Johann Sebastian Bach: Das Weihnachtsoratorium

  • Wer von euch kennt denn schon eine (oder beide) dieser neuen Aufnahmen und kann etwas dazu sagen?
    Ich habe mich heute mal in die Hörschnipsel vertieft, habe inzwischen auch eine Meinung, auch wenn die aufgrund der Kürze der Schnipsel noch nicht sehr gefestigt ist....








    :hello:
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hallo Reinhard,


    in die Chailly-Aufnahme hörte ich neulich kurz rein: Für mich definitiv viel zu schnelle Tempi. Dies aber subjektiv.


    Da gefällt mir die Thomaner-Aufnahme vom Reinhören her besser. Ob sie natürlich mit den alten Knabenchor-Aufnahmen mithalten kann, wage ich nicht zu beurteilem aufgrund der Hörproben.


    Weihnachtliche Grüße nach Leipzig
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Bereite Dich, Deutschland,
    und lass Dich betören,
    ein Wunder wie dieses,
    zuhause zu hören.


    Diese Doppel-CD ist nun die dritte Aufnahme des Bach‘schen Weihnachtsoratoriums („WO“), die ich besitze. Das ist wahrscheinlich schon viel im Vergleich zu Otto Normalhörer. Angesichts der neun Einspielungen von Mahlers Siebter allerdings auch noch ausbaufähig… Was lockte mich? Zunächst Chaillys gute Matthäus-Passion, die ich bereits zuhause habe. Beim Hineinhören im Laden war es spontan der Zugriff Chaillys auf die Eröffnung dieses Werks: schlank, aber nicht historisch; schnell, aber nicht gehetzt; beschwingt und mit modernen Instrumenten. Jahrelang war es Gardiner, mit dessen Aufnahme ich höchst zufrieden war. Vor einem Jahr kam dann Jacobs hinzu, mit einem frischeren Klang und anderen, ebenfalls guten Solisten. Im Nachhinein wurde mir klar, dass Jacobs aber zu wenig Neues, Anderes bietet, um seine Aufnahme dauerhaft attraktiv zu machen. Und nun war ich überrascht und gereizt von dieser neuen Lesart. Was mich bei der Leipziger Einspielung der Brandenburgischen Konzerte nur teilweise befriedigt, weil es insgesamt zwar schön, aber auch brav und mitunter etwas bieder daher kommt, erweist sich hier in meinen Ohren als willkommene Neuerung: das moderne, nicht spezialisierte Sinfonieorchester, geleitet von einem „modernen“, nicht auf HIP und Barockmusik spezialisierten Dirigenten, der überwiegend bei Mahler, Mendelssohn, Bruckner, Verdi, Rossini und moderner Musik zuhause ist. Kräftig gegen den Strich der eigenen Hörgewohnheiten gebürstet, einen Halbton höher (!) als die beiden „alten“ Einspielungen und mit sehr viel Swing. Bach tanzt, erst recht zu Weihnachten. Und eine Portion Italianità bekommt ihm sehr gut.


