Anton Bruckner: Sinfonie Nr 7 in E-dur - die Einzige

  • guten Abend allerseits.


    Vor einigen Tagen hörte ich mir folgende Aufnahme mit Dennis Russell Davies an



    und wurde prompt gefragt, was denn hiervon zu halten sei.


    Natürlich antwortete ich darauf nicht, doch nicht etwa aus Ignoranz - nein, es war reine Faul äähh Schüchternheit, die mich verstummen ließ.


    Naja, egal, jetzt sage ich was dazu : also, wer schon 3 oder 20 Aufnahmen von Bruckners Siebten hat, der braucht diese Scheibe wahrlich nicht. Diese Aufnahme bietet nichts, was man nicht schon mal gehört hat, und das Adagio ist sowieso zu schnell gespielt. Zusammenfassend würde ich von gesunder Hausmannkost sprechen, mehr nicht. Aber weniger auch nicht.


    Rolo

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

  • So ist das mit der Erwartungshaltung: Man kauft sich Beethoven-Aufnahmen mit einem bestimmten Dirigenten, ist begeistert von der Transparenz, die dieser den Sinfonien angedeihen läßt, freut sich darüber, daß der neueste Stand der Forschung berücksichtigt wird und genießt frische Tempi, die den Werken sehr gut stehen.


    Kurzum, trotz riesiger Konkurrenz hat Paavo Järvi es geschafft, eine individuelle, faszinierende Leseart darzubieten.


    Derartige Gedanken hatte ich im Hinterkopf, als ich kürzlich Bruckners 7. mit Järvi entdeckte.



    Auch hier ist die Konkurrenz immens, auch für Bruckner gilt, daß eine "entschlackte Interpretation" gut tut.


    Mit markigen Worten preist Järvi seinen geplanten Bruckner-Zyklus an: "Ich meine, dass Bruckners Musik genau denselben Gesetzen gehorcht wie Haydn, wie Mozart, Brahms oder jede andere Komponist."
    "Ich habe viele Bruckner-Aufnahmen gehört - und man stellt fest, dass viele der alten "Gurus", zu denen wir aufsehen und deren Meinung uns alles bedeutet, eigentlich gar nicht diesem beinahe stereotypen Celibidacheartigen Zugang "mal sehen, wie langsam und fromm wir das kriegen" gefolgt sind."
    "...wichtig ist, dass man nicht blindlings den Traditionen folgt, die man so sehr gewohnt ist zu hören."


    Besonders der letzte Satz läßt aufhorchen, denn Järvis Bruckner klingt für mich höchst "gewohnt" oder "traditionell".


    Anders als bei Beethoven läßt Järvi nicht in der deutschen Orchesteraufstellung spielen, dabei hat auch Bruckner erwartet, daß die Violinen antiphonal aufgestellt werden und entsprechend komponiert.


    Anders als bei Beethoven beachtet Järvi bei Bruckner nicht den Willen des Komponisten, denn Beckenschlag inklusive Schlagzeug werden im Adagio gespielt.


    Anders als bei Beethoven spart Järvi nicht mit Vibrato bei den Streichern und läßt der gesamten Sinfonie -wie Ben Cohrs es bei Simone Young anmerkte- ein "Dauerespressivo" angedeihen.


    Anders als bei Beehoven läßt es Järvi bei Bruckner höchst gemächlich angehen: Für die Nowak-Version benötigt er 21'59'', 22'52'', 9'55'' und 12'39'', also zusammen 67'25''.


    Als Plus kann Järvi mit einem sehr gut disponierten Orchester aufwarten. Die Streicher klingen sonor, die großflächig geführten Blechbläser warm. Klanglich gerät die Aufnahme sehr beeindruckend, die Orchestergruppen sind bestens balanciert und gut aufeinander abgestimmt, bloß hört es sich bei Järvi an wie 1000x gehört.


    Ich erkenne hier eher eine Referenz an die hohe Spielkultur des hr-Sinfonieorchesters als eine individuelle Interpretation des Chefdirigenten. Und das ist mir, ehrlich gesagt, zu wenig, wenn ich Anno 2008 eine Bruckner-Sinfonie kaufe.


    Vielleicht liegt's aber doch nur an meiner (zu?) hohen Erwartungshaltung???

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Gestern habe ich Paavo Järvis Einspielung der Siebten hören können- und nach dem ersten Hören muss ich Norbert beipflichten:


    Nimmt man Järvi beim Wort, so bleibt er meilenweit hinter dem formulierten Anspruch zurück. Da wird außerordentlich klangschön musiziert, keine Frage. Und wenn man nicht mehr als schlackenlosen Schönklang erwartet wird man an der CD seine Freude haben. Aber die Ecken und Kanten Bruckners bleiben auf der Strecke, das fließt alles so gemächlich dahin wie ein ruhiger breiter Strom. Järvis Tempi sind breit, gemächlich, fast schleppend manchmal: Das fängt schon mit den ersten Takten an. Das aufsteigende erste Thema nehmen Sanderling, Wand oder Walter weitaus zügiger, dabei ensteht gleich von Anfang an ein Sog, ein Moment der Spannung. Und das ist etwas, was bei Järvi völlig fehlt. Järvi meidet jede Schärfe. Bruckner mit dem Weichzeichner behandelt- so kommt mir das vor. Abgesehen von überflüssigen, weil a) von Bruckner nicht gewollten und b) schlicht theatralischen Effekten wie dem Beckenschlag. Als ich gestern den ersten Satz hörte, habe ich mich schlicht gelangweilt. Sanderling ist von den reinen Spielzeiten her gesehen gar nicht einmal wesentlich schneller als Järvi, aber Sanderling stellt mit dieser Zeit etwas ganz anderes an: Sanderling erzeugt Kontraste, baut Spannung auf. Die große Steigerung am Ende des ersten Satzes? Die verpufft bei Järvi in Ereignislosigkeit. Das gleich Bild in den übrigen drei Sätzen.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von Norbert
    Vielleicht liegt's aber doch nur an meiner (zu?) hohen Erwartungshaltung???


