Wodurch ist Schuberts Ausnahmerang als Liedkomponist begründet?

  • Lieber Helmut (Deinen Nachnamen spare ich mir, Dein Einverständnis unterstellt),


    ich kann dir nur voll und ganz und aus tiefster Überzeugung zustimmen!


    Eine Bitte habe ich an Dich:


    Sieh' Dir doch bitte meine Beiträge vom 21.06. + 28.08 zum Thema "Disltler, der Neuerer der ev. Kirchenmusik" (Chormusikforum) an.


    Ich weiß nicht ob Du für Chormusik ein "offenes" Ohr hast; in meinen Beiträgen geht es aber auch im Wesentlichen um die Umsetzung von Sprache/Text in Musik. Wenn Dir meine Beiträge entsprechen und Dir Chormusik nicht ganz fremd ist, dann höre Dir doch (auszugsweise) von Hugo Distler das Mörike-Chorliederbuch an. Ohne einen direkten Vergleich mit Schubert in Betracht zu ziehen, sehe ich doch einige Berührungspunkte und Ähnlichkeiten - ich würde mich sehr freuen, deine Meinung zu erfahren.


    (Ich werde zu Schubert in den nächsten Tagen noch eine Randnotiz hinzufügen - dies jedoch schon vorab: Bei Google stehen ausführliche Interpretationen zu Goethes Wandrers Nachtlied II; dort wird auch auf die persönlichen Lebensumstände Bezug genommen - ich glaube, dass dies in vielen Fällen zutrifft, besonders auch auf Schubert und Distler.)


    Es tut mit sehr gut, so in die Tiefe gehende Beiträge zu lesen.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zitat:
    Original von Helmut Hofmann
    Der Text geht in der Musik auf. Man gewinnt gar nichts mehr zusätzlich, wenn man den Text nachträglich, also nach der Rezeption des musikalischen Textes, liest.



    Das würde ja bedeuten, daß einem Hörer dieser Lieder, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, bei der Rezeption nichts verloren ginge?
    Das kann ich mir nicht vorstellen. Oder habe ich da jetzt etwas komplett falsch verstanden?




    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hallo Farinelli,
    Deinem Beitrag muss ich ganz heftig widersprechen;
    kann es sein, dass Dir eine tiefere Sinndeutung des Gedichtes durch Nachstehendes erschlossen wird(?): Bis "…spürest du kaum einen Hauch" ist dem Beitrag von "H.H." Nichts hinzuzufügen; das ist äußerst einfühlsam beschrieben und gedeutet, textlich + musikalisch. Es gibt den Begriff der "dichterischen Freiheit"; auch der Komponist hat die Freiheit (und das Recht), ihm besonders wichtig erscheinende Textstellen deutlich zu machen. …"die Vöglein schweigen - schweigen im Walde": Die unbelebte Erde (=Gipfel) und die sie umgebende Atmosphäre sind in Ruhe bzw. "kaum einen Hauch", Flora (=Walde) und Fauna (=Vöglein) schweigen (=sind auch in Ruhe)
    [Hugo Distler erreicht, 100 Jahre später, durch extreme Wort- und Satzteilwiederholungen in Verbindung mit seiner unnachahmlichen Tonsprache eine unübertroffen prägnante + intensive Textausdeutung!] Schubert macht durch die Wiederholung schweigen noch deutlicher, dass bis auf den Wandrer/Mensch Ruhe ist. Die "lebhafte" Klavierbegleitung bei 2x schweigen: Der Wandrer ist ja noch nicht zur Ruhe gekommen (er ist noch auf der Lebenswanderschaft) - die Ruhe folgt ja noch, bzw. wird "warte nur" mit leicht mahnendem Ton ange"droht" - der Untertitel des Gedichtes lautet ja auch: "Ein Gleiches"! Die aufsteigende Kantilene bei "balde" erreicht den End/(Tod)punkt der Lebenswanderschaft (medizinisch betrachtet ist der Höhepunkt der Lebenszeit ein anderer, als philosophisch betrachtet, wo am Lebensende der höchste Punkt der Lebensdauer/-zeit erreicht ist), weswegen Schubert hier den "höchsten" Ton seiner Komposition erreicht - und dann "ruhest du auch". Zum Schluss: Das Lebensgefühl zu Schuberts Lebzeiten ist mit dem heutigen unvergleichbar - "mehr Ausdruck der Empfindung" - und man fühlte eben - nach unserem heutigen Geschmack - romantisch. Schubert hat Goethes Gedicht kongenial in Musik gesetzt - und dabei eine Intensivierung der Textaussage erreicht, die sprachlich nie erreichbar ist - von einer "Unvertonbarkeit" kann überhaupt keine Rede sein.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Zweiterbass,


    geh mal davon aus, daß ich mit den germanistischen Implikationen des Textes bestens vertraut bin.


    Goethes Gedicht verfolgt scheinbar eine aufsteigende Linie von der unbelebten über die Pflanzen- und Tierwelt hinauf zum Menschen - in einer allumfassenden Ruhe geeint.


    Die bildräumliche Gegenbewegung erfolgt von oben (den Gipfeln) über die Wipfel ins Waldinnere bis hinab zum Subjekt.


    Entscheidend aber ist, daß die große Ruhe über den Gipfeln sich erst versinnlichen muß, damit der Mensch ihrer teilhaftig wird - vom kaum spürbaren Lufthauch ins Innerste des Hörraums entfaltet sich die Stille und breitet sich aus.


    Thomas Mann hat den Lindenbaum zweideutig genannt - unter dem liebenswürdigen Bild lauere der Tod. - Schubert macht aus dem Nachtlied-Schluß:


    Warte nur, warte nur
    balde
    ruhest Du auch.


    (zum Überfluß wird das ganze dann wiederholt).


    Ein derart aphoristisch verknapptes Gedicht wie das vorliegende Goethesche duldet m.E. keinerlei Abänderung auch nur seiner Interpunktion, ohne entstellt zuwerden. - Schubert überbetont den memente-mori-Aspekt, den Goethe, wenn überhaupt, gerade mal andeutet. Ich jedenfalls interpretiere "Ein Gleiches" nicht auf die Ambivalenz von Nachtlager und Bahre hin, sondern möchte den Einstand sinnlich-sensuell entfalteter Ruhe als Moment subjektiv gewonnenener Gegenwart, als Einklang von Innen und Außen herausstellen. (Und wir befinden uns hier auf romantischem Terrain).


    Ich mißtraue, offen gestanden, der Emphase in Deiner und Hellmuts Darlegung. Ich höre bei Schubert vor allem die ein wenig absichtsvolle Morbidität der Vertonung, die vielleicht doch wienerisch-katholischer ist, als es der eher nüchternen Lyrik des "Nachtlieds" lieb sein kann.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich soll wohl nicht zur Ruhe kommen!? (obwohl ich mich dem Versprechen der letzten Verse dieses Liedes so gerne überlassen möchte).
    Es ist zuviel, was hier gesagt wird, als dass man auf alles eingehen könnte. Ich starre fassungslos auf den Celan-Vers über farinellis Beitrag und kapiere wieder mal nichts.