    Carolyn Sampson war neben Orchester und Dirigent die einzige Mitwirkende, die mir bekannt war. Ihr Mozart-Album „Exsultate, jubilate“ verdient hier gesonderte Erwähnung, weil sie damit alle anderen großen, berühmten Damen verblassen lässt, die sich dieses Werkes auf CD angenommen haben.
    Auffällig zunächst, dass mit Martin und Wolfgang Lattke zwei Brüder gemeinsam auftreten. Ob es sowas schon geggeben hat, weiß ich nicht. Wiebke Lehmkuhl und Konstantin Wolff komplettieren die Solisten. Sampson singt prima und macht ihre Sache gut. Ganz so euphorisch wie bei Mozart macht sie mich nicht, allerdings überlege ich noch, woran genau das liegt.
    Wiebke Lehmkuhl hat eine sehr schöne Stimme, die mir gut gefällt und die gut zum Repertoire passt. Endlich mal eine Altistin, eine richtige Altistin! Was ich mir (oder ihr) noch wünsche ist etwas mehr Volumen im tiefen Register. Und angesichts einer Engländerin, die ihre Sache auch textlich sehr gut macht, noch wichtiger: es fehlt mir etwas an deklamatorischer Klarheit. Mit der Sprache muss man sich in meinen Ohren beim Singen schlicht mehr Mühe geben; die Kollegen auf dieser Bühne können ihr als Beispiel dienen.
    Der Evangelist, Martin Lattke, macht seine Sache ebenfalls gut. Auch an seiner Stimme habe ich etwas auszusetzen: sie wird mit der Höhe etwas angestrengt und dünn, was sich bei den mehr gesungenen statt gesprochenen Passagen der Rezitative bemerkbar macht. Bereits in der Nr. 2, „Es begab sich aber zu der Zeit“, wird klar, was er kann und woran er noch arbeiten muss. Zumindest in meinen Ohren wird erkennbar, dass diese Stimme, positiv formuliert, noch Potential bestitzt. Blochwitz und Güra zeigen, wie eine Stimme klingen kann, die an solchen Stellen blüht.
    Der Bruder, Wolfram Lattke, singt die Arien und ist damit genau richtig besetzt. Fließend, leicht, souverän und ungemein beweglich. Koloraturen sitzen „in der Stimme“, die schnellen Noten sind klingende, geführte und gestützte Stimme und nicht nur pünktlich unterbrochener Luftstrom mit Klanganteil – das ist Sangeskunst, wie sie solchen Werke angemessen ist. Im Gegensatz zu geschmetterten Bravourarien romantischer Operliteratur nicht nur ganz anders, sondern sicherlich häufig in ihrer Schwierigkeit unterschätzt.
    Gleichfalls zu loben ist der Bass, Konstantin Wolff. Eine volle, sonore Stimme, die vom unteren Register bis in die Lage der baritonalen Töne da ist, die Substanz zu bieten hat und nach „großem Schlund“ klingt, nie eng oder nasal wird. „Großer Herr, o starker König“ mag diesem Sänger als Motto dienen. Dieses monströs schwierige Stück wird zur souverän gemeisterten Prüfung eines Sängers, von dem ich mich freuen würde, in Zukunft mehr zu hören. Diese Vorfreude teilen sich auch Sampson und Lehmkuhl, die gerade für ihre Leistung an der Oper in Zürich im Feuilleton der FAZ sehr gelobt wird (Rossini, Guillaume Tell, 17.11.10).
    Das Stimmtutti des Dresdner Kammerchors ist ein weiterer Grund zur Freude. Mit einer angemessen kleinen Besetzung wird hier gezeigt, wie man sowas singt, nicht mehr und nicht weniger. Mag es im Vergleich zum Monteverdi Choir Details geben, die man immer noch besser machen kann, so fehlt es mir doch an nichts. Das einzige, was hier nicht ideal gelöst ist, hat der Chor allerdings nicht zu verantworten. Dazu später mehr.
    Das Gewandhausorchester Leipzig tritt hier in kleiner, feiner Besetzung auf. Tadellos wäre zu nüchtern. Es beginnt mit einem auffallend schnellen, tanzenden „Jauchzet, frohlocket“. Auf „normalen“ Pauken mit Naturfellen gespielt, also nicht auf Barockpauken, reißt einen der berühmte Beginn in die moderne Wiedergabe dieser Musik hinein. Gut intoniert zeigt sich das Gewandhausorchester als zeitgemäßer Anwalt dieser Musik. Nichts gegen den „Originalklang“ und die „HIP“, denen ich mit Gardiners Referenzeinspielung sehr anhänge, doch hier werden die Ohren geputzt, dass es eine Freude ist. Nach anfänglicher Skepsis, jahrelang an die teils etwas kargen Klänge der Alte-Musik-Ensembles gewöhnt, war ich schnell begeistert und bin für diese Lesart und Spielweise eingenommen. Die Solisten des Orchesters werden erwähnt und für die Orgel wurde mit Michael Schönheit ein großer Name der Zunft gewonnen.
    Die in den Brandenburgischen Konzerten im Vergleich zum ungestümen Gardiner oder Alessandrini vorherrschende brave Zurückhaltung hatte mich etwas argwöhnisch an die Aufnahme herangehen lassen, doch die Neugier überwog und wurde belohnt.
    Was mir zum “Ideal” fehlt, ist eine etwas besser ausbalancierte Aufnahmetechnik. Decca bietet eine gewohnte, gute Leistung. Teilweise sind mir die Chorstimmen aber zu stark vom Orchester, insbesondere von den Blechbläsern, überdeckt. Darunter leiden die Tenöre (wie so oft…) und die Bässe am meisten.
    Vielleicht reicht es noch nicht ganz zum „Benchmark“, doch ich bin gespannt, wie es sich über die Zeit mit diesem Wurf leben lässt. Zunächst muss ich die CDs von meinem Vater zurück erobern – ich verleihe gerne, doch ich merke, dass ich dieses Album noch nicht genug gehört habe!
    Öffnet Eure Geldbeutel und Eure Ohren! Kauft bei einem Händler Eures Vertrauens, meidet das Internet und seid froh dieweil. Viel Spaß – jetzt ist die Zeit dafür!