    Offenkundig doch nicht... ;)


    Lieber Christian,


    wie ich feststelle, denken wir auch in Bezug auf Järvi und Bruckner ähnlich.


    Ich hoffe, daß Järvi bei den übrigen Bruckner Sinfonien einen individuellen Zugang findet. "Blind" werde ich mir die nächste Veröffentlichung sicherlich nicht kaufen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • hallo miteinander,


    nachdem Wand's Siebte bei mir verklungen ist, möchte ich mich auch einmal zu Wort melden, denn ich besitze die in den letzten Postings besprochene Aufnahme mit Paavo Järvi auch, und zu der habe ich auch eine Meinung.


    Um eines gleich zu verdeutlichen, ich will hier keinen Unfrieden stiften und ich will auch nicht anecken, aber meine Meinung ist eine andere als die von Norbert und Christian. Mir gefällt die Aufnahme mich Järvi ausgesprochen gut, und zwar gerade aus den Gründen, die als Anlass der Kritik genannt werden. Der Klang ist schön und breit, breit sind auch die Tempi (nur das Adagio ist mir stellenweise zu schnell gespielt), es ist einfach schöne Musik.


    Wenn da genörgelt wird, dass da die Ecken und Kanten Bruckners glattgebügelt werden, dann behaupte ich mal, provozierend, wie ich nun mal nicht bin - Bruckner hat keine Ecken und Kanten. Bruckner war ein einfacher, gläubiger, ehrlicher Mensch, und so geradeheraus ist auch seine Musik. Da gibt es keine Doppeldeutigkeiten und versteckten Botschaften wie bei Mahler (und der ist mein Lieblingskomponist), da verbirgt sich keine Ironie und kein Sarkasmus wie bei Schostakowitsch, es ist einfach nur Musik, reine und schöne Musik, die er schrieb, und die hat Järvi meiner Meinung nach sehr schön vertont.


    Ich gebe zu, bei Bruckner bin ich ein Freund der breiten und langsamen Tempi; für das, was ein Herr Norrington da veranstaltet (ich denke da z B an den Finalsatz der Sechsten), fällt mir nur der Begriff absurd ein, und wenn ein Ben Cohrs (nicht persönlich nehmen) jubelt, dass Norrington den Kopfsatz der Siebten in 15:30 Minuten abriss (dazu fällt mir kein anderer Begriff ein), dann wird mir ehrlich Angst und Bange.


    Bei Mahler sieht mir das wieder ganz anders aus, aber die Musik Bruckners und Mahlers miteinander zu vergleichen, ist wohl wie die Sache mit den Äpfeln und den Birnen ...


    In diesem Sinne, ergebenst


    Euer rolo :hello:

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

  • Zitat

    Original von rolo betman
    Um eines gleich zu verdeutlichen, ich will hier keinen Unfrieden stiften und ich will auch nicht anecken, aber meine Meinung ist eine andere als die von Norbert und Christian. Mir gefällt die Aufnahme mich Järvi ausgesprochen gut, und zwar gerade aus den Gründen, die als Anlass der Kritik genannt werden. Der Klang ist schön und breit, breit sind auch die Tempi (nur das Adagio ist mir stellenweise zu schnell gespielt), es ist einfach schöne Musik.


    Hallo Rolo,


    wenn jemand eine andere Meinung hat und diese begründet (also vertritt), dann sehe ich keinen Anlaß für "Unfrieden".


    Die Harmonie, die Du in Bruckners Musik suchst, ist von meiner Seite in diesem Thread durchaus gegeben... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Rolo: Norrington ist nicht der einzige, der ein zügiges Tempo anschlägt.
    Sogar der von mir sonst nicht sonderlich geschätzte Leon Botstein kam zu einem ähnlichen Ergebnis, und einige historische Aufnahmen (Kabasta, Ormandy, Horenstein) brauchen zumindest nicht viel mehr als 17 Minuten.
    :yes:


    Wenn Du persönlich den Satz lieber im "Andante" heruntergeschleppt hören möchtest, bitte, gern, de gustibus.
    :jubel:


    Nur eine provokante Frage: Angenommen, es gäbe keine einzige Aufnahme des Werkes, in denen der Satz länger als 18 Minuten dauert, und Du hättest schlicht keine Möglichkeit einer Hörerfahrung des Satzes in langsamem Tempo gehabt ...?
    :untertauch:


  • Zumal ja kein Mangel an Interpretationen mit ca. 20+ min für den Kopfsatz besteht. Meine zügigste ist Gielens mit knapp 18 min. Auch Rosbaud und van Beinum sind deutlich unter 20 min.
    Mich würden ebenfalls noch flottere interessieren, vielleicht wird Norringtons ja bald veröffentlicht.
    Das Problem besteht weniger in der Vielfalt, sondern eher darin, daß die meisten Aufnahmen eher am (zu) langsamen Ende des Tempospektrums angesiedelt sind.
    Beim Kopfsatz von Beethovens 9. hat man dagegen schon seit 60 Jahren eine Bandbreite von unter 14 (Toscanini) bis 17-18 min. (Und im Ggs. zur Eroica finde ich, daß dieser Satz durchaus unterschiedliche Tempi verträgt)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo JR,


    dann führe Dir doch einmal die von mir näher vorgestellte Aufnahme mit Jascha Horenstein zu Gemüte. Die Tempi lauten: 17'29'', 21'44'', 09'18'' und 10'34''.


