mal was anderes

  • Was für ein schöner Einstieg in den Tag! Wenn sich ein Neutraler unsere Diskussion durchliest, liegt er wohl auf dem Boden vor Lachen (nicht, weil es ein Witz ist, worüber wir sprechen, sondern wegen des ausgeströmten Humors!).
    Deinen Beitrag, Hildebrandt, fand ich sehr interessant, weil er etwas bestätigt, was ich schon häufiger erfahren habe: Im Grunde wollen wir alle dasselbe bzw. dasselbe nicht! Nämlich:


    Zitat

    (...)-orgeln (...), bei denen der Name des Erbauers völlig gleichgültig ist, weil sie sich alle so ermüdend ähnlich sind und auch allein schon müde klingen


    Nur gehen wir von verschiedenen Seiten an das Thema. Du möchtest eine Orgel, die "kompromisslos" auf einen Orgelstil ausgelegt ist, z.B. Barockorgel (mal oberflächlich formuliert). Rein von der kirchenmusikalischen Funktion ist aber gerade das ein Kompromiss - schließlich habe ich so nur die Möglichkeit, Barockmusik "vernünftig" darzustellen.
    Für Dich ist eine Kompromissorgel ein Instrument, daß auf keinen bestimmten Stil 100% ausgelegt ist. Und nun kommt der große Unterschied zwischen unseren Auffassungen. Du sagst zu so einer Orgel, daß sie zwischen den Stühlen sitzt! Ich sage: Das tut sie nur, wenn sie schlecht ausgeführt ist. Gut wird sie, wenn sich ein Orgelbauer gegen Modeströmungen wehrt und einen eigenen zeitgenössischen Stil durchzieht.


    Zitat

    Obendrein sind die Zeiten auch vorbei, in denen die Orgelbauer noch Charakter hatten – oder besser gesagt: haben durften.


    Das ist der Punkt! Und ich will Orgeln von Orgelbauern, die sich dagegen wehren! Zum Glück gibt es davon noch welche!
    Eine mitteltönige Stimmung heutzutage zu bauen, ist interessant, aber steht einem eigenen Stil entgegen. Wenn in Göteburg eine fiktive Barockorgel in einem kopierten Gehäuse entsteht, so ist das ein sehr interessantes Experiment, aus dem man auch viel für die Restaurationspraxis lernen kann. Mehr aber nicht! Ich möchte so etwas nicht in jeder Kirche sehen! Denn, wie momo schon ganz richtig sagt:


    Zitat

    wenn ich silbermann hören will, gehe ich nach sachsen, wenn ich cavaillé-coll in echt hören will, warte ich bis sich eine möglichkeit ergibt nach frankreich zu fahren.


    Gruß
    Münti

  • Zitat

    Original von Münti
    Welche Orgel bzw. -stil wurde in St.Eustache kopiert? Ich habe die Orgel bisher immer für eine zeitgenössische Universalorgel gehalten.


    Hallo Münti,


    ich kenne die Orgel in St. Eustache nur von CD-Einspielungen. Sie klingt wie eine typisch französische Romantikorgel. Der Disposition nach gibt es Parallelen zu großen Cavaille-Coll Orgeln.
    Als "Universalorgel" würde ich sie nicht bezeichnen. Hier muss man beachten, dass eine große Anzahl an Registern nicht unbedingt bedeutet, dass solch eine Orgel einerseits wie eine romantische Orgel und andererseits wie eine typische Barockorgel klingt. Der Raum spielt hier auch eine große Rolle. Barockorgeln können ihre typischen Klangqualitäten sich eher in kleineren Räumen mit wenig Nachhall entfalten. Große Romantische Orgeln findet man häufig in großen Räumen, die durch langen Nachhall belastet sind. Die Komponisten der Romantik haben dies jedoch häufig in ihren Kompositionen berücksichtigt. Ein gewisser Nachhall ist hier erwünscht.
    Die Orgel in St. Eustache kann wegen des großen Raumes nie wie eine typisch prägnante Barockorgel klingen. Insofern ist sie keine "Universalorgel".