    Zunächst zur Frage von Reinhard:
    Wenn Du es so verstanden hast, dann habe ich mich wohl unpräzise ausgedrückt. Lieder kann man nicht wirklich rezipieren, wenn man die Sprache nicht versteht, die ihnen im lyrischen Text zugrundeliegt.
    Ich meinte: Schubert hat zwar die Sprache in Musik verwandelt, aber natürlich bleibt der lyrische Text dabei weiter hörbar. Er erklingt sozusagen in einem neuen Gewand, das ihn nicht verbirgt, sondern das ihn sozusagen auf neue Weise präsentiert, ihm eine zusätzliche Dimension der Expressivität verleiht.


    An zweiterbass:
    Ich werde Deiner Bitte sehr gerne nachkommen, muss aber vorneweg gleich gestehen, dass ich für Chorgesang zwar ein offenes Ohr habe, aber herzlich wenig davon verstehe.


    An farinelli:
    Wenn Du, wie Du betonst, germanistisch so beschlagen bist, dann ist Dir sicher auch geläufig, dass ein konstitutives Wesensmerkmal von Lyrik die Polyvalenz ist. Es gibt eine - allerdings nicht beliebige! - Bandbeite der Interpretation eines lyrischen Textes. Gott sei Dank!
    Dass man "Ein Gleiches" so interpretieren kann, wie Du es tust, wird niemand bestreiten. Wo allerdings Die "Emphase" in der Art und Weise stecken soll, in der ich mit diesem Gedicht und dem Schubertlied umgegangen bin, das vermag ich nicht zu erkennen.


    Witzig finde ich das gedankliche Spiel zwischen dem Wiener Katholizismus und dem preußischen Protestantismus.
    Wenn nur Goethe von letzterem etwas gehabt hätte! Wenn Du mir eine Stelle in Goethes Werk nennen kannst, die preußischen Protestantismus atmet, dann lüpfe ich den Hut (den ich mir allerdings erst kaufen müsste).


    Warum billigst Du Schubert nicht zu, das Gedicht so zu lesen, wie er es mit seiner Komposition getan hat? Wenn er den Schluss so versteht, wie er es tat - ich sprach in diesem Zusammenhang von Ambivalenz - dann ist das kein Abweichen vom Gehalt des lyrischen Textes! Man kann nicht von einem kompositorischen Verstoß gegen die lyrische Textvorlage sprechen.
    Schubert hat sich der Polyvalenz des Goetheschen Gedichts überlassen. Das ist das - vom Dichter gewollte! - Recht, das jeder Leser eines Gedichtes hat.


    Dein - so nebenbei gegebener - Hinweis auf die angebliche Unvertonbarkeit des Gedichts hat mich schon mobilisiert. Ich bin bereits am Schreiben zu diesem Problem.
    Dahinter steckt ja die These, dass es so etwas wie die Unvertonbarkeit von Lyrik überhaupt gibt.
    Interessant! Interessant!

  • Lieber Helmut, lieber 'Farinelli',


    spontan muss ich sagen, dass ich beiden entgegengesetzten Positionen sehr viel abgewinnen kann, auch wenn ich in der Gesamtbewertung von Schubert ganz auf Helmuts "Seite" stehe. Vom "Spinnrad" bin ich nicht weniger begeistert und höre zunächst einmal die Musik ganz unabhängig davon, ob Schubert den Zusammenhang bei Goethe richtig getroffen hat und wie andere Komponisten das gleiche Lied vertont haben.


    Schubert hat nicht einfach Lyrik in Musik verwandelt. Er hat sich mit tiefster innerer Verbundenheit in die Lage von Gretchen versetzt. Er geht vom Gedicht zurück in die Situation, in der sich Gretchen befindet, und nimmt buchstäblich dessen musikalische Gestalt wahr. Das Spinnrad kreiselt, es wird Gretchen zum Zeichen ihrer Leere und Verlassenheit, sie lässt es stocken, Helmut hat das genau getroffen. Schubert entwirft mit musikalischen Mitteln die Situation neu, die Goethe gedichtet hatte.


    Das Gedicht von Goethe hat ihn angesprochen, und daher vermag er mühelos in seiner Komposition den Fluss und die Melodie des Gedichts zu treffen. Und doch hat er einen anderen Zugang auf die gleiche Situation als Goethe. Er hat ein Mitgefühl, das Gretchen viel näher kommt als es Goethe möglich war. Diese Nähe und innere Verbundenheit zu seinen Figuren ist für mich das Besondere an Schuberts Liedern.


    Aber auch 'Farinelli' trifft etwas Richtiges. Sicher ist der Ausdruck "ein wenig absichtsvolle Morbidität" hart und seinerseits ein wenig übertrieben. "Dieses leer in sich kreisende, von dumpfen Pedaltritten getriebene Wirrsal ist der Wahnsinn, der Gretchen zerstört, der zerstückte Sinn, ist eine so tiefe, abgründige Verzweiflung und Ausweglosigkeit, die die Figur hier vor dem Hintergrund ihrer eigenen Tragödie überhöht und zusammenfaßt." Ja, auch das kann ich aus diesem Lied heraushören. Erst recht sind treffend die technischen Beschreibungen, z.B. dass Schubert "bereits die Konventionen des Versmetrums gesprengt" hat.


    Zwar macht Schubert aus Gretchen keine Figur einer "Tragödie". Vielmehr gelingt es ihm, die Alltäglichkeit des Spinnrads und eines auf den ersten Blick sehr biedermeierlichen Bildes für sein Lied einzufangen ohne in die Welt der großen Figuren der Mythologie oder der Tragödie auszuweichen.


    Aber er wagt anders als Goethe selbst in einer solchen Alltagssituation den Blick in das Dunkle, den "Wahnsinn". Er hat die Mittel, ihn auszuhalten und sich nicht von ihm mitreißen zu lassen. Da sehe ich auch den Unterschied, warum Schubert sogar gegenüber Hugo Wolf einen Ausnahmerang hat.


    Mit den genannten Aufnahmen habe ich durchweg Schwierigkeiten, weil ich dieses Lied so wie alle anderen Lieder von Schubert im Grunde nur ganz schlicht wie ein Volkslied gesungen schön finde.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Lieber farinelli,


    ich habe in den letzten gut 30 Stunden Deinen Beitrag bestimmt 20x gelesen und dabei alle mir bekannten "Tricks" (laut lesen, verstandesmäßig rankommen, auf mich wirken lassen, nur so, die Gegenposition versuchen einzunehmen) angewendet, um zu für mich unverständlichen Aussagen doch noch einen Zugang zu finden - es hat leider nicht "Klick" gemacht.


    Eines muß ich aber noch los werden: Deine Anspielung auf "österreichisch/katholisch": ...warte nur... könnte ich da ja noch unterbringen, aber nach ...balde... käme ja dann (nach damaliger - und heutiger? - Lesart) die Hölle und das Fegefeuer - davon ist weder im Gedicht geschweige denn in der Musik auch nicht die geringste Spur vorhanden - sondern Ruhe und Wohlklang.


