Hallo!
Ich habe heute meine drei Aufnahmen (Argerich, Horowitz, Rachmaninow) dieser Sonate verglichen.
Zunächst die Zeitreihen:
Argerich: 6:39-6:01-8:34-1:24
Horowitz: 7:55-6:57-7:00-1:29
Rachmaninow: 5:52-5:17-6:09-1:25
Horowitz spielt sehr emotional, er scheint mir beim spielen sehr emotional erregt gewesen zu sein (wenn nicht, dann kann er es zumindest prima so transportieren). Bei ihm sind die dynamischen Kontraste wesentlich stärker als bei den anderen beiden: Als Beispiel diene das beinahe ekstatische Gedonnere in der Schlußgruppe des 1. A-Teils im 3. Satz, während Rachmaninow hier gar keine Steigerung vornimmt (Argerich nur wenig). Horowitz ist in allen vier Sätzen der langsamste. Diese relative Langsamkeit verbunden mit den emotional-gewaltigen Intensitäts- und Lautstärkensteigerungen verleihen der Sonate ein ganz anderes Gepräge als es bei Argerich und Rachmaninow der Fall ist – es wirkt alles hochemotional, der Trauermarsch rückt in Beethoven-Eroica-Nähe.
Fazit: Keine Aufnahme für alle Tage, aber sehr intensiv und beeindruckend.
Rachmaninow ist da viel „cooler“, es fehlt mir da etwas das Feuer. Zudem schenkt sich Rachmaninow die Wiederholung der Exposition im 1. Satz, und er kürzt auch irgendwie den B-Teil im 2. Satz ab (ohne Noten kann ich das nicht durchschauen). Auch sonst hat er angeblich einige Noten absichtlich anders gespielt, besonders im 4. Satz, den ich aber sowieso nicht höre. Das kann man tadeln, allerdings gelingt zumindest eines Rachmaninow ganz herausragend: IMO ist der Höhepunkt der Sonate, auf den es besonders ankommt, die Reprise des Trauermarschthemas im 3. Satz. Und für diese Stelle hat sich Rachmaninow viel Wucht und Ausdruckskraft aufgespart – so überzeugend wie hier klingt der Klimax dieser Sonate für mich bei Argerich und Horowitz nicht.
Fazit: Eigenwillige Interpretation, sehr kalkuliert und mit Gespür für den „großen Bogen“, allerdings mit viel historischem Rauschen dabei.
Argerich ist in allen Sätzen die schnellste. Große Ausbrüche wie bei Horowitz gibt es nur wenige. Die Sonate wirkt bei ihr düster und gehetzt, wobei sie bei den lyrischen Seitenthemen freilich auch sanft und einfühlsam spielt. Im 3. Satz gerät der B-Teil bei ihr wesentlich länger als bei den anderen (über 4 Minuten, bei Horowitz und Rachmaninow unter 2 Minuten) – kann man hier denn variieren, wie oft man das 2. Thema wiederholt? Jedenfalls verlagert sie dadurch das Gewicht im 3. Satz eher auf den versöhnlichen Mittelteil.
Fazit: Von den dreien am meisten eine Aufnahme für alle Tage, aber mir fehlt da noch was.
Zur Sonate selbst: Sie ist seit jeher eine meiner liebsten Klaviersonaten. Den vierten Satz lasse ich stets aus, ich finde ihn nach den vorangegangenen Sätzen lächerlich und unpassend. Ich weiß nicht, was Chopin sich dabei gedacht hat. Der Schluß des 3. Satzes ist ein gutes Ende, finde ich.
Die Diskussion um die Heterogenität der Sonate kann ich nach Weglassen des Schlußsatzes nicht nachvollziehen. Wir haben dann drei sehr gute Sätze, deren Hauptthemen hart und bedrohlich wirken; die Seitenthemen bilden den lichten Kontrast (im 1. Satz noch wenig präsent). Ich finde, das paßt so hervorragend zusammen.
Viele Grüße,
Pius.