Mahlers Adagietto und sein Tempo

  • Heute hörte ich im Radio ein Interview mit Bertrand de Billy, in dem er berichtete, dass Mahlers berühmtes Adagietto aus der 5. Sinfonie, obwohl es dort heißt "sehr langsam" viel zu langsam gespielt werden würde, glaubt man zumindest den Ohrenberichten über Bruno Walter und Gustav Mahlers aus dem Concertgebouw selbst. Da wurde angeblich darüber diskutiert, dass es sich um eine bestimmte Liedvertonung handeln würde (der Titel ist mir entfallen: wer weiß genaueres?). Dieser Hinweis auf das Lied würde deutlich machen, dass dieses "sehr langsam" nicht misszuverstehen ist. Und tatsächlich: Bruno Walter (aber angeblich auch Mengelberg) und jüngst Billy im Konzert haben dieses Satz - im Verhältnis zur jetzt üblichen Aufführungstradition, sehr viel rascher, also authentischer im Sinne der Absichten Mahlers genommen.


    Wer spielt noch das Adagietto in einem angemessen zügigen "sehr langsam" Tempo?

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Hallo


    Benjamin Zanders Einspielung hat das flüssigste Adagio, das ich kenne. Hier ist die Liebeserklärung Mahlers an seine Frau unmittelbar erlebbar.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Es war schon immer bekannt, dass Mahler als Dirigent acht Minuten für das Adagietto benötigt hat; bei Bruno Walter sieht das ähnlich aus. Es hat auch immer Dirigenten gegeben, die das Tempo entsprechend schnell genommen haben, in letzter Zeit ist das eher die Regel als die Ausnahme (zwischen 8 und 9 Minuten brauchen nach meiner Erinnerung z.B. Abbado und Rattle (beide ca. 9), Gielen (ca. 8:30) und Zander (ca. 8 - alle Angaben ohne Gewähr, da ich die CDs hier nicht zur Hand habe) - andere sind sicher hinzuzufügen. Dass sich überhaupt ein extrem langsames Tempo im kollektiven Gedächtnis eingenistet hat, dürfte an der Verwendung als Filmmusik in Viscontis "Tod in Venedig" liegen. Hier spielt irgendein italienisches Provinzorchester mit einem sehr zähen Tempo. Natürlich haben auch bekannte Dirigenten der allfälligen Tendenz zum Verschleppen sehr stark nachgegeben (Bernstein, m.W. auch Haitink).


    Zitat

    Original von a.b.
    Da wurde angeblich darüber diskutiert, dass es sich um eine bestimmte Liedvertonung handeln würde (der Titel ist mir entfallen: wer weiß genaueres?). Dieser Hinweis auf das Lied würde deutlich machen, dass dieses "sehr langsam" nicht misszuverstehen ist.


    Bei dem Lied handelt es sich um das berühmte "Ich bin der Welt abhanden gekommen" nach Rückert, das Mahler fast zeitgleich komponiert hat. Man hört es im Adagietto ständig anklingen (ebenso wie diverse Tristan-Anspielungen).


    Viele Grüße


    Bernd

  • Der Text ist durch Willem Mengelberg überliefert und beginnt:"Wie ich Dich liebe..."(Rest weiss ich nicht mehr), sei laut Mariss Jansons (Probenmitschnitt B4) mit den Noten an Alma gesandt worden, sie habe mite einem Wort geantwortet:"Komm." Das gesprochene Wort bzw. die Deklamation des Textes würde laut Jansons das Tempo festlegen, also nicht zu gedehnt.

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • Haitink hat sogar extrem nachgegeben. In seiner zweiten Einspielung dauert das Adagietto, wenn ich mich recht erinnere, in der Gegend von 14 Minuten.
    Walter schafft es, daß das Adagietto ruhig, intim und singend klingt, ohne wirklich langsam zu wirken.
    Bei Kondraschin ist die Spannung größer, es kommt eine Art zwanghaft beruhigte Nervosität zum Tragen.
    Für mich interessant: Sogar der sonst eher flotte Boulez kostet das Adagietto aus.


