Früher war alles besser ... - die Alten leben hoch !!

  • Zitat

    Original von Hildebrandt


    Menuhin hat in den 60ern noch auf Darmsaiten gespielt – und zwar auch Elgar, nicht nur Bach.
    Das Problem bei den Darmsaiten war, dass man sie schon noch wollte, aber nicht mehr bekommen konnte.


    Wieso? Meines Wissens sind Katzen bislang nicht ausgestorben. :D

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Melchior und Traubel waren nun alles andere als Mikrophon-Crooner, ganz im Gegenteil. Und wenn Du es nicht glauben magst, dann höre einfach mal Live-Mitschnitte aus der MET aus den 1930ern oder 1940er, wo die Sänger nicht direkt vor einer Aufnahmeapparatur standen und auch nicht am Mischpult getrickst werden konnte, wie das heutzutage sooft bei Vokalaufnahmen der Fall ist.


    Ich verstehe das Argument noch immer nicht ganz.
    Was gibt es für Möglichkeiten?
    A) Es gibt 1 Mikrophon. Alles was näher dran ist, ist bevorzugt, alles was weiter weg ist, ist benachteiligt. Objektiv wäre es, wenn es in der Position einer Zuhörers positioniert ist. Abgesehen von irgendwelchen Richtcharakteristika etc ...
    B) Es gibt mehrere Mikrophone. Das, was rauskommt, wird abgemischt. Manipulation ist somit automatisch möglich.


    Und wie war das jetzt bei Deinem Beispiel?
    :hello:

  • Hallo KSM,


    allso ich habe nochmal nachgelesen. Das Aufnahmeequipment der MET Broadcasts in den 1930er und 40er war nichts Besonderes (man nahm damit auch Tanzcombos in Hotels auf) und platziert wurde das Mikrophon in einer Loge des 2. Ranges. Aufgenommen wurde also aus "Zuhörerperspektive".


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ganz kurz zu Stimmaufnahmen:


    In der Mono Zeit, mehr noch in der "Prä-Hifi-Zeit" war es so, daß die obersten Frequenzen nur unzureichend wiedergegeben werden konnten, Dynamikspitzen verzerrten und Pianissimostellen rauschten. Dies alles auf einem Kanal, sodaß permanent die Gefahr bestand, daß Stimmen vom Orchester zugedröhnt ,und somit verdeckt wurden (im Stereofall würde die verschiedene Phasenlage, das Orchester noch ein wenige von der Stimme trennen, ähnlich wie in der Realität, wenngleich weniger ausgeprägt), deshalb wurde die Stimme - wenn irgendwie möglich gegenüber dem Orchester vorgezogen und zudem die Dynamik der Aufnahme eingeebnet. Dies hatte zur Folge, daß Stimmen oft prägnanter aufgezeichnet wurden als dies später im Stereozeitalter der Fall war. Ich habe mich lange daran gewöhnen müssen, daß Stimmen oft im Klangbei des Orchesters beinahe untergingen, was zwar in der Realität auch geschah, aber dort durch die real existierende Raumakustik - mit all ihren Reflektionen - erträglich gemacht wurde.
    Reale Räumlichkeit ist bis heute nicht auf Tonträeger erzielbar (auch nicht mehrkanalig)


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich biete noch Erklärungsversuche:



    1


    Die alte Generation, von der wir sprechen, lebte noch in zeitlicher Nähe zur Romantik (und wir sprechen ja hier vorwiegend von Werken der Romantik und klass. Moderne). Klemperer hat z. B. mal gesagt, dass er von R. Strauss habe den Tristan auf unglaubliche Weise dirigiert. Wen wunderts, der Dirigent war selbst Komponist und vom Stil nicht weit entfernt. Da ist wohl ein tiefer Einblick in die Musik anzunehmen, anders als das z. B. bei einem heutigen Hochschulabsolventen vorausgesetzt werden kann, der die Stücke größtenteils von Tonträgern kennt.


    2


    Meine ehemalige Geigenlehrerin hat mal länger mit mir darüber geredet: Mit jeder neuen Interpretengeneration vereinheitlicht sich die Spieltechnik ein Stück weiter. Man findet heraus, dass genau eine Handhaltung die optimale Haltung für das Staccato-Spiel auf der Geige ist, und gibt die an die Schüler weiter (als Beispiel).
    Vor 100 Jahren mussten sich die Interpreten aber noch alles selbst beibringen, jeder gute Geiger hat zwar das Staccato-Spiel gelernt, aber jeder auf anderem Wege. Dadurch entstanden große Unterschiede im Klang zwischen den einzelnen Interpeten und diese gewannen an Individualität, was gewöhnlich positiv bewertet wird.
    Heutzutage würde jemand, der wie Oistrach geigt, erst einmal technisch zurechtgewiesen werden, bevor er den Status einen Stargeigers erlangen könnte.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Natürlich, wen interessiert, wie sich die Interpretationen von früher von denen von heute unterscheiden, der muss beide anhören. Wen es nicht so interessiert, der muss aber auch nicht, und für den gibt es keine triftigen 9 Gründe, es doch zu tun.