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von ben cohrs


    Nur eine provokante Frage: Angenommen, es gäbe keine einzige Aufnahme des Werkes, in denen der Satz länger als 18 Minuten dauert, und Du hättest schlicht keine Möglichkeit einer Hörerfahrung des Satzes in langsamem Tempo gehabt ...?
    :untertauch:


    Die Frage ist ja nicht provokant, sondern hypothetisch - und nicht uninteressant. Gut möglich, dass ich dann mit diesen flotteren Aufnahmen auch sehr zufrieden wäre. Man weiß halt nicht, was einem entgeht, wenn man nicht über Hörerfahrungen wie Tschaikowskys 6. Bernstein, Bruckners 9. Giulini oder Bruckners 4. Celi verfügt. :-)
    Andererseits, wenn ich's mir so überlege... Ich war eigentlich schon als Jugendlicher in Sachen Romantik immer eher auf langsame Aufnahmen fixiert. Von daher... Wenn es nur schnelle Aufnahmen gäbe, wäre ich wohl heute um 1000 bis 2000 Euro reicher. :D


    Allerdings wäre wohl Bruckners "Fangemeinde" auch um einiges kleiner, wenn das Spektrum der Interpretationen eher klein wäre.

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  • Ich bin selbst auch mit den langsameren Bruckner-Aufführungen groß geworden und kann das im Prinzip verstehen.
    Allerdings bin ich im Laufe der Jahre mit vertiefender Erkenntnis (25 Jahre Umgang mit Bruckner-Partituren und -Autographen) immer mehr von verschleppten Tempi abgekommen.
    Ich glaube, das ist auch eine Frage des Aufführungs-Stils:
    Da Bruckners Partituren unglaublich Detail-reich sind, braucht der Hörer subjektiv Zeit, um so viel wie möglich davon zu erfassen.
    Andererseits hat sich in den letzten 60 Jahren ein Stil breit gemacht, durch Dauer-Vibrato, Dauer-Sostenuto und Ausdrucks-Überladung jedes Details Bruckner immer mehr zu verdicken; infolgedessen wurden die Tempi immer langsamer. Ein Teufelskreis.

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Ich glaube, das ist auch eine Frage des Aufführungs-Stils:
    Da Bruckners Partituren unglaublich Detail-reich sind, braucht der Hörer subjektiv Zeit, um so viel wie möglich davon zu erfassen.


    Lieber Ben,


    zum Thema "Detail-Reichtum" habe ich unlängst von Michael Gielen etwas interessantes gelesen: "Die Einfälle Bruckners sind ja so stark, daß sie den Komponisten und den Hörer erst einmal erschöpfen. Die Darstellung des thematischen Materials ist so gewichtig, daß demgegenüber Platz geschaffen werden muß."


    Gielen legt deswegen viel Wert auf Einhaltung der von Bruckner in den Sinfonien geschaffenen "Leerstellen", zu denen er sagt: "...in ihnen passiert nichts mehr, aber dem Hörer wird, nach der Anstrengung des Zuhörens, Zeit gegeben, damit er Abstand gewinnen kann, ehe ihm dann wieder etwas Dichtes präsentiert wird." (aus dem Beiheft zur Sinfonie Nr. 8, die, nebenbei, recht langsam, aber für mich fantastisch dirigiert ist. Näheres irgendwann im entsprechenden Thread)


    "Thema mit Variation", wenn man so will...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Das ist korrekt, Ben. Ich wollte mit Gielens Zitat verdeutlichen, daß Bruckners Detailreichtum und die Verarbeitung des selben zu verschiedenen Denkansätzen führen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Höre grade mit großer Freude, während im Fernsehen die Frau im Nebenraum Carstensen und Stegner beim verbalen verprügeln zusieht, ganz entspannt Wilhelm (WILLIAM) Steinberg mit Bruckner7 und dem Pittsburgh Symphony Orchestra.
    Was dem alten Bruno Walter abging, nämlich eine Struktur durchzuhalten, seine CBS Aufnahme ist wirklich grottenschlecht, das gelingt Steinberg locker und sehr flüssig zudem.
    Das der nie gehypt wurde!!?? Ein Versäumnis.
    Statt dessen ärgere ich über prominente Mittelklasse oder solche Schlamper wie Knappertsbusch, der irgendwie Sonderstatus zu genießen scheint, obwohl er außer Wagner nix irgendwie....., aber, das wolln wir hier nicht erörtern.


    Gruß S:


    PS. Wer Klemperer mit der 7. hören will, der greife zu der Aufnahme mit dem NDR. DA merkt man auch den Unterschied zu Walter. Diese unbedingte aber dennoch subjektive (Widerspruch?,ne) Werktreue

  • Zitat

    Original von s.bummer
    Was dem alten Bruno Walter abging, nämlich eine Struktur durchzuhalten, seine CBS Aufnahme ist wirklich grottenschlecht, das gelingt Steinberg locker und sehr flüssig zudem.


    Werter S.,


    ich bin sicher, wir informierten Schleswig-Holsteiner werden am Sonntag eine (hoffentlich) doppelt richtige Wahl treffen, aber vielmehr interessiert mich, was Du an Bruno Walters Aufnahme unstrukturiert und nicht flüssig findest.


    Für mein Empfinden gibt es wenig Aufnahmen, die in den Temporelationen derart stimmig erscheinen und in denen insbesondere das so oft malträtierte Adagio so unsentimental fließend und ohne Dauer-Espressivo-Effektheischerei (und natürlich ohne Beckenschlag) so natürlich (und dadurch ergreifend) dargestellt wird, daß ich Deinem Urteil nicht folgen kann.


    Deswegen bitte ich um "Aufklärung"...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Um eines gleich zu verdeutlichen, ich will hier keinen Unfrieden stiften und ich will auch nicht anecken, aber meine Meinung ist eine andere als die von Norbert und Christian. Mir gefällt die Aufnahme mich Järvi ausgesprochen gut, und zwar gerade aus den Gründen, die als Anlass der Kritik genannt werden. Der Klang ist schön und breit, breit sind auch die Tempi (nur das Adagio ist mir stellenweise zu schnell gespielt), es ist einfach schöne Musik.


