Puccini - Kitschfabrikant oder verkanntes Genie?

  • Zitat Edwin:


    Zitat

    Wenn Du in einer Deiner Kompositionen etwas Bestimmtes durchführst, denkst Du doch wohl nicht: "Hoffentlich muß die Tante Irmi weinen, wenn sie das hört."



    Ja genau, und warum unterstellst du Puccini so etwas?



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Mit Gefühlen oder dem, was der Komponist gerade an Gefühlen empfindet oder ausdrücken will, hat Kitsch m.E. nicht viel zu tun.
    Ein großer Teil der Musik evoziert Emotionen, es ist völlig ausgeschlossen, zu überprüfen, ob die entsprechende Musik als Herzenserguß ihres Schöpfers oder eiskalt kalkuliert entstanden ist. Und es ist auch wurscht, ob Oma bei den Caprifischern immer geweint hat. Gewiß waren das genuine Empfindungen Omas und die Caprifischer ebenso genuiner Kitsch.


    Natürlich kann man darauf hinweisen, dass sowohl Kunst wie Kitsch nicht leicht und eindeutig zu bestimmen sind. Die Schwierigkeit sollte aber nicht als wohlfeile Ausrede dienen, weil man zu faul ist, sich dem Problem zu stellen ;). Auch eine historisch-dynamische Relativierung ist mir ehrlich gesagt etwas zu simpel, auch wenn sie sehr differenziert ausschauen mag.
    (Natürlich ist historisch bedingt, was als Kunst zählt, aber unter den jeweiligen Bedingungen ist es meistens ziemlich klar, hier finde ich jedenfalls die Abgrenzungen zum Kunsthandwerk viel schwieriger)


    Es wurde ja schon gesagt, dass in der Praxis gar nicht wenige Fälle eindeutig sind. Der Arztroman oder das "Gebet einer Jungfrau" sind klarerweise Kitsch, wurden mit dem klassischen Zweck des Kitsches, ein Surrogat für Kunst zu sein, geschaffen und nie anders verstanden. In diesem eher engen Sinne ist Kitsch tatsächlich etwas relativ neues, was es vermutlich vor dem 18. Jhd. nicht gegeben hat, in der Musik vielleicht erst im 19. Jhd.


    Auch was Kunst in Kitschnähe betrifft konzentriert sich die Diskussion doch auf die üblichen Verdächtigen, nämlich einige Musik der Romantik und Spätromantik und hier hauptsächlich die Oper: Kaum einer dürfte je Monteverdis Orfeo, Bachs Brandenburgische, Haydns Quintenquartett oder Schönbergs Streichtrio des Kitsches verdächtigt haben.


    Zu den inneren Merkmalen des Kitsches gehört m.E. außer den abgedroschenen Klischees der prätentiöse Charakter: Die abgenutzten oder anderweitig unangemessenen Mittel entsprechen nicht dem hohen emotionalen, moralischen u.ä. Rang dessen, was vorgeblich dargestellt werden soll. (Standardisierte Handlungen sind höchstens ein schwaches Merkmal, aus den Plots von Madame Bovary oder Anna Karenina könnte man problemlos Kitschromane stricken.)
    Daher halte ich z.B. viele Operetten (wobei ich mich hier nicht wirklich auskenne) für eher unkitschig, denn ihnen fehlt diese Prätention (die besseren besitzen sogar offensichtlich die Dimension der Selbstdistanz und Ironie, die echtem Kitsch fremd ist). Kitschig ist dagegen ein Stück wie das unsägliche "Phantom der Oper". Denn die hier eingesetzten Mittel waren schon bei Puccini am Mindeshaltbarkeitsdatum angelangt.


    Aber dieses Kriterium der abgenutzten, unangemessenen Mittel bringt selbstverständlich die historische Dimension hinein. Ignoriert man die, so kann man zu ungerechten Urteilen kommen. Das wunderbare Stückchen Adornos über Tschaikowskys 5. (das Peter sicher irgendwo parat hat) geht fast in diese Richtung. Man gewinnt hier den Eindruck, TWA werfe Tschaikowsky vor, dass ein gut Teil der Filmmusik des 20. Jhds. so ähnlich klingt. Ob die strittigen Mittel und ihr Einsatz seinerzeit wirklich schon so abgedroschen und zum Klischee erstarrt waren, scheint mir aber nicht so eindeutig.
    Ein noch besseres Beispiel mag Händels "Largo" (Ombra mai fu) sein. Bei diesem schlichten Stück, im urspünglichen Zusammenhang mit ironischem Beiklang (ein Liebeslied an einen Baum...wovon man in der Musik allerdings nicht viel merkt), kann man wohl von Verkitschung in entsprechenden Arrangements und Interpretationen sprechen.


    Puccini kenne ich zu oberflächlich, um seine Kitschnähe beurteilen zu können. Ganz weit weg ist er aber wohl nicht, aber das gilt für nicht so wenige Opern des 19. Jhds....


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Der seriöse Künstler arbeitet meiner Überzeugung nach für sich allein. Ob seine Arbeit beim Publikum Anklang findet, ist gleichgültig. Daß es dem Künstler subjektiv mehr Freude macht, wenn er Anklang findet, also verstanden wird, ist logisch, tut aber nichts zur Sache.


    :hello:


    Dann könnte man aber schon sagen, der Opernkomponist, der für sich allein arbeitet, hat seinen Beruf verfehlt. Zumindest kann ich mir keinen Impresario vorstellen, der deiner Ansicht zustimmen würde, es sei gleichgültig, ob eine Oper beim Publikum Anklang findet.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Liebe Severina,
    nun ist doch gerade Schönberg einer jener Komponisten, die, zumindest in ihren wichtigsten Werken, am allerwenigsten auf das Publikum schielen. Der "Überlebende" ist aus tiefster persönlicher betroffenheit Schönbergs geschrieben, und zwar in einer so klaren Sprache, daß jeder Zuhörer versteht, worum es geht. Schönberg hat seine eigenen Gefühle subjektiv zum Ausdruck gebracht, das Publikum "schwingt mit".


    ------------


    Hallo Theophilus,

    Zitat

    Dann könnte man aber schon sagen, der Opernkomponist, der für sich allein arbeitet, hat seinen Beruf verfehlt.


    Ich wage einmal die Behauptung, daß nur der Opernkomponist, der nicht an den (kurzlebigen) Publikumserfolg denkt, die Chance hat, sich auf lange Zeit durchzusetzen. Andernfalls müßte "Jenufa" im Archiv liegen und "Jonny spielt auf" an jeder Bühne der Welt en suite laufen.


    ------------


    Hallo Liebestraum,

    Zitat

    Ja genau, und warum unterstellst du Puccini so etwas?


    Wenn der Kurzstueckmeister etwas schreibt wie die "Boheme", "Schwester Angelica" und Ähnliches, unterstelle ich auch dem Kurzstueckmeister die Kitschproduktion.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich wage einmal die Behauptung, daß nur der Opernkomponist, der nicht an den (kurzlebigen) Publikumserfolg denkt, die Chance hat, sich auf lange Zeit durchzusetzen. Andernfalls müßte der "Tristan" im Archiv liegen und "Jonny spielt auf" an jeder Bühne der Welt en suite laufen.


    Du argumentierst mit Ausnahmen, und das ist nicht zulässig! ;)


    Ich glaube nicht, dass du mehr als ein Dutzend Opern zusammenbringen wirst, wo der Komponist mehr oder weniger eine Idee ohne Rücksicht auf ein Publikum verwirklicht hat und die dennoch ein großer Publikumserfolg wurden. Der Großteil des Repertoires sind jedoch Werke, die mit großem logistischen Aufwand für den Opernbetrieb geschaffen wurden, und deren Rahmenbedingungen exakt auf ein anvisiertes Ziel ausgerichtet waren. Dass dann die tatsächliche Realisierung gar nicht so selten sehr professionell und auch hohen Ansprüchen gerecht werdend erfolgte, widerspricht dem grundsätzlich nicht (schließlich kommt ja auch aus Hollywood bei aller kommerziellen Ausrichtung gelegentlich ein richtig guter Film).


