Anton BRUCKNER: Sinfonie Nr 5

  • Zitat

    Nicht jeder, der unfallfrei Bruckners 5. bewältigt, ist gleich ein großer Bruckner Dirigent!


    Ja, bloß wenn einer sie zu gut beherrscht, wenn sie quasi seine Hausstrecke ist, dann kommt halt Routine auf und manchmal ein bißchen zu viel davon.
    Siehe dazu Joseph II. Aussage zur B5 unter Jochum mit den Dresdnern, der ich mich durchaus anschließen möchte.


    Viele Grüße
    John Doe

  • Heute traf bei mir dieser Live-Mitschnitt aus dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins vom 2. Oktober 1954 (Orfeo d'Or) ein – aufgenommen also kurz vor Furtwänglers Tod und Karajans Wahl zum neuen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker:



    Anton Bruckner (1824–1896)
    Symphonie Nr. 5
    Wiener Symphoniker
    Herbert von Karajan
    1954


    Es drängt sich geradezu ein (bei Karajan bekanntlich relativ selten möglicher) Vergleich Live–Studio auf.


    Was schon mal auffällt, sind die Spielzeiten für die einzelnen Sätze; in Klammern dahinter die Zeiten der 1976er Studio-Aufnahme (DGG):


    1. 21'13 [20'42]
    2. 18'39 [21'34]
    3. 12'53 [13'44]
    4. 25'50 (Applaus abgezogen) [24'48]
    Gesamt 79'57 [80'48]


    Die Gesamtspielzeit ist also nur unwesentlich anders, aber interessant sind die Tempo-Verschiebungen: Während Karajan die Ecksätze 1954 live langsamer nimmt als 1976 im Studio, sind die Mittelsätze schneller. Die '54er Aufnahme paßt knapp auf eine CD, die '76er benötigt dummerweise wegen einiger Sekunden "zuviel" bereits derer zwei.


    Daß auch die Wiener Symphoniker, die immer im Schatten der Philharmoniker stehen, ein sehr gutes Orchester sind, wird hier deutlich. Zwar fehlt im Vergleich mit den Berliner Philharmonikern dann doch etwas der letzte Feinschliff, doch meistern sie ihre Aufgabe gleichwohl souverän.


    Die Tonqualität kann mit der perfekt eingefangenen DGG-Studio-Aufnahme in Stereo aus Berlin freilich nicht mithalten. Beim Orfeo-Mitschnitt haben die Tontechniker gewiß ihr Bestes gegeben, doch handelt es sich nur um durchschnittliches, aber rauschfreies Mono. Viele Details gehen einfach leider unter. Die Wucht des Finales kann man nur erahnen. Nebengeräusche gibt es so gut wie keine.


    Insgesamt gesehen eine hörenswerte Alternative für den, der "seinen Bruckner" bereits komplett im Regal stehen hat, für den Karajan-Liebhaber oder denjenigen, der diesen Dirigenten einfach mal gerne live erleben will.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • hallo miteinander,


    ich habe mir vorhin Bruckners Fünfte mit dem Bruckner-Orchester Linz unter Kurt Eichhorn angehört.



    Sie gehört wohl zu den Geheimtipps eingefleischter Bruckner-Fans - ich kann mich dem nur bedingt anschließen. Nicht falsch verstehen - die Interpretation ist gut, meistens jedenfalls. Ich komme gleich zu meinem persönlichen Knackpunkt : das Adagio wird nicht, wie vorgeschrieben, sehr langsam gespielt, für mich ist es zu schnell wiedergegeben, und das nicht nur eine Spur. Ein Vergleich : meine Preferenz, Karajan mit den Berliner Philharmonikern, braucht für diesen Satz 21:33 Minuten, Eichhhorn nimmt ihn in 17:38 Minuten. Da bleibt einiges auf der Strecke. Eichhorn ist damit zwar nicht der Schnellste in meiner Sammlung (einige Interpreten reißen den Satz unter 15 Minuten ab), aber ich mag es nun mal breit, jedenfalls im Adagio.


    Die restlichen 3 Sätze sind gut bis sehr gut interpretiert, die haben mir gefallen, wobei noch anzumerken wäre, dass Eichhorn mit 27:39 den längsten 4. Satz in meiner Sammlung hat, selbst Celi war flotter. Aber das schadet dem Werk nicht. Ich bin allerdings während des vierten Satzes eingeschlafen, was aber nicht an der Musik lag (eher das Bedürfnis nach einem Samstags-Nachmittags-Schläfchen).


    Diese Fünfte wird mir irgendwann sicher mal wieder in den Player kommen, denn schlecht fand ich sie nicht (und dazu war sie auch zu teuer, um im Regal zu verstauben).


    rolo :hello:

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

  • Hallo rolo,


    17'38'' ist gar nicht einmal so schnell für das Adagio. Günter Wand z.B. ist mit den Berliner Philharmonikern ca eine Minute und mit dem Kölner RSO ca. eindreiviertel Minuten schneller unterwegs, ohne nach meinem Dafürhalten zu hetzen.