    Gruß
    Tresor

    Diese Sprache, die wir Musik nennen, ist eine Sprache, die aus einem Raum kommt, den wir Seele nennen. GIORA FEIDMAN

  • Moin Münti,


    hm also wenn es nicht dem Zeitgeist gemäß ist, eine mitteltönige Orgel zu bauen, dann hätten demzufolge Meister wie Ahrend etwa oder Wegscheider keinen eigenen Stil, was mich nun doch ein ganz klein wenig zum Widerspruch reizt. Bei Ahrend empfinde ich es nämich durchaus so, daß er die Errungenschaften des 15.,16.,17. Jahrhunderts noch einmal hinterfragt und ihnen dann ein eigenes, durchaus neues Gesicht gibt, wofür die Orgel der Basilica San Simpliciano in Mailand ein sehr schönes Beispiel zeigt, die alles andere als eine schnöde Fritzsche, Scherer-oder Schnitker-Kopie ist.



    Auch Stellwagen arbeitete nach dem Prinzip, die, wenn wertvolle, alte Substanz
    in ein neues Instrument zu integrieren, bzw. dieses zu erweitern. Stellwagens Einlassungen über seine Zusammenarbeit mit dem damaligen Lübecker Werkmeister Franz Tunder werfen ein wirklich erhellendes Licht auf diese Vorgehensweise. Gerade im Bereich des Orgelbaus gibt es die "Eierlegende Wollmich-Sau", die alles macht und die alles kann nicht und es wird sie auch nie geben. Wer behauptet, daß man auf einer Orgel, die einfach einer bestimmten Konzeption unterworfen werden muss, um ausgeführt werden zu können, ebensogut Reger wie auch Weckmann spielen kann, der lügt schlicht und ergreifend. Wenn Du Dich an Schoofs "Bach-CD" erinnerst, wie wundervoll
    klingen die Register bei den "Canonischen Variationen", die etwa 200 Jahre VOR Bachs Geburt entstanden, also an die dachte Bach ganz gewiss kaum, als er sein Werk konzipierte. Mit der gleichen Registrierung jedoch etwa Brahms zu spielen, also darauf käm wahrscheinlich niemand.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von Münti
    Nur gehen wir von verschiedenen Seiten an das Thema. Du möchtest eine Orgel, die "kompromisslos" auf einen Orgelstil ausgelegt ist, z.B. Barockorgel (mal oberflächlich formuliert). Rein von der kirchenmusikalischen Funktion ist aber gerade das ein Kompromiss - schließlich habe ich so nur die Möglichkeit, Barockmusik "vernünftig" darzustellen.
    Für Dich ist eine Kompromissorgel ein Instrument, daß auf keinen bestimmten Stil 100% ausgelegt ist. Und nun kommt der große Unterschied zwischen unseren Auffassungen. Du sagst zu so einer Orgel, daß sie zwischen den Stühlen sitzt! Ich sage: Das tut sie nur, wenn sie schlecht ausgeführt ist. Gut wird sie, wenn sich ein Orgelbauer gegen Modeströmungen wehrt und einen eigenen zeitgenössischen Stil durchzieht.