    Aber vielleicht kommen wir ja bei einem anderen Thema "auf eine Reihe".


    Viele Grüße


    zweiterbass


    __________________
    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mö

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Helmut,


    danke für Deine Bereitschaft, Distler anzuhören.


    Bei Deinem großen Fachwissen und Deiner noch größeren Einfühlungsgabe für Musik ist es für Dich, meine ich, überhaupt kein Problem, meine Beiträge zu Distler und seine Musik zu kommentieren. Dabei geht es mir, wie bei Schubert, um die Kunst, Text in Musik zu setzen - und ob es sich dabei um ein Kunstlied (Singstimme und Klaviersatz) oder um einen Chorsatz (mehrere Singstimmen zwei- bis acht- oder noch mehrstimmig) handelt ist, denke ich, von untergeordneter Bedeutung, wenn man davon absieht, dass im Chorsatz u. U. noch mehr Ausdrucksmöglichkeiten stecken.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Mit ganz feinem Schmunzeln lese ich, wie zweiterbass um das Verständnis von farinellis Thesen ringt, und denke wieder einmal: Wie schön, dass es dieses Forum gibt!


    Ich hatte ganz bewusst auf eine Interpretation von "Über allen Gipfeln" verzichtet, weil es mir in erster Linie um die verschiedenen "Vertonungen" und um Schuberts Kompositionstechnik ging.
    Jetzt möchte ich aber, aus gegebenem Anlass, doch einmal darauf hinweisen, dass der vorliegende lyrische Text nicht den geringsten Anlass bietet, zwingend(!) einen "Memento-mori-Ton" darin zu vernehmen.
    Der große Goethe Kenner Emil Staiger hat einmal zu diesem Gedicht bemerkt: "Die Sprache geht in der Abendstimmung auf, der Abend in der Sprache." Und das trifft´s genau!


    In einer gleichsam terrassenförmig herabsteigenden Satzmelodie teilt sich die Ruhe dem Menschen mit. Das lyrische Sprechen mündet in einen Gleichklang von Innen und Außen, der als allumfassende Ruhe erfahren wird.
    Man kann diese Ruhe als ambivalent erfahren, vor allem, wenn man in dem "warte nur" einen mahnenden Ton hört. Man muss das aber nicht. Es ist eher etwas, das bei der Rezeption der lyrischen Sprache mitschwingen kann, weil sie eben nun einmal - ich sagte es bereits - polyvalent ist.


    Wichtig für uns hier ist aber, dass Schubert völlig recht daran getan hat, die melodische Linie seines Liedes ebenfalls terrassenförmig anzulegen und sie am Ende in das "du auch" münden zu lassen.
    Die Wiederholung des "Warte nur" ist keine Vergewaltigung des Goethe-Textes, sondern sie hat einen tiefen kompositorischen Sinn.
    Ich versuche, ihn zu zeigen - und bedauere wieder einmal zutiefst, dass man hier zwar allerlei bunte CD-Covers abbilden kann, aber keine Noten (was ja eigentlich für ein Kunstlied-Forum viel wichtiger wäre!).


    Das "Warte nur, warte nur" knüpft, die Noten zeigen es, sowohl im Rhythmus als auch in der Abwärtsbewegung an "schweigen" und "Walde" an. Von der musikalischen Struktur her ist das eine Art Wiederaufgreifen der gleichen Notenbewegung.
    Nun ist zu beachten:
    Das "Warte nur" muss(!) gedoppelt werden, weil nur so die Aufwärtsbewegung mit dem Wort "balde" kompositorisch zu gestalten ist. Die Silbe "de" bekommt auf dem hohen f eine Fermate. Einen Augenblick lang hält die melodische Linie den Atem an, um dann in einer neuerlichen Abwärtsbewegung in das "Ruhest du auch" zu münden, dem eigentlichen Ruhepunkt des Ganzen.
    Man spürt beim Hören fast körperlich, wie mit dem Schlusston b auf "auch" die ganz große Ruhe auf einen übergreift, weil man als Hörer an dem Atem-Anhalten und dieser nachfolgenden melodischen Abwärtsbewegung teilhatte.


    Schubert vorzuhalten, er greife in unzulässiger Weise in Goethes Text ein, entspringt einer Verkennung seiner kompositorischen Absicht.
    Er wollte mit musikalischen Mittel das sagen, was Goethe mit den Mitteln der lyrischen Sprache sagen wollte. Um eine Verstärkung eines angeblichen "Memento-mori-Effekts" ging es ihm dabei nicht, weil er ihn (zu Recht!) gar nicht gelesen hat.
    Verwandlung von sprachlichem Text in musikalischen Text heißt ja nicht, sklavisch an ersterem zu kleben.
    Es geht um die Aussage, die der Text macht, und um die Frage, wie diese Aussage mit musikalischen Mitteln aufgegriffen und in ihrer Expressivität bereichert und verstärkt werden kann.


    Keine der anderen, hier besprochenen "Vertonungen" des Gedichts lässt die Eigenart der lyrischen Sprache Goethes, diese terrassenförmige Bewegung der Sprachmelodie, so gut und deutlich hörbar werden wie die Schuberts.
    Damit soll aber nicht(!) gesagt werden, dass diese anderen "Vertonungen" als Kunstlieder "schlechter" seien!

  • Meine Lieben,


    ich fühle mich von Walter T. - nämlich cum grano salis - bestens verstanden. Ich habe - bei youtube - Hans Hotter gleich zu meinem Lieblingsinterpreten erkoren.


    Lieber H.H., Emil Staiger in Ehren, aber bitte keine Apotheose der 50er Jahre, sondern, por favor, selbst denken.


    Das "Warte nur" bei Schubert ist durch Zäsur und Hornklänge so deutlich vom bisherigen Verlauf des Liedes abgehoben, daß ich Deine Beschreibungen dahingehend fast unlauter finde ("ebenfalls terrassenförmig").


    Goethes Gedicht ist vielleicht nicht preußisch, aber gewiß nüchterner. Sinnlichkeit (quasi Kantisch genommen) bedeutet hier bloß Erkenntnistheorie, subjektive Selbstvergewisserung (spürest ab externo, hörest ab interno). - Schubert erliegt der großen Versuchung zur Gesangslinie anläßlich eines Verses, der soviel fließende Tröstlichkeit einfach nicht hergibt ("Die Vögelein schweigen im Walde").


    P.S.: Bis hin zum gleichnamigen Ganghofer-Roman assoziiert das "Schweigen im Walde" Unheimlichkeit (und Schuberts Vertonung - ab "Spürest Du" - weiß sehr wohl darum). - Natürlich könnte man auch an Claudius denken ("Der Wald steht schwarz und schweiget") - ob das idyllischer ist, sei dahingestellt.


    Für mich umreißt Goethes Gedicht die Atmosphäre und Stimmung einer tiefen Einsamkeit zu früher Dämmerstunde ("Nachtlied", nicht Abendlied, Harmonies du soir), wenn die Waldvögel bereits zu singen aufgehört haben - ein akustisches Pendant zum Frösteln, wenn die Abendkühle die Wangen streift und weithin unbewohnte Waldgipfel den Blick begrenzen.


