Der Geist Frankreichs - Jean-Philippe Rameau

  • Die beiden "ballets" nach denen severina hier gefragt hat, wurden von Rameau um 1750 herum komponiert, Jean-Philippe Rameau war zu diesem Zeitpunkt ca. 60 Jahre alt und noch lange nicht am Ende seiner Schaffenskraft angekommen.


    Die kurzen Werke, beide dauern keine Stunde, sind typische Schäferspiele, deren Libretti nicht sehr viel Tiefgang aufweisen, dafür aber durchaus unterhaltsam sind und viel Gelegenheit zum Tanzen bieten. Hier liegt auch ein Schwerpunkt dieser Arbeiten: im scheinbar unerschöpflichen Erfindungsreichtum Rameaus für die Bewegung und den Rhythmus.


    Die Gelegenheit, diese beiden Kleinode auch szenisch kennenzulernen, würde ich nicht verstreichen lassen. Beide Stücke passen thematisch gut zueinander und sind an einem Abend aufgeführt so eben gerade "abendfüllend".

  • Lieber Alviano,
    vielen Dank, dann werde ich als die Kammeroper anpeilen, sofern es überhaupt noch Karten gibt, denn leider kann ich nur an einem Termin. Und nach den CDs werde ich gleich einmal bei unseren Werbepartnern fahnden!
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Und nach den CDs werde ich gleich einmal bei unseren Werbepartnern fahnden!
    lg Severina :hello:



    Wenn ich Dir die Mühe abnehmen darf:





    Und gar nicht mal so teuer :pfeif:



    LG, Elisabeth

  • Also wenn Du die Werke live erleben kannst, dann unbedingt hin.
    Ich persönlich halte sie zwar für die schwächsten Werke Rameaus, aber das soll nicht heißen dass sie schlecht sind.


    Aber alles kenne ich von Rameau auch nicht :D


    Ich habe zwar alle Bühnenwerke die auf CD erhältlich sind, aber einige Werke sind bisher ja noch nie vollständig eingespielt worden:


    Le Temple de la Gloire


    (nur als Orchestersuite zu haben, oder eine gekürzte Version auf LP - Leitung J.C. Malgoire. Ein tolles Werk, für dass sich leider noch niemand erwärmt hat...)


    Acante et Chephise


    auch nur in Form einer Orchestersuite zu erleben.


    Les Surprises de l'Amour


    ebenfalls nur als Orchestersuite


    Les Fetes de l'Hymen et de l'Amour


    nur die Ouvertüre


    usw. da gibt es noch einiges auf das man sich freuen kann :yes:

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  • Zitat


    Original von Severina
    Ich werde euch dann berichten!



    Auf den Bericht freue ich mich jezt schon. Ich habe mir die beiden Acts de ballet heute angehört und denke, dass es sich bei den beiden Stücken mehr um Kurzopern denn Ballette handelt. Besonders das Schäferspiel La Guirlande hat alles in allem doch einen ziemlich getragenen Rhythmus, allerdings auch wunderschöne Arien.


    LG


    Emotione

  • Die CD werde ich mir aber erst zur Nachbereitung zulegen, damit die Enttäuschung nicht zu groß ist, denn natürlich spielt in der Kammeroper kein Christie auf und singt kein Paul Agnew :( (Aber HIP ist's natürlich schon! :yes: )
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Emotione
    Besonders das Schäferspiel La Guirlande hat alles in allem doch einen ziemlich getragenen Rhythmus, allerdings auch wunderschöne Arien.


    ... und eine schöne Musette gibts auch, stimmungsvolle Naturbilder, kleine, aber feine Arien und Duette...


    Diese kleinen "ballets" (die sicher mit "Kurzoper" zutreffend beschrieben sind), von den mir bekannten ist wohl der "Pygmalion" das stärkste, erreichen sicher nicht die Dichte der abendfüllenden Werke des französischen Meisters, aber sie kennenzulernen lohnt durchaus - ich hatte gestern beim Hören viel Freude an diesen beiden Einaktern.


    Ja, liebe severina, da bin auch ich gespannt, wie die "Wiener Erstaufführung" ausfällt, der intime Rahmen der Kammeroper kommt gewiss dem Charakter der Stücke enrtgegen.


