Was ist dran an Karajan? - Versuch einer Analyse

  • Hallo Felipe,


    Beginnen wir mit den vielgelästerten Karajan-Aufnahmen der Beethoven Sinfonien.


    Die berühmeste war hier mit Sicherheit Karajans 1. Stero-Aufnahme entstanden 1960/62
    Bei Ihrem Erscheinen wurde sie mit Jubel begrüßt, als die ultimative Aufnahme.
    In der Tat gag es etliches was zu bejubeln war: Ein weltberühmter Dirigent nimmt zum ersten mal de Gesament Zyklus der Beethoben Sinfonien in STEREO auf. Stereo war damals das Wunderwort.
    Stereo-Deutsche Grammophone-Karajan-Berliner Philharmoniker - Das waren bereits 4 Wunderworte. Mit einem Satz : Die Aufnahme war ein Reisenerfolg, galt als ultimative Aufnahme schlechthin. Karaan bedanklt sich in einem Brief an Frau Prof.Elsa Schiller,( damals bei DGG für die Produktion verantwortlich) und lobte auch die Tontechnik. (Verantwortlicher Toningenieur war damal Günte Herrmanns - Karajan blieb ihm bis ans Lebensende treu - alle 3 Versionen der Beethoven-Sinfonien wurden von ihm tontechnisch betreut)


    Ich kann mich nicht erinneren, daß in jener Zeit irgend eine Aufnahme auch nur annähernd so berühmt war wie jene Karajan , weder die von Klemperer noch die von Bernstein.
    Von zeitgemäß, von entschlackt war da die Rede.


    Mit einem Wort: Für viele war Karajans Aufnahme das Maß aller Dinge.
    Ende der siebziger Jahre entschloß sich der Maestro die Aufnahme zu wiederholen, er wollte die Vorteile der besseren Tontechnik nutzen.
    Die Aufnahmen rauschen geringfügig weniger, aber irgendwir klang Routinme durch- das Aussergewöhnilche war weg.
    Ob das nun der fehlende Überrraschungseffekt war ?- Ich weiß es nicht.
    Jedenfalls liebte ich meine erste Aufnahme mehr.( In Wien munkelte man noch dazu, daß entgegen allen Jubelrufen, die Akustik der Berliner Philharmonie eher mittelmäßig sei, und dies auch Konsequenzen für die Klanggüte habe.... :stumm: )


    Die Dritte Einspielung war in der Form eine Enttäuschung, daß der Ton irgendwie synthetischer und vermischter klang, weniger analytisch.
    Auch interpretationsmäßig hatte sich dass Karajan-Erfolgsmodell ein wenig abgenutzt. Es war wie ein neuer Aufguß (selbstverständlich auf höchstem Niveau)


    Karajans Einspielungen sind elitär und dem Schönklang verpflichtet, kaum aber je dick und aufgeblasen.


    Spätere Einspielungen (Norrington/Harnoncourt/Zinman) folgten anderen Klangidealen, sodaß viele heute die Karajanaufnahmen als "antiquiert" ablehnen.
    Jedoch speziell die Aufnahme aus den frühen 60ern gilt, trotz vorhandenem Bandrauschen als Meilenstein in der Interpetationsgeschichte der Beethoven-Sinfoniern und sollte zumindestens teilweise (soll heißen einzelne Sinfonien) in jeder Sammlung vorhanden sein.


    Deutsche Grammophon hat sich auch bezeichnendrweise für den ersten Zyklus entschlossen, als es galt Beethoven-Sinfonien unter Karajan als SACD zu veröffentlichen....


    Es ist allerding an dieser Stelle zu sagen, daß junge Leute oft sehr empfindlich gegen Bandrauschen sind, weil sie die hohen frequenzen noch extrem gut hören. Die Empfindlichket ist hier individuell sehr verschieden..


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred ,


    was macht ein Bandrauschen etc. angesichts der interpretatorischen Bedeutung des frühen Karajan ??? Das mit dem Gehör stimmt neurophysilogisch ( Sie hatten in Wien mit Prof. Auerswald einen exzellenten Physiolgen ! ) , aber wir "hören" doch auch durch Verbindungen in unserem Gehirn mit dem Herzen und analytischen verstand !