    Genau, dass ist wie beim Kochen: Wer wissen will, wie das Rezept wirklich schmeckt, braucht nicht zu vergleichen, wie unterschiedlich doch die Qualität der Zutaten sein kann. Er nimmt halt, was grad greifbar ist, wirft es in den Topf und gibt sich damit zufrieden. :pfeif:


    Letztlich kann ich nur empfehlen, die vielen Threads, die bereits zu dieser Thematik liefen, zu lesen. Und sich dann systematisch durch die entsprechenden Aufnahmen zu hören. Dann kann man die Entscheidung fällen, ob es nur an Nostalgie oder einem gewissen Selektionseffekt liegt, dass vor allem Opernaufnahmen empfohlen werden, die schon viele Jährchen auf dem Buckel haben.
    Ob der Stellenwert des Gesangs innerhalb der Oper heutzutage ein anderer ist, als früher, kann man schlecht diskutieren. Das muß man halt hören. Anregung dazu könnten zum Beispiel die aktuellen Zeitungskritiken - wie dort Sänger beurteilt werden - bieten, die man mit denen Anfang des 20. Jahrhunderts, ruhig auch in die 50er Jahre hinein vergleichen sollte.
    Weiterhin sollte man dann einfach mal feststellen, wie selten wirklich großartige Gesangsinterpreten sind. Und wie schwer es ist, die vielen, welche man für eine Oper braucht, zur richtigen Zeit vor den richtigen Dirigenten zu bekommen, mit dem richtigen Orchester und einem tollen Chor. Und ob es wahrscheinlicher ist, dass das in den letzten 5 oder den letzten 50 Jahren geklappt hat.
    Und dann wieder Historie: Einfach mal lesen, wie die (teilweise ersten) Gesamteinspielungen vieler Opern in der späten Mono- und frühen Stereoära produziert wurden. Mit welchem Aufwand, auch hinsichtlich der Zusammenstellung einzelnen Sänger (die damals noch weniger fest an viele Labels gebunden waren) damals gearbeitet wurde, während man heutzutage oft eine Aufnahme um einen Starsänger bastelt, und alles andere (vielleicht noch bis auf das Cover) vernachlässigt. (Wo das nicht passiert, sind neuere Aufnahmen, vor allem wenn HIP, schnell auch unersetzlich).
    Weiterhin gibt das Tonträgerstudium auch wichtige Hinweise für die Interpretation, weil sich über einige Aufnahmen Beziehungen zum Komponisten herstellen lassen, was die ungenügenden Partituraussagen mit wertvollen Hinweisen ergänzt. Zudem kann man nur feststellen, was gesanglich in einer Rolle überhaupt möglich ist, wenn man mal einige Aufnahmen studiert hat. (Wie geschmeidig man beispielsweise abfallende Skalen singen kann...)


    Letztlich ist sicher auch noch eine Erklärung, dass sich eine sängerische Interpretation in der Wahrnehmung in der Regel von einem Hörer deutlicher voneinander unterscheidet, als es beispielsweise bei einem Dirigenten/Orchester der Fall ist. Wissenschaftlich betrachtet sind die Unterschiede sicherlich in gleichem Maße vorhanden, aber in der Rezeption ist es deutlich anders, und das kann man nicht ignorieren. Sicher auch ein Grund, weshalb relativ viele Opernfreunde 30 Aufnahmen der Traviata haben, aber nicht viele Beethovenfreunde 10 Zyklen der Sinfonien.


    Letztlich muß das aber jeder selbst wissen. Wer meint, auf die letzten 100 Jahre Tonträgergeschichte verzichten zu können, den wirds nicht stören. :D


    Gruß
    Sascha

  • zu der frage sage ich: ja, früher war wirklich sehr, sehr vieles besser - nicht alles. aber eben sehr, sehr vieles.


    ps...der alzheimer ..hatte ich nicht mal einen ähnlichen thread formuliert?? oder doch nur in verschiedenen threads dies behauptet???? wer weiß bescheid (ich meine nicht den blackadderschen ....früher war alles besser


    wenn ja, sollte man diesen doch bitte hintenanfügen ...

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von rappy
    1
    Die alte Generation, von der wir sprechen, lebte noch in zeitlicher Nähe zur Romantik (und wir sprechen ja hier vorwiegend von Werken der Romantik und klass. Moderne). Klemperer hat z. B. mal gesagt, dass er von R. Strauss habe den Tristan auf unglaubliche Weise dirigiert. Wen wunderts, der Dirigent war selbst Komponist und vom Stil nicht weit entfernt.


    Der Kontakt ist ja noch direkter: Toscanini hat bei Verdi-Uraufführungen Cello gespielt und Puccini-Premieren selber dirigiert. Szell war Korrepetitor unter Richard Strauss. Walter und Klemperer waren Mitarbeiter Mahlers, Walter dirigierte die Premieren von Mahlers 9. und dem Lied von der Erde, Monteux die Skandalpremiere von Le Sacre du Printemps und auch Petruschka usw.


    Der junge Rubinstein hat IIRC noch mit Joachim oder anderen Brahms-Freunden zusammen musiziert oder ihnen vorgespielt. Für alle Interpreten, die ihre Ausbildung vor dem 1. Weltkrieg erhielten, kann man getrost sagen, daß sie der musikalischen Kultur der Spätromantik entstammen, die Komponisten waren ja selbst oft noch am Leben.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Andrerseits ist der Perfektionsanspruch geringer.
    Wochenlange Proben, Experimente mit Mikrophonaufstellungen, Verschiebung von Terminen, bloß weil der Interpret "indisponiert" ist - das gibt es heute so gut wie überhaupt nicht mehr.
    In vielen Beeichen handelt es sich bei heutigen Aufnahmen generell um (manipulierte) Live-Aufnahmen mit allen Vor- und Nachteilen.


    Ich bin mir nicht sicher, ob tatsächlich der Anspruch an die Qualität einer Aufnahme geringer geworden ist. Könnte es nicht auch sein, dass die Kosten für eine Aufnahme (Personalkosten, Aufwand für Studio und Promotion) in den letzten Jahren höher geworden sind, so dass man - um einen Gewinn realisieren zu können - letztlich knapper kalkulieren muss ?


    Ich könnte mir schon denken, dass das auch Auswirkungen auf die Qualität hat, auch wenn der anspruch selbst höher war, als das erreichte Ergebnis.


    Aber ich muss natürlich einräumen, dass das nur die Gedanken und Vermutungen eines Musiklaien sind.