    Und weils gerade passt möchte ich nochmals auf das Konzert mit Christophe Rousset hinweisen: im Theater an der Wien dirigiert Rousset im März auch Rameau - "Rameau zum Kennenlernen" heisst das Programm, es spielen "Les Talens Lyriques", Termin: 03.03.2009. Das wär doch vielleicht was...

  • Lettre officielle an Monsieur Rameau


    An den Honorable etc. etc. Tonsetzer Jean-Philippe Rameau!
    Bis vor Kurtzem hat er mir mit seiner Musique so höchlichst Freude bereittet, daß ich geneiget war, ihn in meinem Componisten-Pantheon Herrn Wagnern und Chevalier Debussy an die Seitte zu setzen.
    Nun aber hat er sich meinen Groll zugezogen.
    Er weiß doch, daß Musique dazu dienet, den geneigten Zu-Hörer zu divertieren beim Souper.
    Und was treibt er in seiner Suitte "Nais"?
    Er schreibt einen Ouvertüre-Anfang, so ihn auch der Paul Hindemith fabriciret haben würde. Damit hat er aber wohl noch nicht genug, so er einen Ur-Wald an Synkopen der americanischen Art mit abscheulichen Dissonanzen einführet, weil er den Krieg beschreiben möchte. Aber er will das wohl nicht heroisch machen, sondern würcklich giftig.
    Hat man sich von den Schrecken dieser Ouvertüre erholet und glaubt, in Ruhe einen gefüllten Capaun samt reizvoll tändelnder Musique genießen zu können, schreibt er eine "Entrée majestueuse", die alles ist, nur "majestueuse" nicht, allenfalls "gai". Dann läßt er eine "Sarabande" mit seiner Marotte folgen, just in dem Moment die Melodie abzubrechen, wo man sich in sie hineinfinden würde. So treibt er's auch in der "Gavotte".
    Sodann läßt er "Rigaudons" folgen, so grell und bös-arttig instrumentiret, daß ich mir den Sancerre, so ich eben gienießen wollte, auf mein Latztüchlein gespien.
    Seine "Air de Triomphe" stimmt mich dann etwas gnädig, will schon den gebrattenen Fasan zum Munde führen, da macht er mit der erhebenden Musique Schluß, wie es so seine unerfreuliche Art ist, und schreibt "Menuets" und "Tambourins" in arg absonderlicher Instrumentierung, so mir der Fasan zu wenig gewürtzet dünckt und mir nicht mehr schmecken mag.
    Darauf lässt er drei Sätze folgen, die so beschaffen sind, daß sich das gefolterte Ohr erholen mag. Doch die Angst sitzet im Nacken, daß er es alsbald wieder ärger treibet. Und schon tut er's auch in seinen Pas de deux, wo er den Fluß der Melodie durch die unsinnigsten Pausen zerstöret und immer wieder neu ansetzet, als wolle er unziemlichen Spaß machen.
    Zu seiner "Air gai" wollt ich den Savarin auftragen lassen, doch mit seiner umherhüpfenden Melodie hat er mich geradewegs in die See-Krankheit gestoßen. Seine wohl absichtlich primitiven Tambourins schmeicheln sodann dem übelsten Geschmack, so das Volk hat, das benebelt ist vom Cidre.
    Sodann läßt er zwo Menuets folgen, die gut zu den kandierten Kirschen passen und ganz fürtrefflich gefallen. Aber hernach treibt er's wieder gar zu arg in seinem "Contredanse générale": Er schreibt die Melodie ganz hoch und tut zuerst nichts, um sie ohren-gefällig zu begleiten. Und dann ist das Sätzchen aus, ohne daß etwas anders geschehen wäre.
    Überhauppt sind seine Dissonanzen in dem ganzen Werklein höchst unangenehm und ohrenfolternd, wie ich auch seine Instrumentation absonderlich finde: Warum nimmt er so viele Holzbläser statt des edlen Klanges unserer Violons? Und wenn er schon die Holzbläser nutzet, so mög er's mit den Flöten halten statt unser Ohr mit Fagotten und Oboen zu zerkratzen, so er auch noch in mißtönenden Intervalli componirt!
    Kurtz: Seine Musik ist gifftig und zersetzet alles, was mir edel scheinet. Fast kömmt mir vor, er sei durch die Zeit gereist und hat sich bei der Groupe des Six seine Einfälle geholt. So gebe ich ihm den guten Rat, er möge nicht nach vorne schauen, sondern zurück, wo ein Lully uns gezeiget hat, was Musique à la francaise ist.
    Für den Moment ohne sonderliche Grüße
    Sein ehemaliger Bewunderer

    ...