    Ich konnte Karajan in der erstenHälfte der 1960er Jahren als Gymnasiast mehrfach live mit Beethoven-Symphonoien hören : Unvergesslich bis heute . Und die Entscheidung der DG bzgl. der "neuen Technik" war auch richtig .


    Einen schönen Abend nach Wien !
    Frank :] :] :] :] :] :]

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Hallo,
    ich mach's kurz und knapp - die besten Karajan-Aufnahmen, die ich kenne, sind:


    Holst - The planets (BPO, nicht die ältere WPO-Aufnahme)
    Schostakovich - 10. - BPO (kenne nur die digitale Aufnahme)
    Bruckner - 7. - WPO
    Mahler - 9. - BPO
    Schoenberg - Verklärte Nacht, Palleas und Melisande - BPO
    Tschaijkovski - Ballett-Suiten - WPO

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Zitat

    Original von achim.cremerius
    Mahler - 9. - BPO


    Welche?


    Karajan hat Mahlers 9. zweimal aufgenommen, einmal als Studioaufnahme und als Live-Mitschnitt von den Berliner Festwochen 1982.


    Ich nehme mal an, daß Du die Live-Aufnahme meinst,denn sie schlägt die "Studio-Konkurrenz" um Längen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Frank Georg Bechyna schrieb:


    Zitat

    was macht ein Bandrauschen etc. angesichts der interpretatorischen Bedeutung des frühen Karajan ???


    Das ist an sich völlig richtig -
    Ich erinnere mich aber genau, daß ich das in meiner Jugend anders sah.


    Heute empfinde ich das Bandrauschen als eher unbedeutend.
    Ob sich das jedoch daraus ergibt, daß das Hörvermögen für hohen Frequenzen sich ab ca 20 stetig vermindert, oder weil das Rauschen generell vermindert wurde (Nur Bandrauschen, kein zusätzliches Nadelrauschen, zudem keine erhöhung des Rauschens beim Master, weil digiale Kopien das Rauschen nicht addieren) weiß ich nicht.


    Da ich immer wieder, speziell von jüngeren Leuten höre "Das rauscht ja", weise ich darauf hin, daß analogaufnahmen aus ca 1960 einen gewissen (IMO marginalen) Rauschpegel aufweisen.


    Aber auf den Ausnahmestatus der Karajan-Beethoven Einspielung weise ich gern immer wieder hin.


    Natürlich gibt es auch andere hochinteressante Aufnahmen von Karajan.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Achim ,
    eigentlich kann mich nicht mehr viel überraschen . Aber Deine Zusammenstellung und Dein Ranking der besten Karajan -Aufnahmen hat schon etwas Faszinierendes . Leider fehlt eine Kurzbegründung !
    Also ich bin einfach weg -ich gestehe es . Kein Beethoven , kein Sibelius , kein Brahms oder Tschaikowsky !
    Mit dien Aufnahmen könntest Du , wenn Du dies kurz begründest , selbst den guten Norman Lebrecht faszinieren !
    Besten Dank
    FRAnk

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Das ist einfach erklärt.
    Ich erinnere mich, daß Achim mal seine Weg zur Klassik beschrieben hat,
    und dort seinen speziellen Geschmack erklärt hat.


    Er schrieb ja nicht, "die beste existierenden Karajan-Aufnahmen"
    sondern, die "Besten die ich kenne"


    Beste Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred ,
    das habe ich genauso auch verstanden . Trottzdem und gerade deswegen bleibt seine Zusammenstellung grossartig !
    Herzlich
    FRank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Bei Bruckner Nr. 7 mit den Wiener Philharmonikern uneingeschänkte Zustimmung.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Ich muss gleich mal voranschicken das ich alles andere als ein Karajan-Freund bin, eigentlich ganz im Gegenteil. Liegt wahrscheinlich daran das ich zu sehr in eine "wissenschaftlich" fundierte Musik-Interpretation hineingelehrt wurde. Er hatte gute Gründe dafür das er seine Interpretationen so anlegte wie er es getan hat, aber mir liegt diese Ansicht überhaupt nicht, oder nur bei gewissen Werken und Komponisten. Wenn jemand eine Beethoven-Symphonie mit demselben Streicherapparat wie eine solche von Mahler spielen lässt so kann ich dies einfach nicht verstehen. Ich verstehe ehrlich gesagt wirklich nicht warum er, statt Celibidache, den Chefposten des, damals bereits, besten Orchesters der Welt bekommen hat. Aber wie gesagt, vielleicht ibn ich zu jung für die Erkenntnis.