    Wo ich geschmacksmäßig übereinstimme ist, wenn's "zu schnell" geht. Heinz Rögner ist in seiner ansonsten vorzüglichen Aufnahme im Adagio mit 14'41'' und Harnoncourt in seiner sehr gut anhörbaren mit 14'57'' unterwegs.


    Besonders der Satzbeginn ist mir bei beiden zu verhetzt und kann sich nicht "ruhevoll, organisch" entfalten.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Da ich das Werk vor knapp 20 Jahren mit Wand/Köln kennengelernt habe, kommen mir die meisten anderen im Adagio zu langsam vor. (Ich sehe gerade, dass bei mir Gielen mit 18 min der langsamste ist, eine Dauer von über 20 scheint mir absurd langsam, Skrowaczewski, der sonst nicht sehr zügig unterwegs ist, benötigt weniger als 17.) Die motivische Gemeinsamkeit mit dem Scherzo wird so weitaus deutlicher und wie Ben Cohrs irgendwo schreibt, ist der Satz zwar als sehr langsam, aber alla breve, also in halben Noten, markiert. Gewiß gibt es einige Interpreten, die mit sehr breiten Tempi beeindruckende Ergebnisse erzielen. Aber ich finde, dass die generelle Entwicklung bei Bruckner breit genug angelegt ist, das muss man nicht noch verstärken...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Vielen Dank, rolo betman
    Mir war nicht bekannt, dass es mit Kurt Eichhorn eine 5. Bruckner gibt. Wenn man älter wird, zieht ja Vieles von früher noch mal ins Gedächtnis zurück............meine erstes LIVE -Erlebnis dieser Sinfonie im Konzertsaal war ca 1966 in Hamburg mit den Symphonikern (dem 3. Orchester der Hansestadt) unter Kurt Eichhorn. Ich kann nicht sagen, dass ich ein grosser Fan von ihm bin.................aber er hat mich zu Bruckner gebracht, da war zwar auch noch in den Sechzigern Bruckner 8 mit Sawallisch, (Philharmon. Staatsorchester) aber dafür war ich zu jung.........und Isserstedt (NDR) hat kaum Bruckner dirigiert.


    Über ALLES liebe ich am Schluss des 4. Satzes die grosse Doppelfuge.
    Karajan ist mir hier zu wenig transparent, etwas mehr "BACH"-Verwandschaft zum Schluss der Fünften, hab ich gern.


    Meine Lieblingsinterpretation, auch gerade wegen der Doppelfuge ist von Michael Gielen. Meine Aufnahme ist von 1989 aus Karlsruhe, also 20 Jahre alt. Die Tempi damals waren 19.00 - 18.05 - 12.15 - 20.40


    Vor einem halben Jahr hab ich in Luxemburg LIVE mit Gielen Bruckners NEUNTE gehört. Seine Tempi sind 82 Jahren inzwischen deutlich moderater, sein Röntgenblick für die Transparenz der Partitur hat zwar nicht nachgelassen, doch braucht er 8 Minuten mehr ....er atmet die Musik anders als früher. (als CD mit RSO Luxemburg)


    Gruss................"Titan"

  • Zitat

    Original von Titan
    Über ALLES liebe ich am Schluss des 4. Satzes die grosse Doppelfuge.
    Karajan ist mir hier zu wenig transparent, etwas mehr "BACH"-Verwandschaft zum Schluss der Fünften, hab ich gern.


    In der Begeisterung für das Finale gehen wir absolut d'accord, lieber Gustav. :yes:


    Allerdings bin ich dann insofern mit Rolo und Teleton einer Meinung, daß Karajan 1976 die Referenz darstellt. Gewaltiger als hier kann man das kaum darbieten. Das Spiel der Berliner Philharmoniker ist grandios. Karajan geht die Sache viel wuchtiger an als Barenboim mit demselben Orchester 15 Jahre später (eine Aufnahme, die dennoch auch ihre Meriten hat, aber insgesamt schlanker daherkommt). Schade fast, daß es in den 80ern zu keiner weiteren Aufnahme der V. kam, hat der späte Karajan doch in seinen letzten Jahren noch einmal seine Sicht der anderen "großen Bruckner-Symphonien" VII, VIII und IX für die Nachwelt festgehalten.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es ist wohl wahr, JR, daß die beiden Binnensätze Gemeinsamkeiten aufweisen.


    Nicht nur motivisch, sondern beide Sätze beginnen mit d-moll und enden in Dur.


    Um und bei 18 Minuten ist ein Tempo, das sehr viele Dirigenten für das Adagio nutzen: z.B. Herreweghe, Jochum (Ottobeuren), Chailly, von Dohnanyi, von Matacic usw.


    Bei Gielen fällt in der Tat das relativ langsame Adagio auf (nicht zu vergessen: Die Tempobezeichnung ist "sehr langsam"). Dadurch grenzt er diesen Satz sehr stark zu den drei anderen schnell genommenen Sätzen ab (stärker als in fast allen anderen mir bekannten Aufnahmen).


    Harnoncourt und Rögner sind mir insbesondere beim einleitenden Pizzicato des Adagios zu schnell.


