Dorther kommt, und zurück deutet der kommende Gott (Brot und Wein).


    Schubert hätte Verse dieser Art nicht vertont. Aber ich finde nirgends besser formuliert, welche innere Bewegung einen Gesang erfasst, wie es Schubert dann wenige Jahre nach den Dichtungen von Hölderlin gelungen ist.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Du kannst Dir nicht vorstellen, lieber Walter.T, wie sehr ich mich gefreut habe, Deinen Beitrag hier zu lesen.


    Als ich "glatte Fügung" las, blieb mir erst einmal der Mund offen stehen, denn ich sitze gerade an der Frage, warum Hölderklin erst so spät von den Liedkomponisten "entdeckt" wurde.


    Das ist eine höchst interessante Frage, die sehr viel mit der Entwicklung der Kunstliedes zu tun hat.
    Hölderlins "Abendphantasie" wurde, wenn ich das richtig sehe, von Reutter und Ullmann vertont. Und diese beiden Lieder sind bedeutende Liedkompositionen.


    Schubert wurde von der "glatten Fügung" der frühen Lyrik Goethes offensichtlich regelrecht angezogen. Für den ganz und gar musikalisch denkenden und fühlenden Menschen Schubert schien diese Lyrik geradezu nach Verwandlung in Musik zu rufen.


    Nicht ohne Grund wurde er durch die Begegnung mit Goethes Lyrik zu dem Liedkompionisten, den wir heute als so einzigartig empfinden.


    Falls dieser Beitrag zu wenig gedanklich geordnet erscheinen sollte: Er ist spontan erfolgt!

  • Du hast ja völlig recht, lieber Helmut Hofmann.


    Ich wollte Dir auch weder widersprechen noch Dich widerlegen. Es ging mir nur um von Dir erbetene Hinweise auf den Protestantismus in Goethes Werk. Dazu konnte ich - zugegebenermaßen - nur einen kleinen Beitrag leisten.


    Insbesondere was die Verehrung Luthers durch Goethe anbelangt, hier noch zwei Hinweise. Schon in der Urfassung des "Götz" von 1771 tritt ein "Bruder Martin" auf, der zwar nicht Luther ist, aber eindeutig eine Hommage an ihn darstellt.


    Das von mir in meinem vorigen Beitrag schon erwähnte 300. Reformationsjubiläum wollte Goethe " von meyner Seite ...feyern, dass ich wie Luther kein Blatt ans Maul nehme", weil "wir unseren Luther nicht höher ehren können", wie es in einem Brief an Rochlitz heißt, "als wenn wir dasjenige, was wir für recht, der Nation und dem Zeitalter ersprießlich halten, mit Ernst und Kraft und wäre es auch mit einiger Gefahr verknüpft, öffentlich aussprechen".


    Im übrigen freue ich mich, dass Du, dessen Beiträge im Forum ich mit großem Gewinn für mich lese, auch etwas von mir erfahren hast, das Du noch nicht wusstest.

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  • Der Hinweis von Walter.T auf das Phänomen der "glatten", bzw. "harten Fügung" ist, was die zentrale Frage dieses Threads anbelangt, überaus hilfreich.
    Unter "glatter Fügung" versteht man in der Lyrik das ungebrochene rhythmische Fließen der lyrischen Sprache innerhalb des Metrums und die Offenheit der Versenden für diesen Fluss.
    Und mit dem Begriff "Ungebrochenheit" sind wir bei Schubert!


    Ich darf verweisen auf das, was ich hier bezüglich der Eigenarten der Schubertschen Melodie festgestellt habe.
    Schubert hat in seinen Liedern nicht durchweg eine ungebrochene Melodik eingesetzt (siehe etwa Winterreise!), aber er hat sie, wenn irgend möglich, angestrebt.
    Und vor allem:
    Er hat sie offensichtlich ungern als musikstilistisches Ausdrucksmittel verwendet, wie das dann Schumann immer wieder einmal tat, mehr aber noch Hugo Wolf, und wie es ab Endes des 19. Jahrhunderts selbstverständlich wurde.


    Ich bin, nach vielen Jahren der Beschäftigung mit diesem Fragenkomplex, fest davon überzeugt, dass das "Rätsel des Schubertliedes" in der ganz spezifischen Art und Weise gründet, wie Schubert kompositorisch mit dem lyrischen Text umgeht.
    Vergleicht man ihn unter diesem Aspekt mit den beiden anderen herausragenden (weil stilprägenden) Exponenten des Kunstliedes, dann stellt man fest:
    Schubert ist der einzige, der einen lyrischen Text rein musikalisch liest.