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Kann man Kitsch nicht als das verstehen, was wir als über die Maßen
    unnatürlich empfinden? Z.B. ein rosa Kuscheltier mit bunten Streifen etc?


    Ich sage bewußt empfinden, denn auch so manche Naturerscheinung - wie ein rosa-violetter Himmel - kann uns kitschig vorkommen. Wäre er ständig rosa-violett wäre vermutlich ein blauer Himmer kitschig. Es ist also diese Ungewohnheit, diese in manchen Fällen scheinbare Unnatürlichkeit - die sich vielleicht eher als seltene Natürlichkeit entpuppt.


    In die musikalische Welt übersetzt, wäre es dann Musik, dessen "emotionaler Gehalt" in keinem "normalen" Verhältnis steht zu unserem alltäglichen emotionalen Empfinden. Musik, die "zu dick aufgetragen" wirkt....


    Ein Komponist, der unter dem Einfluss des 11. 09. ein Werk schreibt, das wir als groben Kitsch bezeichnen, wird von solchen, die dem Ereignis unmittelbar ausgesetzt waren, vielleicht ganz anders aufgenommen.
    Der Vergleich ist vielleicht etwas holperig, soll aber nur meiner These dienen, daß Kitsch vermutlich ein relativer Begriff ist, der von einer Mehrheit getragen, von einer Minderheit als solcher aber gar nicht empfundne wird.


    :hello:

  • Zitat Edwin:


    Zitat

    Was mich bei Puccini stört, ist die Austauschbarkeit der Gefühle: Alle Personen singen in der entsprechenden Situation absolut die gleichen Chiffren.



    Lieber Edwin,


    da muss ich schon wieder Wagner ins Rennen führen, bei dem ist das doch ähnlich: "Tristan" (Liebesduett 2. Aufzug), "Siegfried" (Liebesduett 3. Aufzug). Sicherlich nicht der gleiche Text (bei Puccini aber auch nicht), aber eine ähnliche emotionale Szenerie.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Hallo Edwin,
    es mag ja sein, daß Schönberg "Ein Überlebender aus Warschau"aus vollem Herzen und innerer Überzeügung geschrieben hat, aber 1.ist es kein Stück, das Erfolg hatte, 2. enthält es wenig Musik und hat 3.eine andere Zielsetzung als die Opern Puccinis.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich mag Diskussionen über den Wert und Unwert von Meisterwerken nicht besonders. Ob Wagner bedeutender ist als Verdi oder Puccini interessiert mich nicht. Von Interesse ist für mich vor allem die Interpretation des von diesen Komponisten vorgegebenen Rahmens.


    Für mich persönlich steht allerdings fest, dass Puccinis großartige Opern kein Kitsch sind. Ich kenne trotzdem nicht wenige Menschen, die seine Musik als kitschig empfinden – meinetwegen, ich mag ja auch nicht alles, was denen gefällt. Nicht akzeptieren kann ich aber, wenn jemand die These, Puccini sei Kitsch, für allgemein verbindlich erklärt. Ich meine Edwin und zuletzt wohl auch Johannes Roehl in diesem Sinne verstanden zu haben.



    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Wenn ein Komponist etwas schreibt sozusagen aus sich selbst heraus, also nur das zu Papier bringt, was ihm zu dieser Stelle einfällt, ist es in der Regel kein Kitsch. Wenn aber der Komponist dasitzt und überlegt, wie mache ich es denn, daß das Publikum weint, ist das Resultat Kitsch. Kitsch wird meiner Meinung nach also aus der Absicht geboren, beim Rezipienten ein bestimmtes Gefühl zu wecken.


    Ich fasse zusammen: Was Kitsch ist und was nicht, lässt sich objektiv feststellen. Kitsch liegt vor, wenn der Schöpfer mit seinem Werk gezielt bestimmte Emotionen beim Rezipienten wecken will. Kunst liegt vor, wenn der Schöpfer ehrlich empfindet und das Werk als Spiegel seiner Emotionen um seiner selbst willen schafft. Edwin, wenn ich das falsch verstanden habe, bitte korrigieren!


    Deine These erinnert mich an etwas: In seiner Schrift "Deutsche Kunst und deutsche Politik" (1867) stellt Richard Wagner die Behauptung auf, deutsch sei, "eine Sache um ihrer selbst Willen [zu] treiben". Abwandlung von Edwin Baumgartner: Künstler sein heißt, ein Werk um seiner selbst Willen zu schaffen. Tucholsky hat Wagners Zitat verfremdet in: Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu übertreiben. In diesem Sinne scheint mir deine These, so ich sie richtig wiedergegeben habe, genauso "deutsch" wie übertrieben.


    Wollte man dieser These folgen, scheinen mir ganze Werkgattungen diskreditiert, nämlich zum Beispiel die der komischen Oper oder die der Komödie. Auch wer das Publikum zum Lachen bringen will, zielt auf ein bestimmtes Gefühl, nämlich Heiterkeit ab. Warum etwas, das Spaß machen soll, schon deshalb keine Kunst sein kann, will mir nicht einleuchten. Mich erinnert das an diese wohl nur im deutschen Sprachraum bekannte sonderbare Trennung von E-Musik und U-Musik, die ich auch nie verstanden habe. Mir fällt dazu immer ein Sprichwort ein: Ernst ist die Kunst, heiter das Leben (oder war’s umgekehrt?). :P


    Bei dir feiert das Ideal der in ihrem Elfenbeinturm abgeschotteten Künstlerseele Wiederauferstehung. Dass Kunst im Sinne der "l’art pour l’art" sich selbst genügt, mag des einen oder anderen Idealvorstellung sein, meine ist es nicht. Wenn ich Musik höre, möchte ich, dass mir die Musik gefällt. Deshalb wünsche ich auch, dass sich ein Künstler darum bemüht, dass mir sein Werk zusagt und kann darin nichts Verwerfliches erkennen. Selbst wenn Puccini bei jeder einzelnen Note, die er komponiert hat, bestimmte Emotionen des Rezipienten kalkuliert haben sollte (was im Übrigen eine bloße Unterstellung geblieben ist), halte ich das für völlig legitim. Die Frage ist für mich, wie für Syrinx, der dies schon zum Anfang der Diskussion eingebracht hat, eher, ob der Versuch Emotionen zu wecken, "gut gemacht" ist oder nicht. Wenn ich durch Musik Freude, Rührung, Betroffenheit empfinde, ist es mir herzlich egal, was sich der Komponist dabei gedacht hat. Dies wird sich auch nur in den seltensten Fällen ermitteln lassen. Kunst liegt also jedenfalls meines Erachtens auch dann vor, wenn der Versuch, Emotionen zu wecken, gelingt. Kitsch ist, wenn dieser Versuch misslingt oder offenkundig wird. Daher erscheint mir die Frage, was Kitsch ist und was nicht, von der Betrachtungsweise des Rezipienten abzuhängen. Das gestehst du, falls ich das richtig verstanden habe, selbst ein:



    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Wenn ein Künstler sich um die Wirkung seiner Kunst bewußt ist, ist das nicht gleichbedeutend mit der Absicht, eine bestimmte Wirkung hervorzurufen. Immerhin hat Mann ja den Kitsch durch seine stilistische Meisterschaft umgangen: Hier sind wir eben bei der Kunst der Wortwahl: Die scheinbar kitschige Szene wird durch die stilistische Behandlung zu Kunst.