    Ohne den Aspekt des Befremdlichen, nicht recht Geheuren dieser Isolation des verspäteten Wanderers über dem abendlichen Nebelmeer gleicht das Gedicht (à la Staiger) einer Verharmlosung seiner selbst ("aufgehende Abendstimmung"). - Und das hat sehr viel mit der pointierten Syntax zu tun.


    Terrassenförmig - das scheint mir eher eine Metapher zum Zweck der Einebnung aller signifikanten Unterschiede zu sein, als ein hilfreiches Bild zur Erfassung der Eigenart von Schuberts Vertonung.


    Eine adaequate Umsetzung einer sehr ähnlich gelagerten bildlich-atmosphärischen Situation finden wir m.E. im "Abschied" des Liedes von der Erde:


    "Die Vögel hocken still in ihren Zweigen
    Die Welt schläft ein".


    Eine fatale Doppelung von "Warte nur!" übrigens ebenfalls bei Mahler, in den Wunderhorn-Liedern ("Das irdische Leben").

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


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  • Lieber farinelli,


    da wir hier offensichtlich nicht die neueste Version von "Burning Board" haben und zitieren nur innerhalb desselben Thread funktioniert (wenn ich mich da täusche, bitte ich höflich um Korrektur!), bleibt mir nur der Weg, über die Zwischenablage das Zitat einzufügen, auf das ich mich nun beziehen will (der Text stammt von mir in "Was gewinnen Gedichte durch ihre Vertonung" am 23.07.)



    Eine generelle Aussage ob die Vertonung eines (Lied)textes für den Text gewinnbringend ist, halte ich für sehr problematisch, da zu viele individuelle Momente eine Rolle spielen.
    (Auf meine Beiträge in 2010 zu Hugo Distler und Morten Lauridsen verweise ich.)


    "Jeder soll(te also) nach seiner Facon selig werden."



    Ich habe z. B .schon viele Nachtwanderungen - auch im Wald - gemacht und habe mich nie als "verspäteter" Wanderer gefühlt, genausowenig ich den Wald als "Befremdlich, ...nicht ganz Geheuerlich, ...Nebelschwaden" (wie Du es, nicht am Tag, fuehlst) empfunden habe. Auch das Gefühl "tiefer Einsamkeit...wenn weithin unbewohnte Wipfel den Blick begrenzen" habe ich nicht, auch nicht als Einzelwanderer.


    Ich will damit sagen, dass die Wirkung eines Gedichtes und dessen Vertonung auf den Leser/Hörer auch sehr von individuellen Lebenserfahrungen abhängt.


    Unter diesem Gesichtspunkt würde ich in diesem Forum Formulierungen wie "fast unlauter" nicht verwenden - Jeder trägt sein positives, vor Allem aber sein negatives Lebenserfahrungsbündel mit sich herum - und dessen Wirkung ist für den nicht "Selbsterfahrenden" kaum einzuschätzen. Ich will Dich weder kritisieren noch belehren; ich für mich habe aber eine (übertriebene?) Sehnsucht nach "kein Streit, Ausgeglichenheit, Wohlfühlatmosphäre" - und das ist mein "Haken" und mein Beweggrund, Dir das zu schreiben.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Zweiterbass,


    völlig d´accord; als Waageaszendent bin ich auch eher harmoniesüchtig und nehme das leidige "unlauter" gänzlich zurück; pace, H.H.


    Überhaupt habe ich mir das Nachtlied jetzt so oft vorgespielt, vorgesprochen und - gesungen, daß ich gar nicht mehr so sicher bin, was die Zeile mit den Vögelein eigentlich ausdrückt.


    Ganz gewiß aber schafft Schubert mit seiner Vertonung eine Atmosphäre der Ruhe, in die sich die Schauer des Unfaßlichen und eine schwer greifbare Trauer und Tröstung mischen, was dem Gedicht im Ganzen doch sehr gerecht wird. Ich wollte vor allem nicht in Abrede stellen, daß es ein ganz unvergleichliches Lied ist.


    Wahrhaftige Momente der Ruhe sind in der Musik selten und kostbar; vom Phänomen der Gegenwart (als zeitlich-sinnlicher Selbstvollzug) ganz zu schweigen. Musikalische Zeit, ein schönes Thread-Thema. Aber das führte hier alles zu weit ...

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  • Kein Ende?
    Von mir aus sehr wohl!


    Es wäre zwar noch einiges zur zentralen Frage dieses Threads zu sagen, aber man läuft dabei ja offensichtlich Gefahr, sich schwere Breitseiten einzufangen. Die haben zwar mit der Frage nach dem Ausnahmerang Schuberts überhaupt nichts zu tun, so dass man sie eigentlich ignorieren sollte, aber dazu hat halt nicht jeder das Format.


    Für diejenigen, die hier weitermachen wollen:
    Der Beitrag von Walter T. bietet einen wichtigen Ansatzpunkt. Dort ist von der Fähigkeit Schuberts die Rede, sich "in tiefster innerer Verbundenheit" in die Lage Gretchens zu versetzen.
    Das ist ja wohl ein Fingerzeig auf die Art und Weise, wie Schubert an die lyrischen Texte herangegangen ist, die er in Lieder verwandeln wollte.
    Er tat das sicher nicht als interpretierender Germanist, sondern als einfühlsamer Musiker.
    Unterscheidet er sich darin zum Beispiel von Robert Schumann, dessen Interesse für Literatur ganz anders geartet war?
    Das wäre doch eine interessante Frage, der man mit Blick auf die Eigenarten des Schubertliedes nachgehen könnte!
    Ach ja, - es wäre auch noch über die ganz spezifische Eigenart der Schubertschen Melodie nachzudenken. Die unterscheidet sich ja ganz deutlich von der Schumanns und sogar fundamental von der Hugo Wolfs.
    Also noch einiges zu tun, - hier in diesem Thread!

  • Er tat das sicher nicht als interpretierender Germanist, sondern als einfühlsamer Musiker.


    Ach, lieber Hellmut, es gibt auch einfühlsame Germanisten


    Aber um Deinen Vorschlag auszuspinnen:


    Man vergleiche die jew. Vertonungen aus "Wandrers Nachtlied" und "In der Fremde"; und zwar anläßlich der Verse:


    Warte nur, balde
    ruhest du auch.


    bzw.:


    Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit,
    da ruhe ich auch[und über mir
    rauscht die schöne Waldeinsamkeit ...]



    Die Gedichte haben ein paar auffällige Gemeinsamkeiten, und der Goethe-Anklang im zitierten Vers ist unübersehbar.


    Schubert wählt für seine Vetonung eine schlichte Kadenz zur Bekräftigung des ruhevoll ausklingenden Gesangs, die unverändert wiederholt wird. - Auch Schumann wiederholt den entsprechenden Eichendorff-Halbvers. Aber hier kommt rein gar nichts zur Ruhe; vielmehr stellt sich die "Denk es, oh Seele"-Frage in all ihrer beängstigenden Unlösbarkeit. Vielleicht hatte es Eichendorff, im Sinne Goethes, tröstlicher gemeint mit der schönen Waldeinsamkeit. Schumanns Vertonung spendet keinen Trost. Die wehmutsvolle Melancholie, mit der das Lied einsetzt, perfekt auf die unheilvollen Textsignale abgestimmt ("hinter den Blitzen rot"), gewinnt an der Stelle des "da ruhe ich auch" eine beklemmende Intensität, angesichts derer die Vorstellung des einsam rauschenden Waldes sozusagen verblaßt, alle Farbe verliert oder sogar wie ein leiser Hohn klingt.