  • :hahahaha::hahahaha::jubel:


    Ich fühle mich geneiget, dem ehemaligen Bewunderer des Tonsetzers Jean-Philipe Rameau auf das Schärfste von den von mir empfohlenen "Les Boreades" abzuraten.
    Sein Geist erführe nach der "Nais" keine Ruhe und Entspannung. Wiegte er sich bei den "Gavottes pour lles heures et le Zéphirs" mit einer der Seele schmeichelenden Melodie noch in Sicherheit, die Rigaudons entreißen ihm diese wieder. Erlaube er mir zu bemerken, daß ich mit offenem Munde da saß - nur ein Teufelspakt vermochte Rameau so componiren zu lassen, daß mir jegliches Gefühl für zeitliche Einordnung verloren ginge. Nur der Rhythmus - ja der gab mir die Sicherheit, daß dies unsere Zeit ist.


    Und dann stelle er sich vor: die erste Szene des fünfften Aktes "Obéissez, quittez vos cavernes obscures" - obscur, das ist es. Als ob der Herr Rameau wieder einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätte und zusammen mit dem Russen Igor, dessen Namen ich mich nicht getraue auszusprechen, ein Tête-â-Tête hatte.
    Ein Grauen, Monsieur Baumgartner, vor dem ich ihren so gebildeten Geschmacke zu verwahren ersuche.


    Es grüßet aus der Ferne
    Wulf

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  • Lieber Edwin, lieber Wulf,


    da ich bislang nur die kaum weniger befremdliche PLATÉE kenne, kann ich nur vermuten, dass Ihr Recht habt und voller Bewunderung sagen:


    :D :D :hahahaha: :hahahaha: :jubel: :jubel:


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lettre officielle an Monsieur Rameau


    Lieber Edwin,


    das ist ja mal eine gelungene Werbung für Rameau, schön :D

  • Lettre officielle au ROi


    Divin Sire,
    Beschützer Frankreichs, Mars im Kriege, Amor in der Liebe, etc. etc. und auch Apoll der Künste, als den ich mich an Euch wende,
    dem mir das Ungemach widerfuhr, einer Opéra des Monsieur Jean-Philippe Rameau beiwohnen zu müssen, obwohl mir von kundigster Seite abgeraten ward, ich aber nicht hören wollte und nun schmerzenden Ohres schreibe, welch Unbill ich erlitten.
    Das nämlich Werk nennet sich "Les Boréades" und ist voller Seltsam- und Abscheulichkeiten wider den guten Geschmack, als dessen Diener, der ich bin, ich Euch, Sire, als dessen Schutzpatron anrufe.


    Die Seltsamkeiten nehmen ihren Beginn mit der Zahl der Akte: Fünf sollen es sein, ich aber zählte nur vier, so zwei, nämlich der dritt und vierte, verbunden sind, und das mit der grauenhaftigsten Musique, die Sire sich erdenken kann, und dann fügt noch Grauenhaftigeres hinzu, und Ihr habt noch immer keinen Eindruck von dem, was Monsieur Rameau schreibet. Er will ein Unwetter zeichnen, so auch schon seine Vor-Gänger gemacht mit kühner Musique, die doch Staunen, aber nie Abscheu erreget. Bei Monsieur Rameau verkehrt sich dies Staunen jedoch alsbald in pure Abscheu. Er componiret ein Stampfen, das in den absonderlichsten Klängen, die den Namen Harmonie nicht verdienen, wozu die Flöten, sonst allerlieblichste Instrumente, kreischend pfeifen und ein Chor schreiet, als ging's ihm an den Kragen.


    So ich vorgewarnt war, verstopfte ich meine Ohren, mußt' das Gellen und Kreischen aber dennoch hören, so laut war es, und nicht einmal mein Maitre Parfumeur, so ich mitgenommen und mir ein Fläschchen mit ausgesuchtestem Duft gereichet um mich wieder zu ergetzen, konnt' den Schrecken, so mir in alle Glieder fuhr, wo er noch stecket, ganz verjagen. Wenn Monsieur Rameau so componiren mag, soll er's in Rußland bei dem Zaren Igor treiben, der dergleichen, berichtet die Fama, schön finden soll.