    Hier differenzierst du zwischen Absicht und Willentlichkeit und damit fällt deine Argumentation endgültig auseinander: Wenn es einem Künstler darauf ankommt, Emotionen zu wecken, ist das per se Kitsch. Wenn ein Künstler nur weiß, dass sein Werk wahrscheinlich Emotionen auslösen wird, kommt es darauf an, ob es stilistisch gut gemacht ist oder nicht. Das ist, mit Verlaub, ziemlich abwegig.


    :hello:

  • Hallo Herbert,
    bevor Du über den "Überlebenden" sprichst, bitte tu' Dir und uns den Gefallen, Dich mit dem Werk auseinanderzusetzen, sonst müßte ich Deine Eintragung so zerpflücken, daß es sicherlich böses Blut machen würde. Kurz: Es stimmt nicht ein Wort davon.


    ------------


    Hallo Zauberton,

    Zitat

    Hier differenzierst du zwischen Absicht und Willentlichkeit und damit fällt deine Argumentation endgültig auseinander: Wenn es einem Künstler darauf ankommt, Emotionen zu wecken, ist das per se Kitsch. Wenn ein Künstler nur weiß, dass sein Werk wahrscheinlich Emotionen auslösen wird, kommt es darauf an, ob es stilistisch gut gemacht ist oder nicht


    Nicht ansatzweise korrekt interpretiert, aber wenn ich es nochmals schreibe, langweile ich alle mit Wiederholungen. ;)


    -------------


    Hallo Liebestraum,
    wenn Du behauptest, daß der "Tristan" und der 3. Akt "Siegfried" die gleichen klanglichen Chiffren enthalten, kann ich leider nicht weiterdiskutieren, denn dann behauptest Du etwas, was mir so völlig unverständlich ist, daß ich mich in Dein Argument nicht hineindenken kann.


    :hello:

    ...

  • 8o 8o 8o
    Ich lese Herberts Kommentar über den "Überlebenden" erst jetzt...
    Kein Stück Musik?!? - Ich war sowas von Baff, als ich ih das erste mal hörte, was für wahnsinnig gehaltvolle Musik Schönberg mit Zwölftontechnik zaubert...
    Ich fand die kleineren Kalvierstücke von Schönberg immer etwas nichtssagend, aber der Überlebende ist GRANDIOS!!!


    Tschuldigung...nichts für ungut...! Puccini damit zuv ergelichen ist aber vielleicht wirklich etwas unpassend - es sind doch zwei sehr unterscheidliche Genres, oder?


    LG
    Rpahael

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Zauberton,


    Nicht ansatzweise korrekt interpretiert, aber wenn ich es nochmals schreibe, langweile ich alle mit Wiederholungen. ;)


    Hallo Edwin,


    ich muss meinen Beitrag korrigieren. Ich wollte schreiben: differenzierst du zwischen Absicht und Wissentlichkeit.


    Ich habe eben alle deine Beiträge (auch die in Rotschrift) in diesem Thread noch einmal gelesen und kann, was selbstverständlich an mir liegen kann, nichts zu dieser Frage finden. Nett wäre es, wenn du (nur mir) noch einmal schreibst, worauf du Bezug nimmst. Im Sinne aller kann das dann ja nachher von einem Moderator gelöscht werden.


    Danke für die Geduld. :hello:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Natürlich kann man darauf hinweisen, dass sowohl Kunst wie Kitsch nicht leicht und eindeutig zu bestimmen sind. Die Schwierigkeit sollte aber nicht als wohlfeile Ausrede dienen, weil man zu faul ist, sich dem Problem zu stellen ;). Auch eine historisch-dynamische Relativierung ist mir ehrlich gesagt etwas zu simpel, auch wenn sie sehr differenziert ausschauen mag.
    (Natürlich ist historisch bedingt, was als Kunst zählt, aber unter den jeweiligen Bedingungen ist es meistens ziemlich klar, hier finde ich jedenfalls die Abgrenzungen zum Kunsthandwerk viel schwieriger)



    Nun, da fühle ich mich u.a. angesprochen :D. Ob "unter den jeweiligen Bedingungen meistens ziemlich klar ist, was als Kunst zählt", lassen wir mal dahingestellt (Gegenbeispiele gibt es viele, je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht).


    Aber zum Kitsch: Es handelt sich nunmal um einen pejorativen Begriff, der eine bestimmte Geschichte durchgemacht hat - eine Geschichte der Abgrenzungen. Abgrenzung der bürgerlichen Hochkultur von bestimmten Formen der "Trivialkunst", Abgrenzung der Avantgarden des 20. Jahrhunderts von bestimmten "bürgerlichen" Kunstformen, Abgrenzung der Antisemiten vom "jüdischen Kitsch" (was auch immer sie darunter verstanden haben - z.B. Mahler), Abgrenzung eines bestimmten "Geschmacks" (noch so ein Begriff) gegenüber der "Geschmacklosigkeit" usw. Es konnte nicht ausbleiben, dass in den letzten 40 Jahren der Kitschbegriff auch eine "positive" Karriere durchgemacht hat (am deutlichsten in der bildenden Kunst, aber auch in der Literatur). Man entgeht dem begriffsgeschichtlichen Dilemma nicht, indem man immer neue normative Setzungen bringt (die sich dann, wie bei Edwins rührendem Bild vom Künstler, der dem Publikum den Rücken zudreht, als die ganz alten entpuppen). Wie stark gerade der Kitschbegriff mit bestimmten weltanschaulichen Prägungen verbunden ist, zeigen die sehr unterschiedlichen Karrieren, die Mahler, Tschaikowsky und Puccini in dieser Hinsicht durchgemacht haben.


    Klar wird man immer Dinge finden, auf die der Kitschbegriff (wie bei anderen der Kunstbegriff) konsensual angewendet werden kann (Caprifischer, Ärzteromane). Das Kriterium des weitgehenden Konsenses ist immerhin ein brauchbares. Leider ist im Gegensatz zu "Kunst" der Konsens beim "Kitsch" jenseits der Caprifischer doch recht schnell erschöpft, wie sich in diesem Thread eindrucksvoll zeigt


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Edwin.


    wenn ich Tristan II und Siegfried III höre, höre ich Liebes-Schmachten im Wagner-Sound...


    Und wenn ich "Butterfly" II und "Turandot" II höre, dann höre ich Liebes-Schmachten im Puccini-Sound.


    Weder Wagner noch Puccini produzierten Kitsch!



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • [quote]Original von Edwin Baumgartner
    Liebe Severina,
    nun ist doch gerade Schönberg einer jener Komponisten, die, zumindest in ihren wichtigsten Werken, am allerwenigsten auf das Publikum schielen. Der "Überlebende" ist aus tiefster persönlicher betroffenheit Schönbergs geschrieben, und zwar in einer so klaren Sprache, daß jeder Zuhörer versteht, worum es geht. Schönberg hat seine eigenen Gefühle subjektiv zum Ausdruck gebracht, das Publikum "schwingt mit".


    ------------


    Hallo Edwin,
    da ich nicht auf Schönbergs Schoß gesessen bin beim Komponieren, kann ich natürlich auch nicht wissen, was genau in ihm vorgegangen ist, aber eines kann ich mir nicht vorstellen: Dass es ihm nämlich NUR darum gegangen ist, seine persönliche Erschütterung über die Gräuel der NS-Zeit quasi als Art Psychotherapie beim Komponieren aufzuarbeiten, ohne die Absicht, diese Erschütterung auch in seinem Gegenüber(nämlich dem Publikum) zu evozieren (oder auch nur zu teilen). Wenn dem nämlich so wäre, würde man ein derart intimes Zeugnis eines Selbstreinigungsprozesses wohl wirklich in der Schublade lassen, denn dann käme eine Aufführung doch einer seelischen Bloßstellung gleich (So als ob man sein Tagebuch veröffentlichen würde). Vielleicht ist das in deinen Augen ja ein riesiger Blödsinn, was ich da schreibe, aber ich empfinde es eben so.
    Auf das "Publikum schielen" impliziert billige Anbiederung, das unterstelle ich Schönberg ebenso wenig wie Puccini. (Bevor jetzt dein Aufschrei kommt: Bei aller Liebe zu Puccini (die gar nicht soooo groß ist) würde ich eine "Boheme" nie in einem Atemzug mir dem "Überlebenden aus Warschau" nennen!)
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Nun, da fühle ich mich u.a. angesprochen :D. Ob "unter den jeweiligen Bedingungen meistens ziemlich klar ist, was als Kunst zählt", lassen wir mal dahingestellt (Gegenbeispiele gibt es viele, je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht).