    Das einzige was ich an ihm bewundere ist seine großartige Selbstvermarktung und sein Einfluss auf die Weiterentwicklung der Aufnahmetechnik, musikalisch kann und konnte ich ihm nie etwas abgewinnen.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Michael,


    Endlich mal eine gute Diskussionsgrundlage.


    Vorausschicken möchte ich, daß ich, obwohl es hier so aussehen mag, kein Karajanianer sondern Ein Böhmianer bin.


    Weil ihn in meiner Zeit alle so verherrlichten war er mir ein wenig suspekt, zudem war mir auch Böhms Beethoven lieber.


    Karajan war sicher eine gute Wahl auch Furtwängler, das hat sich ja bestätigt. Mehrheitlich wir Karajan ja auch noch heute als DER Maestro angesehen, die Deutsche Grammophon Gesellschaft wird das vermutlich geren bestätigen :D


    Karajan hat natürlich die Musik für die Menschen seiner Zeit gemacht. Er war ein harte Arbeiter und verbissener Probierer. Er war sehr teuer und sehr gut. Seine Aufführungen galten als perfekt.
    Es ist ein Irrglaube, einstige Dirigenten haten die Risse und Brüche in diversen Partituren nicht gesehen .
    Natürlich hatte man sie gesehen - Aber der Zugang war ein anderer.
    Wenn der Komponist eben rauh und ungeschickt instrumentiert, bzw komponiert hat, dann, so war die allgemeine Ansicht, müsse ein guter Dirigent dies eben geschickt kaschieren, damit es schön klingt.
    Und darin (und nicht nur darin) war Karajan ein Künstler. Er traf genau den Nerv der Zeit . Auf einem Probenmitschnitt hörte ich Karajan ans Orchester gewandt sagen: "Geben sie Ihr bestes - Die Leute haben eine Meng Geld dafür ausgegeben." Nie wäre Karajan auf die Idee gekommen sein Publikum zu verstören oder zu belehren, etwas das heut ja durchaus üblich ist.
    Karajan wollte elitäre Musik für ein elitäres Publikum - Das ist einer der Punkte die man ihm heute (versteckt) vorwirft.


    Warum nicht Karajan nach Furwängler ? Er war so anders, so modern.
    Schlanker im Klang, gemessen an Furtwängler fast sportiv, dabei recht durchsichtig. Die neue Stereotechnik, der gegenüber Karajan sehr aufgeschlossen war, tat ein Übriges.


    Karajan war übrigens nicht, wie vermutet , mediengeil und auch kein Salonlöwe. Er wurde beides erst, als er erkannte, daß gesellschaftliche Kontakte bzw die Medien gute Instrumente zur Durchsetzung seiner künstlerischen Wünsche waren. Und da verstand er keinen Spaß.


    Deine Vorurteile gegen Karajan mögen möglicherweise daher stammen, weil Dir immer wieder seine Schwächen (nicht aber seine Stärken) gesagt wurden. Die Ursache mag darin liegen, daß viele, die ihm zu Lebzeiten nicht ankonnten, alte Rechnungen nach seinem Tod beglichen haben wollen....



    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hi Alfred


    Ich bin weder Karajaner noch Böhmianer noch irgendein anderer -ianer sondern bin im moment auf der Suche nach meinem eigenen Weg, daher hab ich im Moment an jedem Dirigenten viel auszusetzen :D. Was mich einfach am meisten an ihm stört ist sein Hang zur Überromantisierung. Mag schon sein das dies für die Menschen seiner Zeit in Ordnung war, aber aus meiner Sicht sind einfach andere Dirigenten seiner Zeit ( z.B. Celibidache für den ja jeder einzelne Ton perfekt sein musste ) bessere "Musiker" gewesen. Wenn man sich nur die Intonationsfehler auf einigen seiner STUDIO(!!!)-Aufnahmen anhört stellen sich bei mir alle Nackenhaare auf.