    Schumann verleiht dem Eichendorff-Text eine sehr persönliche Färbung. Die unruhige Erregung, die es von Anfang an durchzieht, die Bangigkeit nehmen starken Einfluß auf die Akzentuierung - z.B. das gedehnt hervorgehobene "lange" in "aber Vater und Mutter sind lange tot", das die Deklamation schaurig verzerrt.


    Eichendorffs Reflexion über die eigene Vergänglichkeit liest sich für sich genommen schlichter und gefaßter, als es die nervöse Vertonung nahelegt. Schumann antwortet auf Eichendorffs Schicksalsergebenheit mit einem Anflug von Zwiespalt und Auflehnung, der die beiden ausbalancierten Gedichthälften -


    es kennt mich dort keiner mehr


    bzw.


    keiner kennt mich mehr hier


    zu einer einzigen bohrenden und quälenden Selbstbesinnung verklammert. Der Unterton der Angst ist dabei die Grundfarbe, und darin liegt m.E. die wesentliche Aussage Schumanns, der die gegenläufigen Textsignale in der zweiten Gedichthäfte "stille Zeit", "ruhe ich" bzw. "schöne Waldeinsamkeit" bloß zu weiteren Facetten der panischen Grundstimmung stilisiert.

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  • Lieber farinelli, lieber Helmut (schön nach dem abece),


    ich greife Helmuts letzten Satz auf: Ich hätte da eine Idee - Schubertlieder unter dem Stichwort "im Volkston" (ich hoffe, mit diesem Ausdruck und den nachfolgenden Liedvorschlägen ohne lange Worte ersichtlich machen zu können, was ich meine).


    Liedvorschläge: Taubenpost, An Sylvia, Musensohn, Meeresstille, Seligkeit, Lachen und Weinen.


    Eine kluge Liedauswahl aus meinen Vorschlägen, besser, klügere Gegenvorschläge sind sehr erwünscht (möchte sagen sind "erwartet"). Schlechte Idee??


    Nebenbei: Taubenpost und An Sylvia habe ich auch ich in einer frühen Aufnahme mit Bostrige - spätere Liedaufnahmen mit ihm würde ich mir nicht mehr kaufen - überinterpretiert, "opernversaut".


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

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  • Lieber zweiterbass,


    Du sprichst mich hier an und beziehst Dich auf den letzten Satz meines vorigen Beitrags. Du scheinst überlesen zu haben, dass ich aus diesem Thread "ausgestiegen" bin.
    Die Geschosse in der "Breitseite", von der ich sprach, waren wirklich schmerzhaft.


    Ich bin zu alt, um mich in intellektuelle Auseinandersetzungen zu stürzen, auch wenn die noch so verlockend sein mögen, weil sie geistvoll und funkensprühend sind. Meine Beiträge hier im Forum verstehen sich durchweg als rein sachbezogene Äußerungen zum Thema Kunstlied, und so soll das auch bleiben.


    Ich melde mich hier nur deshalb noch einmal, weil ich Dir versprochen habe, Deine Beiträge zu Hugo Distler in der Abteilung Chormusik zu lesen und mir auch Hugo Distler anzuhören.
    Letzteres habe ich getan, aber ersteres ist einem Computertrottel wie mir (natürlich!) nicht gelungen.
    Ich habe mehrere Durchänge durch die einzelnen Threads gemacht und sogar die forumseigene Suchmaschine benutzt, - ohne Erfolg.
    Wie also kann ich Dich finden?

  • Lieber Helmut,



    ich habe tatsächlich "...nicht jeder hat das Format" nicht mit Deinem letzten Satz in Zusammenhang gebracht ,"dass es noch viel zu tun gibt" - es tut mir sehr leid, dass ich da was falsch verstanden habe. Ich bin u. U. manchmal etwas oberflächlich. Du bleibst aber doch im Forum! (Ich lese Deine Beiträge mit großem Interesse und noch größerer Freude.)


    So findest Du mich bei Hugo Distler (bitte, verstehe das nicht als Besserwisserei, ich bin auch 70 und komme mit diversen Funktionen hier auch nicht zurecht - z. B. dass man hier auf der Eingabeseite nicht problemlos die Schriftgröße verändern kann):
    Klicke bitte auf der Portalseite "suchen" an - gebe dann bitte auf der dann erscheinenden Seite unter "Suche nach Schlüsselwort" Hugo Distler ein und bei "Suche nach Inhalt" klicke bitte "nur im Betreff" an - klicke dann bitte unten auf "suchen" - es erscheint dann auf der folgenden Seite "Hugo Distler Neuerer..." - wenn Du dann ganz rechts neben zweiterbass den Pfeil anklickst kommt auf der folgenden Seite mein letzter Beitrag, es stehen noch 2 Beiträge davor.


    Bitte, rede Dir nicht den "Computertrottel" ein; es ist Sache der Softwareentwickler eine Forensoftware so zu entwickeln, dass sie "selbsterklärend" ist. Hinzu kommt, dass bei "tamino" nicht die neueste Version (warum nicht?) installiert ist und die aus Wien kommenden Anweisungen/Hilfen nicht auf dem aktuellen Stand und außerdem unzureichend/unvollständig sind.


    Wenn Dir Distler zuviel "Sucherei" macht - ich kann das nachvollziehen - breiten wir den Mantel des Verständnisses drüber und lassen es sein.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Helmut,


    bitte vergiß alles, was ich hier zusammenschreibe, was mir an Unbedachtheit und spitzer Polemik aus der Feder fließt - lieber nehme ich alle meine postings zurück, als mitverantworten zu sollen, daß dieses Forum künftighin um Deine schönen Beiträge gebracht sein möchte.


    Gegen Dein Format wage ich gar nicht anzutreten; daher auch von "Breitseiten" gar keine Rede sein kann, allenfalls vonTaktlosigkeiten auf meiner Seite.


    Wenn soviel Torheit um Verzeihung bitten darf, dann bitte ich Dich hiermit um Verzeihung.


    Bitte verschaffe uns auch künftig das Vergnügen Deiner klugen Überlegungen.


    Lieber Helmut, sei ein wahrer Cortegiano und übe Großmut -


    darum bittet Dein Farinelli

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Lieber Helmut,


    ich schließe mich der Bitte von farinelli von ganzem Herzen an - und bin so ehrlich einzugestehen, dabei nicht ganz uneigennützig zu sein - ich kann, und möchte bitte weiterhin, von Dir in einem Umfang lernen, wie Du es Dir vielleicht gar nicht vorstellen kannst.