    Nebenbei: Otmar Suitner, dessen Interpretation der 5. knapp unter 70 Minuten Spielzeit aufweist, benötigt für das Adagio 13'55''. Ich bin ausgesprochen gespannt, wie das Ergebnis klingt...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Titan
    Vor einem halben Jahr hab ich in Luxemburg LIVE mit Gielen Bruckners NEUNTE gehört. Seine Tempi sind 82 Jahren inzwischen deutlich moderater, sein Röntgenblick für die Transparenz der Partitur hat zwar nicht nachgelassen, doch braucht er 8 Minuten mehr ....er atmet die Musik anders als früher. (als CD mit RSO Luxemburg)


    Lieber Titan,


    wie und wo ist diese CD erhältlich?


    Daß Gielens Tempi stellenweise etwas moderater geworden sind, merkt man zum Beispiel auch bei Brahms 2. Sinfonie aus 2005 (bei der er leider die Wiederholung im ersten Satz wegläßt).
    Auf Gielens große Stärke der Durchhörbarkeit des Orchestersatzes hat die etwas langsamere Tempogestaltung indes keinen negativen Einfluß.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler




  • Lieber Norbert
    Die Konzertaufnahme wurde 2x didital über Satellit ausgestrahlt. Deshalb hab ich sie in sehr guter Qualität.
    Als ich vor ca 1/2 Jahr telefinisch in Luxemburg nachfragte.........
    bekam ich einerseits die Auskunft über den Sendetermin und andererseits die Mitteilung über die geplante CD. Falls erforderlich, helfe ich gerne. Der Hamiurger sächt : wat mut dat mut.
    Es lohnt sich in jedem Fall............Ich kenne den Dirigenten Gielen fast 4 Jahrzehnte............die NEUNTE Bruckner vom Sommer letzten Jahres ist ein MUSS,. da sie eine richtige Glücksstunde dokumentiert.


    Bitte, frage gerne bei mir nach, falls Du nicht fündig werden solltest..
    http://www.opl.lu/de-2-40-20100212.html


    Am 12.02, also in drei Wochen dirigiert Gielen in Luxemburg die /. Mahler!!!!


    Gruss................"Titan"

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Lieber Titan,


    ich kenne und schätze Gielen zwar "erst" seit ca. 20 Jahren, konnte aber die CD auf der angeführten Homepage leider nicht finden...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Norbert
    Es ist wohl wahr, JR, daß die beiden Binnensätze Gemeinsamkeiten aufweisen.


    Nicht nur motivisch, sondern beide Sätze beginnen mit d-moll und enden in Dur.


    Die Pizzicato-Noten in der Begleitung am Beginn des Adagio entsprechen dem Anfangsmotiv des Scherzos.
    Allerdings stellen sie auch eine Verbindung zum pizzicato am Anfang des Werkes überhaupt her! Daher gibt es sicher kein simples Rezept, aber auch im Tempo muss m.E. eine vernünftige Relation zu diesen beiden anderen Stellen gefunden werden.


    Zitat


    Nebenbei: Otmar Suitner, dessen Interpretation der 5. knapp unter 70 Minuten Spielzeit aufweist, benötigt für das Adagio 13'55''. Ich bin ausgesprochen gespannt, wie das Ergebnis klingt...


    Das ist insgesamt in der Tat sehr zügig, sofern keine Striche gemacht wurden. Wobei Gielen mit Wands oder Suitners Tempo im Adagio wohl bei einer ähnlichen Gesamtspieldauer landen würde...


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Von den Spielzeiten insgesamt geben sich Gielen und Suitner nicht so viel aber die Temporelationen sind ein wenig verschoben..


    Gielen: 19.00 - 18.05 - 12.15 - 20.40
    Suitner: 18.44 - 13.55 - 14.13 - 22.42


    Ich habe Suitner noch nicht gehört und bin sehr auf das Ergebnis gespannt.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


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    Gustav Mahler


  • Zitat

    Was an der z.B. plakativen Coda von Bruckner 3 (vierter Satz) oder dem peinlichem Choral in der S 5 (letzter Satz) besonders originell sein soll., bleibt wohl das Rätsel von reingefleischten Brücknerhörer.. ?(


    Ich empfehle dem geneigten Hörer, mal in die Aufnahme unter Roschdestwensky (1984) reinzuhören. Er bringt die Symphonie derart hart und zupackend, fast militärisch streng, daß wenig Raum bleibt für Weihe – typisch russisch halt.


    Müßte es auch irgendwie als CD geben, fand es auf die Schnelle aber nur als mp3-Download:



    Ein Hörerlebnis! Die Tonqualität ist recht gut (Stereo), wenngleich nicht ganz auf dem westlichen Standard jener Zeit.


    Sehe ich (fast) gleichrangig neben der weihevollen Herangehensweise eines Karajan oder Jochum.


    :hello:

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Neben der oben angesprochenen Aufnahme von Roschdestwensky vom Juli 1984 gibt es noch eine vom 24. Februar 1984 (vermutlich live), die noch packender ist und tontechnisch ausgewogener erscheint (zwar etwas dumpfer, dafür stechen die Bläser nicht so schrill heraus):



    Gesamt 73'10
    I. 20'17
    II. 15'16
    III. 14'52
    IV. 22'40


    Die Paukenschläge sind prägnant und tönen fast wie Kanonenschüsse. Am Ende prescht Roschdestwensky mit phänomenalen, aber nicht gehetzt wirkendem Tempo (wie bei Furtwängler, wo einiges verloren geht) das Orchester förmlich durchs Himmelstor. :D


    Das ist wahrlich eine Spitzenaufnahme, fernab jeder Weihe, dafür dramatisch wie sonst was.