    Sicher gibt es eine Reihe von Werkstätten, die nicht nur handwerklich vorzüglich arbeiten, sondern auch noch einen hohen Anspruch an sich selbst haben und den auch in ihren Instrumenten verwirklichen. Nun wird das jeder Orgelbauer so oder ähnlich in seine Anzeigen schreiben, mir fallen hingegen noch nicht einmal zwei Hände voll Namen ein, die ich da einordnen würde – wobei der persönliche Geschmack gar keine so große Rolle spielt.
    Aber dann kommt der „zeitgenössische Stil“. Was ist das? Wofür wird der gebraucht? Böse zugespitzt reichen für ein liturgisch auslangendes Spiel drei feste Kombinationen: p = Kommunionsgedudel, f = mittelschweres Zudecken des Gemeindegesanges, ff = Auszug der Honoratioren. (Der Einfachheit halber hier nur die katholische Version.)
    Bleibt die Betrachtung der Orgel als Instrument zur Darbietung künstlerisch bedeutsamer Musik. (Die Bedeutung der Orgel zur Selbstdarstellung/-verwirklichung des jeweils neuen Organisten lassen wir einmal weg.)
    Ein zeitgenössischer Stil könnte für zeitgenössische Musik genau das richtige sein. Nur existiert die de facto auf dem Orgelsektor bis auf ein paar kleine kümmerliche Orchideen am Wegesrande nicht. Hambraeus, Ligeti, Medek, Eben gehören ebensowenig zur jüngsten Tonsetzergeneration wie zu den häufig gespielten Publikumagneten. Solcherlei Musik wird immer noch fast überall als Kuriosum betrachtet und entsprechend im Konzertbetrieb behandelt. Stellen wir also solche Leute wie Peter Bares und seinen Nachfolger samt ihren Orgeln besser unter Artenschutz, sonst geraten auch die noch unter die Räder. Nur zur Messlatte für zeitgenössischen Orgelbau reicht es nicht.
    Mit dem Zeitgenössischen will es also nichts rechtes werden. Bleibt das Althergebrachte, wozu für mich ein Tournemiere oder Buxtehude ebenso wie ein Titelouze oder ein Reger zählen. Bach lassen wir mal weg, den kann man auch auf einer singenden Säge nicht kaputtmachen. Jetzt bau mir doch mal einer eine „zeitgenössische Orgel“ dafür. Wenn ich nicht bei 95 % der Register, der Stimmung, der Mechanik – einfach von allem – Kompromisse mache, schränke ich mich sofort unwiderruflich ein. Nur sind Kompromisse in der Kunst untauglich – und zwar völlig. Und deshalb finde ich auch 95 % aller zeitgenössischen, Universal- oder was-auch-immer-Orgeln als für die Kunst untauglich. Punkt. Basta.



    Zitat

    Eine mitteltönige Stimmung heutzutage zu bauen, ist interessant, aber steht einem eigenen Stil entgegen.


    Wieso?



    Zitat

    Wenn in Göteburg eine fiktive Barockorgel in einem kopierten Gehäuse entsteht, so ist das ein sehr interessantes Experiment, aus dem man auch viel für die Restaurationspraxis lernen kann. Mehr aber nicht!


    Wie kommt man auf sowas?


    Zitat

    Ich möchte so etwas nicht in jeder Kirche sehen!



    Ich auch nicht. [SIZE=7]Aber in jeder zweiten schon.[/SIZE] :D


    Zitat

    Denn, wie momo schon ganz richtig sagt:


    Das werden die Globalisierungsbefürworter aber gar nicht gerne hören.
    Nur, was willst Du denn dann hören? Irgendeinen zeitgenössischen Universal-Kompromiss?
    Eintopf ist sicherlich was schönes. Aber jeden Tag? Und jeden Tag derselbe? Und der ist auch noch fade? Och nö.

  • Zitat

    Original von Tresor


    ich kenne die Orgel in St. Eustache nur von CD-Einspielungen. Sie klingt wie eine typisch französische Romantikorgel.


    Lieber Tresor,
    lass das nicht den Geist vom alten Aristide hören! Sie klingt doch eher wie ein Gemisch aus Bordeaux und Coca-Cola.


    Zitat

    Der Disposition nach gibt es Parallelen zu großen Cavaille-Coll Orgeln.


    Die Disposition ist wie die Speisekarte: Nach der Lektüre weiß ich immer noch nicht, wie es schmeckt.


    Zitat

    Als "Universalorgel" würde ich sie nicht bezeichnen. Hier muss man beachten, dass eine große Anzahl an Registern nicht unbedingt bedeutet, dass solch eine Orgel einerseits wie eine romantische Orgel und andererseits wie eine typische Barockorgel klingt.


    Für den Satz bin ich zu dumm. ?(


    Zitat

    Der Raum spielt hier auch eine große Rolle. Barockorgeln können ihre typischen Klangqualitäten sich eher in kleineren Räumen mit wenig Nachhall entfalten.


    Also hat Buxtehude seine Orgelmusik für die Garage komponiert. Oder sich in eine kleine gemütliche Holzkapelle gewünscht. Das erscheint mir doch eher unwahrscheinlich. :rolleyes:
    Die großen Kirchen waren fast alle schon da. Und jetzt erfahren wir, dass die Orgelbauer im Barock dafür untauglich waren? ?(


    Zitat

    Große Romantische Orgeln findet man häufig in großen Räumen, die durch langen Nachhall belastet sind. Die Komponisten der Romantik haben dies jedoch häufig in ihren Kompositionen berücksichtigt. Ein gewisser Nachhall ist hier erwünscht.


