ZitatOriginal von Edwin Baumgartner
Bernstein: Darstellung überbordender Emotion
Hallo Edwin,
ich kenne von Bernstein nur die Concertgebouw-Aufnahme aus seinem DG-Zyklus. Bleibt diese Einspielung hinter der Berliner-Aufnahme zurück - gibt es da nennenswerte Unterschiede?
Die Meinung, dass man von allen weiteren Einspielungen außer den von dir genannten die Finger lassen sollte, da sie keine neue Sicht auf das Werk bieten, teile ich nicht, wenngleich sie in der Tat die extremsten Ausprägungen dieser Sinfonie darstellen mögen.
So finde ich in jedem Fall noch Abbados Berliner-Aufnahme erwähnenswert, und zwar aus folgendendem Grund: ich kenne keine Aufnahme, die den tänzerischen Charakter des 2. Satzes so auf die Spitze treibt. Man mag darüber streiten, ob seine schnelle Gangart dem "Tempo eines gemächlichen Ländlers" entspricht, aber Aufnahmen wie bspw. die von Giulini (DG), die diesen Satz so gemächlich angehen, dass von einem tänzerischen Ländler nie und nimmer die Rede sein kann, zielen wohl doch an der Musik vorbei. Vor allem aber finde ich es verwunderlich, dass die allerwenigsten Dirigenten das "Poco più mosso subito" wirklich ernst nehmen - eben bis auf Abbado, die hier das Tempo anzieht und durch dieses Zuspitzen sonst ungehörte tonale Reibungen entstehen lässt. Wenn man das einmal von ihm gehört hat, fällt es schwer, die meisten anderen Aufnahmen dieses Satzes als gelungen zu empfinden. Abbado erinnert in diesem Satz an die Walter-Einspielung von 1938, aufnahmetechnisch und auch instrumental bewegt er sich freilich auf einem viel höhren Niveau. Im Final-Satz geht Abbado andere, eigene Wege.
Der Vollständigkeit halber hier auch noch die erwähnte Walter-Aufnahme, die wahrscheinlich eine der radikalsten ist, nicht nur wegen des erstaunlich schnellen Tempos im letzten Satzes (hat das nach ihm überhaupt noch jemand unter 20 Minuten dirigiert?):
Viele Grüße,
Christian