    Aber nicht zum Kitsch. Was wären denn für Dich Beispiele? Eine Tragödie von Aischylos ist Kunst, wurde auch damals so aufgefaßt. Mit (bildender) Kunst in religiösem oder kultischem Zusammenhang habe ich auch kein Problem. Manchmal mag die Abgrenzung zum Kunsthandwerk nicht einfach sein. Und natürlich kann man sich auf strittige Fälle kaprizieren. Aber das sie überwiegen, halte ich doch für etwas überzogen.


    Zitat


    Aber zum Kitsch: Es handelt sich nunmal um einen pejorativen Begriff, der eine bestimmte Geschichte durchgemacht hat - eine Geschichte der Abgrenzungen.


    omnis determinatio est negatio. Begriffe dienen nunmal zum Abgrenzen :D
    Mein Punkt ist nur, dass solche Abgrenzungen nicht ad hoc und willkürlich sind, sondern außer den äußerlichen sozialen und historischen Bedingungen einen Kern in der Sache, über die geurteilt wird, haben. Es sind nunmal nicht beliebige Werke potentiell als Kitsch abqualifizierbar, sondern nur manche. Gewiß können manche solcher Abqualifizierungen aus reflektierter Perspektive unangemessen scheinen. Aber z.B. bei Adornos Polemik gegen den 2. Satz von Tschaikowskys 5. ist ziemlich genau nachvollziehbar, an welchen Aspekte der Musik Anstoß genommen wird und es ist kein Zufall, dass der 2. Satz von Brahms' 2. nicht solcher Polemik ausgesetzt war.


    Zitat


    Abgrenzung der bürgerlichen Hochkultur von bestimmten Formen der "Trivialkunst", Abgrenzung der Avantgarden des 20. Jahrhunderts von bestimmten "bürgerlichen" Kunstformen, Abgrenzung der Antisemiten vom "jüdischen Kitsch" (was auch immer sie darunter verstanden haben - z.B. Mahler), Abgrenzung eines bestimmten "Geschmacks" (noch so ein Begriff) gegenüber der "Geschmacklosigkeit" usw. Es konnte nicht ausbleiben, dass in den letzten 40 Jahren der Kitschbegriff auch eine "positive" Karriere durchgemacht hat (am deutlichsten in der bildenden Kunst, aber auch in der Literatur).


    Ich weiß nicht so genau, was Du meinst. Meinst Du, dass Kitsch "salonfähig" geworden ist, oder dass sich Kulturwissenschaftler mit Kitsch vergangener Zeiten befassen? Letzteres ist eh klar, die befassen sich mit allem, was sich nicht wehren kann :D und das ist ja auch o.k. Im ersten Fall kann Kitsch natürlich salonfähig werden, aber dennoch Kitsch bleiben. Er wird dann ggf. "ironisch" rezipiert (was ich allerdings oft für eine Ausrede halte) oder was auch immer.


    Zitat


    Wie stark gerade der Kitschbegriff mit bestimmten weltanschaulichen Prägungen verbunden ist, zeigen die sehr unterschiedlichen Karrieren, die Mahler, Tschaikowsky und Puccini in dieser Hinsicht durchgemacht haben.


    Inwiefern? Natürlich schwankt die Bewertung je nach Hintergrund des Bewerters. Aber zum einen ist es wieder eine recht kleine Handvoll üblicher Verdächtiger, die von Anfang an im Kitschverdacht stand, auch wenn sie zwischenzeitlich davon freigesprochen werden. Brahms und Hindemith sind nicht dabei. Zum andern ist das wie gesagt weder ein Alleinstellungsmerkmal von "Kitsch" noch eine Entschuldigung dafür gar nicht erst zu versuchen, einen systematischen Kern des Begriffs und Gemeinsamkeiten des angeblich Kitschigen herauszuarbeiten.
    Wenn nun Haydn, Beethoven, Mendelssohn Bellini, Grieg, Brahms, Puccini, Debussy und Schönberg ungefähr gleichhäufig dem Kitschvorwurf ausgesetzt gewesen wären, würde ich vielleicht auch stutzig. Das ist aber offenbar nicht der Fall.


    Zitat


    Leider ist im Gegensatz zu "Kunst" der Konsens beim "Kitsch" jenseits der Caprifischer doch recht schnell erschöpft, wie sich in diesem Thread eindrucksvoll zeigt


    Ich finde im Gegenteil eher erstaunlich, wie eng der Bereich der üblichen Kitschkandidaten in der Musik begrenzt ist!
    Der Konsens ist außerdem keineswegs das Kriterium, sondern er dient nur der Verdeutlichung und Heuristik. Sehen muß man dann, auf welchen impliziten und oft verschwommenen Kriterien der Konsens basiert.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von severina
    da ich nicht auf Schönbergs Schoß gesessen bin beim Komponieren, kann ich natürlich auch nicht wissen, was genau in ihm vorgegangen ist, aber eines kann ich mir nicht vorstellen: Dass es ihm nämlich NUR darum gegangen ist, seine persönliche Erschütterung über die Gräuel der NS-Zeit quasi als Art Psychotherapie beim Komponieren aufzuarbeiten, ohne die Absicht, diese Erschütterung auch in seinem Gegenüber(nämlich dem Publikum) zu evozieren (oder auch nur zu teilen). Wenn dem nämlich so wäre, würde man ein derart intimes Zeugnis eines Selbstreinigungsprozesses wohl wirklich in der Schublade lassen, denn dann käme eine Aufführung doch einer seelischen Bloßstellung gleich (So als ob man sein Tagebuch veröffentlichen würde).


    Wieder einal möchte ich hier Edwin beistehen. Denn Schönberg gehört tatsächlich zu denjenigen, denen am allerwenigsten an der Kommunikation mit der breiten Masse gelegen war - das ist einer der gewichtigsten Punkte im Clash zwischen alter und neuer Schule. Schönberg dachte in den Kategorien des l'art pour l'art: "Denn wenn es Kunst ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie keine Kunst".


    Und über den Kitsch:


    "Gegen den Vorwurf der Sentimentalität gibt es keine Verteidigung. Das trifft so sicher wie das Wort Kitsch. Jeder, dem eigentlich nur der Kitsch gefällt, ist dadurch in der Lage, hinterrücks dem Ernstesten und Bedeutendsten, dem der sich am heftigsten abwendet vom Gefälligen, das ja das wahre Wesen des Kitschigen ausmacht, einen Stoß zu geben, der ihn herabsetzt und auch der inneren Sicherheit beraubt."


    (aus: A. Schönberg, Stil und Gedanke. Frankfurt 1976, S. 65, 98 )


    Puccini hingegen hat anders als Schönberg konkret auf den Effekt hin gearbeitet (siehe Briefwechsel), hat sozusagen strategisch komponiert und auch eine Libretti dementsprechend modifiziert. Man denke an die Erfindung der Liù in Turandot, die auf Puccini zurückgeht. Im Gozzi-Original gibt es sie nicht, und auch Adami und Simoni hatten ursprünglich keine Liù im Programm.