    Aha! Also bis 1850 3 Sekunden Nachhall, danach bis 7? :DWas machen nur die armen Organisten mit einer Orgel von 1890 in ihrer kleinen Kirche?


    Zitat

    Die Orgel in St. Eustache kann wegen des großen Raumes nie wie eine typisch prägnante Barockorgel klingen.


    Das verstehe, wer will. Das würde ja bedeuten, dass Barockorgeln in großen Räumen nie wie eine Barockorgel geklungen haben. Jetzt würde ich aber doch gerne wissen, wonach sie dann wirklich geklungen haben. Die Müller-Orgel in Haarlem beispielsweise ist demnach gar keine Barock-Orgel und klingt auch nicht wie eine solche. ?( ?( ?(


    Zitat

    Insofern ist sie keine "Universalorgel".


    Doch, wenn man Hässlichkeit als Maßstab nimmt. :D


    Vielleicht ist hier ein Missverständnis entstanden. Aber man kann große Räume nicht so einfach mit Romantik und kleine mit Barock gleichsetzen. Das auch bei Cavaillé-Coll schon manchmal knapp das Gigantomanische streifende Getöse ist doch nur eine andere Klangfüllung. Was man im 19. und 20. Jh. mit Lautstärke anstrebt, hat der Barock mit den Mitteln des größeren Farbenkontrastes und der Klangfläche erreicht. Laut genug sind die entsprechenden Instrumente aber allemal auch. Schon einmal unter einer originalen Trompeteria gesessen? :faint:

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Mit der gleichen Registrierung jedoch etwa Brahms zu spielen, also darauf käm wahrscheinlich niemand.


    Obwohl: Brahms ging ja vielleicht noch, immerhin hat er sich mit den ollen Kamellen gegen Ende ja beschäftigt. Schöner wäre doch Franck oder Widor. :D :D :D

  • Zitat

    wenn es nicht dem Zeitgeist gemäß ist, eine mitteltönige Orgel zu bauen, dann hätten demzufolge Meister wie Ahrend etwa oder Wegscheider keinen eigenen Stil


    Ich habe die Ahrend-Orgel in Mailand noch nicht gehört, aber die Orgel in St.Johann in Bremen-Oberneuland klingt für mich ganz klar nach Schnitger. Eigener Stil ist für mich etwas anderes! Und Messiaen auf einer Schnitger- bzw. Ahrend-Orgel? Ist nicht euer Ernst! :no:


    Zitat

    Auch Stellwagen arbeitete nach dem Prinzip, die, wenn wertvolle, alte Substanz in ein neues Instrument zu integrieren, bzw. dieses zu erweitern.


    Das ist ja ein völlig anderes Thema! Wenn noch historisches Material vorhanden ist, kann es auch richtig sein, wenn man den Rest entsprechend rekonstruiert. Aber wir reden hier von kompletten Neubauten! Übrigens finde ich, daß Orgeln "gewachsenen" Zustands immer sehr charaktervoll sind - liegt wohl daran, daß sie Stile kombinieren, die es so kaum in einem zweiten Instrument geben kann. Beispiele: Lüneburg St.Johannis und HH St.Petri.


    Zitat

    Wenn Du Dich an Schoofs "Bach-CD" erinnerst, wie wundervoll
    klingen die Register bei den "Canonischen Variationen", die etwa 200 Jahre VOR Bachs Geburt entstanden, also an die dachte Bach ganz gewiss kaum, als er sein Werk konzipierte. Mit der gleichen Registrierung jedoch etwa Brahms zu spielen, also darauf käm wahrscheinlich niemand.


    Das stimmt: Das ist eine tolle Einspielung! Da die Register ja schon zu Bachs Zeiten erklungen sind, spricht aber doch nichts dagegen, daß er sie bei der Komposition im Hinterkopf hatte, oder? Daß man Brahms nicht zufriedenstellend darauf interpretieren kann, ist klar. Das kann man auf einer Schnitger- oder Ahrend-Orgel auch nicht! Nur daß die Orgeln, die vor Brahms gebaut wurden, dafür nichts können: Sie wußten ja nicht, was da noch so alles komponiert werden sollte! Im Gegensatz zu einer Orgel, die heute gebaut wird!