    VG, Bernd

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Der Kontakt ist ja noch direkter: Toscanini hat bei Verdi-Uraufführungen Cello gespielt und Puccini-Premieren selber dirigiert. Szell war Korrepetitor unter Richard Strauss. Walter und Klemperer waren Mitarbeiter Mahlers, Walter dirigierte die Premieren von Mahlers 9. und dem Lied von der Erde, Monteux die Skandalpremiere von Le Sacre du Printemps und auch Petruschka usw.


    Und so ist es halt auch mit den Sängern. Es gibt interessante Dokumente, beispielsweise von Interpreten, über die Verdis Bewunderung dokumentiert ist, bzw. die in von ihm überwachten Aufführungen sangen. Interessant ist dann beispielsweise, dass sich deren Stilistik selten mit dem deckt, was hinterher Toscanini fabriziert hat (wobei wir ja bekanntlich wieder nur aus dessen letzten Lebensjahren wirklich verwertbares Tonmaterial haben!). Alles in allem aber eine Masse an Hinweisen, die das Gesamtbild einer Interpretation vervollständigen können.


    Letztlich muß man auch mal folgendes bedenken: Wenn ich jetzt gerade gerne mal hören möchte, wie ein Werk klingt, dann kann ich in die nächste Konzerthalle gehen und mir eines anhören. Ob ich dabei wirklich eine der bestmöglichen Aufführungen erwische, hängt aber nicht unwesentlich davon ab, wo ich mich gerade befinde...zwischen Wien und Castrop-Rauxel bestehen durchaus Unterschiede.
    Und das kann man durchaus auf Tonträger übertragen, denke ich: Es ist einfach nur wahrscheinlich, dass ich gute Interpretationen kennenlerne, wenn ich einen größeren Zeitraum nutze.


    Wagner, der alte Fuchs, hat das ja schon in seinem Parsifal eingebaut, dass die Zeit zum Raum wird. Ist ja auch alles sonnenklar. 1877 schreibt er das in die Partitur, 1877 erfindet Edison den Phonographen.
    Hätten wir das nun auch geklärt.



    zatopek:


    Zitat

    Ich bin mir nicht sicher, ob tatsächlich der Anspruch an die Qualität einer Aufnahme geringer geworden ist. Könnte es nicht auch sein, dass die Kosten für eine Aufnahme (Personalkosten, Aufwand für Studio und Promotion) in den letzten Jahren höher geworden sind, so dass man - um einen Gewinn realisieren zu können - letztlich knapper kalkulieren muss ?


    Sicher, zumal bei in mehr als 100 Jahren akkumulierten Aufnahmen, die sich in den Back-katalogen der Labels stapeln und für Spottpreise auf den Markt geworfen werden die Nachfrage nach einer "Referenzaufnahme" deutlich nachgelassen hat - vor allem, weil es so viele (unterschiedliche :D) Referenzen bereits gibt. Und der Kostenfaktor ist auch einer der Gründe, weshalb es wahrscheinlicher ist, dass in den nächsten Jahren eine großartige Aufnahme der Hammerklaviersonate erscheint, als eine vom Ring des Nibelungen.


    Gruß
    Sascha

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    Original von klingsor
    zu der frage sage ich: ja, früher war wirklich sehr, sehr vieles besser - nicht alles. aber eben sehr, sehr vieles.


    ps...der alzheimer ..hatte ich nicht mal einen ähnlichen thread formuliert?? oder doch nur in verschiedenen threads dies behauptet???? wer weiß bescheid (ich meine nicht den blackadderschen ....früher war alles besser


    wenn ja, sollte man diesen doch bitte hintenanfügen ...


    Ich konnte mich auch erinnern...hab jetzt beide zusammengefügt.



    LG, Peter.

  • Zitat

    Original von zatopek


    Ich bin mir nicht sicher, ob tatsächlich der Anspruch an die Qualität einer Aufnahme geringer geworden ist. Könnte es nicht auch sein, dass die Kosten für eine Aufnahme (Personalkosten, Aufwand für Studio und Promotion) in den letzten Jahren höher geworden sind, so dass man - um einen Gewinn realisieren zu können - letztlich knapper kalkulieren muss ?


    Ich könnte mir schon denken, dass das auch Auswirkungen auf die Qualität hat, auch wenn der anspruch selbst höher war, als das erreichte Ergebnis.


    Ich halte Alfreds Aussage für so nicht richtig. Es gibt aus den letzten 10 Jahren eine große Anzahl von Aufnahmen, die spiel- und klangtechnisch mindestens so sorgfältig produziert sind wie die angeblichen Legenden, viele sogar besser. Die Orchester sind ja spieltechnisch *im Durchschnitt* deutlich besser als vor 40 oder 50 Jahren. Sie sind überdies, gerade mit Werken, die damals noch als schwierig galten (Mahler, Strawinsky u.ä.) viel besser vertraut. Man kann also schneller, aber dennoch ebensogut oder besser produzieren. Ich behaupte mal, daß fast alle Mahler-Aufnahmen der letzten 20 Jahre klang- und spieltechnisch besser sind als die ersten drei Zyklen der 60er Jahre (Bernstein, Kubelik usw.)
    Oder man nehme die Bruckner-Aufnahmen Skrowaczewskis mit dem Saarbrückener Rundfunkorchester.


    Dazu kommen technische Neuerungen wie SACD usw.


    Das einzige Gebiet, wo das anders sein mag, sind Opern. Hier hat man schon in den 80ern absahnen wollen und schnell noch mal alles neu auf digital, mit seinerzeitigen Stars, die oft auch schnell wieder vergessen waren, aufgenommen, oder eben wie heute mit Netrebko eine Aufnahme um einen Star herumproduziert, anstatt ein gutes Ensemble zusammenzustellen.


    Die eigentlichen Qualitäten der älteren Aufnahmen sind m.E. nicht in der technischen Sorgfalt zu finden.