  • Intonationsfehler hätte Karajan sicher nicht durchgehen lassen --
    Aber natürlich hatte ei eine Schallplattenfirma im Rücken -
    und das meine ich jetzt nicht positiv :D


    Wenns beim 4 Mal noch immer nicht klappt, sagt der Produzent:
    "Das schneiden wir dann Herr von Karajan - so daß es garantiert niemand hört -Ehrenwort"


    Der romantisierende Stil wurde damal als "normal" betrachtet, wobei gerade Karajan einst immer eine gewsse Kühle vorgeworfen wurde.


    Ich versehe sehr gut, daß Du derzeit mit niemandem zufrieden bist. Aber das Ergebnis ist ja nicht nur allein vom Dirigenten bestimmt - Auch das Orchester hat ein Eigenleben.
    Sollte es Dir je bestimmt sein Die Wiener zu dirigieren, dann errinnere Dich meiner Worte: Wenn Du sie gegen ihren Willen zu etwas zwingst, dann spielen sie GEGEN Dich. :D


    Celi, ich schätze sein Münchner Aufnahmen sehr, ist ja noch viel romantischer als Karajan. IUnterssant ist, daß er Zeit seines Leben nie ein echtes Spitzenorchester anvertraut bekam.


    Beste Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Naja, Celi hat halt dafür die Münchner zu einem Spitzenorchester geformt, ausserdem hatte er Interimsmäßig die Berliner zwischen Furtwängler und Karajan. Mit "überromantisiert" meine ich nicht langsame Tempi oder vergleichbares sondern das Übermäßige hervorheben der Gefühle. Celibidache hatte andere Gründe für seine Tempi als Karajan. Für ihn war nicht der Gesamtklang wichtig sondern das jede, auch noch so kleine, Figur der Partitur ausphrasiert und -gespielt wird, daher auch seine Tempi, von einer "großen Linie" oder ähnlichem hielt er bekanntlich nichts ( im Gegensatz zu mir :yes: ).

  • Zitat

    Original von Michael_Flaschberger
    Mit "überromantisiert" meine ich nicht langsame Tempi oder vergleichbares sondern das Übermäßige hervorheben der Gefühle.


    Hallo Michael,


    kannst du dafür Beispiele nennen?


    Gruß

  • Z.B. Beethoven 5. die Aufgrund der Überinstrumentierung nur noch eine einzige Klangwolke ist und vor sich hinplätschert und nichts mehr von ihrer Rhythmischen Urgewalt hat. Oder Richard Strauss's "4 letzte Lieder" insbesondere das 4. wo er in der Orchestereinleitung keinerlei Aufbau entdecken lässt sondern nur bis zum Solisten-Einstieg in einer Farbe dahindümpelt.


    Vielleicht hab ich mich wieder etwas unglücklich ausgedrückt. Ich meinte das er, soviel ichhalt von ihm kenne, immer nur ein Gefühl für ein beinahe ganzes Stück hat und dieses bis zum Exzess ausreizt und nicht auf die Unterschiede der einzelnen Themen und Sätze und teilweise sogar von Note zu Note eingeht. So empfinde ich es halt immer wenn ich ihn ( bzw. halt seine Interpretationen ) höre.

  • Deine Beschreibung ist aus meiner Sicht stimmig, nur würde ich dies nicht als "Überromantisierung" und auch nicht als "übermässiges Hervorheben der Gefühle" benennen. Vielleicht hast du selbst einen besseren Vorschlag? :-)

  • Zitat

    Original von peet
    Deine Beschreibung ist aus meiner Sicht stimmig, nur würde ich dies nicht als "Überromantisierung" und auch nicht als "übermässiges Hervorheben der Gefühle" benennen. Vielleicht hast du selbst einen besseren Vorschlag? :-)


    Oberflächlichkeit? :stumm: ( Ich wollts vielleicht etwas zu "nett" ausdrücken, scheint mir ja ziemlcih misslungen zu sein :D )

  • Nee, das passt mir immer noch nicht! :-)


    Nimm frühe Aufnahmen Karajans - sie sind absolut perfektionistisch. Das kannst du auch heute kaum erreichen, auch mit besten Orchestern. Ich glaube, es liegt an seiner Klangästhetik, d.h. er wollte das Gesamtheitliche nach vorne bringen und Details dahinter verstecken. Vielleicht finden wir hier doch ein besseres Wort dafür?..