    Schumann las Lyrik auch mit einem literarischen Auge. Ihn interessierte, wie weit ein Gedicht ihn in seinem spezifischen literarischen Gehalt ansprach und welche Qualität es aufwies. Die Gedichte Kerners komponierte er z.B., weil er sich in dem dort artikulierten Lebens- und Naturgefühl wiederfand.
    Hugo Wolf las ausschließlich mit der literarischen Brille: Ein Gedicht war für ihn eine Herausforderung zu einer Komposition, die den spezifischen dichterischen Gehalt eines Textes musikalisch interpretierte, in Form eines musikalisch evokativen Äquivalents nämlich. ( Alles holzschnittartig vereinfacht!)


    Schubert las Gedichte primär als Musiker.
    Es spricht (auch nach der Quellenlage!) alles dafür, dass er beim Lesen eines Gedichts schon mit dem ersten Vers der Musik nachspürte, die er in der lyrischen Sprache erklingen hörte.
    Und das Lied war in dem Augenblick im Ansatz geboren, wo er die Melodie gefunden hatte, die dem Klang und dem Rhythmus der lyrischen Sprache voll korrespondierte.
    In diesem Augenblick konnte er sprachlichen Text in musikalischen verwandeln.
    Bei Texten mit glatter Fügung, wie bei denen Goethes etwa, konnte er seinem Leitprinzip der möglichst ungebrochenen melodischen Linie am leichtesten folgen.


    Ein kleines BEISPIEL (zur Vergegenständlichung).


    "Der du von dem Himmel bist, // Alles Leid und Schmerzen stillst ..." (Goethe: "stillest"!)


    Wenn man diese beiden Verse rein metrisch betrachtet, dann liegt ein ungebrochener Trochäus-Versfuß (mit stumpfem Ende) vor:
    X x X x X x X // X x X x X x X


    Betrachtet man aber den Sprachrhythmus, so sieht das Bild ein wenig anders aus, ohne dass allerdings dieser dem Metrum in die Quere käme (glatte Fügung!).
    Das "Der" trägt einen Ton, und das Wort "Himmel" trägt ebenfalls einen, schon allein deshalb, weil es zweisilbig ist und sonore Konsonanten aufweist. Ansonsten wenig betonte Silben:
    X x x x x X x x // X x X x X x x


    Wer sich jetzt den Verlauf der Schubertschen Melodie anschaut, der sieht sofort:
    Die Struktur (Akzentuierung) und die Linienführung der Singstimme folgen so genau dem Sprachrhythmus, dass man denkt, sie wäre aus ihm erwachsen.
    Das trochäische Versmaß verwandelt sich, damit das Fließen der Sprache besser hörbar wird, in der Klavierbegleitung in ein daktylisches ( X xx, X xx).
    Damit die glatte Fügung im lyrischen Text ( und damit auch die Ungebrochenheit der melodischen Linie ) voll gewahrt bleibt, steigt die Melodie erst bei dem Wort "Himmel" leicht an, verharrt dann kurz, bleibt dabei aber in einen harmonischen Akkord eingebunden, der eine Auflösung verlangt.
    Diese Auflösung kommt dann auch prompt mit dem Wort "Alles" zu Beginn des zweiten Verses.
    Das ist in Musik verwandelte Sprache!


    Hört man im Kontrast dazu die Vertonung dieser beiden Verse durch HUGO WOLF, dann ist der Unterschied unübersehbar.
    Da Wolf nicht Sprache als Musik erklingen lassen, sondern sie interpretieren will, komponiert er für die Singstimme zwei langsam ansteigende und danach wieder absteigende Bewegungen.
    Bei "Leid und Schmerzen" erfährt diese Bewegung eine emphatische Steigerung über mehrer Tonschritte hinweg. Bei "Schmerzen" kommt dann sogar eine Art Bruch hinein, weil die melodische Linie in einen verminderten Akkord einbezogen wird.
    Das ist ein völlig anderes kompositorisches Herangehen an den lyrischen Text!


    Ist jetzt die Frage, warum man bei einem Schubertlied häufig das Gefühl hat, so(!) und nur so(!) könne dieses komponierte Gedicht eigentlich klingen, ein wenig mehr geklärt?

  • Lieber Helmut,


    ja, es ist mehr "als ein wenig erklärt".


    Ich bin sehr froh, auf so fachkundige Taminos wie Dich, Walter T. und farinelli gestoßen zu sein.