    Danke, Rolo :hello:.


    Ich höre viel und gern Bruckner. Und habe jetzt auch - endlich - den Wand-Zyklus aus Köln.
    Ich habe mich durch eine breite Masse an Aufnahmen gerade der 7. gehört und ich muss sagen:


    Zitat

    Wenn da genörgelt wird, dass da die Ecken und Kanten Bruckners glattgebügelt werden, dann behaupte ich mal, provozierend, wie ich nun mal nicht bin - Bruckner hat keine Ecken und Kanten. Bruckner war ein einfacher, gläubiger, ehrlicher Mensch, und so geradeheraus ist auch seine Musik. Da gibt es keine Doppeldeutigkeiten und versteckten Botschaften wie bei Mahler (und der ist mein Lieblingskomponist), da verbirgt sich keine Ironie und kein Sarkasmus wie bei Schostakowitsch, es ist einfach nur Musik, reine und schöne Musik, die er schrieb, und die hat Järvi meiner Meinung nach sehr schön vertont.


    unterschreibe ich sofort.


    Ich habe mich schon beim Hören des Karajan-Zyklus gefragt, wo da denn der Wohlklang Bruckners ist. Ich war verwundert, dass Karajan Bruckner nicht so wie Beethoven, sondern wie Mahler dirigiert.
    Es soll ja - hoofentlich bald - den Thielemann-Zyklus mit den MPHIL geben. Der wird gut, weil wuchtig und musikalisch. Und sicher ist auch die Jansons-Aufnahme mit dem BRSO (jetzt bei BR Klassik zu haben) hervorragend, weil differenziert und musikalisch.
    Es wurde ja neulich über die Jansons-Aufnahme der 3.+4. diskutiert (mit RCO) und die Aufnahme als ein wenig zu glatt bewertet. Ich finde das nicht. Ich finde, sie reisst mit und ist schön ausgewogen.
    Bruckners Musik lebt doch schon genug vom Dynamikwechsel und dem Einsatz der Bläserbatterien. Da bracuht es nicht noch Brüche. Das ganze ist als gedanklich Eruption gedacht und nicht, wie bei Mahler, auch als Auseinandersetzung mit der durchgeknallten Alten und den eigenen Neurosen (die These mit den besonderen Bedeutungen in Mahlers Musik, also zB die "Schicksalsschläge" in der 6., ist ja widerlegt).
    Bruckner wollte einfachschöne Musik schreiben und hätte sich nie getraut, noch mehr zu provozieren, als er es mit seiner Monumentalität sowieso schon tat. Da hatte er viel zu viel Angst vor Leuten wie Hanslick.


    Zitat

    zum Thema "Detail-Reichtum" habe ich unlängst von Michael Gielen etwas interessantes gelesen: "Die Einfälle Bruckners sind ja so stark, daß sie den Komponisten und den Hörer erst einmal erschöpfen. Die Darstellung des thematischen Materials ist so gewichtig, daß demgegenüber Platz geschaffen werden muß."


    Gielen legt deswegen viel Wert auf Einhaltung der von Bruckner in den Sinfonien geschaffenen "Leerstellen", zu denen er sagt: "...in ihnen passiert nichts mehr, aber dem Hörer wird, nach der Anstrengung des Zuhörens, Zeit gegeben, damit er Abstand gewinnen kann, ehe ihm dann wieder etwas Dichtes präsentiert wird."


    Das ist ein wichtiger Punkt. Und Joachim Kaiser lobte Thielemann ausdrücklich für seine Fähigkeit, Pausen auch zu machen (s. SZ vom 23.09.09). Detailreichtum bedeutet nicht, dass man deshalb Ecken und Kanten reinschleifen muss. Man kann Differenziertheit einfach auch dadurch erreichen, dass man den Details Raum schafft, ohne sie zu überhöhen.


    Und ich finde: Bruckner braucht Länge. Dieses zügige Runtergedudel finde ich bei Bruckner (auch bei Mahler) unangebracht. Da sollen Pausen sein, da sollen die Hörner wirken können. Bruckners 7. ist nicht schlank angelegt, sondern für die Wiener Philharmoniker. Dieser ganze Zirkus, alles klein und Beethoven-mäßig und vibratolos und was weiß ich zu spielen, macht aus Bruckner eben Beethoven oder Schubert, aber es verändert den Charakter.
    Es muss nicht getragen sein wie bei Celi, aber ein bisschen Breite ist schon schön.


    Bruno Walter war halt ein Mahler-Jünger und vielleicht denkt er mehr Mahler, als Bruckner zu spielen. Dabei muss man aber schon sagen, dass man da auf ausgesprochen hohem Niveau jammert.
    Walters Interpretationsstil ist insgesamt sehr musikalisch und intensiv. Das gilt für seinen Beethoven und natürlich auch für Mahler. Bei Bruckner machen ihm vielleicht die Details dahingehend Schwieirgkeiten, dass sie trotzdem den Fluss der Musik nicht durchbrechen dürfen.


    Karajan hatte in seiner letzten Aufnahme mit den Wienern einfach nochmal die Möglichkeit, um ein musikalisches Testament zu machen. Und es ist eine ausnehmend schöne und gelungene Aufnahme und bei weitem angenehmer als der 70er Zyklus.


    Ich vermisse in der Diskussion übrigens Jochum und Skrowaczewski, die hervorragende Aufnahmen gemacht haben. Und auch Inbal, obwohl ich dessen Aufnahme mit dem FRSO aus mir unklaren Gründen nicht ganz so schätze. Vielleicht habe ich das gefühl, es wird mit angezogener Handbremse gespielt.


  • Läßt Knappertsbusch in seiner Salzburger Aufnahme der VII. von 1949 den Beckenschlag spielen?


