Die französische Barockmusik – warum so unbeliebt ?

  • Also gut :(
    die Franzosen mögen ihre eigene Musik doch und Robbespierre ist auch nicht schuld.
    Wenn's das nicht war, dann müssen wir tiefer gehen. :rolleyes:


    dazu gibt's vielleicht was ganz frisch aus der Wissenschaft (siehe auch hier). (Es stand bei uns vor einiger Zeit aber auch in der Tageszeitung):


    Babys nehmen die Sprachmelodie ihrer Mitmenschen bereits im Mutterleib wahr. Man hat 30 französische und 30 deutsche Neugeborene schreien lassen und die Schrei-Melodie und den Lautstärkeverlauf untersucht. Deutsche Babies sind am Anfang ihrer Schreie lauter und der Ton ist höher. Dann fallen Höhe und Intensität ab. Ihre französischen Kollegen betonen eher das Ende ihrer akustischen Darbietung. Dieses Verhalten beruht auf einer Prägung im Mutterleib - beim Hören der jeweiligen Sprache ihrer Mutter.


    einer der Forscher:

    Zitat

    Die im Weinen trainierten Melodiemuster sind Bausteine für die nachfolgenden Lautproduktionen

    .... vielleicht auch Musik und nicht nur Sprache.


    Deutsch steht dabei stellvertretend für viele andere Sprachen, zum Beispiel Englisch und Japanisch. Wie wir alle wissen ist Französisch - was die Intonation angeht - etwas ungewöhnlich. Viele Wörter sind endbetont wie zum Beispiel Papá (statt Pápa oder Dáddy). Der Unterschied muss zwischen Deutsch und Französisch muss wohl besonders groß sein.


    Selbst wenn wir Fremdsprachen lernen, sind wir möglicherweise doch so geprägt, dass uns Deutschen (Engländern, Japanern...) für immer ein etwas anderes Gefühl für Melodie und Rhythmus bleibt - verglichen mit den Franzosen.
    Es sind vielleicht nur kleine Nyancen, die unsere Hörgewohnheiten beeinflussen. Aber es reicht aus, um bestimmte Musik mehr zu mögen als andere.
    Vielleicht hat es ja auch Auswirkungen auf das Musikempfinden, wenn man mit Hessisch als Muttersprache aufwächst. :hello: (ich bin übrigens auch kein Niedersachse ;) )

  • Lieber Lullist,


    das kann man nicht erklären.
    Welche Melodien, Rhythmen und Harmonien bei mir z.T. zu massiven Serotoninauschüttungen führen, kann man nicht so einfach bestimmen. Scheinbar entsprechen die elektrophysiologischen Muster, die im Gehirn durch Musik ausgelöst werden, irgendwelchen gespeicherten Mustern, die wir "gelernt" haben. Wenn die ihre Entsprechung in unserm Gehirn finden, gibt es dieses Glücksgefühl. Ich stelle mir das naiverweise wie einen Erkennungsvorgang vor - wie bei Spracherkennung. Wie froh sind wir, wenn wir was "verstehen". Der Musiker spielt was, was wir (er)kennen ... Kombinationen - und immer neue Kombinationen - aus Elementen, die in uns angelegt ist.
    Was ich da oben sagen wollte: Einige der Muster oder Raster, die Musik in unserm Gehirn durchlaufen, werden scheinbar schon im Mutterleib angelegt
    .... und die scheinen bei Franzosen und Deutschen anders zu sein.
    (ein Versuch, Deine Frage, warum französische Musik bei uns nicht ganz die verdiente Anerkennung findet, zu beantworten. Ich dachte, es ist witzig, dass in der Studie ausgerechnet deutsche und französische Babys untersucht wurden) :)

  • Zitat

    Original von Seicento
    Was spielen denn die französischen oder französisch-sprachigen Musiker selber?
    Hier der Versuch einer kleinen Statistik:
    Hat jemand mehr Beispiele ? bzw.: Hat das was zu bedeuten ?


    Der Prophet gilt ja bekanntlich wenig bis nichts im eigenen Land. Viele deutsche Komponisten wurden auch zuerst von Belgiern oder Niederländern oder Franzosen eingespielt ...


    Ein Beispiel sind die Werke Wilhelm Friedemann Bachs: Die ersten CDs in den 1980er Jahren waren von Guy Penson, dem Ricercar Consort und Christophe Rousset.