  • Zitat

    Original von peet
    Nee, das passt mir immer noch nicht! :-)


    Nimm frühe Aufnahmen Karajans - sie sind absolut perfektionistisch. Das kannst du auch heute kaum erreichen, auch mit besten Orchestern. Ich glaube, es liegt an seiner Klangästhetik, d.h. er wollte das Gesamtheitliche nach vorne bringen und Details dahinter verstecken. Vielleicht finden wir hier doch ein besseres Wort dafür?..


    Eigenartig, ungewöhnlich, für mich unverständlich, mit einem Wort: "Karajan"

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  • Ich finde es ausgezeichnet, daß das hier so "aufgearbeitet" wird.


    Man stellt sich nämlich die Frage:
    Wie kommt es, daß ein über 50 Jahre (fast) ausnahmslos bejubelter Dirigent heute so kritisch, um nicht zu sagen feindselig gesehen wird ?


    Perfektionistisch, das ist ein Wort, das zu Karajan passt, falsche Intonation eher nicht. Karajan feilte ewig an seinen Einspieluingen, weit über "Dienstzeiten" der Orchestermusiker hinaus.


    Das erklärt auch seine Vorliebe für den "Wiener Singverein", weil dieser Chor mit professionell organisiert ist, und die Sänger GERNE stundenlang probten, nur um dem Maestro nahe zu sein....


    Karajan stand für all das was einst als Statussymbol galt und heute so verpönt ist. Perfektion - Elite - Starkult - Oberschicht-Schönklang.


    Daher finden sich auch kaum Werke des 20. Jahrhunderts in seinem Repertoire (von Ausnahmen mal abgesehen), die mochte "sein" Publikum nämlich nicht.


    Den berühmten "Karajan Breitwandklang" haben seine Kritiker erfunden, er findet sich leider immer wieder bei Aufnahmen eines gewissen Labels, das es aus meiner Sicht nur selten vermochte, die Tiefe des Aufnahmeraumes festzuhalten. Mit Karajan hat das aber nur bedingt zu tun.


    Zur eigentlichen Frage: Wie nenne wir diesen Klang ?


    Manche Kritiker (obwohl mir auch das nicht gefällt) nannten ihn Karajan Luxussound, oder polierten Schönklang.


    Freundliche Grüße aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Wie kommt es, daß ein über 50 Jahre (fast) ausnahmslos bejubelter Dirigent heute so kritisch, um nicht zu sagen feindselig gesehen wird ?


    Karajan ist nach wie vor verkaufsmäßig die Nummer 1 unter den Dirigenten, dazu kommt, dass viele der bestverkauften Scheiben auf möglichst breiten Publikumsgeschmack zugeschnitten sind und des öfteren gar nicht die Vorzeigeaufnahmen des Maestro sind.


    Auf der anderen Seite hat sich natürlich alles weiterentwickelt. Besonders junge Musikliebhaber sind nun häufig mit Karajan 2. Wahl mit leicht veraltetem Stil konfrontiert und reagieren verwundert recht heftig und sprechen ihm mehr ab als zutreffend wäre. Die wirklich guten Aufnahmen von ihm muss man heute oft suchen, erst mit ihrer Kenntnis kann er entsprechend gewürdigt werden.


    Aber es erging ja nicht nur Karajan so, dass er nach seinem Tod anfangs etwas zerzaust wird. Bei Solti kann man ähnliches sehen und heute weiß kaum jemand, dass Furtwängler nach seinem Tod auch für 15 Jahre nahezu in der Versenkung verschwand. Es war die 68er Generation, die ihn wiederbelebte, weil sie da jemanden entdeckte, der zwar alt war, aber dennoch nicht den Geruch des Establishments verbreitete und ausreichend anders war, dass man ihn auch als junger Mensch akzeptieren konnte. Es wird mich daher nicht wundern, wenn sich in zehn Jahren der Staub etwas gesetzt haben wird und Karajan historisch korrekt platziert seinen ihm gebührenden Platz einnehmen wird.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ist jemandem von euch Karajan schon einmal persönlich begegnet?

    Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die Menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher.
    - Albert Einstein (1879-1955)

  • Hallo Philippe


    Persönlich nicht.
    Aber in seiner Glanzzeit war er so präsent, dasß man meinen konnte, man kenne ihn persönlich.
    Was es aber gab: Probenmitschnitte wo man ihm bei der Arbeit zuhören konnte. Er gab auch gerne Interviews. Anders als man ihn sich vielleicht vorstellt, war er im ersten Augenblick eher keine charismatische Erscheinung. Er hatte eine (für mich) eher unangeneme Krächzende brummelnd heisere Stimme.
    All das war aber unbedeutend. Er war ein Intellektueller, der jede seiner Entscheidungen haarklein erklären konnte. Überall blitzte sein messerscharfer Verstand durch. Bei den Proben war er sachlich und präzise (etwas, das vielen Musikern zuwider war)
    Es stimmt auch nicht, daß er keinen Widerspruch vertrug, er vertrug ihn - aber nur von Menschen die Meister in ihrem Fach waren , wie er in seinem - und das war selten.
    Es gibt einige Bücher über ihn. Eines ist besonders interessant: Es hat keinen eigentlichen Autor, sondern besteht aus etwa 20 Artikeln von Leuten, die ihm auf unterschiedliche Weise begegnet sind, angenehm und weniger angenehm. Da wurden etliche Gespräche wiedergegeben.
    Es gibt keine Geheimnisse um Karajan. Zumindest keine die er verursacht hätte.
    ER schreibt auch ganz genau was er empfunden hat, als Furtwängler den er sehr bewunderte, seine Karriere mit allen Mitteln zu verhindern versuchte.
    Vielleicht sollte man noch erwähnen, daß zu Karajans Glanzzeiten der Stellenwert der Klassischen Musik viel höher war als heute:


    Zitat

    7.7.1950: Großer Erfolg der Wiener Symphoniker in Mailand

    Wie aus Mailand berichtet wird, hatte das Wiener Symphonieorchester unter Leitung von Herbert Karajan mit der Aufführung der "Missa solemnis" einen großen Erfolg, der umso höher zu bewerten ist, weil die "Scala" die Abende vorher Konzertaufführungen widmete, die Arturo Toscanini dirigiert hatte. "Il Popoli" di Milano schreibt: "Das Wiener Symphonieorchester war unübertrefflich, der Chor der Gesellschaft der Musikfreunde bewies durch seine Leistung die Einfachheit und Spontanität vereinten, starke Ausdruckskraft. Die Solisten Elisabeth Schwarzkopf, Elisabeth Höngen, Walter Ludwig und Boris Christoff haben die vielen Beifallsbezeugungen des großen Publikums, die sich immer wiederholten, zussammen mit dem Dirigenten Herbert Karajan in reichem Maße verdient."


    "Il Coriere della Sera" schließt seine Kritik mit den Worten: "Es versteht sich, dass das Niveau der Aufführung zum großen Teil den hervorragenden Wiener Symphonikern in ihrer Ganzheit, sowie dem Chor der Gesellschaft der Musikfreunde und den Solisten unter besonderer Hervorhebung der Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf zu danken ist. Chronik: Überfülltes Haus - Begeisterung, rauschender anhaltender Beifall."



    Und zum Schluß der Frage: Ich hatte in früheren Jahren gelegentlich Begegnungen mit Leuten die ih persönlich kannten, soll heißen die unter ihm musizierten.