    © http://ockertrocker.com/

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Hallo Reinhard,


    die beiden von dir genannten Einspielungen sind nett aber nicht mehr. Wenn es denn eine von den beiden unbedingt sein muss, dann eher die unter Biller. Obwohl - wie schon so häufig von mir beklagt - der Thomanerchor nicht mehr die hohe Qualität hat wie damals noch unter Mauersberger und Rotzsch.


    :hello: LT

  • Herzlichen Dank für Eure schnellen Antworten. Nein, Liebestraum, es muß keine davon sein. Schließlich stehen im Platten- bzw. CD-Regal schon drei Einspielungen.
    Mein unangefochtener Favorit: Augér - Burmeister - Schreier - Adam; Dresdner Kreuzchor, Dresdner Philharmonie, Martin Fämig
    Auf dem zweiten Platz: Giebel - Höffgen - Traxel - Fischer-Dieskau; Thomanerchor Leipzig, Gewandhausorchester, Kurt Thomas
    Und seit letztem Jahr: Rolfe Johnson - Argenta - Otter - Blochwitz - Bär; Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, Sir E. Gardiner


    Wie gesagt, ich kann die beiden angefragten Einspielungen nur aufgrund der JPC-Schnipsel beurteilen, bei der Biller-Aufnahme halten mich zwei Dinge im Moment vom Kauf ab, das ist einmal der Bass Panajotis Iconomou und zum anderen die Besetzung mit Knaben-Sopranen.


    Chailly spricht mich da schon eher an. ABer er scheint schon wirklich ziemlich schnell unterwegs zu sein. Na ja, wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich in die Chailly-Aufnahme mal genauer reinhören. Mit kaufen werde ich mir - wenn überhaupt - aber wohl bis Weihnachten 2011 Zeit lassen...


    :hello:
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Ich war letzte Woche ebenfalls im Plattenladen meines Vertrauens und habe in die Aufnahme reingehört.


    Ergebnis: Kommt mir nicht ins Haus ! :no:


    Warum ? Bin ja von Hause aus nicht so der HIP-Hörer und war von dem Gedanken angetan, dasss wieder einmal eine Neuaufnahme mit modernem Instrumentarium erscheinen sollte.


    Ein Weihnachtsoratorium wird gekauft, wenn mir der Eingangschor gefällt. Schon bei den ersten Takten fällt das rasante Thempo auf. Nach meinem Gefühl deutlich zu schnell, da wird nicht mehr gejauchzt und frohlockt, sondern im ICE durch die Partitur geheizt. Danke, muss ich nicht haben.


    Adventliche Grüße :hello:
    Andreas

    Johann Sebastian Bach ist Anfang und Ende aller Musik (Max Reger)

  • Herzlichen Dank für Eure schnellen Antworten. Nein, Liebestraum, es muß keine davon sein. Schließlich stehen im Platten- bzw. CD-Regal schon drei Einspielungen.
    Mein unangefochtener Favorit: Augér - Burmeister - Schreier - Adam; Dresdner Kreuzchor, Dresdner Philharmonie, Martin Fämig
    Auf dem zweiten Platz: Giebel - Höffgen - Traxel - Fischer-Dieskau; Thomanerchor Leipzig, Gewandhausorchester, Kurt Thomas
    Und seit letztem Jahr: Rolfe Johnson - Argenta - Otter - Blochwitz - Bär; Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, Sir E. Gardiner


    Ich würde Dir als Ergänzung eine etwas weniger "coole" HIPpe Einspielung empfehlen, z.B. die schon mehrfach genannte unter Otto, die man immer mal wieder auch recht günstig findet. Oder Jacobs, wobei der einen Countertenor (wenn auch mit Scholl einen sehr guten) hat und nicht ganz so geradlinig unterwegs ist. (Wenn ich recht erinnere, z.B. eine sehr breit ausgespielte Hirtenmusik.)