    Zitat

    Ein zeitgenössischer Stil könnte für zeitgenössische Musik genau das richtige sein. Nur existiert die de facto auf dem Orgelsektor bis auf ein paar kleine kümmerliche Orchideen am Wegesrande nicht.


    Da könntest Du Recht haben. Der Unterschied zwischen uns ist, daß Du aufgegeben hast und ich noch hoffe. Nennt mich ruhig naiv! :rolleyes:


    So, und jetzt höre ich mir meine neue CD an:



    :D


    Gruß
    Münti

    2 Mal editiert, zuletzt von Münti ()

  • Zitat

    Original von Münti


    Ich habe die Ahrend-Orgel in Mailand noch nicht gehört, aber die Orgel in St.Johann in Bremen-Oberneuland klingt für mich ganz klar nach Schnitger.


    1. gäbe es Schlimmeres.
    2. ist das vielleicht ein bisschen vorschnell geurteilt. Ahrend disponiert anders, verwendet andere Mensuren und intoniert auch anders. Eine genuine Ahrend-Orgel kann man 100 m gegen den Wind erkennen, und sie klingt deutlich verschieden von einer Schnitger-Orgel. Das soll sie auch, denn Ahrend hat bei seinen Neubauten einen eigenen Stil und will gar nicht kopieren. Nur verleugnet er nicht, wo er herkommt, nämlich aus Norddeutschland, und wo er gelernt hat, nämlich an alten, nicht unbedingt immer norddeutschen Orgeln.




    Zitat

    Eigener Stil ist für mich etwas anderes!


    Das hatte ich befürchtet. :stumm: :D


    Zitat

    Und Messiaen auf einer Schnitger- bzw. Ahrend-Orgel? Ist nicht euer Ernst! :no:


    Vielleicht nicht ganz, aber immer noch besser als auf einer dieser langweiligen... Du weißt schon.



    Zitat

    Das ist ja ein völlig anderes Thema! Wenn noch historisches Material vorhanden ist, kann es auch richtig sein, wenn man den Rest entsprechend rekonstruiert. Aber wir reden hier von kompletten Neubauten! Übrigens finde ich, daß Orgeln "gewachsenen" Zustands immer sehr charaktervoll sind - liegt wohl daran, daß sie Stile kombinieren, die es so kaum in einem zweiten Instrument geben kann. Beispiele: Lüneburg St.Johannis und HH St.Petri.


    Es ist doch eher wurscht, ob gewachsen oder nicht, es kommt schlicht und einfach auf die handwerkliche und künstlerische Qualität an. Eine gute Barockorgel, in die jemand irgendwelche Dachrinnen – ganz gleich, ob fünf oder 200 Jahre nach der Erbauung – hineingestellt hat, wurde dadurch nicht besser. Und leider sind es oftmals Dachrinnen. Was aber, wenn in einer kleinen Barockorgel die einzige Mixtur im 19. Jh. durch eine noch so „schöne“ Gambe ersetzt wurde? Wäre ich der Restaurator, würde die Gambe verlieren. Andere sehen das anders – zum Glück.
    Und in Lüneburg hat sich so sehr viel nicht geändert. Da war Beckerath vor, einer der besten Orgelbauer des 20. Jh., der sich bei Restaurierungen in den Dienst des Instruments gestellt und seinen eigenen Stil außer Acht gelassen hat. Was man mit seiner Petri-Orgel gemacht hat, war für mich nicht nur unverständlich, sondern eine erhebliche Verschlechterung. Ich habe sie vor und nach dem Umbau gehört. Und nach dem Umbau ging ich hinaus und weinte bitterlich. Naja, beinahe. So schlimm war es dann doch nicht. :wacky:




    Zitat

    Das stimmt: Das ist eine tolle Einspielung! Da die Register ja schon zu Bachs Zeiten erklungen sind, spricht aber doch nichts dagegen, daß er sie bei der Komposition im Hinterkopf hatte, oder? Daß man Brahms nicht zufriedenstellend darauf interpretieren kann, ist klar. Das kann man auf einer Schnitger- oder Ahrend-Orgel auch nicht! Nur daß die Orgeln, die vor Brahms gebaut wurden, dafür nichts können: Sie wußten ja nicht, was da noch so alles komponiert werden sollte! Im Gegensatz zu einer Orgel, die heute gebaut wird!