    Die allgemeine Mahler-Verlangsamung ist IMO Bernstein zuzuschreiben. Jedoch: Quod licet Iovi....


    :hello:

    ...

  • Wenn mich nicht alles täuscht, braucht Kaplan für das zum Schmachtfetzen degradierte Stück ca. 7 Minuten, die mir keinesfalls extrem schnell vorkamen.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Ist es eigendlich extrem wichtig,ob dieser schöne Satz
    sieben oder neun Minuten lang ist.Je langsamer er
    gespielt wird,umso länger hat man doch was von ihm.
    Wenn man allerdings unbedingt die authentische
    Version haben möchte,muß man Bruno Walter nehmen.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Also das kürzeste Adagietto liegt in meinen Aufnahmen bei



    Bruno Walter mit 7:35 (1947)


    besonders lang: Bernstein (1988 ) 11:13,


    aber auch Mitropoulos (1959) mit 10:55.


    Die anderen liegen eher im Mittelfeld bei 9 Min:


    Scherchen (1952) 9:15


    Barbirolli (1970) 9:52


    Solti (1970) 9:50


    Chailly (1998 ) 10:18.


    Eine annähernde/ungefähre Vorstellung von Mahlers Vorstellungen des Tempos bekommt man vielleicht beim Anhören der Piano Rolls, bei denen es allerdings wohl von der 5. Symphonie nur den 1. Satz gibt. Die sprechen wohl am ehesten für Bruno Walter.


    Mit besten Grüßen


    Matthias


    P.S.:


    Den Vogel schießt Karajan ab - in jeder Hinsicht - mit 11:53. Aber offenbar gibt es ja sogar noch längere.

    Tobe Welt, und springe,
    Ich steh hier und singe.

  • Bruno Walter war ein enger Vertrauter Gustav Mahlers und
    Alma Mahlers.Der kannte genau die Intentionen des Komponisten.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von MStauch
    Den Vogel schießt Karajan ab - in jeder Hinsicht - mit 11:53. Aber offenbar gibt es ja sogar noch längere.


    In der Tat! Abbado braucht mit den Chicagoern 1984 11:55... :no:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von GiselherHH
    In der Tat! Abbado braucht mit den Chicagoern 1984 11:55... :no:


    GiselherHH


    Abbado gehört aber zu den Dirigenten, die dazulernen können: In seiner neuen Luzerner Aufnahme sind es nur noch gut neun Minuten (in der Berliner aus den 90ern ist er m.W. auch schon unter 10).


    Mit 11:55 ist das Ende der Fahnenstange lange nicht erreicht: Edwin verwies ja schon oben auf Haitink, der um 14 Minuten brauchte.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich hatte im Thread über die M5 schon mal ähnlich geschrieben:


    Im Booklet seiner Aufnahme mit dem Philharmonic Orchestra führt Benjamin Zander, der den Satz in 8:33 spielt, noch die Spielzeiten der Sätze der 5. unter Mahler eigenem Dirigat an, die ein Freund des Komponisten bei einem Konzert in Hamburg 1905 gemessen hat, und die denen Zanders ganz ähnlich sind. Zander erwähnt auf der Begleit-CD, auf der er das Werk in englisch erläutert, als die beiden Extreme folgende Aunahmen:


    Mengelberg 1926: 7:04 min
    Scherchen 1964, 15 min (Philadelphia Orchestra)


    Durch Walter und Mengelberg, die beide mit Mahler befreundet waren, dürfte Mahlers eigene Tempovorstellung hinreichend dokumentiert sein.


    Gruß
    Christian

  • Zitat

    Original von klaus
    Der Text ist durch Willem Mengelberg überliefert und beginnt:"Wie ich Dich liebe..."(Rest weiss ich nicht mehr), sei laut Mariss Jansons (Probenmitschnitt B4) mit den Noten an Alma gesandt worden, sie habe mite einem Wort geantwortet:"Komm." Das gesprochene Wort bzw. die Deklamation des Textes würde laut Jansons das Tempo festlegen, also nicht zu gedehnt.


    Ja! Genau das meinte ich, als ich oben wohl irrtümlich von "Lied" sprach: hier ging es um einen Privaten Text. Wer kennt den genauen Wortlaut? Gibt es dazu ein Buch von Mengelberg?