    Zitat


    Chailly spricht mich da schon eher an. ABer er scheint schon wirklich ziemlich schnell unterwegs zu sein. Na ja, wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich in die Chailly-Aufnahme mal genauer reinhören. Mit kaufen werde ich mir - wenn überhaupt - aber wohl bis Weihnachten 2011 Zeit lassen...


    Das Schnipsel vom Eingangschor entspricht "HIPpem" Tempo, aber schneller als Gardiner wird er insgesamt wohl kaum unterwegs sein. Und langsamer als Thomas war in den letzten 50 Jahren vermutlich auch niemand unterwegs. Demgegenüber wirken alle neueren Aufnahmen recht flott ;)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • "Von Bernward Gerlach
    Johann Sebastian Bach: Das Weihnachtsoratorium
    Meine drei besten:
    "


    Da schliesse ich mich gerne an ....




    Diese legendäre Non-HIP Aufnahme mit Karl Richter ist ebenfalls mein Renner,
    aufgenommen 1965 im Herkulessaal in München.
    Über Jahrzehnte wurde genau diese Einspielung in den Radiosendern an den
    Weihnachts- und Neujahrsfesttagen gespielt.


    Diese Aufnahme gibt es momentan für 8,98 Euro (!) bei Amazon.

    :):):)

  • Hallo,


    der MDR Figaro begeht Weihnachten basisdemokratisch und läßt die Hörer wählen, welches WO am ersten Weihnachtstag um 15.15 Uhr gesendet werden soll.


    Zur Wahl stehen:


    Peter Schreier ( als Dirigent)



    Martin Flämig mit dem Kreuzchor



    Karl Richter ( mit Fritz Wunderlich)



    Nikolaus Harnoncourt ( 2006 )



    Rene Jacobs



    Georg Christoph Billers Neuaufnahme mit den Thomanern



    und schließlich Ricardo Chailly



    Ich habe mitgemacht und als Freund HIPer Aufnahmen, der sächsischen Musiktradition und als Verehrer von Peter Schreier blieb mir nur eine Wahl: MEIN Weihnachtsoratorium dirigiert von Karl Richter.


    Prognostisch gesehen dürfte diese Aufnahme aber kaum eine Chance auf Sendung haben. Ich tippe da momentan eher auf Chailly.


    Gruß


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

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  • Interessant.
    Hoffentlich kommt eine der drei erstgenannten Aufnahmen dran.
    Von den neuen würde mich die der Thomaner noch am ehesten reizen.
    Habe selber aber auch für Richter abgestimmt. ;)


    Ich denke, den Link zur Abstimmung darf man ruhig setzen (?).


    "http://www.mdr.de/mdr-figaro/mitmachen/7946253.html"


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die drei Favoriten aus meiner Sammlung sind


    1. Karl Münchinger (1967) mit dem großartigen Peter Pears als Evangelisten und für die Tenorarien zuständig,
    2. Ralf Otto (1991) mit dem ebenfalls ganz ausgezeichneten Christoph Prégardien in diesen Partien, sowie
    3. Nikolaus Harnoncourt (2006/2007) mit dem erstaunlichen Werner Güra:



    Mit der Aufzählung will ich ausdrücklich keine Wertung verbinden.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Sagitt meint:



    Die Solisten von Karl Richter sind schwer zu toppen, ebenso der Monteverdi choir unter Gardiner, später bei der pilgrimage.


    Insgesamt finde ich eine Aufnahme von Güttler sehr gelungen. Sehr stimmig, Solisten, Chor, Interpretation.


  • Ich kenne Chailly noch aus seiner Zeit als Chef des damaligen Radio-Symphonie-Orchesters Berlin und habe besonders seine Bruckner- und Mahler-Dirigate geschätzt. Bach konnte ich mir bisher nicht vorstellen, wenngleich ich jetzt auch erfahre, dass er da ja auch schon einiges abgeliefert hat.