    Die vorrangigen Vivaldi-Interpreten in den 1980er Jahren waren Engländer.
    Usw. usf. ...

  • was wohl auch nicht zu unterschätzen ist, dass viele nur bekanntes hören wollen.
    Meist gilt da: Komponist habe ich noch nie gehört, taugt nix.


    Etwas was ich gar nicht vollziehen kann. :no:
    Ist eben so, was der Bauer nicht kennt.....


    Ich glaube ohne diesen "Forscherdrang" und die Freude am entdecken unbekannter Musik, wird man hier sowieso nicht sehr weit kommen.
    Aber das scheint doch sehr , sehr verbreitet zu sein, warum sonst tauchen ständig die ewig gleichen Stücke auf den Spielplänen auf, oder wird die xte Aufnahme der Brandenburgischen Konzerte auf den Markt geschmissen ?


    Für mich gibt es nichts aufregenderes als eine Oper, ein Konzert oder ein Oratorium zu hören, von dem ich noch nie auch nur eine Note vernommen habe.

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  • @ der Lullist



    Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass ich 1998 / 1999 anlässlich der Veröffentlichung der Eistion "Great Pianist of the Century" einiges zu Byrd und Gibbons geschreiben habe , weil tout le monde aufschrif, empört und erschrocken war , dass Glenn Goulds Cd - Set kein Stück von J S Bach enthielt .


    Goulds Bach gab es in jedem Geschäftchen zu kaufen , aber wer waren denn die Herren Gibbons und Byrd ( und andere sehr interessante komponisteder damaligen Zeit ) mit all ihren Biographien , Schulen usw. ?


    Es gab sofort nach Programmbekanntgabe Statstiker ( oder doch an Musik Interessierte ? ) , die genau feststellten , das die h - Moll - Soante von Liszt am häufigsten in der Eition vorkam . Dann natürlich doe Suche nach den Namenssonaten von Beethoven ; dessen Opp. 101 , 106 , 109 - 111 .


    Diese Werkauswahl hat natürlich erheblichen Einfluss auf die Verkaufszahlen !


    Selbst Maurizio pollini hat sich dann in einer ungeahnten Selbstbeschränkung bezüglich seines eigentlich ihnbekannt gemacht habenden Programmes bewegt , eben kein Stochhausen . Schade eigentlich . Schade, denn die Klaviermusik ist nicht mit der 666. Aufnahme / Mitschnitt der "Mondscheinsonate" beendet gewesen .


    Richtig , lieber lullist , jedes Kennenlernen bisher uns unbekannter Werke ist eine neue Herausforderung , uns auch mit anderen Epochen , Stilen usw. näher zu befassen .


    Wenn die Masse stat zwei französische Opern der Zeit von Berlioz und Meyerbeer ( so die Kunde hier über den Spielplan der Wiener Staatsoper ) 50, 70 dieser Abende erlebt hätte , dann würde niemand mehr den Richard Strauss hören wollen, aber nur in den Traumbestzungen der alten Zeit, sondern diese Epoche wäre mindestens genauso stark vertreten . Und wennman Halévys "la juive" etwas kürten würde , dann hätte auch die Masse einen kurzweilige und musikalisch spannenden Opernabend .


    Solche "Kost" muss das Publikum halt "von oben" verordnet bekommen ......


    Beste Grüsse


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • das sehe ich eigentlich ähnlich, ich glaube das ist einfach ein PR Problem.



    Mich wundert eben auch wieso die ganzen französischen Opern von Halevy, Spontini, Auber, Boieldieu, Meyerbeer, Berlioz etc. so selten bis nie aufgeführt werden - das sind doch ganz großartige Opern.


    Bei Les TRoyens von Berlioz bin ich fast vom Stuhl gefallen, so begeistert war ich - sicher das sind ganz schön monumentale Werke, die man wohl notgedrungen für die Bühne kürzen müsste, aber das ist ja generell immer machbar.
    Vor allem La Juvie ist nach wie vor aktuell vom Inhalt her - aber wer weiß, vielleicht passiert ja noch was.

  • Lieber Lullist,


    erst einmal herzlichen Glückwunsch zum persönlichen fünfjährigen Tamino-Jubiläum! Damit gehörst Du hier eindeutig zur alten Garde, und die Anzahl Deiner Beiträge spricht ja schon alleine für sich.