    Wenn Du Dir meine Vorstellung hier im Forum (klicke irgendeinen Beitrag von mir an und klicke dann "suchen" an, es erscheinen dann alle Beiträge von mir, meine Vorstellung ziemlich am Anfang - ich bitte um Nachsicht, wenn ich Dich mit Dir Bekanntem langweile) durchliest, kannst Du es erahnen.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber farinelli,
    lieber zweiterbass,
    ich lese eure Worte und bin beschämt.


    Mein Hirn sagt mir zwar oft, dass die Seele vielleicht doch etwas zu sensibel ( um nicht zu sagen "übersensibel" ) sein könnte, aber es passiert leider immer wieder, dass ich übertrieben empfindlich reagiere.


    Wir wollen´s mit dem Entschuldigen nicht übertreiben, aber ich glaube: Jetzt bin ich dran!


    Übrigens:
    Der "Cortegiano" ist nicht nur ein hübsches Wortspiel, sondern eine Mahnung für mich.

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  • Lieber Helmut,


    es wäre zwar etwas übertrieben, auf den "Froschkönig - Heinrich, der Wagen bricht" zu verweisen - aber ich bin doch sehr erleichtert!


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Nachdem ich noch ein wenig mit verschiedenerlei gesungenen Interpreationen zu Schumann op. 39/1 befaßt habe, muß ich mir eingestehen, daß eigentlich niemand dieses Lied so singt, wie ich es beschreibe.


    Ohne den Notentext vor Augen zu haben, auf mein Gehör angewiesen, kann ich dafür zunächst zwei Gründe angeben.


    Zum einen die Tempowahl - zumeist wird das Lied langsam, mir scheint: zu langsam genommen; eng damit verbunden wird das dynamische Spektrum niedrig angesetzt und, wenn überhaupt, im Pianobereich nuanciert.


    Zum anderen haben viele heutige Sänger ein Klangideal, das ich als ätherisch bezeichnen möchte - die Singstimme formt ihre Melodiebögen frei schwebend über der Begleitung; sie wird in ihrer Farbgebung durch die Klavierstimme kaum affiziert, sie interagiert m.E. zu wenig mit dem Klavier.


    Dagegen ist nichts zu sagen; im Effekt wirkt "In der Fremde" so wie ein wehmütiges Nocturne. Die sich allen Phasen gleichförmig gebende Stimmfarbe verleiht dem Gedicht einen befremdlich-schönen Zug, quasi wie ein schönes krankes Mädchen, das verklärt lächelnd von ihrem Tod spricht.


    Da mein Ansatz aber die Untersuchung von Reibungsflächen zwischen Text und Komposition ist, kann ich mit derlei Interpreationen wenig anfangen.


    Ich wähle als Mustereinspielung daher Dietrich Fischer-Dieskau 1955 (mit Gerald Moore, Emi) aus. Und die Noten hab ich jetzt auch aus dem Internet.


    "Nicht schnell" das Tempo; piano die einzige dynamische Angabe (abgesehen von einer leichten Hervorhebung der steigenden Quinten jew. bei "wie bald" und "stille Zeit" im Klavier). Und pp für den dritten Vers; wird hinterher nicht mehr aufgehoben - nach Notentext müßte das Lied ab dann im Pianissimo gespielt & gesungen werden.


    Die erste Strophe nimmt harmonisch zweimal einen ähnlichen Verlauf nach dem Kadenzschema; Vers drei aber weist auf "Mutter" und "lange" zwei charakteristische Entrübungen auf (verminderter Septimenakkord auf his, halbverminderter Septimenakkord auf h, durch die Rückung a-gis in der Singstimme wiederum in den doppelt verminderten Septakkord h-d-eis-gis abgeschattet). Moderne Sänger, wie gesagt, singen darüber elegant hinweg.


    Schumann kommentiert aber durch diesen harmonisch ungewönlichen Verlauf den dritten Vers in einer Weise, die sich nicht mehr als Textverdeutlichung hören läßt. Der Eindruck einer Verunklärung und eines im Trüben Fischens, ausgerechent auf dem Wort Mutter; die Dehnung des "lange tot" akzentuieren Eichendorffs Text beinah ein wenig neben der Spur, machen Zwischentöne vernehmlich, die das Gedicht als solches nicht bietet.


    Zugegeben, das Gedicht verschleiert seine metrische Anlage auch selbst ganz gehörig:


    da ruhe ich auch, und über mir
    rauscht die schöne Waldeinsamkeit


    Aber Schumann bricht in der zweiten Strophe die lyrische Struktur völlig auf, indem er "da ruhe ich auch" bzw. "die schöne Waldeinsamkeit" jew. zweimal singen läßt, wodurch das "und keiner kennt mich mehr hier" - trotz Wiederholung - im Lied wie ein Anhängsel wirkt, obwohl es doch eigentlich die Pointe des Gedichts ist.


    Schumann - im Gegensatz zu Schubert, denn ich bin noch immer im Begriff, Helmuts Anregung über die literarische Vorgehensweise der Komponisten aufzunehmen - scheut sich nicht, einen Text gegen den Strich zu verfremden, um eine ganz bestimmte subjektive Botschaft zu transportieren.


    Die scheinbare Dur-Aufhellung der zweiten Strophe ("Wie bald, ach wie bald") wird von der expressiven Gesangslinie alsbald überschritten. Die halb- und doppelt verminderten Harmonien klingen in den Arpeggien des rauschenden Waldes wieder auf, mit einem unheimlichen Effekt.


    Es scheint mir daher nur folgerichtig, wenn Fischer-Dieskau 1955 für die zweite Strophe große dynamische Bögen einbringt, um das zweimal vergeblich in die Höhe und die Tiefe ausgreifende "ruhe ich auch" und die "schöne Waldeinsamkeit" mit einem verzehrenden Ton zu belegen, dem das Zurücksinken ins pp am Ende wie ein beklemmendes Verlöschen folgt.


    Daß das Lied von einer geheimen Rastlosigkeit und Erregung getragen sein muß, verrät, zum Abschluß, schon die Tempoangabe - "nicht schnell" meint anderes als "ziemlich langsam" und ist eher auf die gesungenen Viertel (denn auf die begleitenden Sechzehntel) zu beziehen.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Deine Analyse, lieber farinelli, hat mich beeindruckt.
    Du hast den Notentext so gründlich studiert, dass einem das Herz aufgeht.
    Ich stimme Dir, was die Ergebnisse anbelangt, in den meisten Punkten zu.
    Einwände, - nur im Sinne von Nachdenk- und Nachprüfimpulsen - hätte ich an zwei Stellen:


    - Schumann greift tatsächlich sehr oft in den Text ein, um seine musikalische Aussage zu verstärken. So auch hier.
    Wieso er aber in diesem Lied "den Text gegen den Strich" verfremde, das vermag ich nicht zu erkennen. Die Textwiederholungen sind musikalische Akzentuierungen der lyrischen Aussage.
    "Die schöne Waldeinsamkeit" ist eines von den "Standardbildern" bei Eichendorff, die er in seiner Lyrik immer wieder wie metaphorische Formeln benutzt. Sie ist der Ort, an dem sich die visionäre Sehnsucht dieses Gedichts entfaltet.