    Auch heutige Orgeln wissen relativ wenig. Sie sollen alle möglichen Fremdsprachen und Dialekte zugleich beherrschen und beherrschen nicht einmal eine einzige Sprache richtig.
    Und dass Bach beim Komponieren eine bestimmte Orgel oder gar bestimmte Register einer Orgel im Hinterkopf hatte, halte ich für eher unwahrscheinlich. Ganz wenige seiner Stücke sind auf eine Orgel oder einen bestimmten Typ hin komponiert, vielmehr gehen die meisten von den mehr oder weniger üblichen Forderungen an „eine“ Orgel seiner Zeit seiner Umgebung aus. Sicher kommen ihm manche Instrumente mehr entgegen als beispielsweise solche von Silbermann, aber im Prinzip geht es darauf – und allemal besser als auf so einer neumodischen Wundertüte.




    Zitat

    Der Unterschied zwischen uns ist, daß Du aufgegeben hast und ich noch hoffe.


    Wieso aufgegeben? Herrn Bares, Herrn Ziegler und all den anderen habe ich immer brav meine Groschen ins Körbchen gelegt. :yes:
    Allerdings weiß ich nicht, was Du unter hoffen verstehst. Über den meisten Emporentüren steht heutzutage doch von Geisterhand geschrieben: „Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.“

  • Das Thema raubt einem den Schlaf, gell? ;)


    Zitat

    denn Ahrend hat bei seinen Neubauten einen eigenen Stil und will gar nicht kopieren. Nur verleugnet er nicht, wo er herkommt, nämlich aus Norddeutschland


    Da gibt es noch andere Orgelbauer, die ihre norddeutsche Herkunft nicht verleugnen, aber trotzdem nicht zu historischen Temperierungen gegriffen haben bzw. greifen. Beispiele sind Rudolph von Beckerath und Christian Lobback. Beide haben sehr schöne Orgeln gebaut.


    Zitat

    Und in Lüneburg hat sich so sehr viel nicht geändert. Da war Beckerath vor, einer der besten Orgelbauer des 20. Jh., der sich bei Restaurierungen in den Dienst des Instruments gestellt und seinen eigenen Stil außer Acht gelassen hat


    Ich meinte bezüglich St.Johannis gar nicht die Arbeit Beckeraths, sondern die Tatsache,daß Matthias Dropa aus der Renaissance-Orgel von Niehoff eine Barockorgel gemacht hatte. Diesen Zustand hatte Beckerath wieder hergestellt, d.h. die inzwischen "eingeflossenen" romantischen Veränderungen von Eduard Meyer und Walcker rückgängig gemacht. Heutzutage würde man wahrscheinlich im allgemeinen Historismuswahn die Orgel auf den Niehoff-Zustand zurückführen, um ein paar Kompositionen von Sweelinck authentisch darstellen zu können!
    Es gibt aber genug Leute, die die Johannis-Orgel als Beckerath-Instrument bezeichnen. Kann ich nicht beurteilen, dazu müßte man tiefer in der Materie stecken. Auf jeden Fall hört sich Reger erstaunlich gut an, wie auf dieser CD zu erleben ist:




    Bei der Orgel in St.Petri HH meinte ich den "gewachsenen Zustand", der durch die Übernahme vieler Walcker-Register durch Beckerath 1955 entstanden ist und der der Orgel ihren unverwechselbaren Charakter gibt. Oder gegeben hat? Ich habe die Orgel nach dem letzten Umbau noch nicht gehört. So schlimm?


    Einen schönen Sonntag wünscht


    Münti :hello:

  • Zitat

    Original von Münti
    Das Thema raubt einem den Schlaf, gell?


    Das schafft nicht einmal das Finanzamt. :D


    Zitat

    Da gibt es noch andere Orgelbauer, die ihre norddeutsche Herkunft nicht verleugnen, aber trotzdem nicht zu historischen Temperierungen gegriffen haben bzw. greifen. Beispiele sind Rudolph von Beckerath und Christian Lobback. Beide haben sehr schöne Orgeln gebaut.


    Deshalb ist Ahrend ja auch noch besser. :D


    Zitat

    Heutzutage würde man wahrscheinlich im allgemeinen Historismuswahn die Orgel auf den Niehoff-Zustand zurückführen, um ein paar Kompositionen von Sweelinck authentisch darstellen zu können!