    Danke!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Wie schon mehrfach bemerkt wurde, gibt es diverse Hinweise, das Adagietto zügig zu spielen. Trotzdem wird es in verschiedenen Aufnahmen teilweise extrem langsam gespielt. Ich denke, dass dies auch daran liegt, dass einen das Stück dazu "verleitet". Es ist ein sehr intensives und schönes Stück und manche Dirigenten erliegen wohl der Versuchung diesen Charakter durch ein langsames Tempo noch weiter zu betonen oder auch zu übertreiben. Die Gefahr ist dann, dass das Adagietto als einzelnes hübsches Musik-Stück da steht, aber nicht als Satz in die Sinfonie integriert ist.


    Den obigen Kommentar von Edwin Baumgartner, dass die Mahler-Verlangsamung Bernstein zugeschrieben werden sollte, kann ich so leider nicht nachvollziehen. Vielleicht ist hier auch gemeint, dass Bernstein teilweise bei einzelnen Sätzen extreme (oft langsame) Tempi gewählt hat. Eine weiterführende Erleuterung fände ich hier interessant.


    Von Bernstein kenne ich die Live Aufnahme mit den Wienern von 1988. Auch wenn das Adagietto hier langsam ist (11:13 min), so finde ich die Aufnahme insgesamt sehr gut und stimmig. Auch ein langsames Adagietto kann in eine Interpretation der Sinfonie gut integriert werden; auch wenn dieses Tempo der ursprünglichen Intention des Komponisten widersprechen mag.


    Nachdem es sich um einen Thread zum Adagietto der 5. handelt, will ich noch einen Kommentar zu Viscontis Film abgeben. Ich finde es handelt sich um eine sehr gute Literaturverfilmung mit einem herausragenden Hauptdarsteller. Meine Empfehlung ist, sich den Film bei Gelegenheit in einem Programm-Kino anzusehen. Der Film lebt von der Stimmung die erzeugt wird und ich kann mir nicht vorstellen, das man ihn z.B. mit Werbeunterbrechungen im Fernsehen genießen kann.


    Beste Grüße
    Wolfgang

  • Zitat

    Original von mcy


    Nachdem es sich um einen Thread zum Adagietto der 5. handelt, will ich noch einen Kommentar zu Viscontis Film abgeben. Ich finde es handelt sich um eine sehr gute Literaturverfilmung mit einem herausragenden Hauptdarsteller. Meine Empfehlung ist, sich den Film bei Gelegenheit in einem Programm-Kino anzusehen. Der Film lebt von der Stimmung die erzeugt wird und ich kann mir nicht vorstellen, das man ihn z.B. mit Werbeunterbrechungen im Fernsehen genießen kann.


    Wer hat denn die Filmmusik dirigiert und mit welchem Orchester? War das Ormandy, oder habe ich da etwas ganz Falsches im Hinterkopf ?

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

    Einmal editiert, zuletzt von a.b. ()

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Abbado gehört aber zu den Dirigenten, die dazulernen können: In seiner neuen Luzerner Aufnahme sind es nur noch gut neun Minuten (in der Berliner aus den 90ern ist er m.W. auch schon unter 10).


    Abbado gehört offenbar zu der seltenen Spezies Dirigenten, die im Alter schneller werden... Bei genauerem Hinsehen musste ich ohnehin feststellen, dass der "Langsamkeitskönig" in meiner Sammlung Scherchen mit 13:07 ist (ORTF 1965).


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von GiselherHH


    Abbado gehört offenbar zu der seltenen Spezies Dirigenten, die im Alter schneller werden...


    Wobei diese Spezies, wenn auch selten, mindestens ein äußerst prominentes Exemplar enthält ;)


    Zitat


    Bei genauerem Hinsehen musste ich ohnehin feststellen, dass der "Langsamkeitskönig" in meiner Sammlung Scherchen mit 13:07 ist (ORTF 1965).