    - Was den Schlussvers anbelangt, weicht meine Sichtweise deutlich von der Deinigen ab.
    Das "und keiner kennt mich mehr hier" ( es heißt übrigens bei Eichdendorff "auch hier"! )wirkt in der musikalischen Struktur des Liedes keineswegs wie ein Anhängsel, und das aus zwei Gründen:


    Erstens steht im Notentext in diesem Takt zischen den beiden fis (Halb - und Viertelnote ) eine Viertelpause.
    Heißt: Hier setzt die melodische Linie neu an (wenn auch auf demselben Ton) und damit wird ihr das Gewicht einer eigenständigen und -gewichtigen Aussage gegeben.


    Zweitens muss unnbedingt das Klaviernachspiel in diesen Schluss des Liedes einbezogen werden. Es hat, wie immer bei Schumann, ein großes Gewicht im Hinblick auf die musikalische Aussage.
    Und da wird ja die melodische Linie des Schlussverses noch einmal zitiert, das heißt also auch akzentuiert!


    Zudem herrscht hier im Diskant des Klaviers ein Quintentmotiv vor, das in späteren Liedern dieses Liederzyklus wieder auftaucht und ganz wesentlich zu dessen innerer Einheit beiträgt.


    Voll treffend finde ich, was den Charakter dieses Liedes angeht, Deinen Vergleich mit einem Nocturne.
    Für Sänger und Interpreten fühle ich mich in diesem Forum nicht so sehr zuständig. Vielleicht solltest Du, wenn schon Fischer-Dieskau, dann seine Aufnahme mit Alfred Brendel an hören (Philips, Juli 1985).
    Es könnte sein, dass sie Dir mehr zusagt.
    Über den Noten steht als Tempoangabe "Nicht schnell". Ich kann nicht finden, dass Fischer-Diekau dieses Lied zu langsam nimmt.


    Ich versuche mir vorzustellen, wie es in einem etwas größeren Tempo klänge, und denke, das würde dem Geist dieser Komposition nicht gerecht, die ja die Singstimme ganz bewusst über einer arpeggierenden Begleitfigur so schweben lässt, dass sie lange zwischen Grundton und Quarte verbleibt und niemals die Tonspanne einer Septime übersteigt.


    Ich meine, dass Schumann mit der Tempoangabe "Nicht schnell" die Wahl eines unangemessen schnellen Vortragstempos definiv ausschließen wollte.

  • Ich beobachte bei mir immer häufiger das Bedürfnis, zu dem, was ich hier geschrieben habe, einen Nachtrag zu machen.
    Da denkt man über ein Thema hier im Forum nach, trägt ein, was im Augenblick zu sagen ist, und dann lässt es einen nicht mehr so einfach los.


    Gestern zum Beispiel ging mir immer wieder der Schlussvers von Eichendorffs "In der Fremde" im Kopf herum, weil farinelli meinte, er käme wegen des Übergewichts der "schönen Waldeinsamkeit" (Wiederholung!) zu kurz und wirke wie ein Anhängsel.
    Ich war anderer Meinung und versuchte das auch zu begründen.


    Hinterher fiel mir noch ein Argument ein, das sich aus dem Notenbild ergibt. Man kann das zwar auch hören, neigt aber vielleicht dazu, es zu über-hören.
    Schumann wiederholt die melodische Linie ja nicht einfach. Bei zweiten Mal ist der melodische Tonsprung bei "keiner kennt" ein anderer!
    Er ist größer(!): Nicht von g nach h, sondern von g nach dem hohen d.


    Ich bin mir sicher, dass Schumann das gemacht hat, um diesem Schlussvers besonderes Gewicht zu geben und ihn eben nicht wie ein Anhängsel wirken zu lassen!


    Vielleicht sollten wir aber zu unserem eigentlichen Thema (Schubert) zurückkehren.
    Diese Analyse von farinelli zeigt ja, dass Schumann mit dem Text von Eichendorff anders umgegangen ist, als Schubert dies für gewöhnlich mit lyrischen Texten tut.
    Schumann interpretiert musikalisch. Schubert tut dies in dieser Weise nicht.


    Zweiterbass hat vorgeschlagen, sich einmal den Schubert des "Volkstons" vorzunehmen. Es ist zu vermuten, dass man auch hier noch auf ein ganz wichtiges Spezifikum des Schubertliedes stößt.

  • Lieber Helmut,


    zwar spät, aber hoffentlich nicht zu spät:


    Die Vertonungen von Loewe und Zelter kenne ich nicht - ich bin kein Freund von Balladenvertonungen(Loewe) und Zelter ist mir wegen seiner "Männerchöre" etwas suspekt


    Schumann, kurz und knapp: Ich finde keinen Zugang zu dieser Vertonung - auf mich wirkt sie "gekünstelt", von der Textumsetzung in den musikalischen Ausdruck.


    Schubert: Da kann ich nur auf den Beitrag von "siegfried" vom 01.04.2010 verweisen - und dem voill zustimmen.


    Was meine Anregung zu Schubert "Im Volkston" angeht: Würdest Du bitte - u. U. in Kooperation mit "farinelli" - die Auswahl und den Anfang machen - ich werde mich mit/nach meinen Fähigkeiten und meinem Verständnis gerne "anhängen".


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber farinelli,


    meine Gedanken zum Eichendorff-Text - Schumann 39/1 - (auch zu spät):


    1. Strophe: Aus einer schönen Kinder-/Jugendzeit (...hinter den - jetzigen? - Blitzen rot) - es ist lange her (...sind lange tot) steigen Eriinnerungen (...Wolken her) auf, die unwiederbringlich sind (...es kennt mich dort keiner mehr). Flair: Wehmut.


    2. Strophe: Gedenken an die menschl. Vergänglichkeit, die im Gegensatz zur Natur individuell einmalig und kurzfristig ist. Flair: Selbstzweifel, Lebenssinn, Ruhesehnsucht.


    Zur Musik Schumann's und Vergleich mit Schubert - siehe nächsten Beitrag - morgen?


    Vorschlag Kooperation Schubert "Im Volkston"??


    Herzliche Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Secondo,


    schon anläßlich von Alfred Schmidts Thread "Lieder um 1900 - warum wurden sie komponiert?" habe ich mir, ohne sie letztlich zu formulieren, Gedanken über die Kategorie des Volkstümlichen gemacht.


    Eine schwierige Kategorie - für die "Zauberflöte" ein Lob, für das Samstag-Abend-Konzert aus Bad Breisig im TV ein Grund, abzuschalten.


    Schubert hat wirklich vieles "im Volkston" geschrieben; Schumann ist meist zu kompliziert und zu esoterisch. Und wo er betont schlicht eine allseits verständlich menschliche Erafhrung vertont ("Frauenliebe und -leben"), da ist er vom Volkston doch denkbar weit entfernt (und volkstümlich sind diese patinierten Lieder heute bloß insofern, als das Damenrepertoire gepflegt wird - es existieren zahllose Aufnahmen).