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  • Liebe Severina,
    jetzt könnte man lange darüber diskutieren, ob das Schaffen eines Künstlers nicht tatsächlich eine Form der Selbsttherapie ist, die er anderen mitteilen will.
    Ich bin allerdings tatsächlich der Ansicht, daß Schönberg den "Überlebenden" geschrieben hat, ohne die Wirkung auf das Publikum zu berechnen.
    Ich komme zu diesem Schluß aus folgendem Gründen:
    - Der "Überlebende" ist ein extrem kurzes Stück, ich schätze ihn jetzt einmal aus dem Gedächtnis auf rund sieben Minuten. Trotz dieser Kürze verlangt das Werk volles Orchester, Männerchor und einen Solisten, ist also aufführungstechnisch unpraktikabel. Derartiges macht man nicht, wenn man eine Breitenwirkung anstrebt.
    - Der "Überlebende" ist in strenger Zwölftontechnik komponiert, also einem auch heute noch sperrig empfundenen Idiom (Herbert etwa nimmt es offenbar nicht einmal als Musik wahr); Schönberg hätte, hätte er eine Breitenwirkung angestrebt, ohne weiteres eine einfachere Sprache wählen können, wie er es etwa im "Kol nidre" gemacht hat.
    - Da Schönberg nicht einmal die Breitenwirkung angestrebt hat, scheint es mir relativ unwahrscheinlich, daß er für einen eingeschränkten Hörerkreis ein schwer aufführbares Werk komponiert, dieses aber primär unter dem Aspekt, die Emotionen des Publikums manipulieren zu wollen.
    Meiner Meinung nach ist der "Überlebende" ein Werk, dessen extreme Emotionalität sich auf das Publikum überträgt, nicht ein Werk, das als Tränendrüsendrücker kalkuliert ist.


    ----------------------


    Hallo Liebestraum,
    wenn Du den Dritten Akt "Siegfried" als Schmachten im tristan'schen Sinn empfindest, stimmt wahrscheinlich an Deiner "Ring"-Aufnahme etwas nicht. Denn allein die dramatische Grundkonstellation ist völlig anders: "Tristan" ist eine Intensivierung der Sehnsucht, "Siegfried" eine Intensivierung der Leidenschaft. Nicht einmal die Reduktion auf "unerfüllte Liebe" bringt's, da die "Siegfried"-Liebe ja nicht unerfüllt ist, sondern lediglich verschiedene Stadien der Bewußtwerdung durchläuft. Und wenn man's auf "Liebe" reduziert, hat "Romeo und Julia" akkurat dieselbe Handlung wie Kleists "Penthesilea".


    Bei dem Satz "Dennoch ist Puccini kein Kitsch" ist natürlich ein "meiner Meinung nach" mitzudenken, denn meiner Meinung nach ist Puccini ebenso Kitsch wie Lehár, den er bezeichnender Weise mit der Komplettierung der "Turandot" beauftragen wollte. "Lippen schweigen, 's flüstern Lauten: Hab' Dich lieb..."


    -----------------------


    Hallo Zauberton,
    ich will also noch einmal einen Versuch starten, vielleicht mit konkreten Beispielen, um die Sache nicht zu einer trockenen Abhandlung zu machen.


    Nehmen wir eine archetypische Situation der Kunst: Die Liebesszene.


    Wenn ein Autor A, der sich nie um die Wirkung seiner Werke gekümmert hat, für sich im stillen Kämmerlein eine Liebesszene schreibt, die er nur an seinem eigenen Anspruch mißt, kann daraus zweifellos Kitsch entstehen, wenn es ein schlechter Autor ist. Wenn man aber von einem guten Autor ausgeht, der im Vollbesitz seiner Fähigkeiten ist, wird im besten Fall daraus Kunst entstehen.
    Hier sind die Chancen auf ein Kunstwerk meiner Meinung nach intakt.


    Ein Autor B ist ein großer Künstler, der um seine künstlerische Kraft weiß. Ihm ist klar, daß er ein Wortmagier ist. Er gestaltet seine Liebesszene im Wissen um die Magie seines Wortes mit höchster Virtuosität und seinem Gefühl für Stil. Er konzipiert die Szene, wie er sie für sein Werk braucht, und erfüllt das Konzept dann mit seinen Worten. Wenn es ein weiterer Erfolg wird, wird sich's der Autor nicht nehmen lassen, auf der Champagner-Party mit jeder Frau zu flirten, wie das so seine Art ist.
    Hier sind die Chancen auf ein Kunstwerk meiner Meinung nach ebenfalls intakt. Der Schaffensprozeß ist nämlich auch hier nicht korrumpiert durch Überlegungen, wie das Werk am besten publikumsgerecht gemacht wird.


    Ein Autor C sitzt vor einem Blatt Papier und überlegt: Wie mache ich es, daß ich Erfolg habe? Wie sagte doch mein Lektor neulich, was sich der Leser von einer Liebesszene erwartet? Mal sehen, wie hab ich das in "Heiße Küsse am Wolgastrand" doch gleich gemacht? Immerhin eineinhalb Millionen Auflage. Und massenhaft Briefe, wie schön die Liebesszenen sind. Ah ja, da haben wir's: "Anjuschkas Lippen bogen sich denen Valerijs entgegen. ,Küß mich', jauchzte sie. ,Du bist mein Stern', jubelte er." Na, ist doch gar nicht übel. Also schreibe ich in "Glühende Küsse am Donauufer": "Marias Lippen schwollen denen Peters entgegen. ,Einen Kuß', jubelte sie. ,Du bist meine Sonne' jauchzte er." Na, wenn das dem Publikum nicht gefällt... Irgendwo muß ich jetzt noch den Sonnenuntergang einbauen, das liest jeder gern.
    Hier sind die Chancen auf ein Kunstwerk meiner Meinung nach nicht intakt. Der Schaffensprozeß ist korrumpiert sowohl durch das Anstreben des Erfolgs als auch durch das Einbeziehen des Publikumsgeschmacks wie auch obendrei die Schablonisierung der einmal als erfolgreich wahrgenommenen Chiffren.


    Um nun wieder auf die Musik zu kommen: In meinem Empfinden entsprechen dem Autor A Komponisten wie Bruckner, Mussorgskij, Janácek, Ives, Scelsi, Xenakis, Nono etc.
    Dem Autor B entsprechen Komponisten wie Wagner, Strawinskij, Boulez, Stockhausen, etc.
    Dem Autor C entsprechen Komponisten wie Puccini, Strauss nach "Elektra", der späte Penderecki, der späte Henze etc.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Aber nicht zum Kitsch. Was wären denn für Dich Beispiele? Eine Tragödie von Aischylos ist Kunst, wurde auch damals so aufgefaßt. Mit (bildender) Kunst in religiösem oder kultischem Zusammenhang habe ich auch kein Problem. Manchmal mag die Abgrenzung zum Kunsthandwerk nicht einfach sein. Und natürlich kann man sich auf strittige Fälle kaprizieren. Aber das sie überwiegen, halte ich doch für etwas überzogen.


    Immerhin tendiert ein nicht unerheblicher Teil des Faches Kunstgeschichte dazu, das Fach in einer "Bildwissenschaft" aufgehen zu lassen. Das beginnt bei einem von Dir angesprochenen Bereich - das einflussreichste Buch der mittelalterlichen Kunstgeschichte der letzten 20 Jahre war Hans Beltings "Bild und Kult" mit dem sprechenden Untertitel: "Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst". Die Einbeziehung eindeutig "nichtkünstlerischer" Bilder (z.B. Konstruktionszeichnungen, Landkarten, Röntgenbilder etc. etc.) haben zudem den Blick dafür geschärft, dass man sich mit einer Beschränkung auf "Kunst" zahlreiche Erkenntnismöglichkeiten verstellt.