    Doch kommt es noch gräulicher. Den Beginn des fünften Actes hätt auch der Teuffel so nicht zu ersinnen vermocht. Das sind Töne, ganz willkürlich verstreuet, als wenn von einer Kerze Wachs tropfet. Hab solches nie gehöret, will's auch nicht wieder tun und möcht die Menschheit bewahren vor solcher Musique, die keine mehr ist, sondern Accorde gewordener Speichel der Erynnien oder Säure, worin man Menschen ganz und gar auflösen mag, so nämlich löset dieser Beginn des Actes die Musique ganz und gar auf, seh nur noch ihre zerbrochnen Knochen liegen. Ist nicht auszuhalten und klinget, als ob eine schöne Pièce im Tollhaus von den Insaßen aufgeführet wird und jeder irgendeinen Ton greifet, so ihm gerade in den verwirrten Sinn kömmt.


    Sodann steiget Apoll hernieder, aber Monsieur Rameau ist diesem Gott wenig geneiget und hält's mit dem Teufel. Er componiret nicht etwa festliche Accordes, so unser fürtrefflicher Meister Lully in einzigartiger Weise getan, Monsieur Rameau also schreibet ein wirren Wust von Accordes für Violinen, die sehr hoch wimmern wie Katzen, so man ihnen auf den Schwanz tritt, und sehr tief unten rumoren die Bässe, was gibt einen ganz absonderlichen Klang, so lichterfüllt sein will, aber nur grell und unschön zu hören ist.


    Alsdann läßt Monsieur Rameau ein paar Tänze folgen, wie sie das vom Calvados trunkene Volk aufspielet, immer schneller und abartig instrumentieret mit pfeifenden Föten und auch sonst ganz sonderbar und unschön.


    Wenn Sire nun aber meinet, es wär des Schreckens mit diesen zwei Acti getan, so kennet er Monsieur Rameau nicht, denn der Componist, so ins Tollhaus gewiesen werden müßte, schafft in den zuvorderen Acti nichts Anderes, als die Schrecknisse vorzubereiten.


    Mag die Ouvertüre noch hingehen, so störet beim ersten Dialogue das Dazwischenblasen der Hörner, so eine Art Jagdgesellschaft ankündigen, aber während der Dialogue gesungen wird und nicht nachher, wie es dem Geschmack zuträglich ist.


    Hierauf folgt ein Tanz von so widerwärtigem Klange, daß ich ihn nur abermals mit dem zuvor genannten russischen Zaren in Verbindung bringe, der eine ähnliche Vorliebe für Stampfen und Wiederholung kleiner Fetzchen einer Melodie pflegen soll.


    Hierauf folget eine abscheuliche Ariette, welche der Sopran nützet, Koloraturen zu singen, als wäre auch die beklagenswerte Actrice gänzlich reif für das Tollhaus, so zucken die Koloraturen ganz ohne Schmuck zu sein, wie es der Geschmack meint; soll nur die Nerven aufpeitschen, wozu auch das Orchestre sein Teil beiträgt, so es umhertobet und kreischt.


    Im zwoten Act beginnet man Hoffnung zu hegen, Monsieur Rameau habe seinen Verstand wiedergefunden, schreibt aber bald wieder ein Chor "Ecoutez l'amour", so nicht in dieses Jahrhundert gehöret sondern in eineinhalb bis zwei spätere, so man die Zeit vor solcher Musique nicht schützen kann. Dazu kömmt ein absonderliches Lied über die Freiheit, wird vom Chor leise mitgesungen als wolle Monsieur Rameau sagen: Traut sich keiner, die Liberté offen zu nennen, was für mich ist nichts Anderes als das Gift der Révolution.


    Worauf folget der dritte Act, der voll ist mit Absonderlichkeiten der Harmonie, merkwürdigen Klängen, so man nie gehöret hat und GOtt auch dafür preiset, so man es nie wieder hören muß, wozu die Abscheulichkeit kömmt, die ich oben beschrieben habe.


    Hat mein Maitre de cuisine ein formidables Mahl bereittet zum Abend, aber ich konnt's nicht essen, so schwer ist mir diese Opéra im Magen gelegen. Nicht einmal eine kandierte Kirsche konnte mein Gemüt calmieren, und Sire, ich schwöre, daß der Wein sauer ward, während die Musique erklang.