    Scherchen scheint hier wie auch sonst manchmal erratisch; in seiner Westminster-Aufnahme liegt er bei 9:11.
    Mein Schnellster ist Wyn Morris mit gut 8 min. Lenny in der DG-Aufnahme mit gut 11 min ist offenbar bei weitem nicht der langsamste.


    Ist das Gerücht eigentlich belegt, dass Klemperer die 5. nicht dirigierte, weil er das adagietto für "Salonmusik" ansah...?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • JR:


    Zitat

    Ist das Gerücht eigentlich belegt, dass Klemperer die 5. nicht dirigierte, weil er das adagietto für "Salonmusik" ansah...?


    Klemperers Tochter Lotte bestätigte dieses "Gerücht" im Gespräch.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • @JR


    Das mit Klemperer und dem Adagietto habe ich auch irgendwo gelesen, weiss aber nicht mehr, wo...


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Für mich zählt das erfolgte Ergebnis einer Interpratation und nicht ob nun 7 oder 12 Minuten gebraucht werden.
    In der Regel wirken längere Interpretationszeiten langatmiger und langweiliger.


    Nicht bei Mahlers Adagietto aus der Sinfonie Nr.5, wenn Bernstein und die New Yorker Philharmoniker (SONY 1963) dirigieren.
    :jubel: Selten habe ich diesen Satz so tiefgehend empfunden gehört wie in dieser für mich neuen Aufnahme der Mahler - Sinfonien - GA mit Bernstein.
    Wieder eine große Bernstein-Interpreatation.



    :angel: In dieser Mahler-Box ist das Adagietto sogar zweimal vorhanden:
    1. Bei der Aufnahme von 1963 der ganzen Sinfonie Nr.5 (über 11 Minuten).
    2. Die ergreifende Aufführung 1968 zu Kennedy´s Tod in der St. Patrick's Cathedral, New York City (über 12Minuten).



    Bei Bernsteins Beerdigung wurde dieser Satz übrigens auch gespielt, wie ich gelesen habe.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Komisch, mir gehts mit diesem Satz ein bisschen ähnlich wie Klemperer, will sagen, da "kommt nichts rüber", völlig egal, ob er nun in 6 Minuten heruntergeschrubbt oder in 20 Minuten zerdehnt wird; das Stück lässt mich unbeteiligt.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Komisch, mir gehts mit diesem Satz ein bisschen ähnlich wie Klemperer, will sagen, da "kommt nichts rüber", völlig egal, ob er nun in 6 Minuten heruntergeschrubbt oder in 20 Minuten zerdehnt wird; das Stück lässt mich unbeteiligt.


    Da kann ich mich nur anschließen - von allen Sätzen aller Mahler-Sinfonien bedeutet mir dieser am wenigsten. Er ist zweifellos sehr hübsch, aber doch um Dimensionen von den Adagio-Sätzen der dritten und vierten oder gar der neunten und zehnten Sinfonie entfernt - ein AdagIETTO eben. Gerade deshalb ist es mir nicht unwichtig, dass der Satz nicht auf die Dimension eines großen Adagio aufgebläht wird, sondern ein Intermezzo bleibt. Als solches hat das Stück seine Berechtigung in der fünften Sinfonie.


    Das ist aber ausdrücklich nicht mehr als meine persönliche Meinung.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Da kann ich mich nur anschließen - von allen Sätzen aller Mahler-Sinfonien bedeutet mir dieser am wenigsten. Er ist zweifellos sehr hübsch, aber doch um Dimensionen von den Adagio-Sätzen der dritten und vierten oder gar der neunten und zehnten Sinfonie entfernt


    Ich kann dies durchaus verstehen. Umsomehr ist es wichtig, zu achten, worum es Mahler geht. Wie Klaus aus Wien uns dankenswerter Weise aufmerksam macht:


    Zitat

    Der Text ist durch Willem Mengelberg überliefert und beginnt:"Wie ich Dich liebe..."(Rest weiss ich nicht mehr), sei laut Mariss Jansons (Probenmitschnitt B4) mit den Noten an Alma gesandt worden, sie habe mite einem Wort geantwortet:"Komm." Das gesprochene Wort bzw. die Deklamation des Textes würde laut Jansons das Tempo festlegen, also nicht zu gedehnt.