    Warum ist französische Barockmusik so unbeliebt - so fragst Du. Ich frage: Ist dem denn so? Ist sie wirklich unbeliebt im Sinne einer Antipathie? Ich meine nicht.


    Natürlich ist das Prélude aus Charpentiers Te Deum der Schlager der französischen Barockmusik überhaupt, und, da das ganze Werk auch Laienchören zugänglich ist, wird es einigermaßen häufig aufgeführt.


    Die Organisten kennen natürlich ihren Attaignant (vorbarock), Titelouze (Grenze), Roberday, Nivers, Grigny, Clérambault, die beiden Couperins, Gigault, Lebègue, Jullien, Raison, Boyvin, Marchand, Corrette, Dandrieu, Daquin, und und und. Aber: Wer hat in Deutschland schon die Orgel dafür mit ihren Cromornes, Hautbois, Trompettes, tiefliegenden Mixturen und fetten Flöten im Pedal, um diese Musik halbwegs adäquat wiedergeben zu können - jedenfalls da, wo sie spezifisch wird, d. h., die französischen Charakteristika zeigt? Natürlich kennen die Cellisten ihren Forqueray und Marais, weil sie diese Gambenmusik in ihren Cellostunden spielen mussten. Die Flötisten sollten auch einiges kennen.


    Insgesamt scheint es mir so, dass die Haltung zur französischen Barockmusik indifferent ist, weil man sie nicht kennt. Es gab keine durchgehende Tradition in Deutschland/Österreich dafür.


    Bei Bach war das anders: Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Schumann - sie alle kannten das Wohltemperierte Klavier - oder zumindest Teile daraus. Mendelssohn forschte systematisch nach Bachschen Werken (und hat die Matthäuspassion als erster wieder aufgeführt). Schumann schrieb Fugen über B-A-C-H. Liszt und Brahms haben sich mit Bach auseinandergesetzt, und wer eigentlich nicht? Die maßgeblichen Leute in Österreich und Deutschland kannten und schätzten Bach, und haben dies an ihre Schüler und an ihr Konzertpublikum weitergegeben.


    Die Voraussetzungen zum Kennenlernen waren also für die Bachsche Musik ungleich besser. Jeder Klavierschüler wird irgendwann mit den "Kleinen Präludien" und den "Inventionen" und "Sinfonien" traktiert, bevor die Fortgeschrittenen sich am WK vergreifen dürfen. Die französischen Meister sind einfach nicht kanonisiert. Und welcher Pianist spielt französische Barockmusik, selbst, wenn er Bach im Programm führt? (Es gab eine CD "Tic Toc Choc" von Alexandre Tharaud, und eine Rameau-CD eines russischen Pianisten, das sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.)


    Bei Händel gab es in England eine durchgehende Tradition im Oratorienbereich. Selbst Mozart kannte noch den Messias. Aber wer kannte Delalande und hat seine Schüler mit dieser Musik begeistert? Wahrscheinlich nicht einmal die Franzosen.


    Ich vermute, dass es überwiegend ein Problem der musikalischen Tradition (im Sinne von: Weitergabe von Wissen, von Werkkanons, von Repertoire) ist. Die Fans der Barockmusik können nichts anderes machen, als immer wieder werben.

  • Lieber Wolfram ,


    lieber Lullist ! Rameau hat es endlich ins Thema "Tonos - Kunst des Hörens " hier in tamino-klassikforum.at durch


    Dr. Holger Kalethas heutigen grundlegenden Beitrag geschafft .
    S e h r lesenswert !



    Eine gute Nacht !



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Meine Liebe zur französischen Barockmusik stammt im orchestralen Bereich von der Cappella Coloniensis des WDR mit ihren Suiten von Rameau und Lully, in der Oper mit "Zais" von Rameau (La petite bande unter Sigiswald Kujken, später dann mit Aufnahmen unter William Christie). Allen Taminos hier im Westen empfehle ich "Les paladins" von Rameau, die jetzt von Düsseldorf nach Duisburg gewandert sind. Hiervon hat die Deutsche Oper am Rhein auch eine CD-Box herausgebracht, deren vorerst letztes Exemplar ich im Opernshop für 23 € erworben habe (gibt es bestimmt aber wieder).