    Ich habe natürlich einige Schubertlieder unter Berücksichtigung besonders Deines letzten Beitrages angehört - nicht um Deinen Beitrag zu überprüfen - sondern Deine Aussagen für mich am Beispiel nachvollziehbar zu machen.


    Ja, es liegt besonders am Sprachrhythmus und dem Aufgehen in Schuberts Melodien (+ Klaviersatz), die zwar keine Volkslieder sind, aber den "Volkston" treffen, oder anders ausgedrückt, die Emotionen solcher Menschen ansprechen, die für Lyrik und deren adäquate Umsetzung in Musik "ein offenes Ohr haben".


    Nochmals vielen Dank und Anerkennung an Alle w. o.


    Nicht zum Abschluß, sondern als Beitrag einige Zitate aus "Musikpsychologie" ISBN 978 3 499 55661 8, die ich in früheren Beiträgen schon angedeutert habe (Lauridsen, Distler, Gedichte in der Vertonung).


    Seite 409/410:" Aus evolutionärer Sicht baut Musik daher nicht auf der Entwicklung von Sprache auf, sondern die Musik ist die tatsächliche Grundlage von Sprache".


    Seite 529: "Danach hängt die Wirkung eines Musikstückes (auf den Hörer) von strukturellen Merkmalen der Komposition*,der speziellen Interpretation eines Stückes, dem Hörer mit seiner Persönlichkeit und Hörbiographie und dem momentanen Hörkontext ab".


    Seiten 548 ff, Musik und Emotionen (Die Wissenschaft stößt oft noch auf "weiße Flecken" oder ist sich uneins.)



    *und um diese Klärung ging es ja - und manches Mißverständnis im Lauf der Diskussion war darauf zurück zu führen, dass die weiteren Kriterien oder Teile davon unberücksichtig blieben.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Man kann durchaus, wie zweiterbass dies tut, feststellen, dass in diesem Thread einiges geklärt worden ist. Man könnte darüber sogar eine gewisse Befriedigung empfinden, gäbe es da nicht einiges zu bedenken.


    Zunächst einmal:
    Ich fragte mich immer wieder einmal, und tue das heute noch, ob man mit einer solch intensiven und detailiert analytischen Herangehensweise an das Kunstlied nicht so manche Forianerin und so manchen Forianer regelrecht vergrault.
    Es fällt doch ins Auge, dass sich an diesem Thread hier nur relativ wenige beteiligen. All die vielen Namen, auf die ich in anderen Threads stoße, tauchen hier nicht auf.
    Es gibt einige Indizien dafür, dass der strukturanalytische Umgang mit dem Lied und das damit zusammenhängende Denken vom lyrischen Text her ausdrücklich abgelehnt, wenn nicht gar als Irrweg betrachtet wird.


    Obwohl ich diese Haltung nicht teilen kann, nehme ich sie ernst. Und dies aus einem ganz einfachen Grund:
    Wenn diese Art des Umgangs mit dem Lied dazu führt, dass die Kommunikation hier im Forum gebremst oder gar blockiert wird, dann ist sie fehl am Platze oder muss zumindest überdacht werden!


    Zum anderen:
    Vieles von dem, was ich hier zum Thema Kunstlied beitrage, kann eigentlich, wenn man es mit fachwissenschaftlichen Maßstäben misst, nicht bestehen. Das ist laienhaftes Gerede.
    Man braucht sich nur einmal anzuschauen, was in der Fachliteratur zum Thema Schubertlied über die Aspekte Harmonik, Melodik, Chromatik, Terzrückung, Satztechnik und Tonartencharakteristik ausgeführt wird, und man kommt unweigerlich zu der Feststellung:
    Die eigenen Beiträge hier stellen angesichts der Komplexität der Sachverhalte eine arge Simplifizierung dar.
    Gewiss, das ist in einem solchen Forum unvermeidlich. Aber man muss es sich immer wieder einmal ins Bewusstsein rufen.


    Aus diesem Grund möchte ich meinen Feststellungen zur Eigenart der MELODIE bei Schubert folgendes im Sinne einer differenzierenden Ergänzung hinzufügen:


    1. Schuberts Melodien weisen zwar in der Regel wenig dissonante Intervalle auf und bevorzugen Dreiklangstrukturen. Stichwort: Orientierung an der Einfachheit der Volksliedmelodie.
    Das gilt jedoch nicht generell, denn er setzt immer wieder einmal Dissonanzen ganz bewusst als musikalisches Ausdrucksmittel ein, zum Beipiel in "Trännenregen" (Müllerin). Man könnte noch sehr viele weitere Beispiele nennen.