    ...geht es um eine Liebeserklärung an seine Frau anhand eines bestimmten Textes. Womöglich ändert sich die Wertschätzung dieses Satzes, wenn man endlich einmal eine Interpretation hört, in der dieser Inhalt ausdrucksmäßig getroffen werden würde.


    Daher noch einmal die Frage: Wer kann den genauen Text, den Mahler an Alma schrieb, nennen?


    Danke!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

    Einmal editiert, zuletzt von a.b. ()

  • Zitat

    Original von a.b.
    Daher noch einmal die Frage: Wer kann den genauen Text, den Mahler an Alma schrieb, nennen?


    Danke!


    Der Text lautet:


    "Wie ich dich liebe, Du meine Sonne, ich kann mit Worten Dir's nicht sagen. Nur meine Sehnsucht kann ich dir klagen. Und meine Liebe, meine Wonne!"


    M.W. ist aber nicht vollständig sicher, ob der Text so von Mahler stammt, oder ob es sich nicht um eine Paraphrase Mengelbergs handelt.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Der Text lautet:


    "Wie ich dich liebe, Du meine Sonne, ich kann mit Worten Dir's nicht sagen. Nur meine Sehnsucht kann ich dir klagen. Und meine Liebe, meine Wonne!"


    Danke! (Wo steht denn das?)


    Nun also die Frage an alle: In welcher Interpretation des Adagiettos kann man solche Sehnsucht (statt Schwermütigkeit) auch hören?

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

    3 Mal editiert, zuletzt von a.b. ()

  • Hab Euch was rausgesucht (habe nämlich einen neuen Scanner, hehe...)


    Jonathan Carr: Gustav Mahler, Biographie:


    ......Viscontis Film »Der Tod in Venedig« eingegangen ist, -wird es regelmäßig als Klagelied, zudem als sentimentales, mißhandelt. In gewissem Maße ist das natürlich Auffassungs- und Geschmackssache. Wenn ein Dirigent das Gefühl hat, einer Musik wohne Feierlichkeit inne, bleibt es ihm überlassen, sie auch so zu interpretieren. Zu seinen Gunsten spricht dabei Mahlers Anfangsanweisung zum Tempo, »Sehr langsam«, wenngleich sie schon bald zu »Etwas flüssiger als zu Anfang« und »Nicht schleppen« wechselt. Dennoch spricht einiges dafür, daß der schwermütige Ansatz nicht nur das eigentliche Wesen des Stückes verzerrt, sondern auch Mahlers sinfonische Architektur durchbricht.


    Einen besonders packenden Ansatzpunkt dafür liefert uns der bereits erwähnte holländische Dirigent Wil-lem Mengelberg, der uns zu erkennen half, wie nahe Mahler in seinen Leipziger Jahren Marion von Weber gestanden hatte. Nach Mengelberg, den Mahler seinen besten Interpreten (nach ihm selbst) genannt hat, war das Adagietto eine Liebeserklärung, die Mahler - wahrscheinlich Ende 1901 - in Manuskriptform an Alma geschickt hat. Dem Manuskript lag kein Wort bei, und Worte waren ja auch nicht nötig. Alma verstand sofort, worum es ging. Vielleicht hat sich Mengelberg geirrt, obwohl er sagte, er habe die Geschichte sowohl von Mahler als auch von Alma gehört. Jedenfalls handelte er nachweislich nach seiner Überzeugung. Sein Adagietto von 1926 (mit knapp sieben Minuten das schnellste auf Schallplatte) atmet eine zwingende Flüssigkeit und Inbrunst, die Welten entfernt sind von dem Schmalz, von dem die Aufführungen heutzutage meist triefen.