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Der Thread passt eigentlich gut zu meinem heutigen Hörverhalten.


    Nun höre ich heute nämlich schon zum dritten Mal diese CD hier mit französischer Barockmusik:




    Momentan komme ich davon schlecht los. Es trifft stilistisch genau das, wonach mir heute ist.
    Für mich ist das eine ganz zauberhafte, edle und auch innige Musik.
    Wenn ich die beiden Aufnahmen Herreweghe/MAK vs. Herreweghe pur vergleiche, finde ich letztendlich diese von mir genannte CD übrigens ansprechender.
    Auf das Warum dafür jetzt einzugehen, würde vom Inhalt des Threads wegführen.
    Jedenfalls finde ich, dass Musica Antiqua Köln hier sehr schön spielte.


    Ich muss auch zugeben, dass ich nicht so viele Aufnahmen mit französischer Barockmusik höre, weil ich den deutschen "vermischten" Geschmack bisher immer als interessanter und reichhaltiger empfand.
    Aber die französischen Musik mit ihrer Symmetrie, ihrer feinen Kultur und ihren rreichhaltigen, genau festgelegten Ornamentik ist eben auch pur sehr reizvoll.
    Übrigens empfinde ich die Verzierungen bei orchestraler Musik noch stärker als Ausdrucksmittel als bei französischer Cembalomusik, vielleicht weil die melodiösen Strukturen durch die Tatsachen, dass es sich bei Geigen oder der Flöte im Gegensatz zum Cembalo um Instrumente handelt, die von Natur aus einen singenden Klang haben.
    Da ich Opern nicht so mag wie geistliche Musik, müsste ich mir in dem Bereich dann ggf. mehr zulegen.

    Italienische Barockmusik atmet etwas Eruptives, Ungezügeltes....den heissen Wind des südlichen Temperaments eben.
    Vielleicht kommen deswegen auch wild gespielte Violinfiguren aus dem "Winter" von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" auch beim weniger einschlägigen Publikum besser an, als die nicht von vornherein so "anmachende", im Vergleich eher kultiviert zurückhaltende französische Barockmusik.
    Um deren Reize nachzuempfinden muss man einen Sinn für das Feine und Süsse haben, bzw. diesen mit der Zeit entwickeln.


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich werde die Antwort auf die Frage des Threads in einem Satz zusammenfassen, wenngleich mir bewusst ist, daß das "Problem" ein wesentlich komplexeres ist, und vielleicht einer komplexeren Antwort bedarf.


    Nein - ich habe mich doch entschlossen ein bisschen mehr zu schreiben, weil meine geplante Antwort:


    "Weil sie weitgehend unbekannt ist" mehrere "Schönheitsfehler aufweist.


    Man könnte beispielsweise antworten, eben weil diese Musik so unbeliebt wäre, sei sie so unbekannt.
    Zunächst könnte man die Gegenfrage stellen, ob den die Kernaussage - die französiche Brarockmusik sei unbeliebt - heute überhaupt noch stimmt. Einst gab es sicher politische Konstellationen einerseits und geschmackliche Vorlieben andrerseits , welche der Verbreitung dieser Musik im deutschsprachigen Raum (und wir reden ja vom deutschsprachigen Raum. - Oder ???) im Wege standen.


    Wie beliebt ist denn Barockmusik in unseren Tagen überhaupt ?


    Bach stellt hier eine Ausnahme dar, spielen seine Kantaten im Kichenjahr bis heute eine gewisse Rolle.


    Wie hoch ist denn der Prozentsatz der Buxtehude Hörer - jener von Telemann, Corelli, Torelli - oder jener von Avison ?


    Vivaldi wäre hier ein vermutlich gern genanntes Gegenbeispiel - aber ich gebe zu bedenken, daß Vivaldi an sich eine atypische
    posthume "Karriere" hinter sich hat - vor 50 Jahren kannte die Mehrheit der Klassifreunde allenfalls 5 oder 6 Werke - von einigen Spezialisten natürlich abgesehen........


    Wenngleich es diverse Spezialthreads über französische Barockkomponisten gibt - die von Nichtspezialisten vermutlich gemieden werden - werde ich hier beginnen einige Werke des französichen Barock vorzustellen, welche eigentlich auf eine eher überdurchschnittliche Resonanz stossen sollten.


