Hallo Edwin,
ZitatOriginal von Edwin Baumgartner
Hallo Herbert,
Du verstehst mich falsch: Wenn ein Künstler nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten und Normen etwas schafft, das vom Rezipienten übersteigert emotional aufgenommen wird, ist das keineswegs Kitsch. Nur, wenn beim Künstler die Absicht besteht, beim Rezipienten eine bestimmte emotionale Reaktion auszulösen, ist es Kitsch. Fairy Queen versteht mich ganz genau, wenn sie das "Manipulation der Gefühle des Rezipienten" nennt.
Der Alpenland-Familienroman ist also Kitsch, Thomas Manns "Buddenrooks" hingegen nicht.
Ich gestehe, mich mit dem Thema sehr schwer zu tun. Sicherlich ist die Bauchentscheidung klar: Der Drei-Groschenroman"Stethoskop der Leidenschaft" ist so selbstverständlich Kitsch, wie "Die Buddenbrooks" Kunst sind. Bezüglich des Vorwurfs hinsichtlich der gezielten Erweckung von Emotionen sehe ich aber auch Probleme. Ich glaube schon zu verstehen, was damit gemeint ist, auch mit dem "Manipulationsvorwurf", dennoch bleibt es für mich als Definition unbefriedigend.
Bleiben wir bei den Buddenbrooks und nehmen den Tod des kleinen Hanno. Die Art, wie Thomas Mann das Kapitel einleitet, ist für mich eine der ganz großen Literaturstellen. Wenn da nämlich ganz plötzlich aus heiterem Himmel, nachdem wir nun mit dem kleinen Hanno so gelitten haben und sich schließlich etwas Licht am Horizont andeutete, betont sachlich über den üblichen Verlauf einer Krankheit geschrieben wird. Ganz ähnlich steht es mit Hans Castorp, den wir eben noch auf dem Zauberberg, nun aber mitten im Schlamm des ersten Weltkrieges wiederfinden. Es fällt mir schwer zu glauben, dass Thomas Mann die gewaltigen Emotionen, welche diese Stellen auslösen können, nicht kalkuliert haben soll.
Vielleicht kann man sich aus meiner Sicht hier eher vom Kitsch abgrenzen, wenn man feststellt, dass die Sterbeszenen untrennbar mit den tieferen Botschaften der Geschichte verknüpft werden, während sie im Drei-Groschenroman Selbstzweck - bzw. der eigentliche Zweck des Werkes - sind. Die kalkulierte Emotion ist also durchaus Teil des Kunstwerkes, aber nicht die raison d´être (wie im Drei-Groschen-Roman). Hannos Tod ist ebenso wie Castrops Schicksal symbolisch nur die konsequente Fortführung der gesellschaftlichen Analyse, welche die Romane vornehmen. Darüberhinaus ist natürlich auch die "handwerkliche" Finesse in Manns Sterbeszenen unglaublich. Das Sterben in seinen Romanen ja ein Thema für sich, man nehme z.B. nur Rahel im "Joseph" oder auch "Joachim" im Zauberberg, sowie alle 5 Sterbeszenen der Buddenbrooks...
Gruß
Sascha