    Selbst wenn sich Mengelberg getäuscht haben sollte, gibt es noch einen anderen guten Grund, das Adagietto schwungvoll zu spielen. Mahler schrieb die Sinfonie zwar in fünf Sätzen, unterteilte sie jedoch in drei sorgfältig ausgewogene Teile. Teil eins umfaßt die ersten beiden Sätze, den Trauermarsch und seinen stürmischen, wenngleich kürzeren Anschluß, der mit der Weisung versehen ist: »Stürmisch bewegt. Mit großer Ve-hemenz.« Der letzte Teil beginnt mit dem Adagietto, das gera-dewegs zum Rondo-Finale weiterleitet, einem Satz, der von fröhlicher Polyphonie birst und mit einem triumphalen Chor endet. Mahler hatte seine Lektion bei Bach gut gelernt! Übrig bleibt damit der dritte Satz - das kunstvollste Scherzo, das Mahler je schrieb - als zweiter Teil und Dreh- und Angelpunkt des Ganzen. In ihm ist jede einzelne Note nach Mahlers Worten energiegeladen wie der Schweif eines Kometen. Oder fast jede Note. Er enthält ein gespenstisches Zwischenspiel mit Pizzicato-Streichern und krächzendem Fagott, das andeutet, daß der Komet vielleicht doch nicht so kraftvoll sein könnte. Steht die Musik hier am Rande eines Rückfalls in die Düsternis von Teil eins, oder wird sie ihr m einem machtvollen neuen Aufschwung endgültig entkommen? Das Ergebnis der gesamten Sinfonie hängt hier kurz in der Schwebe. Dann beschleunigt sich das Tempo, und die Antwort wird klar oder sollte es jedenfalls, wäre da nicht das Problem des Adagiettos.


    Es scheint sicher, daß Mahler, als er die Sinfonie begann und als erstes am Scherzo arbeitete, diese Konstruktion noch nicht genau so vor Augen hatte. Wie so oft, tastete er sich voran. Bei der Orchestrierung hat er das bis zum Lebensende getan, auf der ewigen Suche nach Klarheit unentwegt an ihr gefeilt und sie umgebaut. Alma behauptet sogar, auf ihren Rat hin habe er fast alle Trommelwirbel und die Hälfte der Schlag-zeugpartien herausgestrichen; eine genaue Untersuchung der diversen Editionen der Partitur untermauert diesen Anspruch allerdings nicht. Doch die Orchestrierung war eine Sache, die Struktur eine ganz andere. Als sich Mahler zu den fünf Sätzen m drei Teilen entschlossen hatte, blieb er auch dabei. Das hat folgen vor allem für die Interpretation des Adagiettos. Geht man es lebensfroh an wie Mengelberg (und andere Dirigenten der alten Schule einschließlich Bruno Walter), dann spielt es eine ganz natürliche Rolle als Auftakt zum freudigen Finale. Spielt man es ultralangsam (mindestens ein moderner Dirigent zieht es über rund 14 Minuten hin), dann wird es zu einem schwermütigen Intermezzo, das stimmungsmäßig rein gar nichts mit dem zu tun hat, was ihm folgt.........


    :hello:
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Hallo mcy,

    Zitat

    Den obigen Kommentar von Edwin Baumgartner, dass die Mahler-Verlangsamung Bernstein zugeschrieben werden sollte, kann ich so leider nicht nachvollziehen. Vielleicht ist hier auch gemeint, dass Bernstein teilweise bei einzelnen Sätzen extreme (oft langsame) Tempi gewählt hat. Eine weiterführende Erleuterung fände ich hier interessant.


    Ich will's mal versuchen.
    Es ist zwar eine Legende, daß erst Bernstein Mahler entdeckt hat, aber meiner Meinung nach hat die Mahler-Mode mit Bernstein eingesetzt.


    War Bernstein eigentlich der erste Dirigent, der alle Mahler-Symphonien als Zyklus aufführte? - Ich habe das einmal gelesen. Jedenfalls war er der erste, der alle auf der zunehmend wichtiger werdenden Schallplatte einspielte.
    Jedenfalls, die Mechanismen brauchen uns jetzt nicht zu interessieren, wurde Bernstein zu einer Art Mahler-Hohepriester.