    Aber das ist nicht bedeutend


    Freundliche Grüße aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Frank,
    Deine Erwiderung veranlasst mich dann doch zu einer Antwort. Deine Ironie ignoriere ich in der mir eigenen Souveränität…
    1. Ich bin weder ausgesprochener Karajan-Fan noch -Gegner.
    2. Wie Alfred schon andeutete, bin ich vielleicht auch kein typischer Forum-Experte - ich kann keine Noten lesen und daher auch keine Partituren beim Hören mitlesen.
    3. Ich bin auch kein ausgesprochener Beethoven-Fan, jedenfalls nicht, was die Gesamtheit seiner Symphonien angeht. Andererseits ist mir natürlich klar, dass seine Symphonien quasi musikalisches Grund-Nahrungsmittel darstellen. Ich besitze die Gesamteinspielung von Blomstedt mit der Staatskapelle Dresden, den fast kompletten Zyklus mit Szell und dem Cleveland-Orchestra, alles, was es von C.Kleiber auf CD gibt und diverse Einspielungen der 5.,6. und 7. Symphonie, die meine Lieblings-Beethoven-Symphonien sind. Damit bin vollkommen zufrieden und teilweise, z.B. was Szell, Kleiber oder Reiner angeht, auch begeistert. Ich besaß auch mal den fast kompletten DDD-Zyklus mit Karajan aus den 80ern, weil ich am Anfang meiner Beschäftigung mit klassischer Musik (der noch gar nicht so lange her ist) glaubte, den müsse man einfach haben - später war ich dann der Meinung, dass dieser eigentlich keine herausragende Einspielung darstellt (ja,ja - ich weiß, der Zyklus aus den 60er ist ja auch viel besser…) und habe bis auf die 5. und 7. die CDs verkauft.
    4. Karajan’s Sibelius kenne ich teilweise (seine Karelia-Suite ist die beste, die ich kenne) und schätze ich durchaus, bin aber kein großer Sibelius-Fan, und um ihn als Sibelius-Könner einzustufen, fehlt da einfach etwas Kenntnis von seiner diesbezüglichen Gesamtleistung.
    5. Zu Brahms gilt ziemlich genau das zu Beethoven gesagte - ich habe den Zyklus mit Szell und die 4. mit Kleiber - damit bin ich vollkommen glücklich und habe - zurzeit - keinen Bedarf, Karajan’s Einspielungen kennenzulernen.
    6. Tschaikowsky habe ich in meiner Aufzählung erwähnt - freilich nur mit den von Dir möglicherweise als musikalisch minderwertig eingestuften Ballett-Suiten, die ich hingegen von Karajan geradezu hinreißend finde. Von den Symphonie mag ich - wie viele, ich weiß… - mehr die letzten 3. Mit Karajan habe ich die 5. (WPO) und die 6.(BPO) und finde sie sehr gut! Hätte ich vielleicht in meiner Favoriten-Liste erwähnen sollen. Bei der 6. ist allerdings die - von vielen als zu persönlich und gefühlsbetont kritisierte - Einspielung von Bernstein aus den 80ern noch lieber, typisch Klassik-Anfänger halt…
    7. Was die Auswahl meiner Karajan-Favoriten angeht, die Dich so fasziniert - ich entscheide halt als relativer Laie danach, ob mich die Musik und die Interpretation ansprechen. Zu Holst z.B. verweise ich auf den entsprechenden Thread, in dem ich mehrfach - möglicherweise ja mit untauglichen sprachlichen Mitteln - versucht habe zu erklären, warum ich diese für die beste mir bekannte halte. Bei Schostakovich ist es so, dass ich diese Musik grundsätzlich interessant finde, aber nicht immer begeistert davon bin. Karajan’s 10. hingegen haut mich immer geradezu um, wenn ich sie höre, die finde ich einfach faszinierend. Das sehen übrigens die Rondo-Kritiker genauso, auch dort gilt die Einspielung als eine Referenz, insofern verwundert mich Deine Überraschung ein wenig. Das Gleiche gilt für Bruckner 7 und Mahler 9 - auch die finde ich in meiner Auswahl keineswegs exotisch. Schoenberg vielleicht - da ziehe ich mich mal auf das Argument „persönlicher Geschmack“ zurück.
    Im Übrigen bestätigt unsere kleine Kontroverse aber, Dass Karajan auch heute noch immer für einen kleinen Meinungsaustausch herhalten kann…

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Lieber Alfred ,
    wer Herbert von Karajan von zwei verschiedenen Seiten kennenlernen möchte , der m u s s Lebrechts Bucht "Der Mythos von Maestro" lesen und Richard Osborne s glänzende Biographie mit unendlich vielen Details . Und Michel Glotz' Buch "La Note vbleue . Une vie pour la musque" ( Lattès , 2002-auch in Deutschland erhältlich ) .
    Karajan hat schon während es Zweiten Weltkrieges an der Reallisation der Stereophonie gearbeitet ( Bruckner ) und blieb zeitlebens einer der grossen Technikkenner .
    Je mehr wir über ihn auch privat wissen 8 nicht aus diversen Blättern ) um so mehr lernen wir ihn auch als Person schätzen !!! Viele seiner Aufnahmen haben sicherlich auch in Zukunft Referenzcharakter .
    Die Wiener Staatsoper hat e r zu einem der führenden Häuser gemacht . Nicht Herr Hilpert , der fürchterlich war ! Karajans Hauptfeind war der Neid anderer Menschen .
    Auf Deine hervorragenden Artikel müsste man einen Essay schreiben, aber ich habe oben vor allem Michel Glotz' herausragendes Buch ( hier die Kapitel : Karajan , Callas , Wéissenberg ) besonders hervorgehoben . Absolutes Muss an Lektüre . Glotz hat ja sehr viele der Aufnahme der drei Ausnahmekünstler gemanagt und produiziert . Glotz war immerhin Schüler u.a. von Marguerite Long .