    2. Diatonik ist zwar der "Regelfall" bei der Melodiebildung, aber häufig setzt Schubert die Chromatik ein, wenn es um den Ausdruck seelischer Regungen geht (z.B. in "Der greise Kopf" und in "Wegweiser" / Winterreise).


    3. Die melodische Linie endet meistens auf dem Grundton. Das ist, wie ich feststellte, ein für Schubert typisches Merkmal der Phrasierung, und darin unterscheidet er sich von Schumann und erst recht von Hugo Wolf.
    Aber auch das gilt nicht generell. In "Frühlingssehnsucht" (Rellstab) bleibt z.B. die Singstimme auf der Quinte stehen, und im "Ständchen" (Schwanengesang) auf der Terz.
    In allen Fällen aber, - und das ist nun allerdings wirklich typisch für Schubert!" - bringt das Klaviernachspiel alles auf den Grundton.
    Nur im "Leiermann", diesem ohnehin höchst seltsamen Lied, ist der Schlussakkord einer in Moll. Man mag darüber rätseln, was das zu bedeuten hat.


    Was wollte ich doch sagen?
    Es ist alles noch viel komplizierter!

  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann


    Es fällt doch ins Auge, dass sich an diesem Thread hier nur relativ wenige beteiligen. All die vielen Namen, auf die ich in anderen Threads stoße, tauchen hier nicht auf.
    Es gibt einige Indizien dafür, dass der strukturanalytische Umgang mit dem Lied und das damit zusammenhängende Denken vom lyrischen Text her ausdrücklich abgelehnt, wenn nicht gar als Irrweg betrachtet wird.


    Obwohl ich diese Haltung nicht teilen kann, nehme ich sie ernst. Und dies aus einem ganz einfachen Grund:
    Wenn diese Art des Umgangs mit dem Lied dazu führt, dass die Kommunikation hier im Forum gebremst oder gar blockiert wird, dann ist sie fehl am Platze oder muss zumindest überdacht werden!


    Lieber Helmut,


    diese Gedanken würde ich mir an Deiner Stelle überhaupt nicht machen. Wenn ich mir so ansehe, mit welchen "tollen" Meldungen manche Taminas/os eine irre Anzahl von Beiträgen erreichen und was dann noch so als Kaufimpuls läuft - soll ja so sein, ist ja o. K., ich gehe inzwischen auch über Tamino zu JPC, damit die Provision fließt und Alfred damit u. U. doch mal die neuste Forensoftware installieren kann - dann habe ich mit diesem Thread überhaupt kein Problem - und Jede/r kann/darf das Forum so nutzen, dass es nicht im Widerspruch zu seinen Grundgedanken steht.


    Als ich gleich am Anfang meines "Hierseins" einen Beitrag im Chormusikforum "Moderne" geschrieben habe, kam eine Antwort, man sei froh, dass mal wieder was kommt, es bestünde die Sorge, dass der Thread eingestellt wird.


    Das Forum ist so breit aufgestellt (Gott sei Dank), dass Jede/r zu Wort - und zwar ausreichend!!!- kommen kann.


    Zum Schluß: Sollte Alfred eine solche Meinung haben, die Du hast - na, dann muß er halt "die" abmahnen/hinaus werfen - ich bin mir sehr sicher, dass er das nicht tut, weil es gar nicht in seinem Sinn ist/sein kann.


    Also: "Frisch auf und unverzagt".


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo ,


    Schubert, Ausnahmerang vielleicht auch deshalb, weil seine Liederzyklen in verschiedenen Sprachen und sowohl von Frauen als auch Männern gesungen werden (Sopran, Mezzo, Countertenören, lyrischen Tenören, Heldentenören, Baritonsängern, Bassbariton und sogar Bässen.


    Schubert selbst soll ja eine Tenorstimme gehabt haben. Hoffentlich eine schöne.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Wenn ich Deine Reaktion auf meinen letzten Beitrag lese, lieber zweiterbass, dann wird mir wieder einmal bewusst, dass ich wohl das in dieser Internet-Welt bin, was man, in meiner Sprache formuliert, einen "Fremdling" nennen würde.
    Wahrscheinlich gibt´s dafür aber aber einen viel deftigeren internettauglichen Fachterminus.