    Nun sind ja Interpretationen oft der Mode unterworfen. Nachdem Dirigenten wie Böhm, Boulez oder Kleiber bei Wagner ein relativ flottes Grundtempo angeschlagen haben, entdeckte man plötzlich wieder die Langsamkeit von Furtwängler und Knappertsbusch - und mit einem Mal wurden Wagners Tempi von jedem x-beliebigen Kapellmeister unter Berufung auf Furtwängler und Knappertsbusch zerdehnt, obwohl das, was Furtwänglers und Knappertsbuschs Interpretationen auszeichnete, nämlich die extreme Spannung und das Einbringen spontaner Ideen, natürlich nicht nachgeahmt werden konnte.
    Aber mit der Zeit wurden die zerdehnten Wagner-Tempi eben die Norm - dank einer falsch verstandenen Furtwängler- und Knappertsbusch-Nachfolge.


    Und damit zurück zu Mahler, bei dem durch Bernstein etwas Ähnliches passierte: Bernstein tendierte dazu, Tempi extrem zu nehmen: Langsames etwas langsamer, Schnelles etwas schneller.
    Bei Bernstein selbst funktioniert das, weil er nicht nur die Tempi im Sinn hat, sondern wirklich eine Interpretation versucht, eine wenn man will nicht nur musikalische, sondern auch emotionelle und sogar philosophische Auslegung der Partitur anstrebt.


    Dadurch, daß Bernstein als Mahler-Hohepriester verstanden wurde, bürgerte sich nun im Verständnis des Publikums, aber oft auch im Verständnis der Interpreten ein, daß Bernstein es richtig macht; folglich müsse man nur Bernstein nachdirigieren, um zu einer ebenso tiefen Auslegung zu kommen.
    In weiten Kreisen des Publikums setzte sich dabei die Idee fest, daß im Raum stehende Adagi ideal seien, wenn nur die Scherzi möglichst hastig daherkämen.


    Soll heißen: Bernsteins Tempi wurden von den Inhalten seiner Interpretationen gelöst und erstarrten damit zur Manier, die immer weiter gesteigert wurde.
    Statt sich an Bruno Walters, Otto Klemperers oder, soweit möglich, Willem Mengelbergs vielleicht authentischen, sicher aber vernünftigen Tempi zu orientieren, war man als Dirigent stolz darauf, noch langsamer zu sein als Bernstein, was zu einer Spirale der verzögerten Tempi führte.
    Erst, als die Langsamkeit zur Groteske verkam, besannen sich Dirigenten wieder des normalen Flusses, den nur einige wenige (wie z.B. Kegel, Boulez, Kondraschin) nie vergessen hatten.


    Aber um es ganz klar zu sagen: Ich halte Bernsteins Mahler-Interpretationen für Meilensteine der Interpretationsgeschichte. Aber ich glaube, sie sind nicht nachahmbar.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von a.b.


    Danke! (Wo steht denn das?)



    Z.B. hier: "http://www.berliner-philharmoniker.de/de/programmheft/15/"
    mit kurzen, aber offenbar profunden Erläuterungen zum Thema




    Zitat

    Nun also die Frage an alle: In welcher Interpretation des Adagiettos kann man solche Sehnsucht (statt Schwermütigkeit) auch hören?


    Man könnte jetzt salopp sagen: in den schnelleren Interpretationen eher als in den langsameren (wobei das nicht nur eine Frage des Tempos ist: ich erkenne auch noch in den 9-Minuten-Einspielungen den Grundcharakter dieses Satzes wieder).


    Allerdings bezweifele ich, ob das Gedicht (das man natürlich zur Kenntnis nehmen sollte) unserem Bild vom Adagietto wirklich etwas Neues hinzufügen kann. Dass es sich bei dem Satz um eine Liebeserklärung an Alma handelt, wusste man schon immer. Ebenso war man im Prinzip über das korrekte Tempo informiert. Das Gedicht lässt sich natürlich auf den Nenner "Sehnsucht" bringen, aber Interpreten, die im Adagietto "Schwermütigkeit" erkennen wollen, könnten sich auf das Verb "klagen" beziehen. Aus Worten wie "Sehnsucht" oder "Schwermütigkeit" lassen sich ohnehin keine eindeutigen Erkenntnisse zum Tempo ableiten (auch wenn man das Gedicht auf dem Thema des Satzes singen kann) - jedenfalls keine, die man nicht schon vorher gehabt hätte.


    Viele Grüße


    Bernd

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