    Beste Grüsse ins schöne Wien !
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Kann man behaupten Herbert von Karajan ist/war der beste Dirigent unserer Zeit? Es gibt keinen anderen Dirigenten der annähernd so viele Werke betreute. Kann man daraus ableiten, dass was er nicht bearbeitete auch nicht zum Kanon der klassischen Musik gehört.Und ist es wirkliich richtig, dass K. Buddhist war.

  • Servus


    gut, daß Du diesen Thread in Trisch-Trasch abgelegt hast, weil hier nicht viel bei herauskommen wird.


    Ich schätze viele Aufnahmen Karajans - allerdings weit weniger als die Hälfte aller Aufnahmen. Man muß zugeben, daß Karajan auch viel Müll auf Platte hat pressen lassen.


    Soooo groß war das Repertoire von Karajan nun auch wieder nicht. Karajan hätte gerne auch gut Mahler dirigiert (die Neunte, die Vierte, die Fünfte, etc, das Lied von der erde) das ist ihm meiner Meinung nach nicht so gut gelungen wie vielen anderen Mahler-Experten.


    Nur weil Karajan nur die Zehnte von Schsotakowitsch eingespielt hat, kann man doch nicht sagen, daß die andren 14 Sinfonien nicht zum Kanon gehören.


    Überhaupt: das Wort KANON ist mir sowas von zuwider! Das ist doch nur was für unflexible Krämerseelen, die nichts verpassen wollen und sich auf möglichst simple Arte "Bildung" verschaffen wollen. Kanon hat was mit Lehrplan zu tun. Beides für den Mülleimer, wenn ihr mich fragt.


    Karajan und Buddhist!? Gewiss, Karajan hat sich damit beschäftigt, aber im Vergleich zu Karajan ist Celibidache eine buddhistische Gottheit! Karajan war bestenfalls ein buddhistisch angehauchter Katholik.


    Um auf deine Frage zurückzukommen: Es ist falsch, daß kein Dirigent so viele "Werke betreut" hätte, wie Karajan.


    Und man kann bestenfalls sagen, daß Karajan einer der besten Dirigenten unserer Zeit war - neben vielen anderen.

  • Hallo Claudron, Hallo Thomas Bernhard,


    Tja , da sieht man wie verschieden man was eínschätzen kann. Ich halte das Thema "War Karajan der beste Dirigent?" für durchaus diskussionswürdig. Natürlich wissen wir, daß solchg eine Frage unbeantwortbar ist - Dennoch wurde sie immer wieder gestellt - und zu seinen Lebzeiten oft genug gestellt . Nicht nur das , sie wurde oft genug mit JA beantwortet.
    Hier könnte man sich die Frage stellen : WARUM ?


    und schon sind wir wieder beim Titel des Karajan Threasds: Was ist dran an Karajan ?


    Ich habe Ullis Hinweis zum Anlass genommen dei beiden Karajan Themen zusammenzufügen, und seinen Hinweis, der jetzt obsolet ist gelöscht.


    Karajan hat tatsächlich etliches aufgenommen - nicht für alles hatte er eine gute Hand - zumindest nicht aus heutiger Sicht. Dazu zählen sowohl seine Stawinsky - Einspielungen als auch einiges von Bach. Auc seine Einspielungen der Wiener Klassik sind teilweise umstritten. - Beethoven mal ausgenommen.


    Wie viele Suichenden, die sich mit dem Sinn des Daseins und mit den "danach" auseinandergesetzt haben, ist Karajan auch mit dem Buddhismus in Berührung gekommen. Wie tief das wirklich ging weiß ich nicht.


    Freundliche Grüße


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Salut,


    erster Anhaltpunkt aus einer Amazon-Rezension des Buches Mein Leben von Heinrich Harrer:


    Zitat

    Auch Herbert von Karajan erwies sich als feinsinniger Buddhismus-Kenner.


    [Ravi Unger]


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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