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Ich würde es so formulieren:


    Wie in fast allen Lebensbereichen ist die DURCHSCHNITTLICHE Qualität gestiegen - absoluten Ausschuss gibt es immer weniger, und ich pflichte bei, die "Promenadenmischung-Orchester" sind durchwegs besser geworden, jedes Mini-Label schafft heute passable Tonqualität, jedes unbekannte japanische Pianist ist mit den Werken der Wiener Klassik vertraut (und fühlt sich leider berufen diese auch für die CD einzuspielen)
    Allersings : Wo viel Licht ist ist auch viel Schatten:
    Herausragende Interpreten sind ebenso selten geworden wie minderwertige. Alles spiel sich auf einem "Durchschnittslevel" ab. Für Extravaganzen und elitäre Ansprüche ist der Markt (scheinbar ??) zu klein.
    "Besser" ist ja ein relativer Begriff - Ältere Aufnahmen haben eine ander Attitüde. Besonders bewusst geworden ist mir das erst vor kurzem als ich zwei Aufnahmen des Weinhachtsoratoriums von Bach mit eineander vergleichen konnte.
    Da war der eher schlanke spritzige Klang mit Einbeziehung der Räumlichkeit, eher sportiv, rhythmisch und "gehetzt" (Gardiner) gegen die alte Aufnahme aus dem Jahre 1958 aus Leipzig mit
    Agnes Giebel, Marga Höffgen, Josef Traxel , Dietrich Fischer-Dieskau und den Thomanern. Diese Aufnahme lingt nicht sportlich mitreissend sondern feierlich erhaben. Der Chor wurde analytisch präsent eingefangen wie nur selten, die Tontechniker waren bemüht zu demonstriern daß eine neur Äre an der Geschichte der Schallplatte begonnen hatte.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    "exemplarisch", "Referenz", "maßstabsetzend" heißt eigentlich nur: "gefällt mir besonders gut" + "alle, die das nicht finden, haben keine Ahnung".


    Wie Recht du doch hast!!! :lips:
    lg Severina :hello:



  • dieser feststellung kann ich nur zustimmen. der durchschnitt ist das schlagwort unserer zeit ... :boese2:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

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  • Zitat

    Ich halte Alfreds Aussage für so nicht richtig. Es gibt aus den letzten 10 Jahren eine große Anzahl von Aufnahmen, die spiel- und klangtechnisch mindestens so sorgfältig produziert sind wie die angeblichen Legenden, viele sogar besser. Die Orchester sind ja spieltechnisch *im Durchschnitt* deutlich besser als vor 40 oder 50 Jahren. Sie sind überdies, gerade mit Werken, die damals noch als schwierig galten (Mahler, Strawinsky u.ä.) viel besser vertraut. Man kann also schneller, aber dennoch ebensogut oder besser produzieren. Ich behaupte mal, daß fast alle Mahler-Aufnahmen der letzten 20 Jahre klang- und spieltechnisch besser sind als die ersten drei Zyklen der 60er Jahre (Bernstein, Kubelik usw.) Oder man nehme die Bruckner-Aufnahmen Skrowaczewskis mit dem Saarbrückener Rundfunkorchester.


    Dann möchte ich mal ganz klar Johannes Roehls Aussage zustimmen. Es gibt viel hervorragendes, oftmals allerdings ein bisschen abseits der grossen Label und deren werbung. Beispiel Aufnahmequalität: Vergleicht man die alten deccaaufnahmen mit heutigen DG-Produktionen (oder z.B. EMI )so ist es ganz klar- früher wurde wohl besser aufgenommen... Hört man dann allerdings dagegen eien CD des Labels Naive..., kann man sein Urteil wohl revidieren.
    Unter den Interpreten gibt es unzählige Beispiele von jungen Künstlern, die mit ihren Aufnahmen auf intelligente Weise völlig neue Aspekte der Interpretation in den Vordergrund stellen- und ich behaupte, dass ich gegen fast jede alte "Referenzaufnahme" eien andere, aber auf ihre weise genauso hervorragende Aufnahme der letzten 20 Jahren finden kann, wenn ich denn ein bisschen suche. Der Opernbereich mag hier weitgehend ausgeschlossen sein, da muss eben viel zusammen kommen, damit eine Opernaufführung wirklich hervorragend wird, aber auch da gibts immer mal wieder Highlights.


    von Alfred:

    Zitat

    "Besser" ist ja ein relativer Begriff - Ältere Aufnahmen haben eine ander Attitüde.


    "besser" ist eben kein relativer Begriff, sondern ein absoluter und deshalb sollte er auch nicht auf Aufnahmen angewendet werden, wenn tatsächlich nur die Attitüde unterschiedlich ist.


    Gruss :hello:
    Syrinx


  • Das ist unbestritten. Deswegen gibt es aber hier auch durchaus Empfehlungen aus den letzten Jahren. Ein gewichtiges Argument ist aber natürlich auch - gerade bei Anfragen im Forum nach "Was soll ich mir denn kaufen" der Preis. Hier findet sicherlich eine Verzerrung des Angebotes statt, denn die alten (und ältesten) Aufnahmen werden ja aktuell von den Labeln geradezu verramscht.
    Es ist schon ein Unterschied, ob ich mir einen kompletten Streichquartett- oder Sinfonienzyklus für 20€ kaufe oder für 80€.