    Mit dem Kitschbegriff hat die Kunstgeschichte ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden z.B. die sog. Salonmalerei und die historistische Architektur des 19. Jh. als Kitsch bezeichnet. Von dieser speziellen Anwendung von "Kitsch" als Kampfbegriff der Moderne des 20. Jahrhunderts ist man inzwischen weit abgerückt.



    Zitat

    omnis determinatio est negatio. Begriffe dienen nunmal zum Abgrenzen :D
    Mein Punkt ist nur, dass solche Abgrenzungen nicht ad hoc und willkürlich sind, sondern außer den äußerlichen sozialen und historischen Bedingungen einen Kern in der Sache, über die geurteilt wird, haben. Es sind nunmal nicht beliebige Werke potentiell als Kitsch abqualifizierbar, sondern nur manche. Gewiß können manche solcher Abqualifizierungen aus reflektierter Perspektive unangemessen scheinen. Aber z.B. bei Adornos Polemik gegen den 2. Satz von Tschaikowskys 5. ist ziemlich genau nachvollziehbar, an welchen Aspekte der Musik Anstoß genommen wird und es ist kein Zufall, dass der 2. Satz von Brahms' 2. nicht solcher Polemik ausgesetzt war.


    Steht nicht in Einsteins "Größe in der Musik" das Bonmot, dass Schubert nie sentimental sei, Brahms aber sehr oft? Das ist schon ziemlich nah am Kitschvorwurf (den man bestimmten Brahms-Sätzen ohne weiteres machen könnte).


    Der Kitschbegriff ist fast immer mit Ressentiments verbunden, um das Wort "Abgrenzung" mal etwas zu schärfen. Bei Adorno (den ich sehr schätze) ist es eine felsenfeste Überzeugung von der Überlegenheit der deutsch-österreichischen Musiktradition (die er bekanntlich mit Schönberg teilte). Selbst ausgebildete "Adorniten" wie G.R. Koch haben zugegeben, dass die Ausfälle des Meisters gegen Tschaikowsky, Sibelius & Co ebenso wie die schulterklopfend gönnerhafte Anerkennung Janaceks einem entsprechend festgefügtem Weltbild entsprangen.


    Manchmal entspringt der Kitschvorwurf auch (gerade bei Tschaikowsky oder auch Mahler) dem Zurückschrecken vor dem emotionalen Exhibitionismus, den beide Komponisten gelegentlich vorführen (auch wenn Adorno das für Mahler natürlich nicht gelten ließ). Man kann dieses Zurückschrecken aber genauso als (spieß-)bürgerliche Attitüde erkennen, die Maßstäbe des "guten Benehmens" unzulässigerweise in den Bereich der Musik übertragen will.


    Bei Mahler funktionierte der Kitschvorwurf (weit über 1945 hinaus) so gut, weil die die diesem Vorwurf inhärenten sozialen Ressentiments (gegen die Integration sozial niedrig stehender Musik) und die Ressentiments gegen "jüdischen Kitsch" (das "Unechte", die angeblichen Gefühle aus zweiter Hand) sich hervorragend ergänzten.



    Zitat

    Ich weiß nicht so genau, was Du meinst. Meinst Du, dass Kitsch "salonfähig" geworden ist, oder dass sich Kulturwissenschaftler mit Kitsch vergangener Zeiten befassen? Letzteres ist eh klar, die befassen sich mit allem, was sich nicht wehren kann :D und das ist ja auch o.k. Im ersten Fall kann Kitsch natürlich salonfähig werden, aber dennoch Kitsch bleiben. Er wird dann ggf. "ironisch" rezipiert (was ich allerdings oft für eine Ausrede halte) oder was auch immer.


    Die Pop Art und ihre diversen Nachfolger haben u.a. die Verwandlung von Kitsch zu Kunst zum Programm gemacht. Für einen nicht unbeträchtlichen Teil der heutigen Kunstszene und der aktuellen Kunsttheorie ist die althergebrachte Unterscheidung von "Hoch" und "Niedrig", die ja letztlich der Differenzierung von Kunst und Kitsch zugrundeliegt, obsolet geworden. Dass man heute noch einen Komponisten abwerten kann, indem man ihn mit "Filmmusik" (huch! hilfe!! womöglich noch aus Hollywood!!! amerikanisch!!!!) vergleicht, ist wohl eher eine Erscheinung der etwas betulichen Klassikszene.


    Gerade die Verwendung von Stereotypen jeglicher Art in bestimmten Formen der italienischen Oper des 19. Jh. (Belcanto, früher Verdi) hat ja auch wieder zu einem vermehrten intellektuellen Interesse an dieser Musik geführt.


    Bezüglich "kulturwissenschaftlicher" Bestrebungen: Gerade hier ist es keine Erscheinung der letzten Jahrzehnte, sondern spätestens eine mit Aby Warburg (also seit ca. 1900) erfolgte Bestrebung, die Grenzen zwischen "high and low" niederzureißen und (wie in Warburgs Mnemosyne-Atlas) Bilder aus allen Bereichen (Kunst, Populärkultur, Reklame etc.) zusammenzustellen, um ihre Wirkung zu dokumentieren und zu historisieren.



    Zitat

    Inwiefern? Natürlich schwankt die Bewertung je nach Hintergrund des Bewerters. Aber zum einen ist es wieder eine recht kleine Handvoll üblicher Verdächtiger, die von Anfang an im Kitschverdacht stand, auch wenn sie zwischenzeitlich davon freigesprochen werden. Brahms und Hindemith sind nicht dabei. Zum andern ist das wie gesagt weder ein Alleinstellungsmerkmal von "Kitsch" noch eine Entschuldigung dafür gar nicht erst zu versuchen, einen systematischen Kern des Begriffs und Gemeinsamkeiten des angeblich Kitschigen herauszuarbeiten.
    Wenn nun Haydn, Beethoven, Mendelssohn Bellini, Grieg, Brahms, Puccini, Debussy und Schönberg ungefähr gleichhäufig dem Kitschvorwurf ausgesetzt gewesen wären, würde ich vielleicht auch stutzig. Das ist aber offenbar nicht der Fall.


    Es ist ein typisches Merkmal der Begrenztheit des Kitschbegriffs, dass man ihn fast nie auf Phänomene angewandt hat, die zeitlich vor der Entstehung des Begriffs in der zweiten Hälfte des 19. Jh. liegen. Er eignet sich also kaum zur Entwicklung überzeitlicher Begrifflichkeit (ganz im Gegensatz zu "Kunst"). Insofern wird man natürlich kaum Belege für eine Anwendung des Begriffs auf Haydn, Beethoven oder gregorianische Choräle finden. Allerdings fällt mir ein, dass Thomas Bernhard (der Schriftsteller, nicht der Moderator :D) Mozarts da-Ponte-Opern mal als "Unterröckchenkitsch" o.ä. bezeichnet hat...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Edwin schrieb
    jetzt könnte man lange darüber diskutieren, ob das Schaffen eines Künstlers nicht tatsächlich eine Form der Selbsttherapie ist, die er anderen mitteilen will.