    Was mich hier zudem interessiert: Welches Label ist hier vorzuziehen? Orfeo oder Preiser? Das Preiser-Remastering ist von 1999, das von Orfeo von 2006. Wieso brachte Orfeo diese Aufnahme überhaupt nochmal heraus? An und für sich dürfte ja schon die Preiser-Variante tontechnisch das Maximum herausholen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Und ich finde: Bruckner braucht Länge. Dieses zügige Runtergedudel finde ich bei Bruckner (auch bei Mahler) unangebracht. Da sollen Pausen sein, da sollen die Hörner wirken können. Bruckners 7. ist nicht schlank angelegt, sondern für die Wiener Philharmoniker.


    An diesem Punkt möchte ich einmal einhaken: Warum eigentlich "braucht" Bruckner "Länge"?


    Bei den knapp zwei Dutzend Aufnahmen, die ich mein Eigen nenne, differieren die Spielzeiten zwischen ca. 55 Minuten (Norrington, Bruno Walter 1954) und ca. 71 (Rattle).


    Ich lege an Bruckner die gleichen Maßstäbe an wie bei allen anderen Komponisten und der lautet: Es kommt nicht auf die Spielzeit an, sondern einzig und alleine darauf, diese Zeit mit Spannung zu erfüllen.


    Diese Spannung erlebe ich z.B. bei der Aufnahme mit Bruno Walter erheblich intensiver als bei Rattle (dessen Aufnahme ich ähnlich beurteile wie die mit Järvi: Wunderbares Orchesterspiel, aber es gibt für mich keine Antwort auf die Frage, warum diese Aufnahme eingespielt wurde).


    Die Einspielung mit Walter ist für mich eine Offenbarung und mit das beste, spannendste, ergreifendste, was ich jemals zum Thema Bruckner gehört habe.


    [Exkurs]Es ist nicht die CBS-Aufnahme, die s.bummer "grottenschlecht" findet, sondern die Wiedergabe einer Live-Aufnahme vom 23.12.54, die beim Label "Testament" erschien. Seit Wochen nehme ich mir vor, sie hier ausführlicher vorzustellen...


    [Exkurs Ende]


    Zitat

    Dieser ganze Zirkus, alles klein und Beethoven-mäßig und vibratolos und was weiß ich zu spielen, macht aus Bruckner eben Beethoven oder Schubert, aber es verändert den Charakter.
    Es muss nicht getragen sein wie bei Celi, aber ein bisschen Breite ist schon schön.


    Richtig, der Charakter wird verändert, es werden Hörgewohnheiten verändert.


    Vibratoreiches Spiel ist eine "Erfindung", die nach dem 2. Weltkrieg (ungefähr) "eingeführt" wurde. Langsame, getragene, "weihevolle" Tempi dito. Höre Dir zum Beispiel einmal die von mir schon erwähnte Aufnahme mit Jascha Horenstein von 1928 an.


    Ben Cohrs, der leider nicht mehr im Forum weilt und dessen "Abgang" ich außerordentlich bedauere, hat in einem Beitrag (den ich gerade leider nicht finde) dargelegt, daß Bruckner vor dem 2. Wk generell schneller gespielt wurde.


    Ferner ist es historisch korrekt, Bruckner in der Nachfolge eines Beethoven oder Schubert zu sehen. Deswegen ist es für mich auch legitim, an Bruckner, eben so wie an Schubert, Beethoven und viele andere Komponisten, die gleichen historischen Maßstäbe anzulegen.


    Philippe Herreweghe hat für mich schlüssig dargelegt, daß man Bruckner auch mit einem "kleinen" Orchester von 67 Mitgliedern "strahlend", klangschön und "werkgerecht" einspielen kann (zugegeben, nicht bei der 7., aber spätestens bei der 5. Sinfonie).


    Zitat

    Bruno Walter war halt ein Mahler-Jünger und vielleicht denkt er mehr Mahler, als Bruckner zu spielen. Dabei muss man aber schon sagen, dass man da auf ausgesprochen hohem Niveau jammert.
    Walters Interpretationsstil ist insgesamt sehr musikalisch und intensiv. Das gilt für seinen Beethoven und natürlich auch für Mahler. Bei Bruckner machen ihm vielleicht die Details dahingehend Schwieirgkeiten, dass sie trotzdem den Fluss der Musik nicht durchbrechen dürfen.


    In meinen Augen bewahrt Bruno Walter den musikalischen Fluß in der 7. Sinfonie (in beiden Aufnahmen) meistergültig.


    Zitat

    Karajan hatte in seiner letzten Aufnahme mit den Wienern einfach nochmal die Möglichkeit, um ein musikalisches Testament zu machen. Und es ist eine ausnehmend schöne und gelungene Aufnahme und bei weitem angenehmer als der 70er Zyklus.


    Das sehe ich auch so. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    ... Die Leuchtkraft der siebten ist unübertroffen....


    Besser kann man die Wirkung dieser erhabenen Musik nicht beschreiben. Ja es ist ein helles Leuchten, welches man sogar im Trauermarsch des zweiten Satzes ausmachen kann.


    Was mich obendrein immer wieder an diesem hochromantischen Meisterwerk fasziniert ist die subtile aber doch unverkennbare Rhytmik des Scherzothemas, welches ja interessanterweise sogar satzübergreifend eingesetzt wird.


    Ich LIEBE diese Symphonie!!!

    alle Menschen werden Brüder ...