    Hinzu kommt noch ein wichtiger Aspekt, nämlich dass die Toleranz gegenüber der Klangqualität repertoireabhängig ist. Einzelne Instrumente, Kammermusik, Opern- und Liedgesang sind in der Regel auch mit klanglichen Abstrichen genießbar. Bei Sinfonien oder komplexen Chorwerken wird das schon schwieriger.
    Aber auch das ist nur grob zutreffend: Zwischen Wagners Meistersingern und Donizettis Lucia werden sich auch Unterschiede finden lassen...


    lg
    Sascha


    PS: Hinsichtlich der unsäglichen Referenzaufnahmendebatte: Vielleicht sollte man, ganz diplomatisch von Basisaufnahmen sprechen: Jene nämlich, die mehrheitlich als solche angesehen werden, welche vielen Ansprüchen eines Werkes genügen, ohne sich auf isolierte Aspekte zu beschränken, oder durch allzu extreme Deutungen auszuzeichnen und die deshalb sehr geeignet erscheinen, ein Werk in hoher Interpretationsqualität kennenzulernen.
    Eine weitere interessante Beobachtung, gerade im Opernbereich: Wie unvollkommen doch meist auch die einschlägig empfohlenen Aufnahmen sind. Das gibt eine Ahnung, wie schwer es ist, sehr gute Aufnahmen zu basteln. Hier sei, nur mal als Extrembeispiele im Wagner-Repertoire, auf die Aufnahmen Ring/Solti, Meistersinger/Kubelik, Lohengrin/Kempe, und Tristan und Isolde/Furtwängler hingewiesen. Über die Bedeutung dieser Aufnahmen dürfte es auffallend wenig Dissenz geben, aber bei genauer Betrachtung lassen sich da dennoch erstaunliche Defizite aufzeigen.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Besonders bewusst geworden ist mir das erst vor kurzem als ich zwei Aufnahmen des Weinhachtsoratoriums von Bach mit eineander vergleichen konnte.
    Da war der eher schlanke spritzige Klang mit Einbeziehung der Räumlichkeit, eher sportiv, rhythmisch und "gehetzt" (Gardiner) gegen die alte Aufnahme aus dem Jahre 1958 aus Leipzig mit
    Agnes Giebel, Marga Höffgen, Josef Traxel , Dietrich Fischer-Dieskau und den Thomanern. Diese Aufnahme lingt nicht sportlich mitreissend sondern feierlich erhaben. Der Chor wurde analytisch präsent eingefangen wie nur selten, die Tontechniker waren bemüht zu demonstriern daß eine neur Äre an der Geschichte der Schallplatte begonnen hatte.....


    Gardiners Bach-Aufnahmen sind vielleicht nicht die idealsten Beispiele. Wenn es vielleicht OT ist - bei den Musikalischen Exequien ist Gardiner weder spritzig noch gehetzt sondern ausgesprochen erhaben im Ausdruck.


    Das Spritzige mag in den 70er/80er Jahren eine Modewelle im HIP-Bereich gewesen sein, das ist aber nun schon lange her - ich würde hier von alten Aufnahmen sprechen ...
    :D

  • Zitat

    Original von Antracis
    Genau, dass ist wie beim Kochen: Wer wissen will, wie das Rezept wirklich schmeckt, braucht nicht zu vergleichen, wie unterschiedlich doch die Qualität der Zutaten sein kann. Er nimmt halt, was grad greifbar ist, wirft es in den Topf und gibt sich damit zufrieden.


    Ich glaube, dass die Abstraktionsfähigkeit und der Wille dazu beim Essen etwas geringer ist, als beim Musikhören.


    Außerdem wird man bei einem Koch eher die spezifische Variante einer Realisierung eines Rezepts - oder eher die Abweichung vom Normalrezept schätzen. Das mag auch für einen Musikhörer gelten, den das Rezept (also die Partitur) nicht so interessiert, sondern eher der Ausübende, der realisiert. Bei mir ist es aber andersrum, mich interessiert immer primär das Werk und die Ausführung nur sekundär. Deshalb habe ich weder 10 Beethoven-Zyklen noch 30 Monteverdi-Orfeos (den Verdi lass ich mal weg, von dem habe ich noch gar keine Oper im Regal).


    Jedenfalls stehe ich dieser Aufnahmen-Fixiertheit ziemlich fremd gegenüber. Ist doch egal, eine gute Aufnahme reicht, wenn man so halbwegs weiß, was nun vom Komponisten kommt und was vom Interpreten und wenn man etwas Phantasie hat und sich selbst Varianten vorstellen kann. Wenn man musiktheoretisch komplett ungebildet ist, braucht man wahrscheinlich mehrere Aufnahmen, um zu verstehen, was nun vom Komponisten ist.
    :beatnik:

  • Zitat

    Original von Syrinx
    Der Opernbereich mag hier weitgehend ausgeschlossen sein, da muss eben viel zusammen kommen, damit eine Opernaufführung wirklich hervorragend wird, aber auch da gibts immer mal wieder Highlights.


    Tut mir leid, dass ausgerechnet Du es jetzt abbekommst,
    :D
    aber ich kann es nicht leiden, wenn dauernd der "Opernbereich" mit der Musik von Bellini bis Richard Strauss gleichgesetzt wird, also einem Zeitraum von ca. 1820 bis ca. 1920.


    Der Opernbereich ist natürlich in jüngeren Jahren viel besser mit Aufnahmen versehen als früher. Monteverdi bis Mozart (1600 - 1800) werden vom HIP-Bereich auf eine Weise bedient, dass die Oldie-Hörer womöglich schon eine kauzige Minderheit sind. Über die Opern von Schönberg bis Rihm wird noch zu diskutieren sein (schon wieder hundert Jahre: 1910 - 2010).
    :rolleyes:

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  • Zitat

    Original von Antracis
    Ein gewichtiges Argument ist aber natürlich auch - gerade bei Anfragen im Forum nach "Was soll ich mir denn kaufen" der Preis. Hier findet sicherlich eine Verzerrung des Angebotes statt, denn die alten (und ältesten) Aufnahmen werden ja aktuell von den Labeln geradezu verramscht.
    Es ist schon ein Unterschied, ob ich mir einen kompletten Streichquartett- oder Sinfonienzyklus für 20€ kaufe oder für 80€.


    Die Verramschung findet auch für Aufnahmen der 80er Jahre statt. Oft braucht man gar nicht ins vor-DDD-Zeitalter zurückgehen, um hervorragende billige Aufnahmen zu bekommen.