    Deshalb bitte ich Euch, Sire, untertänigst, Monsieur Rameau per Decretum das weitere Componiren zu verbieten, ihn ins Tollhaus zu verbringen und auch excomunicieren zu lassen, so er zweifelsohne die Musique des Teufels componiret, ob zu des Letzteren Freud' oder Leid ist nicht an mir zu sagen.


    Alluntertänigst mit tausend Ehrenbezeugungen etc. etc.
    Ein aufrichtiger Bewunderer aund Anhänger des feinen Geschmacks und der schönen Künste

    ...

  • :jubel: :jubel: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :jubel:


    Magnifique, was aus diesem Thread geworden ist!


    Ich muss mich langsam wieder einlesen, gebe aber schonmal meinem besonderen Enchantement Ausdruck, dass Madame Severina, die bislang der barocken Oper abhold war, sich auf die Seite der französischen Folie geschlagen hat.


    Das ist mindestens so gut und amüsant wie Rossini, für mich musikalisch eigentlcih viel spannender..... :untertauch:


    Im Platée kann man lachen und weinen in ein und derselben Arie-das gibt es sonst nur bei Mozart.


    Was die durchtriebene Gehässigkeit des Versailler Hofes aus der Sicht eines deutschen Gemüts angeht:
    man lese z.B. die Memoiren der zweiten Frau des Bruders Louis XIV und Dauphins, Lieselotte von der Pfalz: "Madame sein ist ein elendes Handwerck"


    Das ist auch zum Lachen und Weinen gleichermassen!



    Was sagt ihr zu der kleinen Arie "Soleil, fuyez ces lieux"?
    Ich bin davon immer wieder restlos hingerissen. :faint:
    Ob das auch mit der Sonne des Hofes, Lous höchstselbst, zu tun hat?


    Fairy Queen
    Wer Suppenrezepte braucht, die internationalen Tamino-Ansprüchen genugen, bitte melden :D

  • "Soleil" muss ich noch einmal nachhören - wie die ganze "Platée".


    Vorerst bin ich noch mit den "Boréades" befaßt, denen ich gestern, nach kompletten Hören, ein stichprobenartiges Hören widmete und die demnächst nocheinmal ganz durchgespielt werden. Mittlerweile ist auch die Partitur auf dem Weg, weil einige Stellen so unglaublich sind, daß ich sie schwarz auf weiß sehen will. Kurz: Ich halte diese Oper für eine der besten der gesamten Musikgeschichte. Müßte ich fünf auswählen, wären die "Boréades" dabei.


    Ich möchte als kleinen Anreiz auf eine Nummer eingehen, in der sich Rameaus Genialität für mich offenbart, und die relativ leicht zu beschreiben ist, nämlich der Chor "C'est l'amour, qui nous presse".


    Die Situation ist die, daß Alphise Abaris liebt, aus Staatsräson aber nur die Wahl zwischen Calisis und Borilée hat, die sie beide nicht mag. In einer an zwischenmenschlicher Spannung - bei anwesendem Chor - kaum zu überbietenden Szene kommt es zu einem Moment, an dem der Chor die Melodie "C'est l'amour" anstimmt, und zwar nach jedem Solo, das sich auf dieses Faktum ("Es ist die Liebe, die uns drängt";) bezieht.


    Diese wunderbare Melodie, schwärmerisch, süß, leuchtend, und doch mit einem Schuß Bitterkeit und Melancholie, ist unvergeßlich. Es scheint, als habe es Rameau geschafft, alle Aspekte der Liebe in eine einzige Melodie zusammenzudrängen und jedes Mal wenn sie aufrauscht, ist man berührt, erschüttert und fühlt sich erhoben und geadelt zugleich. Es ist eine Jahrhundert-Melodie, wenn nicht eine Jahrtausend-Melodie. Begleitet wird sie von wunderbar leuchtenden Harmonien , die eigenartig ineinandergleiten und völlig schwerelos scheinen.


    An dieser Stelle tritt Rameau völlig aus der Zeit heraus. Diese Musik könnte, allenfalls geringfügig anders instrumentiert, bei Berlioz stehen, bei Mussorgskij, sogar bei Britten, etwa in "Gloriana".