    Ich besitze eine Einspielung des Weihnachtsoratoriums und zwar die mit Peter Schreier als Evangelist und Dirigent. In diesem Jahr wollte ich mal etwas anderes hören und so sah ich im Laden die Chailly-Aufnahme, auf die ich sehr gespannt war.
    Im Gegensatz zur genannten Einschätzung hat mich der Eingangschor begeistert, ob des Schwunges und der etwas anderen Phrasierung im Gegensatz zu Schreier, der das doch sehr betulich rüberbringt.
    Dann aber kam die Enttäuschung: Ich frage mich nach welchen Kriterien die Solistenauswahl erfolgte, jedenfalls kannte ich keinen davon, was ja nichts bedeuten muss. Dann aber der erste Einsatz des Evangelisten :( Ein Vorredner hat schon das Wort von "dünn" gebraucht, dem kann ich nur vollends zustimmen. Zwischen Martin Lattke und Peter Schreier liegen wirklich Welten! Da bin ich ja verwöhnt. Und auch die anderen Solisten können denen bei Schreier (Donath, Lipovsek, Büchner, Holl ) nicht das Wasser reichen. Vielleicht liegt das auch an der hier schon kritisierten Aufnahmetechnik. Mir erscheint jedesmal bei den Rezitativen die Orgel zu laut, so dass die Stimme hoffnungslos unterlegen ist.
    Die Chorstücke dagegen sind durchweg akzeptabel und wirken allesamt recht frisch. Dennoch weiß ich nicht, wieso der mir ebenfalls unbekannte Dresdner Kammerchor zu der Ehre dieser Einspielung kam. Für mich wäre der in Leipzig beheimatete Thomanerchor die erste Wahl gewesen.
    Die Interpretation an sich hat etwas Entschlackendes. Der Vergleich der Spiellänge erstaunt: Chailly ist noch um drei Minuten länger. Gefühlt hätte ich gesagt, er ist flotter. Nun gut, vielleicht lege ich mir doch noch irgendwann eine dritte Aufnahme zu.


    Viele Grüße


    :hello:


    Manfred

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Hi Stefan,


    Zitat:



    Ich habe mitgemacht und als Freund HIPer Aufnahmen, der sächsischen Musiktradition und als Verehrer von Peter Schreier blieb mir nur eine Wahl: MEIN Weihnachtsoratorium dirigiert von Karl Richter.


    ------------------------------------------------------------------------
    Das habe ich auch gewählt weiss aber nicht das Ergebnis, was wird oder wurde gesendet?
    Schönes Rest-Fest und Grüße
    Volker

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Hallo Volker,



    ich wünsche Dir ein behütetes neues Jahr mit überbordendem Genuss unserer geliebten Musik! Leider hat MDR Figaro keine auswertung mehr im Netz, ich habe aber kurz hineingehört und kann deshalb sagen,dass mein Tip zutraf - Chailly hat mit weitem Abstand gewonnen - der Reiz des Neuen kann da wohl nicht überboten werden.Es wurde aber nur der übliche I-III Torso gesendet ( und weil noch Zeit war die IV von Schreier) Den 2. Platz finde ich da überraschender, aber keinesfalls unverdient: Martin Flämig mit dem Kreuzchor Dresden. Abgeschlagen hinten lag wohl Harnoncourt und dann kam schon bald " unser" Richter ( ob vor oder nach Jacobs weiß ich nicht).


    Aber bei mir gibts am Donnerstag Kantate Nr. 6 - mit Karl Richter! :D


    Gruß


    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo Stefan,


    durch diese vielen WO-Übertragungen - Rundfunk - Fernsehen - ist mir der mdr im Rundfunk leider durchgerutscht und habe nichts empfangen. Zu Chailly's WO hört man so unterschiedliche Meinungen - von Genial bis nicht Neues nur Durchschnitt so dass ich dazu nichts aussagen kann. Mir lag das mdr-Fernsehn mit den Weihnachts-Kantaten aus der Nikolaikirche mehr am Herzen und hatte mich darauf eingestellt. Na, Richter und dann Gardiner, dass war mein Festschmaus zu Weihnachten.
    Die 3 Kantaten aus dem WO zu Neujahr im Neujahrs-Gottesdienst der Frauenkirche Dresden waren recht achtbar..!!


    Dir wünsche ich auch ein gesundes und erfolgreiches Musikjahr 2011.