    Da bekommt man Lust auf mehr Bruckner unter diesem Russen. ;)

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Zitat von Joseph II.:
    Neben der oben angesprochenen Aufnahme von Roschdestwensky vom Juli 1984 gibt es noch eine vom 24. Februar 1984 (vermutlich live), die noch packender ist und tontechnisch ausgewogener erscheint (zwar etwas dumpfer, dafür stechen die Bläser nicht so schrill heraus):


    Die Paukenschläge sind prägnant und tönen fast wie Kanonenschüsse. Am Ende prescht Roschdestwensky mit phänomenalen, aber nicht gehetzt wirkendem Tempo (wie bei Furtwängler, wo einiges verloren geht) das Orchester förmlich durchs Himmelstor.


    Das ist wahrlich eine Spitzenaufnahme, fernab jeder Weihe, dafür dramatisch wie sonst was.


    Hallo Joseph II.,


    das kann ich voll und ganz bestätigen. Ich hatte vor einiger Zeit das Glück, die Bruckner-Symphonien Nr. 5 und Nr. 8 in dieser Einspielung für einen sehr niedrigen Preis über Ebay zu bekommen. Eine sehr dramatische, zupackende und energiegeladene Einspielung, die dem Hörer volle Konzentration abnötigt und ihn auf eine spannende Reise mitnimmt. Wirklich mitreißend! Ein ganz eigener Ansatz gegenüber den gefühlvollen Aufnahmen wie z.B. Thielemann oder den eher analytischen wie z.B. Gielen, den ich gestern Abend mit viel Interesse und Freude gehört habe. :yes:


    Die Roschdestwensky-Aufnahmen sind schlecht zu bekommen - wenn, dann oft über Hochpreis bei Amazon. Es lohnt sich, hin und wieder Ebay danach abzugrasen. Ich habe sie nicht über den namen des Dirigenten gefunden sondern über den Namen des Komponisten und die Nummer der Sinfonie. Das ist zwar etwas aufwändig, beschert aber manches Fundstück, das von anderen Ebayern übersehen wird.


    Freundliche Grüße von Andrew :hello:

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Bei aller Freude, die mir die Karajan-Aufnahme (DGG, 1976) bereitet, sollte sich in einer "gepflegten Bruckner-Sammlung" dennoch auch die früheste Stereo-Aufnahme Eugen Jochums der 5. Symphonie von 1958 befinden, die in der noch immer dem Hochpreissegment zugeordneten Gesamtbox enthalten ist, aber auch als verhältnismäßig teuere Einzel-CD per Japan-Import zu beziehen ist.



    Was diese Aufnahme nun auszeichnet, ist der Einsatz der sog. "elf Apostel", also der Bläserverstärkung im Schlußchoral des Finales. Mir wäre sonst keine andere Aufnahme bekannt, in der das eingesetzt wird, schon gar nicht in Stereo. Die Schalk-Version, derer sich Knappertsbusch (Decca, 1956) bedient, hat m. W. dagegen verstärkte Pauken. Jedenfalls ist es schon ein Erlebnis, dieser "apostolischen" Version zu lauschen.


    Die frühe Stereo-Technik der Deutschen Grammophon gerät zwar an ihre Grenzen, und doch kann man sich angesichts des sehr hohen Alters von nunmehr mehr als einem halben Jahrhundert nicht beschweren.


    Jochums z. T. eigenwillige Tempowahl ist seit jeher umstritten gewesen, doch spricht das Ergebnis m. E. für ihn [I. 20'48; II. 19'18; III. 12'30; IV. 23'59; Gesamt 76'52]. Insgesamt ist er sogar flotter als Karajan [I. 20'42; II. 21'34; III. 13'44; IV. 24'48; Gesamt 80'48], so daß die Aufnahme auf eine CD paßt. Im letzten Choral verlangsamt Jochum das Tempo und steigert die Weihe somit nochmal erheblich, was für manch einen (protestantischen?) Zeitgenossen wohl unerträglich wirkt, erfüllt er damit doch haargenau das (katholische) Klischee von Bruckner. :D Die Pauken am Ende sind erst eher verhalten, doch hat auch dies seinen Zweck: In den letzten Takten kann er so nochmal eine Steigerung erzielen, indem sie erst dann richtig "losdonnern". Insgesamt klingt die Aufnahme ungleich düsterer als jede andere mir bekannte. Das Bild von einer im Weihrauch vernebelten gotischen Kathedrale mit katholischer Messe habe ich persönlich jedenfalls am ehesten bei dieser Aufnahme vor Augen.

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    – Luís de Camões

  • Josep II,


    vielen Dank für die spannende Schilderung von Eugen Jochums Interpretation Bruckners 5.!
    Eine gute Nachricht:

    Das ist zwar nicht genau die Aufnahme, aber für 19.99 ist das eigentlich unwiderstehlich.
    Weisst Du vielleicht, ob die 5. mit der Staatskapelle ähnlich ist? Die Satzlängen stimmen fast Sekundengenau.