    Das Verblüffende aber ist, daß Rameau in den "Boréades" immer wieder solche Stellen komponiert, die aus der Zeit heraustreten. Nun ist er ja überhaupt ein Neuerer, der harmonisch die abenteuerlichsten Dinge tut und auch rhythmische Formulierungen schreibt, die den Zuhörer sprachlos machen. In den "Boréades" scheint er das jedoch auf die Spitze zu treiben. Keine Spur von einem Alterswerk: "Les Boréades" ist eine der vitalsten, fantasievollsten und leuchtendsten Partituren, welche die Opernbühne besitzt.


    :hello:

    ...

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Keine Spur von einem Alterswerk: "Les Boréades" ist eine der vitalsten, fantasievollsten und leuchtendsten Partituren, welche die Opernbühne besitzt.


    :hello:


    ;) Und das, obwohl Monsieur Rameau vier mal zwanzig Jahre zählte - ein erstaunlicher Akt und nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wie ich Euch, Monsieur Baumgartner, warnte.


    Zitat


    Das sind Töne, ganz willkürlich verstreuet, als wenn von einer Kerze Wachs tropfet. Hab solches nie gehöret,


    Vielen Dank, Moniseur Baumgartner. Jetzt sehe ich vor meinem geistigen Auge an enstprechender Stelle stets eine tropfende Kerze :motz:



    Ich wußte einfach, daß Dir avancierte Sprache Rameaus in diesem Werk gefallen würde :]


    :hello:
    Wulf

  • Für Wiener + Umländer:
    Am 13. September bringt das Opernfilmfestival am Rathausplatz die weiter oben bejubelte "Platée - das muss ich mir unbedingt auf der Riesenvideowall geben! :] :] :] :] :] :]
    lg Severina :hello:

  • In einem anderen Thread brachte Loge Rameau - natürlich abwertend - ins Spiel und schrieb:

    Zitat

    Zitat Loge
    Kann es sein, dass Du in letzter Zeit vielleicht ein wenig zu viel dieser überdimensionierten, von einer übergreifenden Dramaturgie und psychologischen Tiefe weitgehend unbelasteten und minderwertige Libretti vertonenden Ballett- bzw. deklamatorischen Sprechgesangs-Sinfonien eines durchaus fähigen und anfänglich in harmonisch und rhythmischer Hinsicht auch originellen, wenn auch zunehmend uninspirierten französischen Sonnenhof-Compositeurs zu Dir genommen hast, dessen Werke - genauer eine Handvoll aus seinen 6 guten Jahren aus über 80 -, die nun schon in der 3. Dekade in den Kulturzentren Europas auf der schon wieder brechenden Welle der historisch informiertesten aller denkbar historisch-informierten Aufführungspraxen rauf und runter zelebriert und - wie im Endstadium einer jeden Mode üblich - hochpreisig gehyped und ansprechend verpackt zwischenzeitlich sogar in breiteren Schichten von unerwarteten Klängen enthusiasmiert konsumiert werden, um am Ende – nach baldiger Ernüchterung ob der am Ende doch hohlen Kunstfertigkeit - wieder in der angestammten 2. Reihe des zeitlich Überlebten zu verstauben?


    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin,


    ich verstehe nicht ganz, warum Du diesem einen Satz, der zudem über die Bedeutung des Schreibenden weit mehr sagt als über die des Beschriebenen, die Bedeutung des Kopierens in diesen Thread gibst.



    :stumm: Jacques Rideamus

  • Vielleicht wäre es ganz konstruktiv, wenn Loge mal konkret sagen würde, was ihm an Rameau nciht gefällt.
    Wenn es um die angeblich mangelnde Expressivität geht, kann ich anhand des Notentextes einer einzigen Arie bereits das Gegenteil beweisen. immerhin gestehst du ihm ja unerwartete Klänge zu, wenn das mal kein positiver Anfang ist.....
    Und was die baldige Ernüchterung angeht-bei mir ist die noch nciht eingetreten ....... :no:?(


    Ich hoffe nciht, dass Edwin Recht hat (im anderen Thread) und bei dieser Abneigung auch bewusste oder unbewusste Vorurteile gegen frz. Musik eine Rolle spielen :boese2:
    Du kannst Rameau ja ohnehin nur mit Zeitgenossen ernsthaft vergleichen wollen-oder?


    F.Q.