    Zitat

    PS: Hinsichtlich der unsäglichen Referenzaufnahmendebatte: Vielleicht sollte man, ganz diplomatisch von Basisaufnahmen sprechen: Jene nämlich, die mehrheitlich als solche angesehen werden, welche vielen Ansprüchen eines Werkes genügen, ohne sich auf isolierte Aspekte zu beschränken, oder durch allzu extreme Deutungen auszuzeichnen und die deshalb sehr geeignet erscheinen, ein Werk in hoher Interpretationsqualität kennenzulernen.


    Da kommen dann Furtwängler oder Gould wohl kaum in Frage.
    :pfeif:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Da kommen dann Furtwängler oder Gould wohl kaum in Frage.


    Ja, das wäre durchaus zu diskutieren. Aber wie gesagt, wenn man deine Gedanken konsequent zu Ende führt, braucht man eigentlich gar keine Aufnahmen mehr. Man setzt sich einfach mit der Partitur hin und lässt seine ideale Aufnahme im Kopf entstehen. Das löst auch eine Reihe von Problemen. Man braucht kein Geld mehr für CDs oder Konzerte ausgeben und kann auch nicht darüber diskutieren, weil der Diskussionspartner ja nicht zuhören kann. :D


    Und wenn man so ein extremes Genie ist, das man alle Interpretationsansätze der letzten 100 Jahre auch selbst ersonnen hätte, dann verpasst man auch nix. :hahahaha:

  • Zitat

    Original von Antracis
    Und wenn man so ein extremes Genie ist, das man alle Interpretationsansätze der letzten 100 Jahre auch selbst ersonnen hätte, dann verpasst man auch nix.


    Jeder verpaßt was. Ich verpasse all die Interpretationsansätze (es wird Dich nicht wundern, wenn ich dieses Wort etwas albern und aufgeblasen finde), andere verpassen eine große Menge an Komponisten.


    Bevor ich eine zweite Version der Musikalischen Exequien anschaffen würde, kommen 10 weniger bekannte Komponisten des Schütz-Umkreises ins Regal und 3 weitere Schütz-Werke. Da dabei unterschiedliche Interpreten zu Wort kommen, bekomme ich nebenbei etwas Überblick über unterschiedliche Geschmäcker, die Werke in Klang umzusetzen, auch etwas Überblick über die Moden der HIP von den 60ern bis zur Gegenwart. Meistens ist es noch dazu billig.
    :hello:


  • Damit rennst Du doch offene Türen ein. Du hast natürlich völlig recht. Aber es hat auch niemand gemeint, daß Opern von Monteverdi bis Mozart vor 50 Jahren besser repräsentiert gewesen wären als heute. Selbst bei Mozart dürfte das außer unter Erznostalgikern durchaus umstritten sein. Es geht immer "nur" um die absoluten Mainstreamopern von ca. Mozart bis Strauss, hauptsächlich vermutlich sogar hauptsächlich um mittlerer Verdi bis Puccini/Strauss. Also sogar nur um ca. 70 Jahre. Es ist nunmal leider so, daß nicht nur bei Nostalgikern die Opern dieser Zeit die sind, die sie schwerpunktmäßig interessieren und ebenso bei der sinfonischen Musik von Beethoven bis Strauss.
    Wen interessiert es denn, daß nicht nur 1913, sondern auch noch in den 50er Jahren gestandene, berühmte Kapellmeister und Orchester ihre liebe Not mit Werken wie Le Sacre hatten? Ist doch eh nur moderner Kram! Die Qualität mißt sich doch nicht an schnöden technischen Fähigkeiten, sondern am unbeschreiblichen Schmelz der Streicher usw. und der ganz besonderen Art wie z.B. Mozart gegeben wird. Zwar ist das erste einigermaßen objektiv feststellbar, das zweite Geschmackssache, aber umso unmöglicher läßt es sich widerlegen...;)


    Deswegen interessiert es auch kaum jemanden, daß man 1960 vielleicht zwei Sängerinnen hatte, die die Koloraturrollen von Händel-Opern angemessen wiedergeben konnten und heute ein dutzend oder so, auch wenn sicher nicht alle gleich gut sind und manche die Beweglichkeit nur bei einer vergleichsweise "kleinen" Stimme erreichen.
    (ähnlich könnte man sicher im Bereich der Opern seit Blaubarts Burg argumentieren).
    Ich bin überdies der Ansicht, daß es auch eine große Zahl hervorragender junger Liedersänger gibt, wo mir wirklich ein "Fortschritt" gemacht zu sein scheint, indem die Intellektualität, die Fi-Di auszeichnete, inzwischen nicht mehr so demonstrativ daherkommt, sich aber mit einem "natürlichen" Ausdruck verbindet, mit sehr konkurrenzfähigen Resultaten.


    Wie schon mehrmals von anderen gesagt wurde, sehe ich den Wert älterer Aufnahmen in der Dokumentation der Rezeptionsgeschichte und in einigen, nicht erst seit 30, sondern teils seit 60 Jahren weitgehend verschwundenen Interpretationshaltungen (und den besitzen i.d.R. eben die aus den 30ern in viel höherem Maße als die der frühen Stereozeit, auch wenn es selbstverständlich viele wichtige und sehr gute Einspielungen aus dieser Epoche gibt).


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Syrinx
    Der Opernbereich mag hier weitgehend ausgeschlossen sein, da muss eben viel zusammen kommen, damit eine Opernaufführung wirklich hervorragend wird, aber auch da gibts immer mal wieder Highlights.


    Dem würde ich so auch nicht zustimmen. Wenn ich mal die Grenze zwischen "alten" und "neuen" Aufnahmen beim Übergang von der analogen zur digitalen Tonaufzeichnung ansetze, überwiegt die Zahl der besseren Neuaufnahmen deutlich, auch wenn man DVD- und andere Live-Produktionen ausklammert. Darin stimme ich KSM und JR ausdrücklich zu, auch in ihren Hinweisen auf die gravierenden Veränderungen der Maßstäbe durch die HIP-Bewegung. Da ist es schon ein besonderer Qualitätsbeweis der Mozart-Ensembles der frühen Nachkriegszeit, dass sie dennoch bis heute Maßstäbe setzen.