    Herzliche Grüße Volker

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Brilliant bringt eine zu meinen Top 10 der Aufnahmen des Bachschen "Weihnachtsoratoriums" zählenden Einspielung heraus:


    Künstler: Lynn Dawson, Bernhard Landauer, Charles Daniels, Klaus Mertens, Coro della Radio Svizzera, I Barocchisti, Diego Fasolis
    Label: Brilliant, DDD, 2002


    Auch wenn der Eingangschor etwas zu schnell geriet, so lässt der Rest mehr als nur aufhorchen. Dazu kommt ein hervorragendes Solistenensemble. I Barocchisti unter Diego Fasolis führen noch immer ein Schattendasein, obwohl sie für mich derzeit zu den Spitzen der Barock-Interpretation zählen.




    :hello: LT

  • Am 24.10.2011 erscheint auf DVD:



    [*]Künstler: Juliane Banse, Cornelia Kallisch, Markus Schäfer, Robert Swensen, Thomas Quasthoff, Winsbacher Knabenchor, Münchner Bachsolisten, Beringer Karl-Friedrich Beringer
    [*]Label: ROP , 1991


    :hello: LT

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  • Ich möchte auf eine Aufnahme aus dem Jahr 1958 aufmerksam machen, die ich für eine der besten halte. In einer Rezension wurde sie als "Jahrhundert- Aufnahme" gewürdigt.
    Schon der Eingangschor überzeugt mich durch ein für mein Empfinden wunderbares, gemäßigtes Tempo und dadurch gleich sehr ausdrucksstark. Die Platte erschien damals um 1960 und wie ich gerade feststelle, gibt es sie jetzt neu aufgelegt als CD und ist wohl für etwa 7 € zu haben. Ich glaube, ein sehr guter Tip. Die Aufnahme entstand in der Leipziger Thomaskirche.



    Die Mitwirkenden sind:
    Agnes Giebel (Sopran), Marga Höffgen (Alt), Josef Traxel (Tenor), Dietrich Fischer- Dieskau (Bariton)
    Thomanerchor Leipzig, Gewandhausorchester Leipzig
    Dirigent: Kurt Thomas

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Hallo chrissy,


    Deiner Meinung kann ich mich nur anschließen. Auch für mich ist es die beeindruckendste und überzeugendste Aufnahme des Weihnachts-Oratoriums schlechthin. Ausdrucksstarke Chöre mit Tiefgang, hochkarätige Gesangssolisten: AGNES GIEBEL, MARGA HÖFFGEN, JOSEF TRAXEL und DIETRICH FISCHER-DIESKAU, die wohl so etwas wie eine Idealbesetzung für dieses Werk darstellen , und KURT THOMAS als ein Dirigent, der die Tempi natürlich fließen läßt und der Orchester, Chor und Sängersolisten zu einer wunderbaren Einheit zusammenführt, machen das Hören dieses Oratoriums zu einem wahren Genuß.


    Gruß


    wok

  • Ja, die Aufnahme unter Thomas war damals wohl das erste Weihnachtsoratorium für mich, mit der ich das Werk kennenlernte; sie wurde ja auch in diesem Faden schon vielfach positiv genannt. Ich kaufte die LPs zusammen mit der Aufnahme der Matthäus-Passion mit Karl Erb als Evangelisten. Diese zweite Aufnahme hat entscheidend meine Sicht auf den idealen Gesang eines Evangelisten geprägt.


    Aber Thomas' Weihnachtsoratorium war für mich eine Enttäuschung. Obwohl ich damals noch gar keinen Vergleich kannte, empfand ich die Tempi nicht als "fließend", sondern als elend langsam und stockend. Von den großen Namen hatte ich mir Großes erhofft. Aber besonders der Thomanerchor, der so etwas wie eine Idealbild für mich darstellte, hielte von diesem Versprechen nichts: dünn, geradezu schwindsüchtig kam er daher und kraftlos, und immer wieder kamen Stellen, wo ich das Gebotene nur als unsicher empfinden konnte.


    Nein, dieser Aufnahme Freund bin ich nicht geworden.


  • Für mich auch eines DER Weihnachts-Oratorien (neben Karl Richter und Karl-Friedrich Beringer, den ich schon lange auf CD habe).


    Diese Original-CD-Ausgabe erschien bereits 1994 bei Berlin Classics. Selbst habe ich sie sicher schon fünf Jahre.


    Die Interpretation ist mit einiger Sicherheit die monumentalste, die es in STEREO gibt.


    Sehr prächtig finde ich auch Kurt Thomas' "Magnificat".