    Zumindest am Beispiel von Thomas Mann drängt sich der Gedanke auf. Ich zitiere mal hoffentlich halbwegs korrekt aus dem Gedächtnis seinen fantastischen Biographen (Leben und Werk) Kurzke, der in seinem Buch schreibt:


    "Auch eine Neurose ist ein kostbares Stück Seele - vor Missbrauch wird gewarnt"


    Gruß
    Sascha

  • [quote]Original von Edwin Baumgartner
    Liebe Severina,
    jetzt könnte man lange darüber diskutieren, ob das Schaffen eines Künstlers nicht tatsächlich eine Form der Selbsttherapie ist, die er anderen mitteilen will. Ich bin allerdings tatsächlich der Ansicht, daß Schönberg den "Überlebenden" geschrieben hat, ohne die Wirkung auf das Publikum zu berechnen.
    Ich komme zu diesem Schluß aus folgendem Gründen:
    - Der "Überlebende" ist ein extrem kurzes Stück, ich schätze ihn jetzt einmal aus dem Gedächtnis auf rund sieben Minuten. Trotz dieser Kürze verlangt das Werk volles Orchester, Männerchor und einen Solisten, ist also aufführungstechnisch unpraktikabel. Derartiges macht man nicht, wenn man eine Breitenwirkung anstrebt.
    - Der "Überlebende" ist in strenger Zwölftontechnik komponiert, also einem auch heute noch sperrig empfundenen Idiom (Herbert etwa nimmt es offenbar nicht einmal als Musik wahr); Schönberg hätte, hätte er eine Breitenwirkung angestrebt, ohne weiteres eine einfachere Sprache wählen können, wie er es etwa im "Kol nidre" gemacht hat.
    - Da Schönberg nicht einmal die Breitenwirkung angestrebt hat, scheint es mir relativ unwahrscheinlich, daß er für einen eingeschränkten Hörerkreis ein schwer aufführbares Werk komponiert, dieses aber primär unter dem Aspekt, die Emotionen des Publikums manipulieren zu wollen.
    Meiner Meinung nach ist der "Überlebende" ein Werk, dessen extreme Emotionalität sich auf das Publikum überträgt, nicht ein Werk, das als Tränendrüsendrücker kalkuliert ist.


    ----------------------
    OK, Edwin, du verstehst sicher mehr von Schönberg als ich und daher glaube ich dir, dass es sich so verhält, nur: Ich habe nie behauptet, dass Schönberg sein Werk "als Tränendrüsendrücker kalkuliert" hätte, denn das ist wieder genau dieser negative Grundton, der mich bei deiner Argumentation stört: Dass das Publikum prinzipiell zu doof ist, wahre Kunst zu erkennen, also speist man es am besten mit billigem Kitsch ab, davon profitieren beide Seiten (Das ist jetzt sehr überspitzt und bewusst polemisch formuliert!) Was ich meintei ist, dass Schönberg natürlich kein oberflächliches, wohliges Gruseln, sondern "echte" Erschütterung erzeugen wollte - aber ich glaube dir wie gesagt, dass ich mich hier irre.
    Nun aber zu deinem Eingangssatz, wo ich dir voll und ganz zustimme, besonders in der Literatur gibt es zahlreiche Beispiele dafür, ich nenne hier stellvertretend nur Goethe oder Kafka. Aber bisher schien mir, dass du gerade den zweiten Teil dieses Satzes "den er anderen mitteilen will", in Frage gestellt hättest, denn bisher tönte es aus deiner Ecke doch eher so,als sei das Kunstwerk reiner Selbstzweck, auf keinerlei Außenwirkung hin ausgerichtet. "Ich komponiere (schreibe, male) nur für mich, und ob's jemandem gefällt ist mir egal!" Und mit Verlaub, genau das kann ich mir nun gar nicht vorstellen. Der Mensch ist doch beinahe darauf programmiert "zu gefallen", jeder sucht doch Anerkennung, sowohl für seine Person als auch für die Früchte seiner Tätigkeit (egal, ob das jetzt ein reparierter Wasserhahn oder ein Kunstwerk ist) Und ausgerechnet ein Künstler, der sich doch oft durch besondere Sensibilität vom "Normalsterblichen" unterscheidet, sollte von dieser allzu menschlichen Regung frei sein??? Dem wäre es egal, ob seine Absichten verstanden werden? Du gestattest, dass ich da meine Zweifel anmelde!
    lg Severina :hello:

  • Hallo Edwin,

    Zitat

    Wenn ein Autor A, der sich nie um die Wirkung seiner Werke gekümmert hat, für sich im stillen Kämmerlein eine Liebesszene schreibt, die er nur an seinem eigenen Anspruch mißt, kann daraus zweifellos Kitsch entstehen, wenn es ein schlechter Autor ist. Wenn man aber von einem guten Autor ausgeht, der im Vollbesitz seiner Fähigkeiten ist, wird im besten Fall daraus Kunst entstehen. Hier sind die Chancen auf ein Kunstwerk meiner Meinung nach intakt. Ein Autor B ist ein großer Künstler, der um seine künstlerische Kraft weiß. Ihm ist klar, daß er ein Wortmagier ist. Er gestaltet seine Liebesszene im Wissen um die Magie seines Wortes mit höchster Virtuosität und seinem Gefühl für Stil. Er konzipiert die Szene, wie er sie für sein Werk braucht, und erfüllt das Konzept dann mit seinen Worten. Wenn es ein weiterer Erfolg wird, wird sich's der Autor nicht nehmen lassen, auf der Champagner-Party mit jeder Frau zu flirten, wie das so seine Art ist. Hier sind die Chancen auf ein Kunstwerk meiner Meinung nach ebenfalls intakt. Der Schaffensprozeß ist nämlich auch hier nicht korrumpiert durch Überlegungen, wie das Werk am besten publikumsgerecht gemacht wird. Ein Autor C sitzt vor einem Blatt Papier und überlegt: Wie mache ich es, daß ich Erfolg habe? Wie sagte doch mein Lektor neulich, was sich der Leser von einer Liebesszene erwartet? Mal sehen, wie hab ich das in "Heiße Küsse am Wolgastrand" doch gleich gemacht? Immerhin eineinhalb Millionen Auflage. Und massenhaft Briefe, wie schön die Liebesszenen sind. Ah ja, da haben wir's: "Anjuschkas Lippen bogen sich denen Valerijs entgegen. ,Küß mich', jauchzte sie. ,Du bist mein Stern', jubelte er." Na, ist doch gar nicht übel. Also schreibe ich in "Glühende Küsse am Donauufer": "Marias Lippen schwollen denen Peters entgegen. ,Einen Kuß', jubelte sie. ,Du bist meine Sonne' jauchzte er." Na, wenn das dem Publikum nicht gefällt... Irgendwo muß ich jetzt noch den Sonnenuntergang einbauen, das liest jeder gern. Hier sind die Chancen auf ein Kunstwerk meiner Meinung nach nicht intakt. Der Schaffensprozeß ist korrumpiert sowohl durch das Anstreben des Erfolgs als auch durch das Einbeziehen des Publikumsgeschmacks wie auch obendrei die Schablonisierung der einmal als erfolgreich wahrgenommenen Chiffren. Um nun wieder auf die Musik zu kommen: In meinem Empfinden entsprechen dem Autor A Komponisten wie Bruckner, Mussorgskij, Janácek, Ives, Scelsi, Xenakis, Nono etc. Dem Autor B entsprechen Komponisten wie Wagner, Strawinskij, Boulez, Stockhausen, etc. Dem Autor C entsprechen Komponisten wie Puccini, Strauss nach "Elektra", der späte Penderecki, der späte Henze etc.