  • Hallo,
    ich wurde von Norbert gebeten, doch mal meine Kritik an der Walter Aufnahme der 7. zu präzisieren.
    Zunächst, wir sind im Wahlkampf, da macht es jeder Politiker, eine oder zwei Vorbemerkungen:
    1) Ich bin ein Sympathisant von Walters Aufnahmen, seine Mahler 9 aus den späten 30igern, seine 5. aus derselben Zeit, sein früher Beethoven und Mozart sind köstlich. Seine Brahms Aufnahmen kenne ich nicht, sie sollen aber super sein!
    Das "berühmte" Lied von der Erde mag ich nicht so, da gibt es Besseres, auch mit Bruno Walter am Pult.
    (Die Wiener konnten zu der Zeit halt keinen Mahler!)
    Außerdem muss er ein sehr sympathischer Mensch gewesen sein, ganz anders als sein Antipode Klemperer.
    2) Ich erhielt jüngst einen 4-LP Schuber mit der 4., 7. und 9. von Bruckner, aufgenommen in Walters letzten Lebensjahren.
    4 und 9 kannte ich schon, ich hatte sie seinerzeit mal vom NDR auf Tonband mitgeschnitten, aber selten gehört, vielleicht ein-zweimal die 4., die ich ganz ok fand, die 9. wird bei mir durch CMG aus Chicago in einsamer Höhe beherrscht, deshalb habe ich die Walter Aufnahme quasi vergessen.


    Nun also die 7., eines meiner Lieblingswerke.
    (Platte mit blauem, nicht orangem Etikett. Auf drei Seiten untergebracht)
    Und bereits beim 1. Satz mag ich nur noch Einwände geltend machen.
    Seltsam, was Bruno Walter da reitet, oder bin ich durch Klemp verdorben?
    - Wenn es leise wird, dann vergrößert er anscheinend die Notenwerte zusätzlich, es wird noch langsamer
    - In lauten Höhepunkten, die er drängend anstrebt, wird er langsamer. Damit erzielt er einen seltsamen Effekt, den ich vorher nicht kannte und der komisch wirkt.
    - Die Dynamik wirkt eingeebnet, so als ob er sich "volle Pulle" nicht zutraut.
    - In manchen Teilen buchstabiert er quasi, dadurch wirkt das Ganze auf mich betulich.
    - allerdings singt er schöne Stellen richtiggehend aus
    - ES kommt mir vor wie mit Weichzeichner aufgenommen, sehr warm, liebevoll, kommod, aber irgendwie kommt das Kratzbürstige in dieser Sinfonie nicht vor. Da höre man mal Günter Wand!
    Im 2. Satz läßt er tatsächlich das Becken aus, nimmt aber vorher aus heiterem Himmel enormen Tempoanlauf, um dann fast abzusterben. Was soll denn das? Eine singuläre Stelle!


    Zugegeben, das Scherzo ist sehr schön, weil es flüssig gespielt wird, aber im letzten Satz passieren wieder und wieder die gleichen Manirismen wie im ersten Satz.
    Fazit. Ein recht schönes Adagio mit seltsamen Höhepunkt, ein "super" Scherzo und sehr fragwürdige Ecksätze. Bruno Walter war schon viel besser!
    Ich habe allerdings auch bereits mit der 1954 Aufnahme von Testament geliebäugelt, denn der ganz späte Bruno Walter hat bei weiten nicht mehr die Qualität, die er in den frühen 50igern noch abliefern konnte.
    Aber am Ende war er in Stereo. Und das zählte anscheinend.


    Gruß S

  • Hallo,
    ich erzeuge lieber zwei Beiträge, weil die beiden nicht viel miteinander zu tun haben.
    Bruckner und Länge ist kompletter "Käse."
    Es mag ja sein, dass ein norddeutscher Atheist Bruckner anders sieht als ein östrogenreicher Katholik, aber das es anders geht haben hunderte von Aufnahmen bewiesen.
    Ich habe zufällig am Wochenende Celis Aufnahme der 8 (3. und 4. Satz gehört).
    Es wird im Konzertsaal anders geklungen haben, hier was es für mich ein lahmes Buchstabieren mit eklig manirierten Steigerungen.


    Und Thielemanns Bruckner ist einfach nur rückwärts gewandt, zopfig, egal wie genial der Kerl dirigieren mag.
    Wir regen uns über Andre Rieux und seine reaktionäre Art, Walzer zu zergeigen, auf und erfreuen uns dann an einem Bruckner Bild, das mit Kna unter ging. Der hat aber wenigstens noch die falschen Partituren hochgehalten!
    Wobei ich zugeben muss, dass das Orchesterspiel bei Thielemann viel viel besser ist, als es bei Kna je war.
    Joachim Kaiser geht vor jedem in die Knie, der ihn an seine ersten Furtwängler Erlebnisse erinnern mag. Der ver-reich-ranitzki-d auch schon mächtig, ist ja auch schon 80, da darf man das.


    Gruß S,

  • Danke für Deine Einschätzung und die deutlichen Worte.


    Ich finde es erstaunlich, wie sehr sich Höreindrücke unterscheiden.


    Zitat

    - allerdings singt er schöne Stellen richtiggehend aus


    Immerhin, diesbezüglich stimmen wir überein ;) . Diese Interpretationshaltung kommt auch in der 54er Live-Aufnahme zur Geltung und macht sie für mich unter anderem deswegen sehr hörenswert.


    Ich werde in den nächsten Tagen einen "zweiten Anlauf" wagen und die Aufnahme ausführlicher vorstellen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich will wegen


    Zitat

    Warum eigentlich "braucht" Bruckner "Länge"?


    und


    Zitat

    Bruckner und Länge ist kompletter "Käse."


    präzisieren.