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,


    Die fast vernichtende Kritik von Ullrich über die Aufnahme des WEIHNACHTSORATORIUMS von BACH unter KURT THOMAS und dem THOMANERCHOR überrascht mich von einem so großen Musikkenner doch etwas, und diese weicht doch erheblich von vielen sehr positiven Besprechungen dieser Aufnahme ab.


    Geradezu diametral entgegengesetzt ist das Urteil z. B. von LIEBESTRAUM in seinem Beitrag vom 02.11. 2010 unter der Überschrift "WEIHNACHTSORATORIUM IN REFERENZAUFNAHMEN - MIT KNABENCHÖREN"! Dort kann man lesen: "...Ein wahrer Glücksfall....mit dem Thomanerchor...befindet sich der THOMANERCHOR damit noch in einem ausgezeichneten Zustand...Ebenfalls die Choräle werden z u m N i e d e r k n i e n dargeboten... g r a n d i o s ! ! ...überzeugt das GEWANDHAUSORCHESTER unter KURT THOMAS ... nichts wird verschleppt..."


    Zwischen solchen Urteilen liegen schon Welten! Gewiß gibt es n o c h bessere Chöre als den THOMANERCHOR zu jener Zeit - doch noch wichtiger als z. B. Präzision ist Ausdruck und Tiefe. Und gewiß ist KURT THOMAS mit seinen Tempi vergleichsweise langsam - "fließend" heißt nicht notwendigerweise "schnell", doch sein musikalischer Duktus tut m. E. dem Werk gut, und man sollte KURT THOMAS, dessen "Lehrbuch der Chorleitung" immerhin in viele Sprachen übersetzt wurde, eigentlich schon zutrauen, daß er den richtigen Ansatz für ein solches Bach-Oratorium findet.


    Aber wie so oft scheiden sich auch ani der Interpretation dieses Werkes wieder einmal die Geister, und es ist auch hier sicher eine Frage des persönlichen Geschmacks, welche Einspielung des WEIHNACHTSORATORUMS man präferiert.


    Viele Grüße


    wok

  • Die fast vernichtende Kritik von Ullrich über die Aufnahme des Weihnachtsoratoriums von Bach unter Kurt Thomas und dem Thomanerchor

    ?(?(?( Also, wenn ich mich über die Besonderheiten eines musikalischen Geschehens, wie ich es wahrgenommen habe, äußere, fällt das niemals "vernichtend" aus. Denn wenn ich über eine Aufführung nichts - nicht wenigstens etwas - Gutes zu berichten habe, schweige ich lieber. Zweitens habe ich über Thomas' Aufnahme keine "Kritik" abgegeben. Vielmehr habe ich - das wird aus meiner Schilderung aber auch deutlich, meine ich - ein persönliches Erleben aus der Erinnerung heraus geschildert, das jetzt so an die 40 Jahre zurück liegen mag. Nach Umstellung auf die CD habe ich Thomas' Aufnahme nicht mehr gehört. Es mag zum Beispiel durchaus sein, dass eine digitale Neuabmischung den Chor ganz anders belichtet, als es bei der LP damals der Fall war. Hätte ich eine "Kritik" abgegeben, wäre ich mit Sicherheit auf die Solisten eingegangen, von denen mir heute noch ganz besonders Josef Traxel und Marga Höffgen erinnerlich sind. Ich weiß noch, wie ich die große Altarie immer wieder rauf und runter gehört habe. Dieses Solistenquartett war begnadet. Wenn andererseits Joseph diese Aufnahme als die monumentalste in Stereo sieht, zeigt mir das, dass ich meine Erinnerung nicht zwingend überprüfen muss - denn Monumentalität hat nach meinem Verständnis mit Bachs Kantatenwesen wenig zu tun.


    Von daher find ich es es toll, wenn Thomas' Aufnahme immer wieder gerne herangezogen wird von jedem, dem es so gefällt. :hello::angel:

  • Ich wundere mich sehr über die lobenden Stimmen zur Aufnahme des Weihnachtsoratoriums mit Kurt Thomas. Diese kommt mir wie eine Karikatur des Werkes vor. Als ob man Bachs Orgelwerke auf einer spätromantischen Monsterorgel von Walcker, Sauer oder Ladegast im breiten Legato spielte. Ich habe nochmal reingehört.