    Ohrwürmer des Französichen Barock


    Ein Flaggschiff dieser Gruppe wären die "Simphonies pour les Soupers du Roy "



    Die fröhliche, rhythmische Musik lässt einen bedauern, daß hier nur Auszüge aus zwei Orchestersuiten aufgenommen wurden.


    mfg aus Wien


    alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Woran es liegt, dass französische Barockmusik im deutschen Sprachgebiet nicht beliebt sein soll, kann ich nicht benennen, weil ich musikhistorisch nicht allzusehr auf dem laufenden bin. Hat es mit unserer musikalischen Sozialisation zu tun, die sich an den um 1800 lebenden formbildenden Klassikern orientiert, welche in den deutschen Fürstentümern bzw. Königreichen oder im österreichischen Vielvölkerstaat beheimatet waren? Stehen uns Komponisten wie Haydn, Mozart, Beethoven deshalb näher, weil sie dem deutschsprachigen Kulturkreis angehörten? Da geraten die französischen Barockmusiker nicht in die deutsche Sicht. Obwohl Bach musikalische Modelle der Franzosen in seine Orchestermusik übernommen hatte, scheinen wir mit den Komponisten des frankophonen Kulturkreises weniger verbunden zu sein. Sind Musiker wie Lully, Charpentier, Rameau, Marais, Couperin nicht in unserem Bewusstsein, weil sie nicht formbildend gewirkt haben sollen? Dabei sind solche Einflüsse durchaus vorhanden.


    Das Frankreich des 18. Jahrhunderts gab für die Entwicklung Europas entscheidende Impulse. Geistesgeschichtlich haben wir der Aufklärung, welche im französischen Raum beheimatet ist, viel zu verdanken. Zur Zeit der Regime von Ludwig XIV und Ludwig XV breitete sich eine gewisse Dekadenz zunehmend aus, während das Volk in erdrückender Misere lebte. Diese gesellschaftlichen Spannungen führten letztendlich zur französischen Revolution. Spannend ist es deshalb sich mit französischer Barockmusik zu beschäftigen, weil sie aus dieser, die Welt bewegenden Zeit stammt.


    Als Empfehlung von Francois Couperin diese Einspielung der Concerts Royaux mit dem Ensemble Le Concert des Nations unter Jordi Savall.



    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Auch das eines meiner interpretatorischen und musikwissenschaftlichen Spezialthemen:


    Vielleicht liegt ein Grund darin, daß sich der französische Stil eigentlich selbst abgeschafft hat. Das ist jetzt sehr verkürzt und etwas überspitzt, im Grunde genommen aber richtig.
    Ab 1700 werden die Einflüsse des italienischen Stils in Frankreich immer stärker. Erkennbar etwa an der Tatsache, daß französische Instrumente wie die Gambenfamilie oder die Gitarre immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden. Um 1720 hat auch die italienische Violine das kammermusikalische Feld in Paris fast vollständig erorbert. Gleichzeitig wird die franzözische Suite bzw. die mit ihr verwandte und teilweise auf ihr beruhende Sonata da camera, in Frankreich meist eher Concert oder Divertissement genannt immer mehr von italienische Formen abgelöst. Eine gewisse Form von Virtuosität hält Einzug, etwas was der französichem Stil völlig feht und worüber die französischen Theoretiker die Nasem rümpfen. Galanterie ist die Maxime der französischen barock Musik, verfeinerte Grazie und Anmut, die die Grenzen des Natürlichen sprengt. Zudem verlieren scih die Interpretatorischen Eigenheiten wie das Ingegalité und werden sogar durch angesehene französische Komponisten wie Miche Corette abgelehnt.
    Wer sich für die unterschiedlichen Stile aus der Sicht eines barocken Musikers interessiert, kann das sehr gut und verständlich bei Mattheson nachlesen! Er widmet ein ganzes Kapitel seines "Neu=Eröffnetes Orchester" dieser Frage.
    Die Durchsetzung des italienischen Stiles, der spektakulärer ist, führt im Laufe des 18. Jh. zu einer Internationalisierung der Musiksprache, was darin mündet, daß zu Mozarts Zeiten es für den musikalischen Stil eines Komponisten nahezu unerheblich ist, wo er sich musikalisch sozialisiert.