    Viele Grüsse
    Julius

    Julius

  • Hallo Julius,


    die Dresdener GA ist insgesamt nicht so zu empfehlen, wie die Jochums DG-Aufnahmen (wenn es denn Jochum sein soll).
    Wenn Du diesen Thread mal durchsiehst wirst Du auch feststellen, dass ebenfalls klangliche Defizite in dieser GA festgestellt wurden. Joseph hatte hier im Dezember 2009 einen sehr schönen Vergleich mit anderen Aufnahmen publiziert.
    ;) Für nen Zwanni gibt es eben doch nicht das "non plus ultra".

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Julius,


    ich kann Wolfgang nur bestätigen: Von der Jochum-Aufnahme von 1980 würde ich eher abraten. Es gibt, wenn man auf "die Elf" verzichten kann/möchte, noch mindestens zwei weitere Möglichkeiten, die 5. unter Jochum kennenzulernen:



    1964 live



    1986 live


    Ich entsinne mich, daß beide Aufnahmen sehr gelobt wurden, kenne sie aber persönlich auch nicht.

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    – Luís de Camões

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  • Hallo Josep II und Teleton,
    ich war beim Lesen vom Unbedingt-Haben-Wollen ergriffen worden und habe nicht in den älteren Beiträgen gelesen (somit auch nicht bemerkt, dass auf dieses Sonderpreis-Angebot schon öfter hingewiesen wurde), sondern habe wenig zeitversetzt die Dresdner Box bestellt.
    So schlecht kommt sie doch nicht weg bei den bisherigen Rezensionen, und ich kenne die 5. bis jetzt "nur" von Celibidache. Da wird das allemal was Neues sein, und ich freue mich darauf.
    Viele Grüsse
    Julius

    Julius

  • Hallo Julius,


    die Dresdner Box ist natürlich nicht schlecht. Sie ist nur tontechnisch, gerade für 70er/80er-Aufnahmen, ziemlich unbefriedigend. Die Aufnahmen sind in der Dresdner Lukaskirche entstanden (kann mich irren, habe sie grad nicht vorliegen), und es klingt ziemlich verhallt. Die EMI war ja nie bekannt für grandiose Tontechnik, wofür diese Aufnahmen ein Beispiel sind (komischerweise klingen die Karajan-"Meistersinger" von 1970 aus Dresden, ebenfalls EMI, hervorragend). Ein Fehlkauf war's bestimmt nicht, zumal bei dem Preis. Zudem ist noch die tontechnisch sehr gute "Nullte" unter Skrowaczewski dabei, die allein schon 11 EUR kostet. Bereits deswegen rentiert sich die Box. Positive Ausnahmen sind meiner Erinnerung nach auch die 1. und 2., die Jochum hier sehr gelungen sind. Bei den späteren, großen Symphonien fallen das durch offenbar unfähige Tonmeister verunstaltete, manchmal schneidende Dresdner Blech und die z. T. schrillen Bläser unangenehm auf. Ich schiebe dies mal wirklich auf die Tontechnik, weil es eigtl. unvorstellbar ist, daß die Staatskapelle in dieser Zeit so mäßig klingt, man denke nur an die besagten "Meistersinger" unter Karajan oder an die Strauss-Tondichtungen unter Kempe aus den 70ern. Vielleicht steht uns bald ja wieder ein Bruckner-Zyklus mit der Staatskapelle bevor, wenn Thielemann nach Dresden kommt. Ich halte dies für nicht so unwahrscheinlich, da er bislang m. W. nur die 5. mit den Münchnern auf CD vorgelegt hat, wo er doch nicht wenigen als neuer Bruckner-Papst gilt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,
    Jochum oder HvK mögen zu Ihrer Zeit große(?) Bruckner Dirigenten gewesen sein, aber das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass zumindest Jochums katholischer Weiheansatz inzwischen als überholt gelten darf und mehr was für "Sammlungsvervollständiger" ist als für Anfänger.
    Die sind mit Wand oder Tintner oder meinswegen Skrowazewski besser bedient, denn da hört man aktuelle Brucknerinterpretationen.
    Die haben auch vor Jahrzehnten schon Böhm 8 und 4 in Köln, Schuricht 5, 7, 8 und 9 oder gar Klemp 4,5,6, und 7 geliefert.
    Von Haitinks Taten in den 60igern ganz zu schweigen.


    Wer es dennoch etwas grandioser will, greife zu Giulini 2,7, 8 und 9.
    Kostet zwar mehr, aber dafür hat man nicht den stinkenden Weihrauch ala Jochum in der Nase!


    Und da es hier um die 5. geht, kann ich nur erwähnen, dass man ohne eine von Günnni Wands Aufnahmen (ich habe 2) zu kennen, über die 5. nicht großartig filosofieren sollte.


    Gruß S

  • Zitat

    Original von s.bummer


    Jochum oder HvK mögen zu Ihrer Zeit große(?) Bruckner Dirigenten gewesen sein, aber das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass zumindest Jochums katholischer Weiheansatz inzwischen als überholt gelten darf und mehr was für "Sammlungsvervollständiger" ist als für Anfänger.
    Die sind mit Wand oder Tintner oder meinswegen Skrowazewski besser bedient, denn da hört man aktuelle Brucknerinterpretationen.