    Heute würden wohl die Meyer-und-Walcker-Taten einen „gewachsenen Zustand“ rechtfertigen müssen und erhalten bleiben. :wacky:



    Zitat

    So schlimm?


    Nein, es geht so... :rolleyes:

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  • Ich habe gerade einen "Fachartikel" in der TLZ gelesen, ich möchte den Anfang dieses Textes Euch nicht vorenthalten, da er so treffend formuliert ist:


    "Wer Lübeck besucht, besucht auch die Marienkirche mit ihren beiden Orgeln - der Totentanzorgel und der großen Klemper-Orgel mit fünf Manualen bei 101 Registern,..."


    Ohne Kommentar! :hahahaha:

  • Zitat

    "Wer Lübeck besucht, besucht auch die Marienkirche mit ihren beiden Orgeln - der Totentanzorgel und der großen Klemper-Orgel mit fünf Manualen bei 101 Registern,..."


    Womit Lübeck jetzt endlich auch offiziell das ist, was ich schon seit geraumer Zeit vermutete: Ein Mekka für alle Musik-Masochisten und jene die es werden wollen, bzw. müssen !!!! :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    PS: Hätte es nicht richtig "Klemperer-Orgel" heissen müssen ??? :boese2:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear



    PS: Hätte es nicht richtig "Klemperer-Orgel" heissen müssen ??? :boese2:


    Du vertust Dich. Richtig heißt es Klempner-Orgel. :untertauch:

  • ich habe folgendes posting vor vielen tagen an der vorgesehenen stelle gesetzt, und keiner der üblichen verdächtigen hat sich gerührt.
    da ich hier -im elend ;)- einen privatthread quasi als ferienhäuschen habe, probiere ich es nochmals...
    (und danke für die aufmerksamkeit :D )




    wer kennt diese aufnahmen?


    --------------------------------------------------------------------------------
    ich weiß, dass karsten sie kennt, sie kommen auch im orgelforum vor.
    ich stelle meine frage nur hier rein, um meine fähigkeit vür forbildliche phorumsdisziplin zu beweisen.
    also:
    da ich meine aktien rechtzeitig abgestoßen habe, möchte ich den profit in langlebige konsumgüter, d.h. fragwürdige cd-ankäufe investieren.
    aber natürlich nicht unüberlegt.


    welche von den dreien empfiehlst du mir, wenn ich auf die darstellung der vielgestaltigkeit des werkels wert lege?



    oder



    oder


  • Hallo Observator,


    Ja, ich habe alle drei der Conte-Wanamaker-CDs und ich möchte keine missen. Auf allen CDs wird die Klangpracht dieser Orgel gut eingefangen, allerdings würde selbst eine 20-CD-Box wohl nicht ausreichen, um die GESAMTE Orgel in allen klangtechnischen Finessen vorzustellen.


    Ich würde daher einfach deinen privaten Musikvorlieben folgen und überlegen, welches CD-Programm deinen Interessen am ehesten entspricht.


    Die Magic-CD ist allerdings mit 78 Minuten wirklich randvoll Musik bepackt und bietet (zumindest in der Originalausgabe von Dorian, die ich habe) ein sehr umfangreiches, informatives Booklet inclusive der Disposition.


    Ich hoffe, dass das ein wenig hilfreich war.


    Gruß
    Karsten

  • ja, natürlich, vielen dank.
    ich vertrau' euch pfeifen- und saitenbrüdern ja grenzenlos und hab sie schon irgendwo in amerika bestellt. :]


    btw: was würde eigentlich herr hildebrandt zur ruckers-cd von immerseel sagen, wenn er was sagen würde?


    :beatnik:

  • die Kritik an der Lübecker Orgel und an Stender ist sicher zum Teil berechtigt, schiesst aber deutlich über das Ziel hinaus. Ich habe Stender in Lübeck letztes Jahr gehört und es war nicht so schrill und neobarock ohne Bassfundament. Auch der Organist war offensichtlich gut drauf und machte keine nennenswerten Fehler.
    Sein Hang zu Mammutprojekten ist allerdings bekannt.

    Meine Entwicklung verlief vom Musiker zum Anwalt zum Politiker -
    es war ein herrlicher Abstieg.
    Lothar de Maiziere

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