    Hört Euch alleine die verschiedenen Tempi im Eingangschor an: Sehr breit zu Beginn (Pauken), dann steigert es sich nach und nach. Beim Da Capo merkt man, wie sehr Kurt Thomas die Zügel hat schießen lassen – da muss er ganz schön bremsen. Er kann sich ja für ein langsames Tempo entscheiden, aber den Eingangschor quasi accelerando zu spielen, dürfte wohl kaum in Bachs Intentionen gelegen haben.


    In Mizlers Nekrolog heißt es über Bach: »Im Dirigiren war er sehr accurat, und im Zeitmaße, welches er gemeiniglich sehr lebhaft nahm, überaus sicher«. Die beiden letzteren Eigenschaften, „sehr lebhaft“ und „sicher“, treffen auf das Zeitmaß des Eingangschores nicht zu.


    Kurt Thomas hat als Pädagoge Maßstäbe gesetzt. Sein dreibändiges „Lehrbuch der Chorleitung“ gehört noch heute zu den Standardwerken. Das Beispiel Karl-Heinz Kämmerling, einer der gesuchtesten Klavierpädagogen, mag aber unterstreichen, dass Können im Lehrfach und eigene künstlerische Leistung nicht immer auf demselben Niveau liegen müssen.


    Hört Euch auch an, wie der Chor singt. Etwa der Einsatz „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage“ im vierstimmigen Satz – alle Noten gleich betont, gleich laut, gleich breit. Das kann es nicht sein! Hört den Einsatz der Tenöre im imitatorischen Satz bei „Lasset das Zagen, verbannet die Klage“ – ist das Vokalausgleich?


    Die herrliche Stimme von Josef Traxel bezaubert. Aber warum erzählt er die Weihnachtsgeschichte so, als ob es der Bericht von der Kreuzigung wäre?


    Als ich das Ritornell der Violinen in „Bereite dich, Zion“ gehört habe, musste ich lachen – im dichten Legato habe ich das noch nicht gehört. Welches Wissen über barocke Tänze war im Jahre der Aufnahme (1958') eigentlich schon vorhanden? – Dass Kurt Thomas durchaus auch anders konnte, ist im Choral mit Rezitativ „Er ist auf Erden kommen arm“ zu hören – Oboen und Fagott tupfen ihre kurzen Noten nur an und artikulieren ansonsten unaufdringlich, so dass der musikalische Sinn der Phrasen nachvollziehbar wird. Sehr gut!


    Dass Fischer-Dieskau die Koloraturen in „Großer Herr und stahahahahaharker König“ mit so vielen „h“ versieht, ist Geschmackssache – ich finde es belustigend. Eine Platte für die Gesangsstunde: So macht man es nicht (mehr).


    Witzig ist auch das schleppende Tempo in der Sinfonia zum zweiten Teil. Die Taktart ist 12/8 – mit solchen Taktarten wurden muntere, geschwinde Sätze komponiert. Sehr langsame, getragene schrieb man in 4/2, 3/2 oder 2/2, nur wenig langsame, eher gehende in 2/4, ¾, 4/4, 6/4. Ein 12/8-Takt kennzeichnet ein eher flottes Stück.


    Völlig gegen den Sinn des Textes wird auch die Arie „Frohe Hirten, eilet, ach, eilet“ gespielt und gesungen. Was soll das getragene Tempo, was soll das phlegmatische Singen Traxels bei diesem Text? Wenn in barocker Musik etwas vorliegt, dann sicher die Kongruenz von Text und Musik.


    Wie gesagt: Eine Karikatur des Werkes.


    Ich habe hier mit dem Hören aufgehört. Das Leben ist kurz, und die Zeit zum Hören ist ohnehin zu knapp. Es ist mit dieser Aufnahme wie mit den römischen Schädelbohrern, die aus der Zeit um Christi Geburt erhalten geblieben sind: Man bewundert die damaligen Ärzte, man rühmt die fortgeschrittene Kunst der Operationen dieser Zeit. Aber selbst die Achtung vor dieser unglaublichen Leistung würde mich nicht dazu bringen, dass ich mich mit diesen Instrumenten malträtieren ließe.

  • FonoForum: "Überzeugende Interpretation. Wir können uns kaum einen geglückteren Dienst am Werk vorstellen." :pfeif::D


    Wobei ich Wolframs Ansätze teilweise schon nicht von der Hand weisen will.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Steht leider nicht auf der JPC-Seite. Vielleicht von 1958. :stumm:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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