    Brahms hat sein Liedschaffen weit stärker auf das Volksliedhafte verpflichtet - wenn seine Deutschen Volkslieder (ich denke z.B. an das grandiose "Schwesterlerin") auch hochraffinierte Kunstwerke sind, die über ein Arrangement weit hinausgehen.


    Das berühmte Wiegelied aber ist wirklich ein Volkslied geworden; anderes wie "Von ewiger Liebe", "Wie Melodien zieht es mir" möchte man eher populär oder breitenwirksam als volksliedhaft nennen - was dann für Richard Straussens bekannteste Lieder erst recht gilt ("Zueignung").


    Das Volksliedhafte bei Mahler ist vollends (wie ansatzweise bei Brahms) ein komplexes Arbeiten über ein bestimmtes - in Klammern: geschichtlich überliefertes - Material (z.B. die Wunderhorn-Lyrik). Und so allgegenwärtig das Volkslied bei Mahler in seiner Naivität und Magie nachwirkt - geschrieben hat er keines.


    Zu guter letzt muß man das Volkslied selbst gründlich definieren - an Silcher, den Großarrangeur ist zu erinnern; aber auch an Lieder wie "In einem kühlen Grunde" - von dem man ja kaum den Komponisten kennt; aber das, wäre es selbst von Schubert, diesem zu hoher Ehre gereichen würde.


    Die Hochzeit des deutschen Volksliedes war das 19. Jh., wo vieles - mit nostalgischem Rückblick (Arnim/Brentanos Wunderhorn-Samlung; Eichendorffs stilisierte Wald- und Burgenromantik) - erst entstand. Gewiß muß man in der Lyrik bei Goethe anfangen, der ja nicht nur das Heideröslein gedichtet, sondern den von Zweiterbass angesprochenen "Volkston" quasi erfunden hat.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


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  • Für heute hatte ich mir vorgenommen, hier mal endlich einen Tag lang den Mund zu halten.
    Aber es geht nicht (was mir ja eigentlich auch wieder ganz recht ist!)


    Ich hatte den Begriff "Volkston", den ich bei zweiterbass fand, ganz bewusst aufgegriffen, - aber mit einem Hintergedanken.
    Beim vielen Studieren des vorschubertschen Lieds und der Lieder seiner Zeitgenossen ist mir aufgefallen - und ich bin mir da inzwischen schon ziemlich sicher - dass man den ganz spezifischen "Schubertton" als Ergebnis eines musikhistorischen Emanzipationsprozesses verstehen kann.


    Ich will´s mal verkürzt formulieren, damit ich nicht wieder so viel von mir gebe:
    Schubert war ein Bewunderer der Musik Rossinis. Aber er und Rossini wurden schließlich Antipoden. Schubert löste sich im Verlauf seines Liedschaffens schon früh und dann mit ausgeprägter Radikalität von der Rokoko-Tradition des deutschen Liedes.


    Alle Fioraturen, Koloraturen und Melismen flogen aus der melodischen Linie raus, und zwar deshalb, weil jede Koloratur die Wortgebundenheit der melodischen Linie stört.


    Weil Schubert lyrischen Text in musikalischen verwandeln wollte, musste er sich von der alten Liedtradition, die zum Beispiel bei Zelter noch deutlichzu hören ist, kompromisslos lösen.
    Aber um Zelter nicht unrecht zu tun:
    Bei ihm ist dieser Emanzipationsprozess in Ansätzen auch zu erkennen. Nur war er nicht so radikal wie Schubert. Er machte noch Kompromisse!


    Dieser Emanzipationsprozess war - fast notwendigerweise! - verbunden mit einer Orientierung an der melodischen Linie des Volksliedes.
    Schubert wollte nicht volkstümliche Lieder schreiben - von Einzelfällen abgesehen! - sondern er wollte den Ton des Volksliedes in seine Liedkompositionen hereinholen.
    Was das im einzelnen heißt, das möchte ich hier nicht auflisten. Man müsste es an Beispielen zeigen.


    Anmerkung: Ich musste fett drucken, weil ich mich kurz fassen wollte. Dabei kamen Kondensate heraus.
    Dass dies alles meine persönliche Sicht der Dinge ist, brauche ich wohl nicht eigens zu betonen.

  • Lieber farinelli,


    soweit reichen meine 55 Jahre alten (und nie mehr aufgefrischten!) Lateinkenntnisse noch, dass ich mich angesprochen fühle.


    Um allen evt. Mißverständnissen vorzubeugen: Volkslied - Volkston - ich hatte in meinem Beitrag "Volkston" geschrieben und auf meine vorläufige Liedauswahl verwiesen, die darauf wartet, ergänzt oder abgeändert zu werden. Worauf es mir ankommt, hat "siegfried" in seinem Beitrag vom 1.4.2010 angedeutet und Helmut hat in seinem letzten Beitrag genau meine Idee aufgegriffen. Das begründet auch meine Liedauswahl - die Texte erscheinen mir weniger interpretationsfähig als z. B. Wandrers Nachtlied II und es gelingt leichter, sich nur auf die Musik zu konzentrieren. Damit will ich Deinen Beitrag Volkslied aber in keiner Weise schmälern.


    Vielleicht gelingt es (uns?) zumindest ansatzweise herauszufinden und an Beispielen deutlich zu machen, mit welchen musikalischen Mitteln/Kunstgriffen/usw. das Phänomen Schubert/Kunstlied zu erklären ist - dabei steht die Genialität Schuberts außer Frage, aber "ein klein bißchen" zu hinterfragen darf erlaubt sein und ist für mich - nur für mich? - höchst interessant - und dabei rechne ich fest mit Deinem und Helmuts (+ Beiträgen aus dem Forum?) großem Fachwissen.


    Herzliche Grüße


    zweiterbass (basso secondo?)

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Lieber Helmut,


    deine Unterscheidung von Volkston und volkstümlich interessiert mich sehr. Um das Fettgedruckte nochmals zusammenzufassen: Mit Volkston meinst du die melodische Linie des Volksliedes, frei von allen Fioraturen, Koloraturen und Melismen?


    Auch wenn ich glaube, dich intuitiv zu verstehen, würden mich Beispiele sehr interessieren.


    Diese Frage scheint mir das Zentrum zu berühren, was Schuberts Ausnahmerang in Sachen Lied begründet. Weil es ihm möglich wurde, auf diese Weise den Volkston zu treffen, konnte er die Wahrheit des Lebens aushalten.


    'farinelli' hat zurecht erinnert, dass die Romantik und als einer ihrer Begründer Schubert mit der Entfesselung verschiedener bis dahin geltender Regeln eine Bewegung ausgelöst haben, die im weiteren Verlauf katastrophale Formen annahm. Das weiter zu diskutieren gehört nicht mehr hierher, sondern würde in eine Diskussion der Romantik führen.


    Aber es gehört sehr wohl hierher, wie Schubert am Anfang dieser Entwicklung eine Kunst geschaffen hat, von der noch keineswegs entschieden war, dass sie diesen weiteren Verlauf nehmen musste. Ich bin daher überzeugt, dass gerade heute nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts die Musik von kaum jemandem mehr lernen kann als von Schubert.


    Viele Grüße,


    Walter

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