    Überholt? Aktuell?


    Modern oder Modeerscheinung?


    Meines Erachtens ist der Zeitgeschmack ein recht schwaches Kriterium, da zudem durch subjektive Urteile überlagert. Viele hören HIP-Interpratationen, weil sie den aktuellen (temporären) Hörgewohnheiten geschuldet damit in ersten Werkkontakt kamen und stellen diese mit dem oberflächlichen Argument 'modern, zeitgemäß' vor all diese 'altmodischen' Aufnahmen.


    Aber kann den jemand zu 'seiner Zeit' ein 'großer' Dirigent gewesen sein und im Laufe der Zeit zu einer unpassenden historischen Anekdote werden?
    Ich persönlich etwa mag Günter Wands 5. mit den Berlinern überhaupt nicht, ich finde sie langweilig, doch das ist wohl eben auch subjektiv.



    Demnach müsste auch Beethoven im Vergleich zu Berio viel schlechter sein, weil er ja viel unmoderner ist.
    Ich glaube an die Überzeitlichkeit wahrer Größe, etwas, das einst wirklich gut und schön war, wird dies auch immer bleiben, unabhängig von kurzen Modererscheinungen.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Meine Lieblingsaufnahme ist übrigens Lovro von Matacic mit dem Czech Philharmonic Orchestra in der Supraphon-Einspielung




    Zitat

    Original von Norbert


    Lovro von Matacic geht durchaus mit einigem Enthusiasmus und viel Subjektivität zu Werke.


    Seine Aufnahme ist von großen Tempo- und Dynamikkontrasten geprägt, die in der Ausführung aus Bruckner eine aufregende und spannende Angelegenheit machen.


    Dem ist an sich nichts hinzuzufügen.



    Außer, dass der sonst von mir hochgeschätzte Thielemann mich mit diesem Werk, abgesehen von ein paar wenigen interessanten Momenten im Finalsatz nicht begeistern konnte.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Zitat

    Überholt? Aktuell?


    Hallo,
    subjektiv mag man darüber streiten, aber rezeptionsgeschichtlich fürchte ich, dürftest Du daneben liegen.
    Die Welt dreht sich und damit die Rezeption von Musikwerken.
    Es entsteht jede Menge Sekundärliteratur über die Bedeutung bestimmter Stellen und es erscheinen neue Ausgaben der Noten.
    Auch bei Bruckner und deshalb wandelt sich das Interpretationsbild.


    So ist es, selbst in diesem Forum, welches ja eigentlich arg (Wert-) konservativ ist.
    Das mag man mögen oder nicht.


    Ich verdamme Jochum, habe jede Menge von ihm, auch nicht komplett, auch wenn ...
    Sage aber, er ist mehr was für "Wissende" als für Anfänger.
    Warum?
    Ein Beispiel:
    Wer heute ins Theater geht und Shakesspeare noch in der Übersetzung Schlegel/Tietz hören will, der liegt falsch. Es gibt modernere, den kompletten Text besser durchdringende Übersetzungen.
    Und die werden auch gespielt. Alles andere ist zopfig!
    Und so ist es auch in der Musik. Und auch bei Bruckner.


    Übrigens stelle ich bei Wand auf die NDR bzw. Kölner Aufnahmen ab.


    Gruß S.


    Nachtrag: Ich habe vor Monaten hymnisch über die Großtaten von Volkmar Andreae berichtet, dessen Zyklus aller 9er nun veröffentlich wurde (Mono von 1953 und teuer).
    Die 5 ist auch außergewöhnlich!! Straight foreward! So musses sein!

  • Zitat

    Original von Norbert
    Von den Spielzeiten insgesamt geben sich Gielen und Suitner nicht so viel aber die Temporelationen sind ein wenig verschoben..


    Gielen: 19.00 - 18.05 - 12.15 - 20.40
    Suitner: 18.44 - 13.55 - 14.13 - 22.42


    Ich habe Suitner noch nicht gehört und bin sehr auf das Ergebnis gespannt.


    Hallo Norbert, Taminoeaner/innen
    Ich habe Dein Zitat lediglich als Aufhänger wegen der aufgeführten Zeiten der einzelne Sätze / Gesamtzeit benutzt.