    Es geht mir eben nicht darum, dass alles wie bei Celi klingen muss und man irgendwann auf die Uhr sieht und sich denkt, ob der CD-Spieler kaputt ist.
    Was ich meine, ist, dass man Bruckner nicht runterhuscht, damit die 8. auf eine CD passt oder weil man mit Geschwindigkeit vielleicht mehr Wucht erzielt. Ich meine, dass die Bögen eben Bögen sein sollen und keine schroffen Spitzen. Und dass die Pausen eingehalten werden. Manche Dirigenten scheinen sich vor Pausen zu fürchten oder keine Geduld zu haben. Mir fällt das bei den Abo-Konzerten der MPHIL auf, oder auch beim BRSO. Größen wie Jansons oder Thielemann haben die Ruhe und Gelassenheit, trotz 2000 Zuschauern bis 4 zu zählen. Das ist bei anderen nicht der Fall. Nervosität darf sich nicht auf das Dirigat übertragen.
    Ein Klassiker für Tempi ist auch Bernstein. Der konnte richtig Gas geben, aber sich auch, s. Mahlers 9., gaaanz viel Zeit lassen.
    Ich sitze nicht mit der Stoppuhr da und entscheide so, was mir gefällt oder nicht. Ein "schneller" Bruckner kann durchaus in sich stimmiger klingen als ein ausgewalzter, bei dem jede Note mit sehr viel Weihrauch bedacht wird, ob der Heiligkeit. Aber es sollte Struktur haben.


    s.bummer:
    So, wie du das bei Walter beschreibst, finde ich es eben auch problematisch, wenn man einmal alles verschleppt und dann plötzlich aufs Gas drückt. Es muss in sich stimmig sein. Man muss aus einer 1/16 keine 1/2 machen, um die getragene und weihevolle Stimmung zu erhalten. Man sollte sich schon an die Noten halten. Aber das erfordert eben auch die Bereitschaft, sich bei den langsamen Stellen eben auch zu bremsen. Das ist die Kunst bei Bruckner, finde ich.


    Ob Thielemanns Bruckner nun zopfig oder sonstwas ist, ist mir egal. Ich finde ihn, gerade live, sehr hörenswert. Klar, er ist eine Rampensau und dirigiert dementsprechend. Aber das reisst eben auch mit.
    Neulich wurde doch über verschiedene Dirigenten und ihren Stil dsikutiert, also ob Tyrann oder Team Player besser sei. Thielemann ist sicher eher Tyrann, aber andererseits jammern sonst alle, dass die Dirigenten zunehmend an Persönlichkeit verlieren. Und alle schreien nach Furtwängler, Klemperer, Knappertsbusch. Charisma ist besonders im Konzertsaal doch eine fast mit Händen greifbare Kraft. Das finde ich nicht falsch.


    Zitat

    Wir regen uns über Andre Rieux und seine reaktionäre Art, Walzer zu zergeigen, auf und erfreuen uns dann an einem Bruckner Bild, das mit Kna unter ging.


    Ich bin mir nicht sicher, warum sich die meisten über Rieux aufregen. Liegt es wirklich am Stil? Oder sind es mehr die Musikantenstadl-Atmosphäre und die Show, die stören?
    Und zu Knappertsbusch: Es gibt sicher Hörer, die seine Art schätzen. Bei Bruckner, bei Wagner.


    Und noch was zu Rattle: Ich komme mit ihm nicht wirklich zurecht. Das gilt für Beethoven, Brahms, Bruckner. Sogar Haydn. Ich will da keine Marketing-Strategie diskutieren, oder mögliche Überlegungen der BPO, den englischsprachigen Markt mit ihm zu erobern. Ich finde nur, dass die meisten Aufnahmen der letzten Jahre mit den BPO nicht halten, was sie versprechen. Und das gilt auch für die 7.. Länge an sich ist kein Maßstab für die Qualität des Produkts.


    Zitat

    Ich finde es erstaunlich, wie sehr sich Höreindrücke unterscheiden.


    Deshalb kann man doch so schön diskutieren. :hello:

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Es geht mir eben nicht darum, dass alles wie bei Celi klingen muss und man irgendwann auf die Uhr sieht und sich denkt, ob der CD-Spieler kaputt ist.
    Was ich meine, ist, dass man Bruckner nicht runterhuscht, damit die 8. auf eine CD passt oder weil man mit Geschwindigkeit vielleicht mehr Wucht erzielt. Ich meine, dass die Bögen eben Bögen sein sollen und keine schroffen Spitzen. Und dass die Pausen eingehalten werden. Manche Dirigenten scheinen sich vor Pausen zu fürchten oder keine Geduld zu haben. Mir fällt das bei den Abo-Konzerten der MPHIL auf, oder auch beim BRSO. Größen wie Jansons oder Thielemann haben die Ruhe und Gelassenheit, trotz 2000 Zuschauern bis 4 zu zählen. Das ist bei anderen nicht der Fall. Nervosität darf sich nicht auf das Dirigat übertragen.


    Ich merke, wir nähern uns an ;) .


    Tempo ist nicht gleich Tempo, weder bei Bruckner noch bei anderen Komponisten. Es sind die von Dir schon angesprochenen "Bögen", die Spannungsbögen, die die Interpretation bei Bruckner so vertrackt machen.
    Spannungsbögen einzuhalten ist für mich keine Frage des Tempos.


    Celibidache halte ich zu Gute, daß es ihm gelang, seine breiten Tempi bei Bruckner mit Spannung zu füllen und, für mich wichtiger, daß er die Temporelationen der Sätze untereinander eingehalten hat.



    Zitat

    Ein Klassiker für Tempi ist auch Bernstein. Der konnte richtig Gas geben, aber sich auch, s. Mahlers 9., gaaanz viel Zeit lassen.
    Ich sitze nicht mit der Stoppuhr da und entscheide so, was mir gefällt oder nicht. Ein "schneller" Bruckner kann durchaus in sich stimmiger klingen als ein ausgewalzter, bei dem jede Note mit sehr viel Weihrauch bedacht wird, ob der Heiligkeit. Aber es sollte Struktur haben.


    s.bummer:
    So, wie du das bei Walter beschreibst, finde ich es eben auch problematisch, wenn man einmal alles verschleppt und dann plötzlich aufs Gas drückt. Es muss in sich stimmig sein.