    Ich meine schon, dass solche Bedenken, wie ich sie geäußert habe, berechtigt sind. Wenn man die Frage eines Threads ernst nimmt, dann muss man die eigenen Beiträge daraufhin prüfen, wie weit sie sachlich begründet sind und von ihrer Substanz her dazu dienen können, der Antwort ein wenig näher zu kommen.
    Und sie müssen sich auch daran messen lassen, in welchem Maß sie kommunikationsförderlich sind!
    Was andere in den vielen Threads schreiben, kann für mich in diesem Zusammenhang kein Maßstab sein.


    Im übrigen habe ich gelernt, dass auch ein schlichtes Bekenntnis, das hier im Forum ohne jeglichen Kommentar daherkommt, seinen Wert haben kann. Dann nämlich, wenn aus ihm die Liebe zum Kunstlied spricht.


    Der Hinweis, den Du gibst, lieber Bernward Gerlach, liegt argumentativ auf der gleichen Linie wie der Beitrag von Siegfried letztens. Der Ausnahmerang Schuberts wird sozusagen mit einer Art Indizienbeweis bestätigt. Und der ist natürlich stichhaltig.


    Schubert hatte wirklich eine recht gut klingende Tenorstimme, wie wir von seinen Freunden wissen. Sie war allerdings nicht voll ausgebildet und wies wenig Substanz auf.


    Für uns hier, und deshalb bin ich dankbar für Deinen Hinweis, ist die Tatsache wichtig, dass Schubert offensichtlich überaus empfänglich war für das Singen und die Stimme von Sängern und Sängerinnen.
    Das könnte mit eine Erklärung dafür sein, warum er bei seinen Liedern so großen Wert auf den Aspekt Kantabilität legte und die melodische Linie seiner Lieder an der des Volksliedes orientierte.


    Josef von Spaun berichtet in seinen "Erinnerungen" von 1858:


    "In den Ferien erbot ich mich, ihn zuweilen in die Oper zu führen. (...) Über alles ergriff ihn Iphigenie auf Tauris von Gluck. Er war ganz außer sich über die Wirkung dieser großartigen Musik und behauptete, Schöneres könne es auf der Welt nicht geben.
    Er sagte, die Stimme der Milder durchdringe sein Herz. (...) Er bedauerte Vogl nicht zu lennen, um ihm für seine Leistung als Orestes zu Füßen zu fallen."

  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann
    Wenn ich Deine Reaktion auf meinen letzten Beitrag lese, lieber zweiterbass, dann wird mir wieder einmal bewusst, dass ich wohl das in dieser Internet-Welt bin, was man, in meiner Sprache formuliert, einen "Fremdling" nennen würde.
    Wahrscheinlich gibt´s dafür aber aber einen viel deftigeren internettauglichen Fachterminus.


    Ich meine schon, dass solche Bedenken, wie ich sie geäußert habe, berechtigt sind. Wenn man die Frage eines Threads ernst nimmt, dann muss man die eigenen Beiträge daraufhin prüfen, wie weit sie sachlich begründet sind und von ihrer Substanz her dazu dienen können, der Antwort ein wenig näher zu kommen.
    Und sie müssen sich auch daran messen lassen, in welchem Maß sie kommunikationsförderlich sind!


    Lieber Helmut,


    ich wollte mit meinem Beitrag auch nur ausdrücken, das Du Dir nach meiner Meinung umsonst Gedanken machst. (Welchen Fachterminus meinst Du? Ich kenne keinen, was Nichts sagen will, denn ich bin auch schon 70 1/2 Jahre.)


    Dass sich - Deiner Meinung nach - nur wenige an diesem Thread beteligen, liegt am mangelnden Intersse für das Kunstlied und nicht, in welchem Maße Beiträge "kommunikationsförderlich" sind. Ich hatte mehrmals Probleme mit der Textformatierung und - ein Fachmann wie Du bin ich weiß Gott nicht - aber siehe unten - wem's mit dem Kunstlied ernst ist, setzt sich auch mit meinen Beiträgen auseinander.


    Kleiner Tipp am Rande: Sieh' Dir doch mal bitte die Chorforen an - einem droht sogar die Schließung, wegen mangelnder Beteiligung!


    Ich bin früher Chor(laien)sänger gewesen - mit großer Begeisterung - und mußte dies wegen Stimmband-OP aufgeben - ich liebe Chormusik!!! Höre mir aber hier in Nürnberg meist nur noch die "Windsbacher" oder den Chor von St. Egidien an, weil ich die Erfahrung gemacht habe, wie in den sog. Oratorienchören die Werke "eingepeitscht" werden, von "feilen" an 1 oder 5 oder 10 Takten, wie ich dies im a-capella-Chor gewohnt war, weit entfernt.