    So wie ich vor kurzem über eine Aufnahme Gielens der 9. Bruckner berichtete, in der fast 10 min länger brauchte (allerdings mit dem Luxemb.RSO, 12.6.2009) als auf seiner Platten aufnahme...........................
    so gab es heute mit dem RSO des SWF unter Hanz Zender in SWR 2 die FÜNFTE.
    Cambreling ist zwar Chef des Orchesters und dirigiert die meisten Konzerte.................aber mit Gielen als Ehrendirigenten und Hans Zender, ist es ein Triumphirat das dem Orchester vorsteht.
    Ich kenne Zender seit meinen Kieler Studentenzeiten, (1967-72) da war er dort Chef v Oper und Konzertbetrieb. Dazu mehr ein ander Mal.
    Er ist einerseits ein ganz anderer Dirigententyp als Gielen, obwohl er auch für Transparenz, analyt. Herangehensweise und sehr gegen ein überzogenes Pathos ist.
    Die heute gesendete Aufnahme war aus dem Konzerthaus Freiburg vom 17.12.09
    Ich setze mich kurrz nach 20.00 in meinen Sessel und verließ diese um 21.25, was bedeutet, daß Zender fast 80 min gebraucht hat.
    Mir fällt in diesem "Tempi"- Zusammenhang ein, daß er als 32 jährige
    die 3. Brahms in 31 (!) Minuten runtergezaubert hat......................damals hat mich das fasziniert.....
    Heute glich es ein wenig einer Celibidache-Zelebration...aber eigentlich nur vom Zeitmaß her, die Interpretation war viel schlanker und hatte ebenfalls viel weniger Pathos als Celi's.
    Zenders Deutung war im mehrfachen Sinne "tiefsinnig":
    Im Sinne des ausgreifenden, ruhigen, meditative Moments,
    sie war zart und sie war (wie ich es von Zender in den letzten 20 J nicht mehr kannte) in ihrer Ausdruckswelt hochdifferenziert, von "ganz zart" bis hochagressiv, fast die Luft zerschneidend....
    das ALLES aber eingebettet in die Grundart eines klaren, ruhigen Erzählduktus.


    Ich war nicht nur begeistert. Kaum hat mich je eine Interpretation so gefesselt...und vielleicht gerade weil er sich Zeit ließ, denn die Binnenspannung und Plastizität des Orchesterklanges waren hervorragend.
    WAU!!!! Tip: beim SWR 2 nachfragen, es lohnt sich.
    Ich habe mich eben (ein paar Stunden später) nochmals davon überzeugt, daß die Aufnahmequalität grandios ist..
    keine Übersteuerung, auch an den urgewaltigen Stellen nicht.
    Die Doppelfuge hab ich schon Bach'scher und "mathematischer" gehört. Interessanterweise zieht er das Tempo an ,und läßt fast "con Brio" spielen zum Schluß in dieser großartigen Doppelfuge!!!!
    Atemberaubend.


    Gruß................"Titan"

  • Lieber Titan,


    ob Zender und Gielen tatsächlich so unterschiedliche Dirigententypen darstellen ist vielleicht eine Frage, die gesondert behandelt werden könnte.


    Westentlichster Unterschied zwischen beiden scheint ir zu sein, daß Gielen in der deutschen Orchesteraufstellung spielen läßt und Zender (in meiner Erinnerung) nicht.


    Zum eigentlichen Thema (und Fortführung meines Zitats): Suitner vermochte mich nach erstem Hören nicht zu überzeugen. Der Orchesterklang geriet viel zu großflächig-pauschal. Mit dieser Herangehensweise ist Suitner wahrlich nicht der einzige, aber die Staatskapelle verfügte zum Zeitpunkt der Aufnahme (1990) nicht über die Klasse, um Bruckners detaillierte Phrasierungen detailliert zu folgen (man vergleiche diesebzüglich gerade einmal mit Gielen, der in Bezug auf Phrasierung und Dynamik mustergültig interpretierte).


    Ein Adagio (Tempobezeichnung "sehr langsam") in unter 14 Minuten zu spielen verursacht Verwunderung, denn allzu schnell wird über die Schönheiten der Musik und der Spannungsbögen im Adagio "hinweggespielt".


    Auch Harnoncourt (14'57'') und Rögner (14'41'') haben imo ihre schwächsten Momente im Adagio. Das nackte Tempo alleine ist natürlich nicht alles, aber Spannungsbögen (s.o.) im Adagio aufrecht erhalten zu können, scheint mir bei einer so schnellen Spielzeit nicht möglich zu sein.


    Vielleicht kennt ja jemand Gegenbeispiele...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Als ich auf die Spielzeiten meiner neuesten Aufnahme von Bruckners 5.



    schaute, dachte ich, "oh, hat nach Knappertsbusch mal wieder jemand die alte Schalk-Fassung eingespielt". Denn mit knapp über 62 Minuten schlägt Järvi alle mir bekannten Interpretationen um mindestens sechs Minuten.


    Die Tempi im einzelnen: 17'57'', 11'15'', 12'56'' und 19'41''.


    Aber weit gefehlt, Järvi spielt die bekannte "Urfassung".


    Als ich die ersten Takte hörte, fühlte ich mich wieder an Knappertsbusch erinnert. Denn auch Järvi spielt die Introduktion nicht, wie gefordert, langsam, also adagio, sondern eher allegretto oder gar allegro (vom Gefühl her).


    Die nächste Verwunderung folgte nach dem ersten Bläserchoral: Die Bläser setzen sehr breitflächig ein mit Betonung auf die tiefen Bläser, die Hörner sind kaum zu vernehmen.
    Man höre in dem Zusammenhang einmal Michael Gielen, wenn man erfahren möchte, daß bei Bruckner das Tutti nicht nur laut, sondern auch fein differenziert klingen kann.