  • Das Folgende schreib der Lullist, der diesen Threat immerhin einmal gestartet hatte, über den Dreißigjährigen Krieg:


    Zitat

    Für die Kunst war der Krieg vielleicht sogar ein Segen - denn durch die Zersplitterung des deutschen Reiches und der Autonomie der Fürsten entwickelte fast jedes größeres Fürstentum einen eigenen Kunststil, ganz besonders was die Musik betrifft, das sollte sich dann in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts am stärksten zeigen.


    Ist das demnach so zu verstehen: Während Deutschland und Italien wie etwa der tropische Regenwald eine Vielzahl von Nischen für alle möglichen Musikvarianten bot, stellte die von Versailles dominierte Musikszene in Frankreich eher eine Monokultur mit geringerer musikalischer Vielfalt dar ?


    Die französiosche Violinistin Hélène Schmitt hat letztes Jahr während eines Konzertes noch einen Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland/Italien beschreiben. Demnach wurde in Frankreich zwischen edlen Instrumenten und den eher weniger vornehmen Instrumenten unterschieden. Erstere waren Gambe und Cembalo - letztere z.b. die Violine, die in Italien und Deutschland viel früher populär war. Aber immerhin konnte Johann Paul von Westhoff im Jahr 1682 den französischen König doch sehr mit seinem virtuosen Violin-Spiel beeindrucken. Und Michele Mascitti, der nur acht Jahre jünger war als Westhoff, machte dann in Frankreich Karriere. Jean Féry Rebel, von dem die Musik auf folgender s e h r schöner CD zu hören ist, war nur zwei Jahre jünger als Mascitti. Er soll die ersten Violinsonaten in Frankreich geschrieben haben. (Also lange hat es die Violine nicht gebraucht, um Frankreich zu "erobern"). ;)



    Die Solistin ist Amandine Beyer, die bei Tamino auch schon sehr gelobt wurde.

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  • Was der Lullist damals über die Vielfalt in "teutschen Landen" schrieb, ist sicherlich korrekt. Allerdings muß ich als Historiker doch mit dem weit verbreiteten Irrtum aufräumen, daß das Reich (das angebliche "politische Monstrum") erst durch den Dreißigjährigen Krieg "zersplittert" worden wäre. Dieser Unsinn hält sich seit dem 19. Jahrhundert in den meisten Schulbüchern, auch wenn es der total verzerrten preußischen Geschichtsschreibung entspricht, die das Alte Reich natürlich abwerten mußte, um das eigene Deutsche Reich umso glorreicher erscheinen zu lassen. Fakt ist, daß es bereits seit dem Spätmittelalter sehr viele Territorien innerhalb des Heiligen Römischen Reiches gab. Daran hat der Dreißigjährige Krieg nichts Wesentliches verändert, es war auch lange davor schon so. Fakt ist auch, daß der Kaiser durch den Westfälischen Frieden weder entmachtet, noch auf Wien und Österreich zurückgedrängt worden wäre [gerade Leopold I. (1658–1705) engagierte sich wieder sehr in der eigentlichen Reichspolitik, und das mit einigem Erfolg]. Vielmehr wurde lediglich der Vorkriegszustand wiederhergestellt, denn die kaiserliche Machtfülle war nach dem kaiserlichen Sieg in der Schlacht am Weißen Berg im Laufe der 1620er Jahre ins Astronomische angestiegen. Man beseitigte ganz einfach die absolutistischen Tendenzen der Kaiser Ferdinand II. (1619–1637) und Ferdinand III. (1637–1657) und schrieb dann nochmal pro forma fest, was eigentlich vor 1618 schon usus war. Ein Bündnisrecht der Fürsten gab es auch schon vor 1648, und auch danach durfte es sich nie gegen Kaiser und Reich richten.


    Zum Glück sieht die Forschung der letzten Jahrzehnte das Heilige Römische Reich viel positiver als bisher üblich. Die verleumderische Geschichtsschreibung Preußens wurde zunehmend entlarvt.