    Wenn Du auf der einen Seite verschleppte Tempi monierst und auf der anderen Seite Bernstein positiv hervorhebst, entdecke ich einen Widerspruch in sich, insbesondere, wenn man sich die Tempogestaltung des späten Bernstein anhört. ;)
    Zwar ist Bernstein bei Bruckner eher zu vernachlässigen (in "späten Jahren" hat er nur die 9. aufgenommen), aber das "Largo" aus Dvoraks 9. oder das abschließende "Adagio lamentoso-Andante" aus Tschaikowskis 6. Sinfonie z.B. sind für mich nicht nur unglaublich verschleppt, vielmehr passen die Tempi nicht ansatzweise zu denen der übrigen Sätze der jeweiligen Sinfonien, d.h. die Temporelationen stimmen nicht.


    Zitat

    Und noch was zu Rattle: Ich komme mit ihm nicht wirklich zurecht. Das gilt für Beethoven, Brahms, Bruckner. Sogar Haydn. Ich will da keine Marketing-Strategie diskutieren, oder mögliche Überlegungen der BPO, den englischsprachigen Markt mit ihm zu erobern. Ich finde nur, dass die meisten Aufnahmen der letzten Jahre mit den BPO nicht halten, was sie versprechen. Und das gilt auch für die 7.. Länge an sich ist kein Maßstab für die Qualität des Produkts.


    ...wobei Bruckners 7. mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra eingespielt wurde...


    Zitat

    Deshalb kann man doch so schön diskutieren. :hello:


    Wohl wahr. :yes: Die derzeitige Diskussion macht mir zumindest viel Freude.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    wobei Bruckners 7. mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra eingespielt wurde..


    Stimmt. Aber du kannst die 7. zB bei Youtube anschauen.
    Rattle und CBSO finde ich oft besser, zB Mahler, aber auch Elgar.
    Irgendwie kommt er mir beim CBSO jünger und befreiter vor, als hätte er weniger zu verlieren.


    Zu Bernstein:
    Nicht alles war super. Aber das gilt auch für Celi. Was der mit Beethoven oder Schubert gemacht hat, war ja auch nicht super.
    Ich wollte Bernstein bei den Tempi anführen, weil er beides konnte, schnell und langsam. Dass das nicht immer ideal war, gebe ich gern zu. Jetzt kommt trotzdem noch das aber: Bernstein war ein Live-Musiker. Seine großen Einspielungen waren überwiegend Live-Mitschnitte und im Konzertsaal ist alles nochmal anders als auf der Couch zu Hause. Und wie sagt meine Cellolehrerin so schön: Du musst alles übertreiben, damit das Publikum auch wirklich merkt, dass du was aussagen willst. Was zu Hause beim Üben okay klingt, bekommt im Konzertsaal keiner mit.


    Aber zurück zu Rattle: Ist er nun ein Bruckner-Dirigent oder nicht?


    Und was ist mit Barenboim, Inbal, Skrowaczewski, Jochum? Ach ja, und Guttenberg sen.?

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco


    Stimmt. Aber du kannst die 7. zB bei Youtube anschauen.
    Rattle und CBSO finde ich oft besser, zB Mahler, aber auch Elgar.
    Irgendwie kommt er mir beim CBSO jünger und befreiter vor, als hätte er weniger zu verlieren.


    Bei Rattle gilt für mich: Je früher, desto hörenswerter. Von den neu(re)n Aufnahme, die ich besitze (Beethoven-Sinfonien, Brahms' "Deutsches Requiem", Mahlers 5.) ist nichts dabei, was für mich weit überdurchschnittlich ist.



    Zitat

    Und was ist mit Barenboim, Inbal, Skrowaczewski, Jochum? Ach ja, und Guttenberg sen.?


    Hm, das ist vielleicht eine Frage für einen Extra-Thread (wenn wir den nicht schon irgendwo haben...).


    Barenboim hat zwei Gesamteinspielungen heraus gebracht. Ein früherer bei der Deutschen Grammophon mit dem CSO und ein digitaler, der bei Teldec erschien mit den Berliner Philharmonikern.
    Ich kenne nicht allzuviel mit Barenboim. Die 4. (DGG) und die 5. (Teldec) gefallen mir recht gut, bei der 9. (Teldec) hat Barenboim imo nicht das "Stehvermögen", die langen Bögen des Adagios durchzuhalten und mit Spannung zu erfüllen.


    Skrowaczewski ist für mich ein "Geheimtipp". Sein Zyklus zeichnet sich durch ein sehr warmherziges, sonores Orchesterspiel aus. Alle Sinfonien werden für mich auf einem hohen Niveau dargeboten. Wer Bruckner preiswert kennen lernen möchte, ist mit Skrowaczewski bestens bedient.


    Eugen Jochum war zu seiner Zeit für Bruckner das, was Karl Böhm für Mozart war: Der wohl führende Dirigent seiner Zeit. Er ist, auch hier analog zu Böhm, etwas "aus der Mode gekommen", auch weil sich das Bruckner-Bild ein wenig gewandelt hat. Zusätzliche Bläser in der Schlußcoda der 5. Sinfonie verwendet heutzutage kein Dirigent mehr, in Jochums früherer Aufnahme der DGG mit den Berliner Philharmonikern finden sie sich noch.


    Bei Jochum allerdings spürt man die Liebe zur Musik und die innere, religiöse Verbundenheit zu Bruckner. Deswegen wird derjenige, der sich an Rubati und an gewisse interpretatorische Freiheiten nicht stört, bei Jochum sehr viel schönes entdecken. Die 3., 4. und 9. Sinfonie aus dem Zyklus der DGG höre ich immer wieder sehr gerne; die 5. mit dem Concertgebouw Orchester (Live-Mitschnitt aus Ottobeuren) ist für mich ein Meilenstein.


    Und Rattle? Ich kenne nur die Aufnahme der 7. Dieser folgend ist Rattle für mich kein "Bruckner-Dirigent", sondern jemand, der auch Bruckner dirigiert...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


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