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  • Lieber Jacques Rideamus,

    Zitat

    ich verstehe nicht ganz, warum Du diesem einen Satz, der zudem über die Bedeutung des Schreibenden weit mehr sagt als über die des Beschriebenen, die Bedeutung des Kopierens in diesen Thread gibst.


    Das kann ich Dir sagen: Wir alle hier sind, so, wie die Musikwissenschaft, der Meinung, daß Rameau ein Genie von überzeitlicher Bedeutung war. (Was mich persönlich betrifft, haben sich "Les Boréades" sogar unter die besten zehn Opern der Musikgeschichte eingereiht - aber das nur am Rande.) Ich finde es interessant, auch gegenteilige Meinungen zu vernehmen, zumal sich ja Loge schon in der Vergangenheit als findiger Kenner und gewiefter Kompilator musikwissenschaftlicher Literatur erwiesen hat ;). Ich erhoffe mir nun eine jener sachlich fundierten kritischen Auseinandersetzungen mit einem Thema, die unser Forum, gerade in letzter Zeit so beispielhaft geprägt haben.
    :hello:

    ...

  • Offenbar haben die Rameau-Gegner nichts Substanzielles vorzubringen.
    Auch gut.


    Was mich betrifft: Ich habe heute ein kleines, unschuldiges Werklein aus den "Pièces en concert" gehört. Es nennt sich "La Rameau" und ist wohl ein Selbstportrait.
    Vier Minuten Genialität pur.
    Umso mehr, als man mitunter zu lesen bekommt, der Satz sei nicht eben bester Rameau. Welch ein Irrtum!


    Die "Pièces en concert" sind eigentümliche Dinger, wie sie damals von mehreren Komponisten geschrieben wurden. Im Grunde handelt es sich um vollwertige Stücke für Solo-Cembalo, diesem werden jedoch solistische Begleitinstrumente hinzugesellt, die einen Klanghintergrund weben, bestimmte Harmonien und Kontrapunkte beleuchten, aber nie dominieren. Rameau besteht im Vorwort darauf, daß diese Begleitinstrumente völlig im Hintergrund zu bleiben haben.


    "La Rameau" ist eine Tour de force des Rhythmus. Das Cembalo ist unentwegt in Bewegung und liefert agile Akkordketten, aus denen sich kaum ein Thema heraushebt. Die begleitinstrumente geben Farbe dazu, allerdings auch kaum greifbare Thematik, sieht man von ein paar Formeln ab, die auch Strawinskij in seiner neoklassizistischen Phase geschrieben haben könnte.
    Kommentatoren sehen darin eine gewisse Primitivität. Was ja auch stimmt - an einigen Stellen klingt es sogar, als wäre Philip Glass Pate gestanden.
    Aber was soll dann der Titel?
    Im Kommentar las ich, er sei selbstironisch zu verstehen: Der Cembalist Rameau übt (so, wie die Pianisten in Saint-Saens "Carnaval"). Vielleicht. Wahrscheinlich sogar.
    Ich kann mir nicht helfen, vor mir entstand dennoch ein anderes Bild: Nämlich das eines unablässig schnell schreibenden Menschen, der ab und zu (Baßton im Cembalo) die Feder in die Tinte taucht und dann eilig weiterkritzelt.
    Was ja auf Monsieur Rameau auch zutreffen würde.
    Jedenfalls ein brillantes rhythmisches Feuerwerk, verbunden mit einer fast spitzbübischen (Selbst-)Ironie.
    Mein Gott, war das ein Komponist...!!!!
    :hello:

    ...

  • Inspiriert dich das jetzt zu "La Baumgartner"? :D Ich käme natürlich zur Urauführung!
    Zurück zum Ernst: Gehst du auch in die Kammeroper zu den beiden Balletteinaktern? Ich wäre nämlich auf deine Kommentare neugierig, weil es für mich als blutigen Laien wirklich interessant ist, wie du da einzelne Passagen analysierst. Die Boréades werden mein nächstes Budgetloch verursachen.....
    (Für ein Zelt hab ich dann allerdings kein Geld mehr :wacky: )
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,
    ad Kammeroper schau bitte demnächst in Deine PN.
    Was die "Boréades" betrifft: Die Donaukanal-Brücken sind zwar etwas zugig, als Quartier aber insgesamt sehr empfehlenswert!
    Liebe Grüße
    Edwin

    ...