    In Bezug auf Frankreich ist interessant, daß dieses angeblich so altersschwache und degenerierte Gebilde das vermeintlich quicklebendige und hegemoniale Königreich Frankreich um anderthalb Jahrzehnte überlebte. :D

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • So unbekannt ist die französische Barockmusik nicht. Ich habe habe Rameau und Lully in den 70ern durch die Suiten der Cappella Coloniensis kennengelernt, dann kamen die Opern dazu (La petite bande unter Gustav Leonhardt - meine Lieblingsoper ist "Zais" von Rameau - mit René Jacobs als Sänger in einer Nebenrolle). Die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf hat einen prachtvollen Rameau-Zyklus hingelegt mit jetzt schon 3 Opern (mit einem Orchester auf historischen Instrumenten - der Düsseldorfer Neuen Hofmusik)

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Auch ich meine, daß der Threadtitel hier einfach etwas zu suggerieren versucht was einfach nicht der Realität entspricht. Die französische Barockmusik ist nicht beliebter und nicht unbeliebter als die anderer Länder auch. Natürlich fehlt in Deutschland der "patriotische Bonus", den beispielsweise Johann Sebastian Bach geniesst - aber das wird wohl kaum jemanden verwundern. Schon Händel ist nicht mehr so populär - ausser vielleicht in England, wo man ihn gerne für sich reklamiert hätte.
    Telemann wird gern als Vielschreiber dargestellt. Heinichen, Hasse und Graun sind vielen nur namentlich ein Begriff. Das waren die Vertreter des Spätbarock. Wer kann ad hoc 5 deutsche Vertreter des Hochbarock nennen ? (bitt nicht googeln - das gilt nicht) Sehr bekannt sind Barockmkomponisten aus Italien, Deshalb hat man ja jahrzehntelang nur Vivaldis "Hauptwerk", die vier Jahreszeiten gekannt und von Corelli, Torelli, Locatelli und Albinoni kennen die meistn Klassikhörer allenfals noch die Namen und - wenns hoch her geht . ein Hauptwerk.
    Wie siehts nun in Frankreich aus ? Lully teilt das Schicksal seiner ausländischen Kollegen: Er ist namentlich etlichen bekannt - aber wirklich beliebt ist er heutzutage nicht. Charpentier, Delalande, Couperin bestechen durch ihre Elegance und sind bei Barockkennern durchaus beliebt. Der "Rest der Welt" kennt sie natürlich nicht - oder eben kaum.....
    Im Rahmen der Renaissance der Barockmusik (welch ein Satzkonstrukt :D )gewinnen aber auch sie an Profil.
    Als "unbeliebt" habe ich sie nie empfunden......


    mit freundlichen grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es gibt inzwischen sicher gute Aufnahmen französischer Barockmusik und einige Stücke wie die Kammer- und Cembalomusik von Couperin, Charpentiers Eurovisions-TeDeum und auch Opern und Ballettsuiten von Rameau in einer Anzahl von Aufnahmen. Es ist hier nicht sinnvoll, zu sehen, welche Komponistennamen man kennt, sondern welche Stücke gespielt und gehört werden.


    Aber es gibt m.E. offensichtlich kein einziges Stück, das, anhand der vorhanden Aufnahmen, auch nur annähernd so beliebt wäre wie zB Händels Concerti grossi op.6, nicht zu reden von Bachs Brandenburgischen oder Vivaldis Jahreszeiten. Es ist zumindest außerhalb Frankreichs wohl auch keine Oper von Lully oder Rameau ähnlich häufig auf dem Programm wie etwa Purcells Dido & Aeneas oder die Handvoll der bekanntesten Händel-Opern.
    Außer geistlicher Musik (bei der eh Bach und Händel alles dominieren), ist heute die beliebteste Gattung aus dieser Zeit ziemlich sicher das Konzert des Hoch/Spätbarock und das war halt häufiger im italienischen Stil. (Von denn dutzenden oder hunderten Suiten Telemanns gibt es ebenfalls deutlich weniger Aufnahmen als von seinen Konzerten, wobei die stilistischen Einflüsse auf Telemann ja vielfältig sind.) Da gibt es sehr wenig aus Frankreich und was es an Suiten und Kammermusik gibt ist heute maximal so bekannt wie ein mittelbekanntes Vivaldi- oder Albinoni-Opus.


    Was wären denn die 10 bekanntesten franz. Barockwerke (alle Gattungen)?