    Aber um Differenzierung ging es Järvi offenkundig nicht. Weder arbeitete er die Akzentuierungen in den Bläser-, besonders Blechbläserpassagen heraus (auch hier sei wieder an Gielen erinnert), noch nutzte er die Gelegenheit, aufzuzeigen, daß Bruckner nicht nur aus Blech und Streichern besteht (siehe Herreweghe).


    Sein Bruckner ist schnell, aber nicht sonderlich brilliant (weder von der Orchesterleistung noch vom Klangbild, das recht dumpf und tiefenbetont herüberkommt).


    Was im ersten Satz verwundert, kommt im zweiten einer Groteske, vielleicht schon einer Karikatur gleich.


    Das Orchester hat zu Beginn (zur Erinnerung, auch hier ist ein adagio vorgeschrieben) einige Mühe, Järvis "Geschwindigkeitsrausch" einigermaßen sauber zu spielen (Oboe, Streicher).
    Die Groteske setzt spätestens dort ein, wenn die Bläser nach knapp über zwei Minuten im Hauptthema rhythmisch einsetzen. Järvi zieht das Tempo derart an, daß keinerlei Ruhe aufkommt, sondern man sich an einen abgehackten Marsch erinnert fühlt.


    Nirgendwo im in der Partitur "sehr langsam" beschriebenen Satz gibt Järvi der Musik Raum zum atmen, zum sich organsisch entwickeln, gnadenlos opfert all die Schönheiten der Musik seinem "Geschwindigkeitsrekord".


    Ich habe nichts gegen schnelle Tempi bei Bruckner. Bruno Walter z.B. ließ das Adagio der 7. in ca. 17 Minuten spielen und das Agagio der 9. in 19'44''. Bloß verstand es Walter im Gegensatz zu Järvi, auch langsame Tempi mit Spannung zu versehen und, fast noch wichtiger, sie in eine korrekte Temporelation zu den schnellen Sätzen spielen zu lassen.


    Die Temporelationen stimmen bei Järvi keinesfalls, denn im Scherzo ist er schnell, muß sich aber tempomäßig z.B. Gielen, Herreweghe, Rögner oder Lovro von Matacic "geschlagen" geben (bei denen allerdings der zweite Satz merklich langsamer ist als bei Järvi).
    Durch die "konventionellen" Tempi hat man auch erstmals das Gefühl der Stimmigkeit, der Atmosphäre und kann sich -auch erstmals- am harmonischen Orchesterspiel erfreuen.


    So gerät das Scherzo zum "Highlight" der Sinfonie und das noch nicht einmal, weil die anderen Sätze zum Teil eklatant abfallen, sondern weil es wunderbar ausmusiziert ist. Es schreitet rhythmisch voran und bietet einen etwas langsameren, aber schön "sanglichen" Ländler.


    Im Finale stört weniger das Tempo, das ich als flüssig, aber nicht verhetzt empfinde, sondern eher der zu "choralartige", zu pauschal großflächig geführte Umgang mit den Blechbläsern.


    Zum "krönenden Abschluß" bleibt anzumerken, daß ich den abschließenden Schlußchoral selten so belanglos heruntergespielt gehört habe wie bei Järvi. Es kommt auch einiges zusammen: Dumpfes Klangbild, undifferenziertes Blech und ein Orchester, das die Freude über die bestandene "Rekordjagd" nicht musikalisch umsetzen konnte...


    Für mich die verzichtbarste Bruckner-Aufnahme, die ich in den letzten Jahren überhaupt gekauft und gehört habe.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Mittlerweile habe ich diese Aufnahme. Ich hielt sie bisher zu unrecht für verzichtbar, da Jochum bereits zweimal mit dieser Symphonie bei mir vertreten ist: 1958 mit dem Symphonieorchester des BR und 1980 mit der Staatskapelle Dresden. Indes pflichte ich Raymond Clarke bei, daß diese allerletzte Aufnahme (Jochum führte die 5. unglaubliche 93mal auf!) die gelungstenste ist. Clarke stellt Jochum 1986 neben Karajan 1976 und Celibidache 1993 an die Spitze der Bruckner-Fünfte-Discographie. Das mag streitbar sein, doch kann ich es gut nachvollziehen (wenngleich ich Celibidache 1986 aus Japan kenne, die aber sehr ähnlich sein soll). Karajan ist im Vergleich am dramatischsten, Jochum am weihevollsten, viel mehr noch als Celibidache m. E., dessen an sich auch sehr gute Aufnahme er m. M. n. noch schlägt. Bei diesem Vermächtnis des langjährigen Präsidenten der Bruckner-Gesellschaft bekommt man in der Finalcoda richtig Gänsehaut. Das ungemein formvollendete Spiel der Concertgebouw-Orchester rundet das freilich noch grandios ab. Den Münchner Philharmonikern bei Celi und den Bayern und Dresdner unter Jochum selbst m. E. überlegen (zumindest hier). Karajans Berliner ziehen gleich. Allerdings finde ich, daß die Tempowahl Jochums überzeugender ist in der Summe. Effektvoll knallt uns Karajan die Schlußcoda hin, aber irgendwie auch gehetzt. Jochum hier einfach perfekt. So stelle ich mir das Himmelstor vor. Die ideale, die beste Aufnahme für mich.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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