    Aber auch der Belcanto-Oper ging es nie so gut wie in jüngerer Zeit, und für die französische Oper scheint sich sogar erst jetzt eine Renaissance anzubahnen. Hier spielen auch Moden und, im Gefolge davon, eine wachsende Konkurrenz in den jeweiligen Sparten eine große Rolle. So scheint mir, dass wir heute eine besonders gute Konjunktur der Mezzosoprane haben, wo früher eine Marilyn Horne fast das halbe Repertoire exklusiv abzudecken schien (kaum eine ältere SEMIRAMIDE scheint ohne sie denkbar gewesen zu sein). Aber auch im Bereich des erweiterten Standardrepertoires setzen bei weitem nicht nur alte Aufnahmen die Maßstäbe, wie ich gerade beim Durchhören der Aufnahmen von Massenets WERTHER festgestellt habe.


    Die Ausnahmestellung von zeitlosen Referenzaufnahmen wie etwa der De Sabata-TOSCA mit Maria Callas oder dem alten Karajan-FALSTAFF, von den Einspielungen eines Toscanini oder Furtwängler ganz zu schweigen, geht durchweg auf Ausnahmekünstler zurück, die zu allen Zeiten Maßstäbe gesetzt hätten (deren Aufnahmen deswegen aber auch besonders häufig unter den Qualitätsunterschieden ihrer Besetzungen zu leiden haben). Wenn irgendwo von einem Verfall die Rede sein kann, dann bei den großen Stimmen, die von den populären Werken Verdis, Wagners und deren Nachfolgern gefordert werden. Selbst da würde ich aber eher auf die Folgen des enorm gewachsenen Verschleißes bei den Jetset-Stars oder einen allgemeinen Geschmackswandel etwa beim Verismo oder, am anderen Ende des Spektrums, der leichten Muse als Ursache tippen, als auf eine allgemeine Mutation des Menschen und seiner Stimmbänder.


    Ansonsten greifen meine beiden ersten Erklärungsversuche weiter oben bei der Oper besonders stark, weil die Treue zu Gesangsstars, mit denen man sozialisiert wurde, allgemein ausgeprägter zu sein scheint als die zu Instrumentalisten oder Dirigenten, von der damit verbundenen Nostalgie, die fraglos auch in solche Bewertungen einfließt, ganz zu schweigen.


    Kurz: früher war manches besser und vieles schlechter, aber das meiste nur anders.


    :hello: Jacques Rideamus

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  • Zitat

    Wenn irgendwo von einem Verfall die Rede sein kann, dann bei den großen Stimmen, die von den populären Werken Verdis, Wagners und deren Nachfolgern gefordert wurden. Selbst da würde ich aber eher auf die Folgen des enorm gewachsenen Verschleißes bei den Jetset-Stars oder einen allgemeinen Geschmackswandel etwa beim Verismo oder der leichten Muse als Ursache tippen, als auf eine allgemeine Mutation der Stimmbänder.


    Es ist aus meiner Sicht einfach eine Sache der Nachfrage. Wir leben im Zeitalter des Regietheaters. Die schauspielerischen Anforderungen an die Sänger sind enorm, und ganz andere, als beispielsweise in den 30er Jahren, oder gar am Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals war die Oper noch eine stilisierte Kunst, der Ausdruck folglich stilisiert, die Erwartungen noch nicht mit der Lupe des Fernsehens geschürt.
    Das Singen spielt eigentlich nur noch eine Nebenrolle. Ein professioneller Zeitungskritiker schreibt heute vielleicht höchstens einen Satz zu einem Sänger. Vor 70 Jahren waren es einige Spalten, mit objektiven Gesangsparametern überfrachtet, die heute kein Chefredakteur mehr auf in seinem Feuilleton sehen möchte. Da regelt die Nachfrage bei den Sängern das Angebot.

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    Original von Jacques Rideamus
    g
    Kurz: früher war manches besser und vieles schlechter, aber das meiste nur anders.


    :hello: Jacques Rideamus


    Lieber Jacques,
    für diesen Satz: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips: :lips:
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Syrinx


    Dann möchte ich mal ganz klar Johannes Roehls Aussage zustimmen. Es gibt viel hervorragendes, oftmals allerdings ein bisschen abseits der grossen Label und deren werbung. Beispiel Aufnahmequalität: Vergleicht man die alten deccaaufnahmen mit heutigen DG-Produktionen (oder z.B. EMI )so ist es ganz klar- früher wurde wohl besser aufgenommen... Hört man dann allerdings dagegen eien CD des Labels Naive..., kann man sein Urteil wohl revidieren.


    Es hängt auch vom Label ab; vergleicht man z.B. typische DG-Aufnahmen der 60er/70er mit solchen der 90er (ganz neue habe ich nicht im Blick), z.B. Boulez-Aufnahmen von Bartok oder Strawinsky sind die neueren auch besser. Man findet immer mal eine eher schlecht produzierte neue und eine hervorragende alte, wenn man lange genug sucht, völlig klar. Über die Schwächen der alten breitet man aber gnädiges Schweigen (etwa den Klangmatsch bei Karajan oder künstlich klingendes Multimiking z.B. in den gefeierten DG-Aufnahmen Kleibers) oder nimmt sie eben in Kauf, weil man den Rest überzeugend findet.
    Ich würde sogar noch einen draufsetzen und sagen, daß in vieler (orchestraler, spiel- und tontechnischer Qualität) der heutige Durchschnitt sogar besser ist als viele Spitzenleistungen vor 40 oder 50 Jahren. Dazu kommt, wie gesagt, daß "schwierige" und unvertraute Werke damals viel seltener gespielt/aufgenommen wurden oder wenn, dann eben tatsächlich viel mehr Proben nötig waren als heute, wo Mahler und Strawinsky eben Standard und kein "Spezialistenrepertoire" mehr sind.