    Einige Kandidaten:


    - ein paar Cembalostücke oft mit pittoresken Beinamen von Couperin und evtl. auch Rameau (werden ja mitunter auch von Pianisten gespielt)
    - Couperin: Concerts Royaux, Les Nations u.a.
    - Couperin: Lecons de Tenebres
    - Rameau: Suite aus "L'Indes Galantes" und ggf. weitere Suiten aus Balletten/Opern
    - Rameau: "Castor & Pollux" und "Hippolyte & Aricie"
    - Charpentier: Te Deum u.a. geistl. Musik
    - Rebel: Les Elements
    - Marais: Gambenmusik
    - Campra: Requiem
    - Lully ?
    ...


    Es gab in den letzten ca. 20 Jahren mehrere einigermaßen bekannte Filme (Die 7. Saite/Tous les matins du monde, Der König tanzt/Le roi danse, Vatel, Cyrano de Bergerac) aus dem franz. Barock, in denen originale Musik teils eine wichtige Rolle spiele. Die Soundtracks wurden von prominenten Musikern eingespielt und haben sich wohl auch ganz gut verkauft. Dennoch habe ich bei keinem der o.g. Stücke den Eindruck, dass es selbst bei Klassikhören als bekannt vorausgesetzt werden kann (wie die Brandenburgischen Konzerte oder die Wassermusik)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf hat einen prachtvollen Rameau-Zyklus hingelegt mit jetzt schon 3 Opern (mit einem Orchester auf historischen Instrumenten - der Düsseldorfer Neuen Hofmusik)

    Ich mag Barockopern auch sehr gerne. Von den 3 Opern aus dem Rameau-Zyklus habe ich leider Les Paladins nicht gesehen, dafür habe ich mir die CD, die die DOR veröffentlicht hat, gekauft. Die Düsseldorfer Neue Hofmusik mit den historischen Instrumenten ist einzigartig schön und sehr zu empfehlen.



    Besonders Anders J. Dahlin gefällt mir hier auf der CD sehr gut. Ich habe ihn auch gerne als Platée gesehen und gehört. Leider gibt es davon keine CD.

    Viele Grüße,


    Marnie

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  • Also ich würde auch nicht sagen das die Französische Barockmusik unbeliebter ist, als jene von Paganini, Vivaldi, Bach oder Händel ec. !
    Sie ist einfach nicht so "Populär" und bekannt für den Barockneuling! Da ich selbst erst seit Überschaubarer Zeit Klassik Höre und auch die Barock Musik erst richtig Kennen lerne, weiss ich aus eigener Erfahrung, dass man Anfangs als "Unwissender" eher weniger die Namen Lully oder Rameau bei seiner suche nach CDs einfügt, da man die Namen entweder noch gar nicht kennt , oder sie einem Einfach nicht genug sagen um seinen Anfang bei der Barockmusik gerade im frühen Frankreich zu beginnen!


    Barock habe ich auch erst einmal von Vivaldi hin zu Bach, dann Händel und schließlich Telemann kennen gelernt!


    Erst durch einen Zufall in einer 111 Jahre DG Box habe ich diese CD gefunden



    und damit Kenntnis von der Existenz Französischer Barockmusik erlangt! Erst so konnte ich mich durch Lesen von Biographien Rameaus mehr auf die Welt der Französischen Barockmusik einlassen und lernte so auch Lully für mich kennen!


    Es geht mir sogar so, dass ich die Französische Barockmusik bisweilen lieber höre als die Deutsche/Italienische!


    Man muss nur erstmal Kenntnis von der Existenz erlangen :D Es würde mich nicht wundern wenn es auch "nicht-neulingen" so ergeht, dass sie sich noch nicht so Starkt mit diesen Werken auseinander gesetzt haben, sie aber Lieben werden, würden sie sie kennen :)



    Lg

  • Alfreds erste Antwort "... weil sie unbekannt ist..." scheint mir richtig zu sein.


    Wenn man sich mal ein wenig mit ihr beschäftigt, kommen erstaunlich gute Stücke zu Tage. Ich würde auch nach wie vor nicht sagen "unbeliebt", sondern ebenfalls "unbekannt".


    Hier z.B. eine Musik von Lully, die so prächtig ist wie irgendeine - also Barock in Hochform als würdevoller Schreittanz


    http://www.youtube.com/watch?v=bUH9XZYp7H8

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