    Du beschreibst in C, bestenfalls die Arbeitsweise eines (schlechten) Film oder Schlagerkomponisten und tust den genannten Komponisten damit nun wirklich Unrecht. Wenn Puccini so gearbeitet hätte, würde jede seiner Opern gleich klingen und er hätte auch keine unverwechselbare eigene Tonsprache geschaffen. Puccini war soweit ich weiss nach den ersten grossen Opernerfolgen auch finanziell gut abgesichert, und hat nun wirklich bis zum letzten Atemzug an seiner Turandot gerungen, dass passt wohl nicht ganz zur Arbeitsweise C.
    Ansonsten scheint es mir, dass Deine Argumentation davon ausgeht, dass Strauss und Puccini für Dich Kitsch ist und Du jetzt nachträglich eine theoretische Begründung dafür suchst. Im Prinzip sollte sich aber doch der Kitschbegriff am Hören der Werke orientieren.
    Puccini und Strauss sind aus meiner Sicht teilweise nah dran am Kitsch , was auch daraus resultieren mag, dass ihre musikalische Ästethik nicht denen der damals zeitgenössischen Musik entsprach. Trotzdem ist ein Rosenkavalier kompositorisch so extrem gut gemacht, so eigenständig in seiner Tonsprache, so komplex in seiner Partitur, dass ich es dann doch nicht in diese Ecke stellen kann. (Das Gleiche gilt auch für Puccini, aber bei Strauss finde ich dann fast noch extremer)
    Ob Du die Grenze zum Kitsch übertreten findest, mag an Deinen eigenen Grenzwerten für Pathos und Gefühl liegen, aber den Komponisten Strauss und Puccini eine quasi stümperhafte Arbeitsweise vorzuwerfen und daraus abzuleiten, dass es Kitsch ist, geht nicht in Ordnung.
    Der musikalische Geschmack von Puccini und Strauss, hat sich zum grossen Teil mit dem musikalischen Geschmack einer grossen MAsse von Hörern gedeckt, aber das heisst ja nicht notwendiger Weise, dass dieser MAssengeschmack auch angepeilt wurde.
    Übrigens wenn wir schon von Schönberg reden, wie sieht es dann mit "verklärte Nacht" und vor allen Dingen den Gurreliedern für Dich aus ?


    Beste Grüsse :hello:


    Syrinx

  • Um nochmals konkret auf den Fall Puccini zurückzukommen: Niemand, der sich ernsthaft mit Leben und Schaffen Puccinis beschäftigt hat, kann verneinen, daß Puccini gezielt auf Effekt und Massenwirkung geschrieben hat.


    23. 10. 1919:
    Lieber Adami!
    (...) Und pressen Sie sich Hirn und Herz aus, um für mich etwas zu schaffen, das die Welt weinen machen soll. Man sagt, Sentimentalität sei ein Zeichen von Schwäche. Aber ich finde es so schön, schwach zu sein!


    (aus: Adami, Giuseppe: Puccini, ein Musikerleben. Berlin o.A., S. 207)


    Ob es sich bei einer solchen Zielsetzung auch um Kitsch handelt, ist eine andere Frage.


    :hello:
    M.

  • Hallo,


    wenn Puccini ein Kitschfabrikant war, dann war Toscanini ein Kitschdirigent. De Sabata, Barbirolli, F.Busch, Beecham und auch Serafin oder Karajan haben sich mitschuldig gemacht, weil sie den Kitsch auf der ganzen Welt verbreitet haben.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Edwin,


    vielen Dank für deine anschaulichen Erläuterungen. Ich will dir deine Meinung gar nicht absprechen. Trotzdem verstehe ich nicht ganz, wie du


    1.) zu wissen glaubst, was sich bestimmte Komponisten bei ihrem Schöpfungsprozess gedacht haben. Das mag im Fall von Puccini in einigen Briefen (die ich bis auf den eben von Mengelberg zitierten Ausschnitt nicht kenne) dokumentiert sein, aber das ist meines Erachtens nicht ausreichend, um sein Gesamtwerk pauschal als nicht ehrlich empfunden abzuqualifizieren. Ich gehe übrigens nicht davon aus, dass du im Einzelnen über die Tagebücher oder Korrespondenz von Henze, Strauss oder dem Erfinder des Gartenzwergs verfügst, sondern diesbezüglich nur spekulierst.


    2.) aus dem Schöpfungsprozess auf die Qualität des Werkes schließen kannst. Deine Ansicht, dass bei dem zielgerichteten Willen, dem Publikum zu gefallen, keine Kunst entstehen kann, kann ich akzeptieren, einleuchten will mir das aber nicht. Zugestanden ist, dass das Schielen auf den Publikumsgeschmack von keiner besonderen künstlerischen Aufrichtigkeit zeugt. Möglicherweise beweist es auch, dass der Komponist seinen eigenen Erfolg wichtiger nimmt als das Werk. Aber die so entstandene Komposition von Anfang an zu verdammen, scheint mir eine Vorverurteilung zu sein, bei der das Ergebnis gar nicht abgewartet und nicht für sich genommen gewürdigt wird.


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ein Autor C sitzt vor einem Blatt Papier und überlegt: Wie mache ich es, daß ich Erfolg habe? Wie sagte doch mein Lektor neulich, was sich der Leser von einer Liebesszene erwartet? Mal sehen, wie hab ich das in "Heiße Küsse am Wolgastrand" doch gleich gemacht? Immerhin eineinhalb Millionen Auflage. Und massenhaft Briefe, wie schön die Liebesszenen sind. Ah ja, da haben wir's: "Anjuschkas Lippen bogen sich denen Valerijs entgegen. ,Küß mich', jauchzte sie. ,Du bist mein Stern', jubelte er." Na, ist doch gar nicht übel. Also schreibe ich in "Glühende Küsse am Donauufer": "Marias Lippen schwollen denen Peters entgegen. ,Einen Kuß', jubelte sie. ,Du bist meine Sonne' jauchzte er." Na, wenn das dem Publikum nicht gefällt... Irgendwo muß ich jetzt noch den Sonnenuntergang einbauen, das liest jeder gern.


    Die Geschichte von Anjuschka hast du übrigens nicht deshalb geschrieben, damit hier alle Forianer und die mitlesende Tante Mitzi in Tränen ausbrechen, sondern um einen Kitsch-Autor zu persiflieren. Dass derselbe Text mal deshalb Kitsch ist, weil er von seinem Autor ernst gemeint ist, mal aber nicht, weil er als Parodie gedacht war und damit nicht gezielt Gefühle des Lesers ansprechen sollte, finde ich doch etwas widersprüchlich.


    :hello:

  • Ich finde, dass Mutmaßungen über die Entstehung eines Werkes, nicht zu Beurteilung desselben herangezogen werden. Völlig egal ob A., B. oder C. (überhaupt Strauss ab Elektra? Kann man denn nicht gerade Elektra böswillig als den Versuch deuten, den auch finanziellen Erfolg der Salome zu wiederholen?). Zur Beurteilung sollte m.E. das Werk allein stehen. Es ist dasselbe, wie Dirigate danach zu beurteilen, ob gewisse Dirigenten Posen aufgesetzt sind und andere dagegen wahrhaftig. Oder besser gesagt seine Abneigung damit zu begründen. Einzig das Hören sollte entscheiden. (Ich glaube eh, dass Blindhören bei uns allen zu einigen großen Überraschungen führen würde)


    Ich finde es im übrigen in keiner Weise diskreditierend, wenn sich ein Komponist über die Wirkung auf den Zuschauer Gedanken macht – gerade bei Bühnenwerken. Läßt Wagner nicht immer wieder die ganze Geschichte im Ring wiedererzählen, damit es auch der letzte Zuschauer kapiert?


    Man kann Werke kitschig finden oder auch nicht, ich glaube da hat jeder seine eigene Skala. Je mehr Sentimentalität im Spiel ist desto größer wird wohl die Menge der Personen deren Kitschschwelle überschritten ist.

    Without deviation from the norm, progress is not possible.
    (Frank Zappa)

  • Zitat

    Original von calaf
    Man kann Werke kitschig finden oder auch nicht, ich glaube da hat jeder seine eigene Skala. Je mehr Sentimentalität im Spiel ist desto größer wird wohl die Menge der Personen deren Kitschschwelle überschritten ist.


    Ich möchte nicht wissen, wieviele von uns schon mal mit einer neuen Liebe bei Kerzenschein (wahlweise Sonnenuntergang), italienischen (oder sonstigen) Schnulzen und dgl. mehr vor Wonne zerflossen sind. Und wieviele - pardon - Rotz und Wasser geheult haben, weil sie verlassen wurden. Ist das nun Kitsch? und ist es Kitsch, dies auf die Bühne zu bringen?


    :hello:


    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

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