    Dem widerspricht nicht, daß es einige außerordentlich gut klingende Aufnahmen schon seit den späten 50ern gegeben hat. Aber ein gut Teil ist hier auch Plattensammler-Kult.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Kurz: früher war manches besser und vieles schlechter, aber das meiste nur anders.


    Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das stimmt. "Anders" war früher sicher vieles, allein schon, wegen des sich wandelnden Zeitgeschmacks. Aber ob früher "vieles schlechter" war, als heute, würde ich gar nicht mal sagen. Wenn ich die Vielzahl älterer Aufnahmen höre, die den Markt - ich würde das schon so beschreiben - überschwemmen, ist doch etliches dabei, was qualitativ eher mässig ausfällt und zeigt, dass im "Normalfall" früher auch nicht immer besser gesungen wurde, als heute. Und herausragende Sängerinnen und Sänger hat es zu jeder Zeit gegeben, vielleicht nicht immer in jedem Fach, insofern war vielleicht wirklich manches früher besser, aber so richtig verstecken müssen wir uns mit den heutigen Sängerinnen und Sängern doch auch nicht. Den Hinweis auf die jüngere Generation von Liedinterpret/innen fand ich da absolut zutreffend.


    Dass "Singen heute eigentlich nur noch eine Nebenrolle" spielen würde, kann ich nicht erkennen. Gewiss, die Anforderungen an die Sängerinnen und Sänger sind gewachsen - das "nur" gut Singen sollte heute auch durch darstellerische Fähigkeiten ergänzt werden. Aber die Begeisterung für eine toll gesungene Live-Aufführung, die gibts doch heute auch noch.


    Die Verwischungen bei der Qualität des Singens ist meiner Meinung nach auch darauf zurückzuführen, dass heute viel schnellebiger produziert wird - Traumpaar A singt sich durch die Highlights von Puccini, Donizetti und Verdi, dann folgt Traumpaar B und singt sich durch die identischen Werke, unabhängig davon, ob die jeweiligen Stimmen zu den Partien passen, Hauptsache, es verkauft sich gut. Diese Austauschbarkeit verdirbt die Befähigung des Zuhörers, zu differenzieren.

  • Zitat

    Original von Alviano


    Dass "Singen heute eigentlich nur noch eine Nebenrolle" spielen würde, kann ich nicht erkennen. Gewiss, die Anforderungen an die Sängerinnen und Sänger sind gewachsen - das "nur" gut Singen sollte heute auch durch darstellerische Fähigkeiten ergänzt werden. Aber die Begeisterung für eine toll gesungene Live-Aufführung, die gibts doch heute auch noch.


    Klar gibt es die, und ich habe das natürlich überspitzt formuliert. Dennoch scheint mir der singende Schauspieler der gefragte Held unserer Tage zu sein, nicht der schauspielernde Sänger.
    Die Frage ist, ob es die eierlegende Wollmilchsau überhaupt gibt. Kann ein Osmin, dem auf der Bühne während seiner Arie vom Regisseur allerhand an Bewegung zugemutet wird, überhaupt jederzeit einen akkuraten Gesangston produzieren und alle Verzierungen der immens schweren Partie gerecht werden ? Kann ein Alfredo eine Cabaletta vollendet singen, wenn er sich dabei umkleidet ? Ganz früher gab es da aus meiner Sicht andere Bedingungen, wo ein stilisierter Ausdruck andere Voraussetzungen des Singens schuf.
    Und wenn ich eine Opernaufnahme nur höre, habe ich halt wenig von der Regie.


    Insofern kaufe ich bei neueren Aufnahmen auch meist DVDs, da habe ich dann meist einen Kompromiss, dass die Sängerleistungen nicht so gut sind, die ich auf CD habe, dafür habe ich aber halt den Ausdruck in Kulisse und Spiel.



    Aber um das vielleicht nochmal zu präzisieren: Ich bin keineswegs der Ansicht, dasss man beispielsweise mit "historischen" Aufnahmen auskommt. Nicht umsonst habe ich viele neuere Opernaufnahmen im Schrank, meist aber HIP und das hat durchaus Gründe, die hier schon erwähnt wurden. Das beschränkt sich aber nicht nur auf Händel und Monteverdi, sondern trifft beispielsweise auf Mozart zu. Die "Entführung" beispielsweise sollte man schon in einer HIP-Aufnahme kennen. Den Osmin allerdings wird man sängerisch versierter in älteren Aufnahmen finden. Was auch nicht zuletzt daran liegt, dass es eine Sängerrolle ist. Sprich, die Arien reüssieren ihren musikalischen Wert nur unter Mitwirkung eines Virtuosen, nicht durch die Partitur. Und letztlich ist ein Großteil der Opern, vor allem aber auch einzelne Arien gerade aus diesem Grunde überhaupt erst konzipiert worden. Und wer nun meint, das Ganze wäre nur als Komposition interessant, unterschlägt aus meiner Sicht wichtiges. (Es gab Zeiten, da hätte man es absurd gefunden, darüber zu diskutieren, ob der Gesang an sich der raison d´être der Oper ist, oder nicht).
    Wenn man beispielsweise meint, dass einem Johannes Weisser alles vermitteln kann, was sängerisch in der Rolle des Don Giovanni - und damit auch in der gesamten Oper steckt, dann soll er sich halt auf die aktuellen Aufnahmen beschränken. Ich würde jedoch die Empfehlung abgeben, es nicht zu tun.
    Aber natürlich muß man das nicht. Man kann und muß sich halt irgendwie beschränken und wie man das tut, ist halt für jeden eine ganz persönliche Entscheidung.


    Gruß
    Anti

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