    Und seit meiner etwas späteren Jugendzeit (so ca. ab 20 J.) höre ich mit viel Emphatie Schubert- Schumannlieder. Im Nürnberger Opernhaus habe ich ca. 1960 Fischer-Dieskau erlebt - unvergesslich(fast 1 Stunde Ovationen und Zugaben!) , trotz "Akustik?" - eben Opernhaus.


    Bitte, (im Kunstlied) nicht entmutigen lassen!


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Danke für Deinen Zuspruch, lieber zweiterbass! Es ist eine eigentümlich berührende Erfahrung, wenn einem in dieser so abstrakten Internet-Welt Züge eines real existierenden menschlichen Wesens begegnen.


    Ich bin nicht entmutigt. Nur ein wenig nachdenklich, wenn ich hier im Forum so um mich blicke.


    Das Thema, um das es hier geht, ist ja eigentlich unerschöpflich.
    Wenn man sich die "Bandbreite" all dessen anschaut, was das Genie Schuberts in Sachen Lied hervorgebracht hat, dann muss man ja verzagen bei dem Versuch, das irgendwie auf einen Nenner bringen zu wollen.


    Bitte nur mal nebeneinanderstellen:
    "Im Abendrot" (Carl Lappe) und "Die Stadt" (Schwanengesang).


    Auf der einen Seite der melodieselige und fast schon -trunkene Schubert, den wir so sehr lieben.
    Auf der anderen der unheimliche, seiner Zeit musikalisch vorauseilende Schubert, der in diesem Lied mit seiner irrlichternden Chromatik die statische Harmonitechnik des Impressionismus praktiziert und all seine Verliebtheit in die Melodie preisgegeben zu haben scheint.

  • Lieber Helmut,


    ich habe die 2 Lieder fast ganz im Ohr - bevor ich Dir aber dazu schreibe, möchte ich sie mir noch genau anhören.


    Liegen nun schon zwischen seinen Liedern Welten - welche Welten liegen zu seiner großen C-Dur-Sinfonie?


    Ich hatte dieses Werk auf LP (sie hat nun einen Schaden) mit Furtwängler - ich will sie mir auf CD neu kaufen - gibt es eien Aufnahme mit Celebidache? - ich werde mich bei JPC schlau machen.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass


    Nachsatz: Ich hatte gestern Abend ein längeres Telefongespräch mit Alfred - er will sehen ob er die gesplitteten Chor- und Orgelforen sinnvoll zusammen legt. Kunstlied? Ich schrieb ja schon, dass Chor und Lied mein besonderes Interesse haben + Orgel, nicht so sehr Barock, mehr ab C. Franck.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber zweiterbass,
    dass Deine Furtwängler-Aufnahme mit Schuberts C-Dur Sinfonie ihren Geist aufgegeben hat, ist ein Jammer.
    Ich habe diese Schubert-Sinfonie vor endlos langer Zeit über diese alte Aufnahme auf einer DG-Lp kennengelernt, und die Interpretation hat sich mir so tief eingesprägt, dass ich alle nachfolgenden Aufnahmen, die mir begegneten, daran gemessen habe.
    Keine hat mich je so wieder beeindruckt.


    Man bekommt sie noch auf dem Markt in Form einen Umschnitts auf CD, wie ich eben gesehen habe.
    Es gibt wohl auch eine Aufnahme mit Celibidache und den Münchner Philharmonikern bei EMI classics.
    Ich kenne sie allerdings nicht.


    Der Sinfoniker Schubert gehört ja eigentlich nicht hierher.
    Aber das so nebenbei:
    Die Sinfonie, die nicht nur die für ihn typischste ist, sondern auch diejenige, die von ihrer musikalischen Struktur her am meisten in die Zukunft weist, das ist die "Unvollendete" in h-Moll!


    Sie muss uns auch als Liedfreunden von allen Schubert-Sinfonien am nächsten stehen.
    Überall hört man Anklänge an seine Lieder.
    Und das Einleitungsthema mit der aufsteigenden Terz und der fallenden Quarte ist für mich so etwas wie der musikalische Urquell des Schubertlieds!
    Ich meine jedes Mal, wenn ich dieses Einleitungsthema höre, alle meine geliebten Schubertlieder kämen von dort her.
    Ein wenig verrückt, - ich weiß!

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