  • Zitat

    "La Rameau" ist eine Tour de force des Rhythmus. Das Cembalo ist unentwegt in Bewegung und liefert agile Akkordketten, aus denen sich kaum ein Thema heraushebt. Die begleitinstrumente geben Farbe dazu, allerdings auch kaum greifbare Thematik, sieht man von ein paar Formeln ab, die auch Strawinskij in seiner neoklassizistischen Phase geschrieben haben könnte.
    Kommentatoren sehen darin eine gewisse Primitivität. Was ja auch stimmt - an einigen Stellen klingt es sogar, als wäre Philip Glass Pate gestanden.
    Aber was soll dann der Titel?



    Hallo Edwin




    Für "La Rameau" könnten 3 verschiedenen Personen gemeint sein.


    Er selbst - also ein Selbstportrait, bzw. eine Karikatur der Töne die in seinem Haushalt zu hören waren (was sehr oft angenommen wird).


    oder sein Neffe, dessen "illustres Leben" von Rousseau in einem Roman Verwendung fand.


    und schließlich der Choreograph und Tanztheoretiker Pierre Rameau (der aber nicht mit Jean Philippe Rameau verwandt ist)


    aber das wird sich wohl nie klären lassen.


    Ich denke dass es sich wie bei Couperin verhält.
    Die Bezeichnung waren der Auslöser, die Inspiration für die Stücke und Couperin meinte ja, dass sie nun keine Bedeutung mehr hätten.



    trotzdem ist es spannend zu entschlüsseln wer da nun portraitiert wurde. :)

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  • Hallo Leute,


    ihr seid wirklich ansteckend mit Eurer Begeisterung für Rameau. Ich habe auch meine alten Platten und DVDs wieder hervorgekramt und habe wieder Feuer gefangen.


    Jetzt eine Frage an alle Rameau-Liebhaber: Ich habe die Cembalowerke von Rameau in einer Aufnahme von Scott Ross erschienen bei stil - meines wissens nur in Frankreich erschienen. Ich hätte aber gerne eine zweite Aufnahme zum Vergleich, da mich diese Aufnahme nicht durchgehend begeistert. Was ist denn empfehlenswert?


    Für die Nicht-Puristen: Ich habe mir letztens eine Aufnahme mit Cembalo-Werken gespielt von Marcelle Meyer auf dem Klavier gekauft - von dieser Platte bin ich total begeistert. Die schnellen tänzerischen Stücke sind sicher etwas weniger "fetzig" als bei Scott Ross auf dem Cembalo, aber dafür sind die langsameren wunderschön, oft von einer traurigen Melancholität, die ich bei Ross vermisse. Vergleichshören mit der Aufnahme von Tharaud folgt noch.


    Vielen Dank & Grüße,


    Melanie

  • Zitat

    Original von der Lullist
    William Christie ! - was sonst :D


    Hallo Lullist,


    danke für die schnelle Antwort.


    Ist das die?



    Die wäre ja nicht mal teuer... Ist wahrscheinlich aber keine Gesamteinspielung, oder (das wäre aber nicht so schlimm).


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Lieber Lullist,
    den Tanztheoretiker kann ich mir am wenigsten vorstellen - aber die anderen Möglichkeiten durchaus.


    Ein Tipp für Hardcore-Fans: Im französischen Verlag Editions Fuzeau ist die Partitur zu "Les Boréades" erschienen, und zwar als Facsimile von Rameaus Handschrift. Keine Angst, die ist sehr leserlich. Was leider fehlt, ist ein kritischer Kommentar.
    Dafür erfährt man im Nachwort etwas über die bei uns weiter oben angesprochene Frage des Copyright: Dieses gilt bei nachgelassenen unaufgeführten Werken ab dem Moment ihrer Auffindung. Was erklärt, warum Stil sich erfolgreich allen nicht genehmen Verwertungen widersetzen kann.


    :hello:

    ...

  • Ja das ist sie - nicht ganz komplett, aber das was fehlt, lässt sich gut verschmerzen - 5 Einzelstücke, die später mit etwas anderem gedruckt wurden, und die Transskriptionen von Opernmusik, vor allem aus Les Indes Galantes.


    Letztere hat Kenneth Gilbert mal für HMF aufgenommen:



    Aber da gibt es auch noch diese von Kenneth Weiss, die etwas genauso teuer ist auf dem Marktplatz und 30 Minuten mehr Musik enthält:


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